Читать книгу Der Traum von Tibet - Fariba Vafi - Страница 8

3

Оглавление

Ich höre draußen ein Geräusch. Schaue durchs Fenster in den Hof. Die Nacht ist hell, im Mondlicht ist alles deutlich zu sehen. Der große Samowar auf dem großen Tisch, die Wasserpfeife, halb volle Gläser Tee. Teller mit Obstresten. Forough geht zwischen den Stühlen hin und her, rührt nichts an. Sie setzt sich auf die Treppe, kehrt mir den Rücken zu. Sie wirft sich ein Ende ihres Tschadors über die Schulter, stellt die Kanne Wasser neben sich. Entweder vermutet sie, dass jemand auf der Toilette ist, oder sie will einfach im Hof frische Luft schnappen.

Nachdem alle gegangen sind, deckt Mama den Tisch ab, trägt jeweils zwei Teller gleichzeitig in die Küche. Djawid geht zu ihr nach draußen, sagt, er räumt die Teller ab, und bittet Mama, Yalda und Nima mitzunehmen.

Mama hält Djawids Hilfsangebot für übertriebene Höflichkeit, nicht ernst gemeint. Djawid pflanzt sich vor ihr auf, in voller Größe, beugt sich zu ihr nach unten und schaut ihr ins Gesicht.

„Ich bitte euch, geht“, fleht er. Sein Rausch war verflogen.

Mama deutet auf mich. „Dann bleib du hier“, sagt sie und geht ihre Handtasche suchen.

Und Djawid ist trotzdem nicht glücklich. Wenn er gekonnt hätte, hätte er seine Mutter gleich mit vor die Tür gesetzt. Seit er, mit Frau und Kindern, zu Forough gezogen ist, hat er keine ruhige Minute mehr. Foroughs Anwesenheit hat dem schützenden Kokon um seine Familie einen Knacks versetzt.

„Wallah, meine Güte, ständig hat man Angst, was Falsches zu sagen. Was machen die beiden bloß?“, hat Mama wissen wollen.

„Inzwischen machen sie nichts mehr“, hab ich sie beruhigt, „aber sie kommen aus ihren Parteikreisen und aus ihrem Geheimniskrämerladen einfach nicht raus.“

Während ich und Mama gelacht haben, hast du uns argwöhnisch beäugt. Ihr wart manchmal schlimmer als die Agenten vom KGB. Wenn ihr aus dem Haus gingt, wusste man nie genau, wohin ihr unterwegs wart. Über Leute aus eurem Freundeskreis habt ihr nur geredet, ohne sie namentlich zu nennen. Eure Freunde hatten entweder gar keine oder gleich mehrere Namen. Eure Bücher waren noch immer in Zeitungspapier eingeschlagen. Einer ermahnte den anderen, am Telefon nichts Unüberlegtes zu sagen. Ihr wurdet allem und jedem gegenüber schnell misstrauisch, kamt zu jeder Verabredung pünktlich, wart auf jede Kleinigkeit peinlich genau bedacht, Disziplin und Selbstoptimierung war eure Devise.

Eines Abends, eine Woche nach eurem Einzug bei Forough, kam Djawid unerwartet früh aus der Werkstatt nach Hause. Er ist durch die Diele gegangen, vorbei an Forough, die dort schlief, hat kurz in die Küche geschaut, dich schließlich im Kinderzimmer aufgespürt und gefragt:

„Glaubt sie, sie ist hier im Urwald oder was? Liegt im Flur und streckt wie ein Bär alle Viere von sich.“

Yalda hat noch eins draufgesetzt: „Wir haben von hier aus gesehen, wie Mama Forough mitten im Wohnzimmer lag, Augen zu, und hat sich die Sonne auf den Pelz scheinen lassen, von allen Seiten.“

Und dein Kommentar war: „Ein Bär, der genüsslich an Honig denkt, ist nichts dagegen.“

An dem Abend hat Djawid einen noch passenderen Spitznamen für Forough gefunden. Sie war „Oblomow“. Das weibliche Gegenstück zum berühmten faulen Russen. Mit Lockenpracht und Armreifen, die bei jeder Bewegung, kling-klang, klimperten. Forough verwendete Handcreme und band kleine und große Muttermale an ihrem verschwitzten Hals mit kräftigem Zwirn ab. Im Hof machte sie sich’s gern an einem sonnigen Fleckchen auf einer Decke gemütlich. Bevor ihr hier eingezogen seid, hatte sie einen Studenten als Untermieter, und mit den Nachbarn kam sie gut aus. Ohne deren Hilfsbereitschaft, sagt sie, hätte sie nach dem Tod von Djawids Vater einen der alten Knacker heiraten müssen, die sich um sie bemühten, und von denen nicht einer gesunde Zähne, geschweige denn ein ordentliches Gebiss hatte. Mürrische Miesepeter die einen, lüsterne Spanner die anderen. Einer war ihr allerdings sympathisch, sagt sie.

„Ein feiner Herr, wortgewandt, charmant. Und immerhin war nur die Hälfte seiner Zähne künstlich. Aber seine zittrigen Hände! Allein die Vorstellung, er könnte mich mit seinen Tattergreispatschern begrapschen, einfach widerlich.“

Ein paar Wochen nach eurem Einzug hat die Tochter der Nachbarn dich um Bücher gebeten. Forough hatte ihr offenbar erzählt, dass du eine Leseratte bist, und nun wollte sie Lebensgeschichten lesen. Ein anderer Nachbar hat Tage später Djawids Weg gekreuzt und ihn hinter vorgehaltener Hand gefragt, was es denn Neues gebe von der anderen Seite. Ernst und mit wohlgesetzten Worten, wie es Djawids Art ist, hat er dem Nachbarn erklärt, dass er seine Frage nicht versteht, woraufhin der Nachbar meinte, es sei doch allseits bekannt, dass Djawid sich mit Politik auskenne und wisse, was im Ausland los sei.

Djawid meinte, mit Foroughs losem Mundwerk könne er sich wohl irgendwie abfinden, aber ihr schlechtes Beispiel sei nur schwer hinnehmbar. Yalda durfte sich die Lippen anmalen und Foroughs Kajal ausprobieren. Und von Forough bekam sie ausführliche Antworten auf all die Fragen, die ihr beiden gern aufgeschoben habt.

Als Djawid Yalda eines Morgens beim Frühstück gefragt hat, wie’s mit der Schule vorangeht, hat sie über Physik und Chemie berichtet und dann, mit vollem Mund, über Schwangerschaft und die Wechseljahre. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass er große Augen gemacht hat. So wie vor Jahren, an dem Tag, als Mama Yalda erklärt hat, Erdbeben passieren, weil eine Riesenkuh die Erdkugel auf ihre Hörner nimmt und den Kopf schüttelt. Djawid hat damals seine behaarte, knochige Hand gehoben. „Moment, Schwiegermama.“ Sein spitzer Adamsapfel war reglos verharrt, sein Unterkiefer leicht nach vorn geschoben. „Niemand darf meinen Kindern Bären aufbinden.“

Er hat seinen Teller weggeschoben und ist aus dem Zimmer gestürzt, um das auch seiner Mutter mitzuteilen. Wochen später hat er sie aus einem anderen Grund gebremst. Und weil sie eingeschnappt war, hast du zwischen den beiden vermitteln müssen. Wegziehen war keine Option. Obwohl du nicht länger zur Miete wohnen wolltest. Djawid aber hatte sich vor kurzem mit seinem Teilhaber überworfen und sein gesamtes Vermögen in eine eigene Werkstatt gesteckt. Zum Glück gefiel dir das Haus, trotz allem. Es war zwar stark renovierungsbedürftig und hatte Türen aus hässlich gefärbten Brettern. Aber der Hof, das Wasserbecken und der Baum machten das wett. Djawid hat ständig beteuert, er wird Iran und Forough mit dem ersten Geld, das er wird entbehren können, auszahlen und die Hütte abreißen. Er mochte weder den Baum, noch das Bassin.

Anders Forough. Die sagte: „Gleich am ersten Abend, als ich hier reinkam, hat sich mein Kummer in Luft aufgelöst. Der Hof, das große Wasserbecken, das Veilchenbeet. Iran hat mich höflich begrüßt, aber Djawid ist in seinem Bett im Wohnzimmer liegengeblieben, hat sich in seiner Ecke die Decke übern Kopf gezogen und weitergeratzt. Iran hat mir Tee serviert. Auf einmal tönt unter der Bettdecke eine Stimme hervor. Ich hab mir schnell meinen Tschador enger um die Beine gehüllt, und die Monsterstimme hat gebrüllt: ,Hau ab. Du machst mir Angst!‘“

Als Forough eines Tages verkündet hat: „Ich zieh mit meinen sieben Sachen nach oben“, war Djawid sofort einverstanden. Mama hat die Geschichte gehört und ungläubig mit der Zunge geschnalzt. „Dass Djawid so mit seiner Mutter umspringt, unglaublich.“

Sie hat so lange geschnalzt, bis du ihr genervt erklärt hast: „Forough ist nicht Djawids Mutter.“

Der Traum von Tibet

Подняться наверх