Читать книгу Nur vor Allah werfe ich mich nieder - Fatma Akay-Türker - Страница 12

TRADITIONELLE EHE

Оглавление

Als ich 15 Jahre alt war, fingen die Heiratsanträge an. Die Männer machten sie natürlich nicht mir, sondern traditionell organisierten die Eltern das untereinander. »Sie ist noch zu jung«, sagte mein Vater den Anwärtern jedes Mal. »Erst muss sie die Berufsschule fertig machen.«

Ich freute mich, aber mein Vater hielt dem Ansturm nur ein Jahr lang stand. Im Urlaub in der Türkei setzte ihn die gesamte Verwandtschaft unter Druck. Es kamen sowohl von väterlicher Seite als auch von mütterlicher Seite Anträge. Das Ganze drohte in eine Familienfehde auszuarten. In der letzten Woche wurde es ernst. Ich weinte eine Woche lang und sagte, ich wolle nicht heiraten. Meine Mutter hielt dagegen: »Wenn diese Rivalität noch mehr hochkocht, dann wird es zu einer Familienauflösung kommen.«

Zwei Tage vor dem Ende unseres Urlaubs fragte mich mein Vater, ob ich den Großneffen meiner Großmutter heiraten wolle.

Ich schwieg, und das bedeutete Zustimmung.

Am nächsten Tag besuchte uns die Familie mit dem Bräutigam. Sie schlugen vor, er und ich sollten uns kennenlernen. Also setzten wir uns zusammen in einen Raum. »Willst du mich heiraten?«, fragte er. Ich schwieg wieder.

Anschließend fand eine kleine Verlobungsfeier statt. Ich war 16 Jahre alt. Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Zug zurück nach Österreich. Während der ganzen Reise weinte ich. Ich hatte mich für meine Familie und vor allem für meine Mutter geopfert.

Mein Vater hatte eigentlich nur unter der Bedingung zugesagt, sie sollten warten, bis ich mit der Schule fertig war. Ich hatte noch zwei Jahre. Als wir aber im darauffolgenden Jahr wieder in der Türkei auf Urlaub waren, machten wieder alle Druck, die Hochzeit solle schon stattfinden.

Mein Vater konnte sich wieder nicht durchsetzen. Eine Woche vor der Rückkehr nach Österreich fand die Hochzeit statt. Weil ich laut Geburtsurkunde ein Jahr älter war, durfte ich mit 17 heiraten. Er war sechs Jahre älter als ich.

Ich wog damals gerade einmal 46 Kilo, bekam ein Hochzeitskleid, das drei Nummern zu groß für mich war, und die »guten« Ratschläge der älteren Frauen des Dorfes.

»Du gehst jetzt mit diesem weißen Hochzeitskleid hinein und kommst nur mit einem weißen Leichentuch wieder heraus«, sagte eine. »Dein Mann und seine Familie sind jetzt deine neue Familie, vergiss auf uns und konzentriere dich auf die neue Familie«, meinte eine andere. »Gittiğin yer kör ise, bir gözünü kırpta bak« war ein bekanntes türkisches Sprichwort und bedeutete: »Wenn sie blind sind, dann musst auch du ein Auge schließen.« Das hieß, ich musste mich anpassen. Es gab auch dringliche Ermahnungen wie »Mach uns keine Schande!« und »Vergiss nicht, wenn du dich nicht benehmen kannst, nicht gut kochen und putzen kannst, wird man in erster Linie nicht dich beschimpfen, sondern deine Mutter und deine Familie.« Ich hörte Gebote wie »Eine Frau muss dem Mann gehorchen!«, und Philosophisches wie »Eine Frau muss immer geduldig sein und still wie ein See, während der Mann wie ein strömender Fluss ist.«

Vor allem die Frauen gaben diese Verhaltensregeln von Generation zu Generation weiter. Millionen, vielleicht sogar Milliarden von Frauen wurden und werden auf diese Weise unterdrückt und entmenschlicht. »Gott hat das so vorherbestimmt!«, sagten alle immer wieder. Anders hätten sie die Unterdrückung der Frauen nicht so lange aufrechterhalten können.

Jahrzehntelang fragte ich mich, warum Menschen für ihr Unglück Gott verantwortlich machten. Wie konnte Allah sowohl für das Heiraten als auch für die Scheidung verantwortlich sein? Hatte Allah etwa etwas falsch vorgeschrieben? Wenn alles vorherbestimmt war, welche Rolle hatten wir in dieser Welt? Oder anders gesagt: Wenn Allah alles vorherbestimmt hatte, welchen Sinn ergab dann die Prüfung, der wir uns im Jenseits stellen mussten?

Nur vor Allah werfe ich mich nieder

Подняться наверх