Читать книгу Make it a game! Der Fall Kolletzki - ein literarischer Adventskalender - FABULA VIER - Die vier Schriftgeleerten - Страница 4

1. Adventstürchen (geschrieben am ersten Dezember)

Оглавление

„Ich habe den Helm auf dem Schlachtfeld unserer Liebe verloren“, sagte Arthur und rührte in seinem Milchkaffee.

Milla sah von ihren kleinen Mustern, die sie während des Gesprächs an den Rand der Zeitung gekritzelt hatte, auf und musterte Arthur scharf.

„Ich mag ihn nicht einmal mehr suchen“, fuhr Arthur fort. Dabei machte er ein bekümmertes Gesicht. „Gib mir den Rest, wenn du willst. Schlag mir ruhig den Kopf ab. Du hast gewonnen.“

Millas Finger verkrampften sich um den Kugelschreiber in ihrer Hand. Sie fügte energisch ein paar weitere Linien zu ihrem streng symmetrischen Muster hinzu. Dann warf sie den Kuli auf den Tisch. „Arthur, was soll das jetzt? Musst du immer alles ins Lächerliche ziehen? Oder probst du hier eine neue Rolle?“

„Und du, musst du immer dieses Zeugs da kritzeln, wenn wir uns unterhalten?“ Die beiden sahen sich einen Moment lang feindselig in die Augen. „Ich meine, wenn du wenigstens Blumen malen würdest oder so, aber nicht diese bedrohlichen Strichmuster da. Bei jedem Wort, das ich sage, wird ein Strich gemacht. Das nervt.“

„Blumen? Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du gibst mir ganz bestimmt keinen Anlass dazu, Blumen zu malen.“ Sie sah zum Küchenfenster hinaus und schüttelte den Kopf. Dann sah sie wieder Arthur an, dessen Blick auf den Kuli und das Muster gerichtet war. „Du könntest mir mal wieder welche schenken, ja.“

Arthur sah auf. „Wenn ich dir Blumen schenke, dann ist es doch gleich wieder ein Schuldeingeständnis. Was hast du jetzt wieder gemacht, Arthur, dass du mir Blumen schenkst?“ Er zog eine Grimasse.

Milla formte ihre Augen zu schmalen Schlitzen, während sie Arthur fixierte. Dann nahm sie ihre Teetasse in beide Hände und nahm einen Schluck. „Und was hast du gemacht?“ sagte sie dann.

Arthur schüttelte nur den Kopf. ‚Es hat keinen Sinn‘, dachte er. Er war Schauspieler. Zwangsläufig traf er viele Menschen. Natürlich auch Frauen. Aber er musste doch nicht gleich mit jeder Frau etwas haben. Milla hingegen kannte Arthur sehr gut und wusste, wie er tickte. Er brauchte die Aufmerksamkeit. Im Grunde genommen war er auch nicht anders als die kleinen Jungs in ihrer Kita. Sie war Erzieherin. Sie hatte einen festen Job und brachte das Geld nach Hause. Von Arthurs unregelmäßigen Engagements konnten sie auf jeden Fall nicht leben. Milla hielt sich eigentlich nicht für besonders eifersüchtig, aber wenn es wirklich berechtigten Anlass dazu gab, dann konnte sie die Krallen ausfahren und sehr unangenehm werden. In diesem Fall hielt sie ihre Eifersucht für berechtigt. Sie hatte am Tag zuvor wieder dieses fremdartige süßliche Parfum an ihm gerochen, das nur von einer anderen Frau stammen konnte. Als Arthur letzte Nacht auch noch zudringlich werden wollte, hatte sie sich ihm komplett verweigert. Arthur hatte das überhaupt nicht verstanden und als er im Bett gelegen hatte und nicht hatte einschlafen können, hatte er sich schon überlegt, vielleicht doch etwas mit seiner neuen Schauspiel-Kollegin anzufangen.

Am Morgen nun war es in der Küche zur Aussprache gekommen. Für Milla hatte dieses Gespräch auch etwas Grundsätzliches. Schließlich waren sie doch erst vor ein paar Monaten in diese Wohnung in Kreuzberg gezogen.

„Es ist nichts“, sagte Arthur schließlich. „Wirklich.“ Er streichelte die Katze, die in die Küche gekommen war und um seine Beine strich. Das hatte meist eine beruhigende Wirkung auf ihn.

„Mmh“, machte Milla. Sie liebte diese Wohnung. Sie mochte das Bistrotischchen, an dem sie saßen, das aus ihrer ehemaligen Stammkneipe stammte, die leider hatte schließen müssen. Sie liebte den Ausblick auf den alten Schornstein auf dem Nachbargrundstück und den riesigen Balkon, der an den Gründerzeitbau angehängt worden war und sich von der Küche am Badezimmer vorbei bis zum Schlafzimmer erstreckte, sicherlich, ein Stockwerk höher wäre noch besser gewesen, man hätte nicht so auf die Hofmauer geschaut, aber es war gut so wie es war und sie liebte ihr Zimmer mit dem Stuck an der Decke. Und sie liebte Arthur. „Verdammt“, sagte sie. „Was ist das?“

„Was ist was?“ fragte Arthur.

„Irgendetwas ist da gerade durch die Luft geflogen“, sagte sie und machte große Augen.

„Wie durch die Luft geflogen?“ Arthur drehte sich zum Fenster um.

„Ich weiß nicht“, sagte Milla.

Arthur stand auf und wäre fast über die Katze gestolpert. Er öffnete die Balkontür und sah nun auch, wie etwas vom Himmel flog, ein Gegenstand, der aussah wie eine Mikrowelle. Und im nächsten Moment hörten sie, wie er auf den Steinfließen im Hof aufschlug.

„Um Gottes Willen“, sagte Milla, die so abrupt von ihrem Stuhl aufgestanden war, dass er umfiel. Die Katze schoss wie der Blitz aus der Küche in den Flur hinaus. Arthur betrat den Balkon und Milla folgte ihm. Er blickte nach oben, um nachzusehen, woher die Gegenstände denn kamen. Sogleich musste er aber in Deckung gehen, denn er sah eine Stehlampe direkt auf sich zukommen. Sie streifte aber das Balkongeländer und landete ebenfalls im Hof.

„Verdammt, was soll der Scheiß“, schrie Arthur. Dann sahen sich die beiden erschrocken an. Instinktiv nahm Arthur Milla in den Arm, was sie sich gefallen ließ, während als nächstes ein metallener Werkzeugkasten an ihnen vorbeiflog. Der Aufprall war ohrenbetäubend. Arthur wagte einen weiteren Blick nach oben. An der Brüstung der Dachgeschosswohnung konnte er einen Lockenkopf erkennen.

„So, man beachte die Flugbahn, alles genau berechnet.“ Es war der Hausbesitzer und Vermieter ihrer Wohnung, der dort oben wohnte und so herumschrie. Ein Kleiderständer flog durch die Luft und rasierte dem einzigen Baum im Hof, der sich in einem Terrakottatopf befand, die Krone ab, ohne dass er umgefallen wäre. Arthur sah hinab auf die misshandelte Pflanze. „Wenn er das berechnet hat, nicht schlecht“, sagte er.

„Wahrscheinlich will er, dass man ihm noch Beifall spendet“, sagte Milla.

„Habt ihr das gesehen?“, rief es von oben herunter. „Habt ihr das gesehen?“

„Ja, haben wir“, sagte Arthur. Es flogen noch mehr Gegenstände hinunter und als Zugabe folgten Klamotten, Kissen und Bücher. Am Ende flatterten Zeitschriften herab. Eine davon fiel auf Arthurs und Millas Balkon. Es handelte sich dabei um ein Pornomagazin. Arthur nahm es unter angewiderten Blicken Millas in die Hand und blätterte darin herum. Es waren nur Männer abgebildet. „Na toll“, sagte Arthur.

„Wie kannst du das in die Hand nehmen? Das ist doch ekelhaft.“ Arthur warf das Heft in den Hof zu den anderen Sachen. „Man muss die Polizei holen. Der ist ja völlig übergeschnappt“, meinte Milla.

Der Vermieter war Milla und Arthur von Anfang an etwas merkwürdig vorgekommen. Die Art, wie er sich kleidete war schon speziell. Er bevorzugte türkisfarbene Leggings, schrille Hemden oder weit ausgeschnittene T-Shirts und er trug nie Socken in seinen Turnschuhen. Er war mager, seine Bewegungen waren fahrig und wenn man sich mit ihm unterhielt, hielt er seinen Kopf eigenartig schief, als würde er das gesagte genauestens analysieren. Auch sein Alter war nicht genau zu bestimmen, aber er musste ein paar Jahre älter sein als Arthur und Milla, die beide Anfang vierzig waren. Im Endeffekt jedoch dachten sie sich nicht so viel dabei, schließlich wohnten sie ja in Kreuzberg und da gab es viele schrille Gestalten.

Auf dem Balkon seitlich gelegen von Millas und Arthurs Balkon erschien der Nachbar und schüttelte, während er auf das Trümmerfeld im Hof blickte, fassungslos den Kopf.

„Hallo Boris“, sagte Arthur.

„Hallo Arthur“, sagte Boris, der den Blick nicht abwenden konnte vom Hof. Er und seine Freundin Wiebke waren erst vor ein paar Wochen hier eingezogen. Sie waren Anfang Mitte dreißig. Er trug eine dicke Hornbrille und war Spieleentwickler. Sie war Richterin am Landgericht. Arthur hatte sich gefragt wie man so jung schon Richterin sein konnte. „Schöne Bescherung“, sagte er jetzt und schüttelte ebenfalls den Kopf.

„Ja, das kann man wohl sagen“, sagte Boris und nickte.

„Also ich rufe jetzt die Polizei“, sagte Milla.

Später drehte die Polizeibeamtin dem Vermieter den Arm auf den Rücken, während sie ihn zum Wagen brachte. Auf Handschellen hatte man verzichtet. Der Vermieter, der viel kleiner war als die Polizistin, sein ärmelloses T-Shirt flatterte an seinem ausgemergelten Körper herum, verzog das Gesicht. „Das ist mein Haus“, schrie er. „Ihr habt kein Recht, mich zu verhaften. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Ich verklage euch alle.“

Make it a game! Der Fall Kolletzki - ein literarischer Adventskalender

Подняться наверх