Читать книгу Der Traum von Tibet - Fariba Vafi - Страница 9

4

Оглавление

Der Mond scheint hell ins Zimmer. Deine Haare sind dir ins Gesicht gefallen, und du liegst mit ausgebreiteten Armen auf dem Teppich. Deine weißen Knie schauen unter deinem engen schwarzen Rock hervor. Ich stütze mein Kinn auf meine Knie, schließe die Augen. Finde keinen Schlaf. Ich stehe auf, gehe auf und ab. Auch in der besagten Nacht hab ich kein Auge zugetan. Schlimmer noch, damals konnte ich mich nicht mal hinsetzen, und schon gar nicht auf und ab gehen. Euer Zimmer war winzig, und ihr habt alle tief und fest geschlafen.

Die ganze Nacht hindurch, bis in die frühen Morgenstunden, war ich mehrmals zu Mehrdads Haus gegangen, mit einem kleinen Kanister Benzin unterm Arm.

Tröstlich das Wissen um diesen Kanister und um die Streichhölzer in meiner Tasche. Wie ich’s geschafft habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch, dass ich immer wieder an meinen Ausgangspunkt zurückgegangen und dann aufs Neue losgezogen bin. Als ich diesmal die Straße vor seinem Haus hochgehe, habe ich einen großen Kanister Petroleum dabei. Ich trage meinen ziegelroten Mantel und habe mir meinen Schal ins Gesicht gezogen. Kurz vor Mehrdads Haus, als ein fiktiver Regisseur „Cut!“ ruft, mache ich kehrt und breche kurz darauf erneut auf. Als ich wieder am Ziel bin, gieße ich mein Petroleum endlich über sein zufällig draußen geparktes Auto. Die Flammen greifen rasch um sich, und ich muss schnell entscheiden, wen sie erfassen sollen. Seine Mutter ist zwar schuld an allem Übel, aber der Brautschleier brennt besser. Während eine der beiden Frauen in Flammen steht, gehe ich draußen die Straße hoch. Müde, lebensmüde, will ich mich jetzt selbst verbrennen. Kurz bevor ich mich mit Petroleum übergieße, stecke ich den Kopf unter die nach Wolle riechende dicke Decke, mit der du mich zugedeckt hast, und weine. Ich habe Mehrdad vor Augen. Er fährt mir mit der Hand durchs Haar, lässt die Hand in meinem Nacken ruhen und sagt in seiner unverblümten Art: „Du brauchst kein Feuer. Du brennst doch schon, als meine Flamme.“

Gern würde ich die hochnäsige Visage seiner Mutter beim Anblick dieser Katastrophe wie eine spröde Maske zerspringen und ihre Hände zittern sehen. Doch mein Traum endet jedes Mal wie ein Dokumentarbericht, mit Sirene und Friedhof. Wie es nach dem Brand weitergeht, male ich mir nie aus. Ich sterbe in diesem Moment, und was danach geschehen mochte, war unwichtig. Forough kommt mir in den Sinn, die gesagt hat: „Wenn ich tot bin, werft mich ins Plumpsklo.“

Selbst mein Versuch, mir mich im Brautkleid vorzustellen, misslingt. Ich will nicht mal mehr, dass der gut aussehende Arzt im Spital, in dem ich tätig bin, zu mir ans Krankenbett kommt. Der Arzt, der immer blank geputzte Schuhe trägt und mir im Traum erscheint, wenn ich ihn brauche, wie gerufen. Was mir überdies die Freude einiger staunend offener Münder beschert.

Mehrdad hat meine Arbeit im Krankenhaus immer als nichts Besonderes bezeichnet. Ich hatte eingewandt, dass ich sie gern mache und, in Anlehnung an Djawids Postulate, wirtschaftliche Unabhängigkeit ins Feld geführt. Darauf war Mehrdad nicht näher eingegangen. Er hat mich nur angeschaut. Asche auf mein Haupt! Weil mir immer erst nach sechzig Jahren ein Licht aufgeht! Ich hatte unnötig viele Worte gemacht. Mich vielleicht nicht klar genug ausgedrückt? Heute weiß ich, ohne das Interesse, ohne ein Echo deines Gegenübers sind selbst die klarsten Worte nur undefinierbare, bedeutungsleere Geräusche.

Gegen Morgen bin ich wach geworden, hab mich im Bett aufgesetzt, mich im Zimmer umgeschaut. Ihr beiden wart hinter der Schiebetür, jenseits von mir. Ich brauchte einen Moment, um die Ereignisse der letzten Nacht mit mir und meinem leblosen Körper in Verbindung zu bringen. Warum war ich zu euch gekommen? Ich hätte dorthin gehen müssen, wo mein Schmerz Bedeutung gehabt und ich keine so große Distanz zu meinen Mitmenschen gespürt hätte. Ich konnte ihn sehen, ihn berühren, umarmen als den fortan unerreichbaren Liebsten, und konnte an seinem Schmerz sterben.

Ich faltete die Bettdecke zusammen, schulterte meine Tasche und ging leise aus dem Haus.

Der Traum von Tibet

Подняться наверх