Читать книгу Das Biest in Dir - Felix Hänisch - Страница 11
ОглавлениеEin treuer Schüler
Skal hatte gewusst, dass er Loës nicht würde widerstehen können. Er hatte gewusst, dass seine Macht mit nichts zu vergleichen war, das er kannte. Warum hatte er bloß dieses doppelte Spiel mit ihm getrieben?
Endlos lange, so schien es ihm, hatte der dunkle Gott der Alben, welcher nun auch sein Gott war, ihn gestraft. Auch wenn in Wahrheit vermutlich noch gar nicht allzu viel Zeit vergangen war. Immer und immer wieder hatte er ihn für seine wiederholte Abtrünnigkeit gefoltert.
Anfangs hatte Skal sich noch zu wehren versucht, wenn die schwarz glänzenden Augen, die so unglaublich durchdringend und allwissend wirkten, vor ihm aufgetaucht waren. Aber jedes einzelne Mal war es Loës mühelos gelungen, den mentalen Schutzwall, welchen er mittels Konzentration um seinen Geist herum aufgebaut hatte, zu durchdringen.
Immer wieder aufs Neue war das göttliche Wesen tief ins Innere seines Kopfes vorgedrungen, um ihn mit bloßer Gedankenkraft bis an den Rande des Ertragbaren zu treiben. Skal hätte niemals geglaubt, dass man ohne ein Messer, eine Zange mit glühendem Metall oder den sonstigen Einsatz einer irgendwie gearteten körperlichen Gewalt jemandem solche Schmerzen bereiten könnte.
In den wenigen Augenblicken der Ruhe, die Loës ihm seit dem Erwachen aus seinem Traum gegönnt hatte, und in denen er, wie er stets gesagt hatte, mit wichtigeren Dingen als ihm beschäftigt war, lag der einst so stolze Iatas zuckend und wimmernd auf dem Boden seiner Kammer. Mit aller Kraft presste er dann die Augenlider aufeinander, drückte sich die Hände gegen die Ohren und versuchte somit die Pein zu lindern. Das stechende Gefühl in seinem Hirn, das jeden Augenblick zu zerspringen drohte, war unbeschreiblich. An ein Aufstehen war nicht zu denken, denn seine Beinmuskeln weigerten sich strikt, jedem Befehl nachzukommen.
Immer wieder hatte Skal beteuert, einzig ihm, Loës, dem Herrn der Dunkelheit, treu ergeben zu sein. Tausendmal hatte er seine Fehler bereut, doch das Wort Vergebung schien im Sprachgebrauch seines neuen Meisters nicht vorzukommen.
Die Tür zum Gemach des Kriegers war unverschlossen. Mehr noch, wie zum Hohn klinkte Loës sie nicht einmal ein, wenn er den Raum verließ. Dadurch war Skal, während er sich vor Schmerzen zitternd auf dem Boden wand, gezwungen, hinaus in den schwach beleuchteten Flur zu sehen. Wenn der dunkle Gott ihn in seinem Gemach besuchte oder es verließ, dann ging er nicht den direkten Weg durch die Wand, welchen er sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit bevorzugte. Einzig um ihn zu demütigen und auf groteske Weise zu zeigen, dass es keinen weltlichen Weg zur Flucht gab, schritt Loës jedes Mal mitten durch den weit geöffneten Türbogen aus schwarzem Königsholz.
Was das für wichtige Dinge waren, für die sein Gebieter ihn auch in diesem Moment wieder fallen gelassen hatte wie ein Kind, das seiner alten Puppe überdrüssig geworden war, konnte Skal mittlerweile ganz gut einschätzen. Während er schweißnass und innerlich wie äußerlich bebend auf den dunklen Fliesen des Albewald-Tempels lag, breitete sich in ihm zunehmende Gewissheit darüber aus, was das mächtigste Wesen Epsors tat, wenn es sich nicht gerade ihm widmete.
Skal genoss den kurzen Moment der Ruhe. Er fühlte, wie die durchdringende Kälte der Steinplatten in ihn eindrang und die sengende Hitze seines Körpers abkühlte. Selbst das Gefühl, jeden Augenblick die eigenen Innereien erbrechen zu müssen, ließ ein klein wenig nach. Langsam aber sicher beruhigte sich sogar seine Atmung wieder und ging von dem stoßweisen Keuchen in ein kontrolliertes, wenn auch nach wie vor gieriges, Ein- und Ausatmen über.
Das Zeitgefühl war dem Iatas-Meister inzwischen längst abhandengekommen und er vermochte nicht zu sagen, ob Augenblicke oder Stunden vergangen waren, in denen er die Grausamkeiten seines Herren hatte ertragen müssen. In seiner Kammer gab es kein Fenster, an dem er sich hätte orientieren können, ob draußen bereits der neue Tag angebrochen war oder nicht. Im Moment war Skal jedoch einfach nur froh darüber, dass er ein wenig Ruhe hatte, um wieder zu sich zu finden.
Auch wenn ihm sein Gebieter nach außen hin stets überlegen und allmächtig erschien, was er ja auch war, so ließ sich dennoch nicht leugnen, dass auch er immer wieder eine Pause machen musste, um sich zu erholen. Der Grund dafür war, wie Skal vermutete, weniger die anstrengende Gedankenfolter, die Loës ihm angedeihen ließ. Viel eher hegte er den Verdacht, dass die Schwertwunde, welche die junge Königin Esnatora seinem Meister in der Schlacht heimtückisch beigebracht hatte, an dessen Kräften zehrte.
Über die Ausmaße der Verletzung konnte der alte Krieger indes nur spekulieren. Zum einen musste sie so schlimm sein, dass sie Loës, den Herren der Dunkelheit und baldigen Gebieter über ganz Epsor, weit genug geschwächt hatte, um ihn sich in seinen Tempel zurückziehen zu lassen. Zum anderen war er noch immer so stark, dass er den Weg dahin, anders als Skal zu Anfang vermutet hatte, nicht auf dem Rücken eines gewöhnlichen Pferdes bestreiten musste. Indem er sich der Macht seines Tränensteins bedient hatte, war es dem Albengott gelungen, sie beide unmittelbar nach der Schlacht in seinen Tempel zu zaubern.
Skal hatte eine solche Reise, bei der er sich in dem einen Moment noch an den Toren Urgolinds befunden hatte und im nächsten bereits auf dem Vorplatz des geheimen Albewald-Tempels stand, noch nie zuvor erlebt. Allerdings war sie vergleichbar mit jener, die er kurz darauf in seinem Traum gemacht hatte. Für die Dauer einiger weniger Lidschläge waren die Bilder der ihn umgebenden Landschaft in einem solch ungeheueren Tempo vorbeigezogen, dass sie sich vor seinen Augen zu einem undefinierbaren Brei vermischt hatten. Und noch bevor er sich der Situation gänzlich klar werden konnte, hatte die Reise auch schon wieder ihr Ende genommen. Skal war erstaunt darüber, wozu Loës, selbst nach der Verwundung durch das Götterschwert Nisanchi, welches er unmittelbar nach seinem Sieg an sich genommen hatte, noch in der Lage gewesen war.
Mit hocherhobenem Haupt und trotz der Schmerzen, die er zweifelsohne empfunden haben musste, war er in gemächlichen Schritten durch den Eingang seines Tempels gewandelt. In der einen Hand das Götterschwert, in der anderen eine dünne Kette, an der, eingelassen in eine goldene Fassung, der schwarze Tränenstein glänzte. Eine Aura der Macht war von dem Albengott ausgegangen, die dafür sorgte, dass sich Skals Nackenhaare unweigerlich aufgestellt hatten, wenn er mehr als drei Schritte an ihn herangetreten war.
Nur wenige Augenblicke nach ihrer Ankunft waren dem Iatas-Krieger auf unerklärliche Art und Weise die Lider schwer geworden, was nichts mit den Strapazen der Schlacht zu tun gehabt haben konnte. Kaum drei Atemzüge später hatte ihn ein tiefer Schlaf ereilt. Inzwischen war er sich beinahe sicher, dass der hühnereigroße Zauberstein nicht nur für die ungewohnte Art zu reisen, sondern auch für seine Müdigkeit verantwortlich war.
Allzu lange hatte die Ruhe in dem weichen Federbett allerdings nicht gewährt und nur kurz nachdem Skal aus seinem verräterischen Traum erwacht war, hatte die Peinigung durch seinen neuen Meister auch schon ihren Anfang genommen.
Zu Beginn hatte Loës, während er ihn gefoltert hatte, noch versucht, die Wunde in seinem Nacken mit abwertenden Äußerungen über die tote Elfenkönigin zu verharmlosen. Doch die Tatsache, dass er sich ab und an zurückziehen musste, gerade wenn er über einen längeren Zeitraum hinweg gestanden hatte, zeigte, wie es wirklich um ihn stand. Es war klar, dass die Schandworte einzig dem Zweck gedient hatten, seinen Schmerz zu überspielen. Im Gegensatz zu ihm schien Loës jedoch immer kürzere Pausen zu benötigen, um erholt an sein Tagewerk zurückzukehren.
Die Regenerationsfähigkeit eines Gottes ist nun einmal nicht mit der eines Sterblichen zu vergleichen, dachte Skal selbstmitleidig. Tatsächlich schien es, als ob die Kraft seines Meisters im gleichen Maße zunahm, wie die seine schwand.
Skal wusste, dass er die hypnoseähnlichen Angriffe auf seinen Verstand nicht mehr lange würde ertragen können. Dabei war es weniger so, dass Loës seinen Geist von außen manipulierte und ihm dadurch seinen Willen aufzwang. Vielmehr konnte der nervlich bis zum Zusammenbruch gepeinigte Krieger spüren, wie sein Gebieter in das Innere seines Kopfes eindrang und diesen mit aus dem Nichts kommenden Schmerzperioden zu überfluten schien.
Doch fast noch schlimmer als die sich stetig hochschaukelnde Intensität des Stechens und Brennens in seinem Hirn waren die kurzen Zeitabstände dazwischen, in denen die rauchige Stimme seines Meister ihn ganz leise immer und immer wieder die beiden gleichen Fragen stellte: Weißt du, warum ich das tue? Wirst du dich mir gegenüber noch ein einziges Mal respektlos verhalten?
Jedes einzelne Mal hatte Skal bei seinem Leben geschworen, dass Loës ihm vertrauen könne und dass es nie wieder zu einem Verrat seinerseits kommen würde. Doch es hatte nichts genützt.
»Na, denkst du an mich?«
Skal, der ohnehin schon am ganzen Körper bebte, zuckte plötzlich merklich zusammen, als er erneut die unverkennbare Stimme seines Meisters hinter sich vernahm. Geräuschlos war dieser, einem Geist gleich, durch die Rückwand seiner Kammer getreten und der alte Iatas konnte nun förmlich spüren, wie sich der stechende Blick in seinen Hinterkopf bohrte.
Loës stand so dicht hinter ihm, dass Skal die Stiefelspitzen des Gottes an seinem Rücken fühlen konnte. Indes schien er selbst wie von unsichtbaren Kräften am Boden gehalten zu werden und es gelang ihm nur unter größten Anstrengungen, den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie sich der Umhang seines Gebieters bewegte, so als würde ein leichter Luftzug ihn erfassen. Der sich kräuselnde Stoff raschelte kaum vernehmlich, was jedoch in Skals schnaufender Atmung unterging.
Ohne einen einzigen Ton von sich zu geben, umrundete der Albengott seinen Sklaven, dem er, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, den Respekt beibringen wollte, an dem dieser es bisher hatte mangeln lassen. Denn schließlich war es die Mühe wert. Loës konnte spüren, dass in dem Menschen noch großes Potenzial schlummerte, welches sich schon bald zeigen würde. Erneut begann er zu sprechen und wählte dabei einen bewusst spöttischen Unterton.
»Du hast mich nicht so früh zurückerwartet, nicht wahr? Hast du gehofft, ich würde noch ein wenig meine Wunde lecken und ebenso in Selbstmitleid zerfließen wie du?« Skal antwortete nicht, doch es lief ihm kalt den Rücken herunter, als die Worte süffisant an sein Ohr drangen und er kurz darauf ihren tieferen Sinn verstand.
»M...Meister, ich habe nicht ... ich ... ich wollte nicht ...« Seine Stimme war ebenso leise wie die des Dunklen Herrschers, doch klang sie um einiges kraftloser. Müde und erschöpft bewegten sich die Lippen des einst so stolzen Kriegers nur langsam. Sein Verstand hingegen arbeitete – bemessen auf seine momentanen Verhältnisse – im Hochakkord. Was hatte das nur zu bedeuten? Woher wusste sein Herrscher, was er dachte? Konnte er etwa ...
»Ja, Skal, deine Gedanken sind für mich ein offenes Buch«, unterbrach Loës seine Überlegung. Diesmal klangen die Worte seltsam beherrscht, so als müsse er sich zurückhalten, um den am Boden Liegenden nicht anzuschreien oder Schlimmeres mit ihm zu machen. Dem Iatas stockte der Atem. Unwillkürlich schloss er die Augen, in der Hoffnung, sein Innerstes damit vor dem Eindringen von außen schützen zu können. Gleichzeitig versuchte er an nichts zu denken, was sich als schwer erwies, da ihm gegen seinen Willen wieder der Gedanke daran kam, wozu sein Meister wohl noch alles in der Lage war.
Dass Loës die Fähigkeit des Gedankenlesens besaß, hatte Skal schon befürchtet, seit dieser in seinen Traum eingedrungen war und ihn dort zu dem Geständnis gebracht hatte, für welches er nun geradestehen musste. Doch so deutlich wie jetzt hatte der Albengott ihm seine Kunst noch nie vor Augen geführt.
»Ich glaube, du hast es immer noch nicht ganz verstanden«, raunte es vielsagend durch das Zimmer, sodass die Worte an den Wänden widerhallten. Skal konnte spüren, wie der Herrscher der Dunkelheit sich langsam zu ihm hinabbeugte und die langen, spinnenbeinähnlichen Finger nach seinem Gesicht ausstreckte. Es fiel ihm unsagbar schwer, keinen wimmernden Laut von sich zu geben oder zu versuchen, mit dem Kopf wegzuzucken. »Du bist ein Nichts, und wenn ich es will, dann stirbst du auf der Stelle. Aber ich habe Größeres mit dir vor und deshalb muss ich mich darauf verlassen können, dass du mir stets zu Willen bist.«
»Ich bin Euch treu, Meister. Nur Euch allein«, beschwor Skal zum unzähligen Male. Dabei versuchte er seine Stimme, die er kaum erheben musste, da das lange, spitze Ohr seines Herrschers mit Sicherheit nur eine Handspanne von seinem Mund entfernt war, fest und selbstsicher klingen zu lassen. »Nie wieder werde ich Euch Anlass dazu geben, an meiner Treue zu zweifeln.«
»Falsche Antwort!«, kam es augenblicklich und mit Eiseskälte zurück, während Loës sich erhob. Skal, der in ebendiesem Moment seine Augen wieder ein klein wenig zu öffnen gewagt hatte, sah noch, wie sich sein Meister Zeige- und Mittelfinger an die Stirn legte. Noch im selben Augenblick jagten unsagbare Schmerzen durch seinen Kopf und zwangen ihn zu den abstrusesten Verrenkungen.
Obwohl Skals Schultern und das Becken nach wie vor fest auf den Stein gedrückt waren, hob sich seine Hüfte unnatürlich weit vom Boden ab, während Arme und Beine in wildes Zucken verfielen. Kontrolle über diese Handlungen hatte er keine mehr. Das Einzige, zu dem er noch fähig war, war das Empfinden von Schmerz.
Glühend heiße und eiskalte Ströme durchfluteten seinen Kopf von beiden Seiten, bis sie sich schließlich in der Mitte vereinten und das Innere seines Schädels in Dampf zu verwandeln schienen. Skal schrie aus Leibeskräften. Ein zufriedenes Grinsen von Loës war jedoch das Einzige, was er damit hervorrief.
So abrupt, wie die Folter begonnen hatte, so urplötzlich endete sie auch wieder und die letzten Schreie verhallten jämmerlich an den rußgeschwärzten Wänden. Schwer atmend sackte Skal in sich zusammen. Jeder einzelne Muskel seines Körpers schien zu erschlaffen, während er nicht dazu in der Lage war, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Wie lange die Qualen angedauert hatten, konnte er noch nicht einmal im Ansatz sagen. Vielleicht mochte es bloß für wenige Atemzüge gewesen sein, doch fühlte es sich so endlos lang an, dass es Skal vorkam, als hätte er sein gesamtes bisheriges Leben nichts anderes als die Peinigungen seines Meisters erfahren.
»Bitte ... bitte habt Erbarmen«, hauchte er, unfähig, dabei ein Augenlid zu heben. Doch Loës ging nicht auf das Flehen seines Sklaven ein. Im Gegenteil. Genüsslich erhob er die Stimme.
»Weißt du, warum ich das tue? Wirst du dich mir gegenüber noch ein einziges Mal respektlos verhalten?«
»Nein, mein Gebieter, nie wieder«, entgegnete der Iatas erneut mit zutiefst untertäniger Stimme. »Nie wieder werde ich Euch einen Grund geben, an meiner Treue zu zweifeln, das schwöre ich.«
»Das meine ich nicht«, zischte Loës kaum hörbar und wieder setzten von einem Augenblick auf den anderen Schmerzen ein, so als würde sich eine Säge durch das Innere von Skals Kopf arbeiten. Doch diesmal gab es etwas, das ihn dazu brachte, sich noch für einen kleinen Moment zusammenzunehmen und den letzten Anflug eines klaren Gedankens festzuhalten, bevor er den Qualen in seinem Hirn nachgab.
Für einen Wimpernschlag gelang es Skal, alles in einem anderen Licht zu sehen und endlich den Grund zu erkennen, aus dem Loës ihm all das anzutun schien. Dann versank sein Geist erneut in den Fluten aus flüssigem Feuer und sein Körper verfiel in unkontrollierte Krämpfe.
Äonen schienen zu vergehen, bis der Dunkle Herrscher wieder von ihm abließ, und als der Iatas erkannte, dass er für den Moment wieder einmal das Schlimmste überstanden hatte, öffnete er nach Atem ringend den Mund. Er brachte all seine verbliebene Kraft auf, um gegen die Ohnmacht anzukämpfen, dennoch schienen ihm die Worte im ersten Augenblick nicht über die Lippen treten zu wollen.
»Ja?«, fragte Loës langgezogen, als er bemerkte, dass sein Untergebener etwas zu sagen hatte.
»Ich ... ich entschuldige mich«, krächzte Skal und schaffte es unter Mühen, die Augen einen Spaltbreit zu öffnen. Loës’ Gesicht schien einerseits erwartungsvoll, zugleich jedoch auch abweisend und desinteressiert. Nach einem Moment der Pause, als der Dunkle Gott zu glauben schien, dass nichts mehr kommen würde, wollte er sich erneut die Finger an die Stirn legen. Aber indem der Iatas-Meister all seine Kraft zusammennahm, gelang es ihm, einen Arm zu heben. Und tatsächlich hielt Loës inne.
»Ihr wisst schon längst, dass ich einzig Euch treu ergeben bin«, kam es von dem am Boden Liegenden flüsternd und mit der Stimme der Erkenntnis. Die rissigen Lippen des Kriegers waren von seinem eigenen Blut rot gefärbt, nachdem er sich einige Male darauf gebissen hatte. »Zudem werde ich mich Euch gegenüber nie wieder respektlos verhalten oder an Eurer Stärke zweifeln – aber auch dessen seid Ihr Euch bewusst.«
Noch während er sprach, dachte Skal an Loës’ Nackenwunde, welche er bisher dankbar als dessen Schwachstelle angesehen hatte, durch die es ihm erlaubt gewesen war, ab und zu wenigstens ein bisschen zu verschnaufen. Aber schon im nächsten Augenblick verbot er sich diesen Gedanken – und zwar für immer. Genauso ging ihm zum allerletzten Mal der Satz durch den Kopf, welchen er in seinem Traum dem vermeintlichen Cedryk gegenüber geäußert hatte: Ich wollte den Gott der Alben an der kurzen Leine halten.
Mit dem nächsten Herzschlag war der Geist des Iatas wie geleert. Eine weiße Wand schien sich quer durch sein Hirn zu spannen und hielt die Gedanken an die vermeintlichen Schwächen seines Gottes zurück; verbot ihm sämtliche Beleidigungen, mit denen er ihn unwissentlich beschämt hatte. Ab sofort, das wusste er, stand nicht nur sein Handeln, sondern auch sein Denken einzig im Dienste des Dunklen Herrschers.
Loës, der im Geist seines Menschensklaven nach Belieben lesen konnte, nickte nun bestätigend mit dem Kopf. Voll Genugtuung erhob er die rauchige Stimme, während er auf den zu seinen Füßen kauernden Mann hinabsah.
»Ich bin alles für dich, merk dir das. Ich bin deine Familie, ich bin dein einziger Freund und vor allem kann ich aber auch dein schlimmster Feind sein, wenn du mich dazu zwingst. Du wirst alles tun, was ich dir befehle und du wirst es tun, wenn ich es dir befehle. Außerdem wagst du von nun an nie wieder abwertend von mir zu sprechen oder auch nur zu denken.« Angriffslustig fletschte Loës die Zähne und ballte seine Hände zu Fäusten. Die Knöchel traten gräulich-weiß unter der papierdünnen Haut hervor und knackten dabei deutlich vernehmbar.
»Merk dir eines, Skal, vom heutigen Tage an ist nicht nur dein Körper mein Eigentum, sondern auch dein Verstand. Wann immer du den Wunsch hegen magst, mir untreu zu werden, denke immer daran: Ich bin in deinem Kopf!«
»Ihr seid allmächtig«, bestätigte Skal tonlos, in der Hoffnung, dass die Tortur nun endlich ihr Ende haben mochte. Jede Faser seines Körpers sehnte sich nach Erlösung. Genauso wie er sich aus tiefstem Inneren nur noch wünschte, Gott Loës zufriedenzustellen und ihm dienen zu dürfen. Das Wohlwollen seines Gebieters zu erlangen würde von jetzt an, bis in alle Ewigkeit, sein höchstes Ziel darstellen. Sein Gegenüber schien das zu bemerken, denn zum ersten Mal zeichnete sich ein zufriedenes Lächeln auf dessen Lippen ab.
»Ich sehe, du hast nun endlich verstanden«, sprach er, wobei seine Stimme noch immer den geheimnisvoll rauchigen Unterton aufwies. Allerdings hatte sie inzwischen ihre grausame Schärfe verloren. »Mehr als diese Erkenntnis wollte ich nicht von dir. Und nun erhebe dich, mein Schüler. Wir haben viel zu tun.«
Ein kurzes Winken mit der Rechten folgte und tatsächlich konnte Skal jetzt ohne größere Mühen vom Boden aufstehen. Im ersten Moment drehte sich noch alles vor seinen Augen, aber als er in sich ging und auf Verletzungen oder eventuelle Rebellionen seines gepeinigten Körpers lauschte, vernahm er nichts. Abgesehen von seiner aufgebissenen Lippe war er vollkommen unversehrt und bereit, Bäume auszureißen. Dankbar blickte der alte Krieger hinauf in die schwarzen, mandelförmigen Augen des Albengottes, die ihm – zumindest hatte er in diesem Moment den Eindruck – beinahe schon gütig entgegenschauten.
»Ich mag grausam sein, Skal, aber vergesse nie, ich bin auch gerecht. Wer nicht gegen mich aufbegehrt, sondern meinen Willen befolgt, der hat vor mir nichts zu befürchten. Das gilt für dich, ebenso wie für jedes andere Lebewesen auf Epsor. Nur wer sich mir entgegenstellt, muss mit harten Strafen rechnen ... Oder aber wer mein Vertrauen missbraucht, so wie Saparin es in der Schlacht getan hat, als er dazu bereit gewesen war, sein Leben für Nemesta zu opfern anstatt für mich.« Den letzten Satz sprach Loës so leise aus, dass Skal ihn nicht einmal vollständig verstanden hatte, doch er war sich sicher, dass die Worte nicht für ihn bestimmt waren und hakte deshalb nicht nach. Nie wieder würde er eine Entscheidung seines Gottes infrage stellen.
»Komm jetzt, es gibt viel zu erledigen«, raunte der Dunkle Herrscher erneut und drehte sich auf der Ferse um. Ohne zu zögern senkte Skal das Haupt und folgte in drei Schritten Abstand dem wehenden Saum seines Umhangs. Die mentale Sperre, welche es ihm bis eben noch unmöglich gemacht hatte aufzustehen, geschweige denn die Tür zu durchschreiten, war wie weggeblasen. Ihm wurde klar, dass Loës ihn ganz bewusst auf eine Art und Weise gequält hatte, deren Schaden sich innerhalb von wenigen Augenblicken wieder gänzlich beheben ließ. Das Ergebnis jedoch würde ewig währen.
»Darf ich fragen, was mein Meister als Nächstes zu tun gedenkt?« Skal sprach laut und deutlich, dennoch mit ehrfürchtigem Unterton in der Stimme. Ganz wie es einem Diener geziemte.
Der Mensch weiß nun, wo sein Platz ist, sodass ich mich endlich um andere Widrigkeiten kümmern kann, dachte Loës im Stillen und schmunzelte. Einen Moment später antwortete er: »Wir gehen deine Schüler besuchen. Nachdem sie mir gesagt haben, was ich wissen will, wirst du mir deine Treue sogleich das erste Mal unter Beweis stellen können. Das erste Mal von vielen, denn Skal, der Iatas, ist am heutigen Tage gestorben. Ab sofort bist du mein Zuoul. Mein Vollstrecker.«
Skal hörte am Tonfall seines Meisters, dass dieser nicht Willens war, das Gespräch noch weiter zu vertiefen. So faltete er lediglich untertänig die Hände vor dem Bauch und senkte den Kopf. In dem Wissen, dass sein Gebieter, der mit weit ausgreifenden Schritten vor ihm herlief, beide Gesten nicht sehen konnte, marschierte er folgsam hinterdrein. Darius und Therry existierten nun bloß noch als Werkzeuge, die Loës gefällig zu sein hatten, bis der sie wegwarf. Zu einer anderen Art von Gefühlen, ob er sie nun jemals für die beiden gehegt haben mochte oder nicht, war Skal von nun an nicht mehr fähig.
Mit nach wie vor vollgeschwitzten Kleidern und in immer genau demselben Abstand folgte der ehemalige Iatas-Meister seinem Gott durch den fackelbeschienenen Gang. Dabei kam ihm der Gedanke, dass der Herr der Dunkelheit ihn womöglich auch dann gequält hätte, wenn er sich von Anfang an nicht nur für seine Untreue, sondern auch für seine respektlosen Gedanken und Träume entschuldigt hätte. Doch diesen frevlerischen Einfall verwarf er ebenso rasch wieder, wie er gekommen war. Skal wollte kein weiteres Mal riskieren, dass sein Meister ihm zürnte. All sein Verlangen drehte sich nun einzig und allein darum, ein guter Diener und würdiger Zuoul zu sein.
Und Loës lächelte darüber.