Читать книгу Make it a game! Der Fall Kolletzki - ein literarischer Adventskalender - FABULA VIER - Die vier Schriftgeleerten - Страница 7

4. Adventstürchen

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Typisch, dachte Arthur. Jetzt bleibt wieder alles an mir hängen. Es war nicht das erste Mal, dass sich Boris aus der Verantwortung zog. Immer wenn es um Angelegenheiten des Hauses ging, hielt Boris sich mit einem ‚Ich steck das mal Wiebke’ oder ‚Ich geb das mal der Wiebke weiter’ raus. Wiebke hier, Wiebke da. Hatte der Mann so gar keinen eigenen Willen? Und das nur, weil seine Wiebke Richterin war. Ohnehin viel zu jung!

Begonnen hatte alles auf dem letzten Mietertreffen kurz nachdem Boris und Wiebke eingezogen waren. Unbekannte hatten im Kiez auf den Namen der Bewohner des Wohnhauses Pakete hierher liefern lassen, nur um sich dann als den jeweiligen Bewohner ausgebend dem Postboten aufzulauern und die Beute in Empfang zu nehmen. Klarer Fall von Bestellbetrug, dachte Arthur. Einmal hatten die Betrüger den Postboten verpasst und Arthur hatte eines der verdächtigen Päckchen, das auf seinen Namen lautete, versehentlich angenommen. Neugierig auf den Inhalt des dubiosen Tatgegenstandes hatte er es schließlich geöffnet. Neben einem 2100g schweren Eimer Eiweißpulver mit Banane-Himbeer-Geschmack enthielt das Paket auch noch diverse Pornofilme. Einen Moment lang hatte Arthur überlegt die DVD´s zu behalten und alles auf den Postboten zu schieben. Aber als sich dann aber auch Boris über ähnliche Fälle mit seinem Namen beklagte, berief man kurzerhand eine Mieterversammlung ein, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Arthurs intensiver Vortrag über die Vorteile einer nachbarschaftlichen Selbstjustiz hatte Boris schlicht mit den Worten „…dieses 'wir lauern dem Postboten auf, um dem Betrüger aufzulauern-Ding' ist doch eine kindische Spielerei Arthur!“ abgetan und wollte - Überraschung - alles Wiebke überlassen. Danach gab es Boris nur noch als Botschafter für Wiebke.

Als Kolletzki dann Wind von der illegalen Versammlung bekam, hatte der die Bewohner des Kreuzberger Wohnhauses anschließend in einer höflichen, aber giftschlangenartigen Art darauf hingewiesen, dass derartige Mieterversammlungen als „Aufstacheln“ gegen den Vermieter zu sehen seien und erst einmal genehmigt werden müssten. Nein, Kolletzki war kein Mann, mit dem man seine letzten Stunden verbringen möchte.

‚Was soll's‘, dachte Arthur, das hilft jetzt auch nicht weiter.

Boncko hatte inzwischen Position bezogen und sah aus, als wäre er bereit, sein neues Revier gegen alles Zwei- oder Vierbeinige bis auf den Tod zu verteidigen. Speichel tropfte aus seinen Lefzen und hatte auf dem Backsteinboden des Hinterhofes bereits eine große Pfütze hinterlassen. Mit seinem zerknitterten Gesicht, den riesigen Lachfalten in den Lefzen und den zwei schwarzen Punkten auf der hautfarbenen Nase sah der Hund aus wie die missglückte Gesichts-OP eines Clowns, wenn da nicht noch dieses bedrohliche Knurren gewesen wäre.

‚Gezüchtet um Bullen zu reißen’, konnte sich Arthur an die Beschreibung einer englischen Bulldogge in einem seiner alten Kinderbücher erinnern. Er schluckte.

Vor dem geistigen Auge sah Arthur schon, wie sich auf seiner Beerdigung die gesamte Liga der großen Schauspieler und Regisseure ein Stelldichein gab. ‚Ein guter Freund war’, hörte er Werner Herzog sagen und ‚ein Naturtalent, das mit seiner unverbesserlichen und natürlichen Art nachzuforschen, den wohl besten Tatort Kommissar hergab, den die deutsche Filmlandschaft je gesehen hat’. Natürlich würde Herzog extra für Arthurs Beerdigung noch am Leben geblieben sein, versteht sich.

Neben seinem Grab sah er Milla stehen, mit dem schwarzen Hut ihrer Tante Clarissa, den sie immer als zu bourgeois bezeichnet hatte und sich schwor ihn nie und nimmer aufsetzten, um ihr sozialistisches Herz nicht zu korrumpieren. Arthur fragte sich, wie es Milla wohl gehen würde, wenn er nicht mehr da wäre. Würde sie Ihn vermissen? Würde sie jetzt, da Shakespeares Hamlet, Goethes Laune der Verliebten und die anderen Anzeichen Arthurs intellektueller Ergüsse das einzige war, was ihr geblieben ist, seine ganzen Sachen aus dem Keller holen?

Bonckos Knurren wurde bedrohlicher. In Arthurs Kopf tauchte plötzlich eine neue Bildschlagzeile auf: „Mann in Kreuzberger Hinterhof von Dogge attackiert! Aus bisher ungeklärter Ursache wurde gestern ein Mann in einem Kreuzberger Hinterhof von einer Bulldogge attackiert und lebensgefährlich verletzt. Aussagen des behandelnden Arztes zufolge hätte der Patient bei der Einlieferung etwas von einem Streit um eine Mikrowelle gefaselt!“

‚Pah, nicht mit mir du OP-Clown!’ dachte Arthur. Geschickt täuschte Arthur nach links an, und rannte dann nach rechts. Die Dogge war einen Augenblick abgelenkt von einem Geruch, der vom Hinterhofschlachtfeld aus Richtung des zerplatzten Kaktus kam. Arthur stürzte sich auf die Hantel, die überraschenderweise schwerer war, als er dachte. ´

Was? Der Kolletzki stemmt mehr als ich? Dieser Hänfling mit seinen türkisfarbenen Leggins? Da ist doch was faul! Als er aufblickte, um seinen vierbeinigen Duellanten mit der viel zu schweren Hantel einzuschüchtern, ertönte plötzlich ein Knurren hinter ihm.

Boncko hatte sich in Arthurs Moment der Abwesenheit einen klaren Vorteil verschafft und war hinter ihn gesprungen.

Arthur drehte sich um, um seinem Widersacher ins Auge zu blicken.

„Verflucht nochmal, hau ab du Töle“, schrie Arthur. Alles nur Show, dachte Arthur, der blufft doch nur, hob eines von Kollezkis Haushaltsmessern auf und warf es nach dem Vierbeiner.

Gerade wollte der Köter zum Sprung ansetzen, als plötzlich der alte Ludwig aus dem ehemaligen alten Kohlekeller des Hinterhofes kam. Der tattrige alte Hauswart hatte hier seine kleine Werkstatt eingerichtet und konnte dort Stunden beim Löten verbringen. Es schien, als hätte er das Hinterhofinferno mit anschließender hollywoodreifer Verhaftung des Vermieters noch gar nicht mitbekommen.

„Boncko, Nooo! SSSit!“ schrie der alte Ludwig. Arthur traute seinen Augen nicht: Augenblicklich stand die Dogge erst stramm und setze sich dann fromm wie ein Lamm neben die frisch gewässerte Mikrowelle. Noch immer tropfte sein Speichel auf den Boden. Arthur fühlte sich zurück im Leben.

„Siehste ma, die Dogge vasteht nur die Sprache der Yankees!“

„Ich wusste gar nicht, dass Sie Englisch können, Herr Ludwig“. ‚In Ihrem Alter’, hätte er fast noch hinzugefügt.

„Kann ick ooch nich. Aber ick hab jehört, wie der Kolletzki mitm Bonko dit een oder andere Mal so jesprochn hat. Hat mich wieder an damals erinnert! Die Yankees hatten hier doch allet unter Kontrolle!“

´Bitte nicht wieder die Yankees!’ dachte Arthur. Karl und Rosa Ludwig hatten die Wohnung unter Kollezki, schon seit dem Krieg. Ein bisschen hatte der alte Ludwig im Kriege was abbekommen. Welches Gespräch man auch immer anfing, am Ende waren es immer die Yankees.

„Wat macht denn der Boncko überhaupt hier überhaupt schon wieda alleene im Innenhof? Und wie siehtn dit hier aus?“ Nun hatte der alte Ludwig das Hinterhofschlachtfeld entdeckt. „Dit sieht ja aus wie von diesem einen bekannten Künstler da, Justus Beuys!“

„Sie meinen Jospeh Beuys? Ja, genau!“ sagte Arthur. ‚Das waren die Yankees’ hätte Arthur beinahe geantwortet, aber dann, so befürchtete er, hätte der alte Ludwig wohl vollends das Zeitliche gesegnet.

„Das kommt alles vom Kolletzki aus der Wohnung! Den hamse heute abgeführt. Gerade eben. Mit allem piepapo, Handschellen und so!“

„Wat, unsern Vermieter Kollezki? Türkisfarbene Leggings Kollezki?!“ Als ob der noch einen Zwillingsbruder hätte, dachte Arthur, was für eine gruselige Vorstellung!

„Ja, genau! Aber davor hat er noch seine Wohnung ausgemistet! Wussten Sie eigentlich, dass der Schlüssel zu unseren Kellern hatte?“

„Wat, der Kollezki?!“ Nee, die Yankees, dachte Arthur wieder. „Ja, unser Vermieter! Der hatte anscheinend Schlüssel zu allen unseren Kellern“.

„Wusst ick nich! Aba weeste ick frag mich ja grade ....“ Der alte Ludwig schob sich die grauen Haare nach hinten und eine Geheimratsecke trat zum Vorschein.

„Also der Kollezki, ne? Der hatte vorjestern Besuch von zwei Herren! Waren sehr adrett gekleidet. Wie die Yankees! Ick hab se am Hintereingang jetroffen. War grad aufm Weg zum Löten in den Keller. Ob ick einen Uwe Kolletzki kenne und wüßte wo der wohnt. Ick meente nur, dass dit unsa Vermieta sei und hab ihnen erklärt, wo er wohnt. Na und denn sind se hoch jejangen. Etwa eine Stunde warn se bei ihm, und ham danach die Wohnung janz eilig verlassen. Und Kolletzki hat seine Tür zugeschlagen, man man. Dit hätte fast Rosa´s Zimmerpetunien von der Anbaureihe jefecht..“

Seltsam, dachte Arthur! Kolletzki hatte Besuch von zwei Herren und war danach übelgelaunt. Und dann traf es Arthur wie ein Blitz: Die Azoren müssen warten!


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