Читать книгу Der Traum von Tibet - Fariba Vafi - Страница 11

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Schiwa! Steh auf. Ich will dir sagen, wie mir an dem Morgen in dem eiskalten cremefarbenen Wagen zumute war. Ich war benommen, vor Kälte, vor Müdigkeit. Und was ich im Laufe der Nacht zuvor hundert mal getan hatte, war jetzt schwierig, ja unmöglich geworden. Jetzt wollte ich das Feuer nicht mehr, um mich oder Mehrdad anzuzünden. Jetzt brauchte ich’s, um mich zu wärmen.

„Ich schalte die Heizung ein, dann wird dir warm“, hat er leise gesagt.

In einer Seitenstraße hat er gehalten. Die Leuchtreklame der Praxis am Anfang der Straße brannte noch. Ich soll mich nicht aufregen, hat er gesagt, soll alles in Ruhe bedenken, und dass er mich absetzt, wo ich will. Er hat die Hand vom Schaltknüppel genommen und sich in seinem Sitz bequem zurückgelehnt. Er gehört zu denen, die stundenlang irgendwo sitzen können, ohne sich zu langweilen.

Ich hab in meiner Manteltasche gekramt. „So viele Möglichkeiten auf der Welt, um Feuer zu machen“, hab ich gedacht, „und ich hab bloß eine Schachtel Streichhölzer dabei“. Aus Djawids Aschenbecher mitgenommen. Krampfhaft hab ich sie umklammert und gedacht: „Noch kann ich was machen“. Aber wo war Mehrdad? Morgens um die Zeit schlief er noch. Wenn er jetzt wach würde, würde ihm noch vor dem Aufstehen einfallen, dass er die Braut abholen muss, mit dem Auto. Und diese Braut war nicht ich.

Obwohl er am Abend zuvor noch betont hat, ich sei seine wahre Braut. Er hat seinen Teller beiseite geschoben und mir über den Tisch hinweg beide Hände entgegengestreckt. Ich hab meine unterm Tisch in Sicherheit gebracht, beide, für ihn unerreichbar. Er hat sein Essen nicht angerührt, hat beteuert, er wird fortan unglücklich sein. Unbeschwert, lebhaft wie jemand, der glücklich ist, hat er das von sich gegeben. Ich bin aufgestanden und vor die Tür gegangen. Er hat an der Kasse bezahlt und kam nach. Ich hab am Straßenrand auf ein Taxi gewartet, spät abends. Mehrere Autos haben angehalten, in keines bin ich eingestiegen. Ein Wagen stand wartend, etwas abseits. Die helle Restauranttür im Blick, hab ich inständig gefleht, Mehrdad möge schnell nach draußen kommen.

Und endlich ist er auch aufgetaucht. Hat vor der Tür seinen Mantel übergestreift, hat zerstreut nach links geschaut, nach rechts, hat dabei suchend seinen Mantel abgetastet, wie jemand, der sich vergewissern will, dass er sein Geld und seinen Autoschlüssel bei sich hat, und sah aus wie ein gut situierter, verheirateter Mann, der eigentlich wichtigere Sorgen hat.

Ich gehe los, höre seine Schritte hinter mir. Er folgt mir schnell, holt mich ein, fasst mich am Arm, und wir gehen ein paar Schritte nebeneinander her. Sein neues Leben sei reine Formsache, sagt er, wir könnten doch weiterhin zusammensein. „Ich bin nicht deine Gespielin!“, schreie ich ihm ins Gesicht.

Ein Geschäftsinhaber, der eben seinen Laden abschließt, dreht sich zu uns um und starrt uns an. Mehrdad drückt meinen Arm, heftiger als sonst. Vermutlich ärgert er sich über mich, wie damals, als ich auf der Verlobung eines seiner Freunde getanzt und inmitten von Festgästen gesungen habe.

Nach all den Monaten, die wir uns kannten, hab ich ihn erstmals wieder so angespannt gesehen wie damals. Ich bin mit dem Finger am Schaltknüppel entlanggefahren, langsam abwärts, bis kurz vor seinen Oberschenkel. Normalerweise hat ihm das ein Schmunzeln entlockt. Diesmal stand ihm der Sinn wohl nicht danach. Ich hab den Finger ein Stückchen weiter abwärts bewegt. Mein Nagellack hat geglänzt. Mehrdad ist rechts rangefahren, weil er mir unbedingt seine Traumfrau beschreiben wollte.

„Tu dir keinen Zwang an“, hab ich gesagt.

„Meine Traumfrau weiß genau, wie sie sich wann zu verhalten hat.“

Was sollte das denn heißen? Ich hab meine Hand zurückgezogen.

„In der Küche, zum Beispiel, ist sie Hausfrau, im Wohnzimmer nicht Köchin, sondern Dame. Im Studierzimmer ist sie klug und bedacht, und im Schlafzimmer …“

„… Schlampe“, hab ich ihm verächtlich das Wort abgeschnitten.

Aus der Fassung gebracht hat ihn das nicht, aber er hat sich müde übers Steuer gebeugt.

„Eine Frau, die meint, sie muss auch im Schlafzimmer die vergeistigte Philosophin geben, hat keine Ahnung.“

Und auf einen Schlag war in dem Auto alles nur noch ein Spiel. Ich weiß nicht mehr, wie lang ich dort noch gesessen habe, aber mir war inzwischen immerhin warm geworden. Ein alter Mann war vorbeigegangen, hatte ein Fladenbrot mit beiden Händen wie einen Schutzschild vor sich hergetragen. Kurz drauf war eine Frau dahergehumpelt, hat sich gebückt und ganz ungeniert ins Auto gestiert wie in eine tiefe Höhle. Erst in dem Moment fiel mir wieder ein, dass wir nicht allein waren. Ich saß neben einem schweigenden Mann, sah ihn an, und mein Gesichtsausdruck mochte ihn dazu bewegt haben, „Mach’s dir bequem“ zu sagen.

Seine Einladung hatte wohl wirklich entspannende Wirkung. Plötzlich schien mir alles wertlos. Nichts hatte mehr Sinn. Ich hab die Schachtel Streichhölzer zerdrückt und bin hemmungslos in Tränen ausgebrochen.

Der Traum von Tibet

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