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Heute Abend aber ist von Vernunft und Logik keine Spur mehr. Heute Abend bist du verrückt geworden und Djawid ist so aus der Fassung geraten, dass er dich nicht „Verrücktes Huhn“ nennen konnte. In dem Ton, in dem er’s neulich abends in eurer verwinkelten Mietwohnung zu mir gesagt hat. „Verrücktes Huhn“, hat er gesagt, wenn auch nicht so, wie ein Kumpel es sagen und dabei lachen würde. Es hat sich nicht angehört wie die freundschaftliche Bemerkung, die dir signalisieren soll: Bleib wie du bist.

Du hast gesagt: „Wenn er echtes Interesse an dir hat, kommt er zurück.“

Ich hab gesagt: „Er hat echtes Interesse an mir, aber er kann nicht.“

Ich und Mehrdad gingen spazieren und redeten.

Seine Mutter hatte ihm zur Verlobung ein, wie er es ausdrückte, „grundsolides Kind aus gutem Hause“ ausgesucht und erwartete ihn nun. Es war alles bereit. Er musste nur noch nach Hause gehen. Er könne, so sagte er, seiner Familie gegenüber nicht länger Widerstand leisten.

Auf diesem Wort beharrte er, und ich dachte jedes Mal an Sadegh, den entweder du oder Djawid, genau weiß ich das nicht mehr, als die Verkörperung des Widerstands bezeichnet hat.

Ich fand, wir müssten Mehrdad vor vollendete Tatsachen stellen, es irgendwie so einrichten, dass er ohne Widerstand auskommen konnte. Und wieder kam mir Sadegh in den Sinn.

Yalda schlug vor: „Wir nehmen ihn einfach fest und halten ihn solange gefangen, bis die Hochzeit platzt.“

Erst jetzt wurde Djawid auf seine Tochter aufmerksam, die unter ihrer Decke hervorgelugt hat wie eine Schildkröte unter ihrem Panzer.

„Du, schlaf jetzt bitte.“

Er ist aufgestanden und hat die Schiebetür zugezogen.

„Wenn wir zusammen erwischt werden, müssen wir zwangsläufig heiraten.“

Über dieser Option hatte ich seit längerem gebrütet. Jetzt sprach ich sie zum ersten Mal offen aus und erntete ein heftiges Schnauben und ein „Verrücktes Huhn!“ von Djawid.

Dann hat er dich angeschaut.

„Sie faselt im Fieber.“

Du hast gesagt: „Wenn alles schon so weit gediehen ist, heißt das doch, Mehrdad ist einverstanden, er will mit ihr zusammenleben.“

Djawid hat gesagt: „Liebesbeziehungen unterliegen bestimmten Gesetzen, wie alles andere auch. Deshalb erkennst du ja, dass diese nicht echt ist.“

Es war kaum Licht im Zimmer. Djawid musste auf einem Stuhl Platz nehmen. Wer Gewichtiges sagen möchte, kann nicht einfach irgendwo hocken, sondern muss aufrecht sitzen und Rückhalt haben.

„Woran denn?“, wollte ich wissen und erinnerte mich an den schummrigen Laden in einem Film, in dem ein Antiquitätenhändler, mit Messlupe vorm Auge, über alte Stücke gebeugt saß, und echte Originale von Fälschungen unterschied.

Djawid hat seine ausgestreckten Beine angezogen und sie unter seinen Stuhl manövriert.

„Am Ende. Du siehst ja, dass alles rausgekommen ist.“

Ich musste lachen. Ich hatte mich zu Djawid nach Hause begeben, um mir von ihm, dem Detektiv, berichten zu lassen, dass die Affäre aufgeflogen war.

Er hat die Arme verschränkt. „Wenn du aufmerksam bist, merkst du’s auch gleich zu Beginn.“

Ich wusste nicht, was ich merken sollte. Ich war müde, ließ den Kopf hängen. „Aber er liebt mich.“

Djawid hat sich von seinem Stuhl aus zu mir gebeugt. „Gefühl ist nicht alles. Zweckdenken spielt die größere Rolle. Wenn jemand von Liebe redet und ,von ganzem Herzen‘ sagt, glaub ihm kein Wort. Das ist die größte Lüge.“

Umso mehr fragte ich mich jetzt, wie sich euer Liebesspiel wohl gestaltete. Früher hab ich mir Djawid immer als den Typ Mann vorgestellt, der seine Frau umarmt und dabei an einen irgendwo einzuschlagenden Nagel oder an den Scheck denkt, den er am nächsten Tag einlösen muss.

Djawid ist aufgestanden, hat mich im Vorbeigehen angestubst, hat „Sei vernünftig, Mädchen!“ gesagt und ist schlafen gegangen.

Ich wünschte die Vernunft indes zum Leichenwäscher. Was bringt mir eure Pseudovernunft. Was bringt sie euch? Sie hat euch bloß geschützt. Und das auch nur äußerlich. Sie hat euch, wie das Gesetz zum Schutz der Umwelt, einen Schonraum verschafft. Ihr habt einander an den Händen gefasst und einfach beschlossen, gemeinsam unter einem Dach zu leben. Mir wird von solch vertraglich geregelter Harmonie kotzübel. Eure Beziehung ist während der letzten sechzehn Jahre zum Werbespot geworden: Stets vernünftig und zufrieden.

Heute Abend aber waren alle Schutzmechanismen außer Kraft. Und für mich ist die Sache jetzt sonnenklar. Auch wenn ich mich von eurer Fassade ja nie hatte täuschen lassen. Ihr wart einander treu, wart rechtschaffen, ehrbar und tausend andere Dinge mehr, aber glücklich wart ihr nicht.

Der Traum von Tibet

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