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Freund oder Feind?

Fast unmerklich beendeten die ersten Sonnenstrahlen das Zwielicht der Dämmerung und tauchten die Wipfel des Naoséwaldes in ein blutiges Rot. Genau wie an jedem anderen Morgen erwachte auch an diesem frühsommerlichen Tag das Unterholz zu neuem Leben. Von der höchsten Baumkrone bis hinab in den tiefsten Tierbau schien es zu rascheln und zu frohlocken. Kleine Nager wuselten durch das dichte Gebüsch, während die Kimambare auf den Ästen ihre Lieder anstimmten.

Ephialtes konnte sich allerdings nicht an den Klängen des Waldes erfreuen, genauso wenig wie seine beiden Begleiter. Jeder knackende Zweig hörte sich in ihren Ohren wie das zornige Aufstampfen ihrer Artgenossen an. Und das kleinste Wehen im Geäst ließ sie sogleich eine Horde von Alben vermuten, die sich jeden Augenblick auf sie stürzen würden. Doch nie geschah etwas und somit blieb das beängstigende Gefühl ihr steter Gefährte, während sie sich unablässig durch den Forst schleppten. Nur weg von diesem Albtraum, der Loës hieß.

»Halt durch, alter Freund, du darfst nicht sterben«, schnaufte Nubrax zum ungezählten Male und drückte Paros Hand. Innig betete er zu Boringars, auf dass er das Leben seines Freundes verschonen und ihn noch nicht ins Jenseitige Reich schicken möge.

Doch das schwächliche: »Ich ... ich kann einfach nicht mehr«, welches der einst so stolze Krieger von sich gab, trug nicht eben dazu bei, seine Hoffnung zu bestätigen.

»Red keinen Unsinn, du hast noch viele Jahre zu leben und unzählige Köpfe zu spalten. Außerdem haben wir es fast geschafft. Nur noch ein kleines Stück, dann sind wir in Sicherheit.« Die Worte kamen leise und monoton über die Lippen des Prinzen, dennoch mühte er sich, sie so zuversichtlich wie möglich klingen zu lassen. Allerdings war er sich nur allzu deutlich bewusst, dass niemand von ihnen eine Ahnung hatte, wohin ihr Weg sie führte.

Längst hatte er die Orientierung im dicht bewachsenen Gestrüpp des Naoséwaldes verloren und konnte nun bloß noch darauf hoffen, nicht im Kreis zu laufen. Natürlich wusste er von Ipheriea, der Elfin, die sie vor zwei Wochen in diesen Wald geführt hatte, dass sich die Bäume für jeden, der hier fremd war, fortwährend zu einem Labyrinth verschoben, aus dem man ohne die Hilfe der Einheimischen niemals wieder herausfand. Daran wollte er im Moment jedoch nicht denken, denn selbst das schiere Vorwärtskommen wurde für die drei Zwerge mit jedem Schritt mehr und mehr zu einer Tortur.

Nubrax war der Einzige, der sich noch aus eigener Kraft auf den Beinen halten konnte. Indem er sich Paros Arm über die Schulter gelegt hatte, versuchte er ihn so gut wie möglich zu stützen. Gleichzeitig umgriff er mit der einen Hand behutsam, aber dennoch unnachgiebig das rechte Handgelenk seines einstigen Mentoren. Die andere hatte er ihm um die Hüfte geschlungen und bugsierte ihn auf diese Weise vorsichtig unter den tief hängenden Ästen hindurch und am Gestrüpp der allgegenwärtigen Dornenfleckenbüsche und Schmarotzerbeerenranken vorbei.

Immer wieder sagte sich der verstoßene Prinz von Mittelberg, dass sie es bald geschafft hätten, dass er schon bald ein sicheres Versteck finden würde, in dem sie sich ausruhen und er Paros Wunden versorgen konnte.

Doch die Wirklichkeit sah anders aus, denn die bittere Realität vertrieb den zwergischen Optimismus zusehends aus seinem Verstand. Immer öfter musste er seinen schwer verletzten Gefährten vollkommen ohne dessen Mithilfe über die Gräser, Sträucher und Wurzeln ziehen.

Mit einem langen und inzwischen gänzlich blutdurchtränkten Fetzen seiner Kleidung hatte Paro sich noch selbstständig den linken Unterarm – welcher bis vor wenigen Stunden noch in einer gesunden Hand geendet hatte – abgebunden. Seither war sein Durchhaltevermögen jedoch stetig gesunken. Noch immer fiel es Nubrax schwer zu glauben, wie kaltblütig und gewissenlos Sturk seinen früheren Freund und Kampfgefährten in der Schlacht hatte töten wollen. Alles nur, um Barmbas zu gefallen und unter seiner Herrschaft ein angenehmes Leben führen zu können. Beim Blick auf den schorfverkrusteten Lappen fühlte der Zwerg eine Woge des Hasses in sich aufsteigen, wie noch nie zuvor in seinem Leben.

»Barmbas’ Ableben wird nicht annähernd so schnell vonstattengehen, wie das von Sturk. Ich lasse ihn tausend Tode sterben, das verspreche ich dir.«

Das Bild vor Paros Augen schwamm, als er auf seinen Arm hinabsah. Die Verletzung blutete nicht mehr, ihren Tribut forderte sie aber dennoch. Längst war jeder einzelne Schritt zu einer unerträglichen Qual für ihn geworden und immer mehr schwarze Punkte flackerten vor seinen Auge auf.

Obwohl er sich wie in Trance von Nubrax durch das Unterholz ziehen ließ, spürte er die Schmerzen dennoch mit grausiger Intensität. Sie waren das Einzige, was seine getrübten Sinne in absoluter Vollkommenheit wahrzunehmen schienen. Die Qualen der Verstümmlung, an deren Folgen er im Laufe seines Lebens schon so viele gestandene Männer hatte sterben sehen, stellten alles in den Schatten, was er jemals ertragen musste.

»Ich sterbe, Nubrax. Lass mich einfach hier und ... und bereite meinem Elend ein Ende ... Bitte.« Tränen liefen Paro aus den halb geöffneten Augen hinab in den Bart und versickerten in dem darin verfilzten Dreck. Sein Arm fühlte sich an, als würde jemand Stück für Stück tausend glühende Messer gleichzeitig direkt dort hineintreiben, wo einst seine Hand in den Unterarm übergegangen war.

»Ich lass dich hier nicht zurück«, entgegnete Nubrax fest entschlossen und verzog grimmig das Gesicht. Immer ein Schritt nach dem anderen, das war alles, worauf es ankam. Seiner eigenen Pein zum Trotz versuchte er sich, die Stirn nach wie vor in starrköpfige Falten gelegt, ein zuversichtliches Lächeln abzuringen. Das war er seinem Freund schuldig, denn im Vergleich zu den Schmerzen, die dieser durchleiden musste, waren seine eigenen mit Sicherheit die reinste Wohltat.

Sämtliche Gliedmaßen des ehemaligen Kriegsministers zitterten unkontrolliert und allein die Tatsache, sich halbwegs auf den Beinen zu halten, musste ihm mehr Willenskraft abverlangen, als er selbst jemals aufbringen könnte.

»Wir haben es bald geschafft. Es ist nicht mehr weit«, wiederholte Nubrax von Neuem und deutete mit dem Kinn auf eine Passage zwischen zwei Bäumen, die breit genug für sie war.

Ephialtes, der den Sturz aus der luftigen Höhe des Baumriesen nur knapp überlebt hatte, da er als das letzte Opfer von Barmbas verhältnismäßig weich auf den Körpern seiner toten Kameraden gelandet war, humpelte unterdessen ungeschickt hinter den beiden her. Die offene Wunde an seinem Bein machte ihm arg zu schaffen, sodass er seinen stämmigen Körper auf einen schlammverschmierten Ast stützen musste, den er vom Boden aufgeklaubt hatte. Obschon der einstige Leibwächter wusste, dass seine Artgenossen ihn nicht in ihrer Nähe haben wollten und er den größten Teil ihrer Unterhaltung ohnehin nicht verstanden hatte, wollte auch er seinen Teil beitragen. Krampfhaft überlegte er, was er sagen konnte, um den zweien Mut zu machen.

»Saparin, der Heerführer der albischen Truppen, ist fest davon überzeugt, dass ich euch Barmbas überbringe. Wenn wir Glück haben, könnte es noch Tage dauern, bis herauskommt, dass wir geflohen sind. Bis dahin sollten wir genug Land zwischen uns und diesen Ort gebracht haben, sodass man unsere Spur nicht mehr aufnehmen kann«, meinte er zuversichtlich und versuchte seine Stimme dabei bewusst so klingen zu lassen, dass deutlich wurde, welches Risiko er für die beiden eingegangen war.

»Halt dein widerwärtiges Maul, du Verräter!«, zischte Nubrax angewidert und ohne sich dabei umzudrehen.

»Ich bitte Euch noch einmal aus tiefstem Herzen um Vergebung, mein Prinz.« Die Stimme des großen Zwerges war nur noch ein jämmerliches Flehen, sein vor Muskeln strotzender Körper eine Karikatur seiner selbst. Die Verletzungen des ehemaligen Leibgardisten waren kaum weniger lebensbedrohlich als die von Paro. Doch im Gegensatz zu ihm hatte er zumindest die Chance, dass sie, wenn ihnen tatsächlich die Flucht vor Loës’ und Barmbas’ Schergen gelingen sollte, wieder restlos verheilen konnten.

Den Rücken zu einem Buckel gebeugt, hüpfte der breitschultrige Mann auf seinem gesundem Bein nach vorne, während er mit Hilfe seiner notdürftigen Krücke mühsam das Gleichgewicht zu halten versuchte. Stets war Ephialtes gleichsam darauf bedacht, möglichst schnell voranzukommen und – obwohl er sich mehr springend als laufend fortbewegen musste – keine allzu hastigen Bewegungen zu machen. Mindestens drei seiner oberen Rippen waren gebrochen und mit jedem unvorsichtigen Schritt stachen die gesplitterten Knochen schmerzhaft in seine Innereien, was ihn beinahe rhythmisch zum Aufkeuchen zwang.

»Verschwinde! Wir wollen nichts mit dir zu tun haben«, keuchte Nubrax angestrengt und kaum verständlich. Sein Atem war nicht weniger stoßhaft, was jedoch von der Tatsache herrührte, dass er Paros Körpergewicht fast im Alleingang durch das Dickicht schleppen musste. Zudem war seine Stimme nur noch ein Röcheln und selbst als solches kaum mehr zu vernehmen.

Seit Saparin ihn in der Schlacht zu erwürgen versucht hatte, war sein Kehlkopf stetig angeschwollen. Mittlerweile fühlte es sich an, als hätte er eine überreife Frucht im Hals, die nun jeden Augenblick zu platzen drohte. Das Sprechen bereitete dem Sohne Norbix’ immer größere Mühe, denn ständig hatte er das Gefühl, als würden die Finger des Alben noch immer um seinen Hals liegen und ihm unablässig die Luft abdrücken. Doch der Hass, welchen er auf seinen unfreiwilligen Weggefährten abladen konnte, war den Schmerz des Sprechens allemal Wert.

»Du magst uns beiden vielleicht das Leben gerettet haben, doch zuvor bist du zum Verräter an deinem eigenem Volk geworden. An meinem Volk!« Wütend ließ er sich zu einem Blick über die Schulter herab und wäre daraufhin beinahe gestürzt.

»Bitte, ich konnte nichts dafür, Durchlaucht. Ihr wisst, wie Barmbas ist. Es lag nicht in meiner Macht, ihn zu stoppen. Selbst wenn ich es gewollt hätte«, versuchte Ephialtes sich zu rechtfertigen und senkte beschämt den Blick, obschon Nubrax nicht einmal mehr in seine Richtung sah.

»Aber du wolltest es gar nicht. Habe ich recht?«, entgegnete dieser augenblicklich. Obwohl die Worte in demselben heiseren Flüsterton gehalten waren wie die Sätze zuvor, hallten sie dem verwundeten Krieger dennoch überdeutlich in den Ohren nach.

»Niemand, der in deiner Position gewesen war, hätte so blind sein können, als dass er nicht mitbekommen hätte, was in Mittelberg vor sich ging. Du wusstest genau, warum ich vor einem Mond gemeinsam mit Paro und den letzten meiner Getreuen, von denen inzwischen keiner mehr unter den Lebenden weilt, fliehen musste. Du wärst als einer der Wenigen von Anfang an dazu in der Lage gewesen, etwas gegen Barmbas zu unternehmen. Du warst sein Leibwächter. Es wäre dir ein Leichtes gewesen, seinem Treiben ein Ende zu bereiten und meinem Vater wieder zurück zur Macht zu verhelfen!

Es lag in deiner Hand, genauso wie in der von euch allen, die Gerechtigkeit und die Jahrtausende alten Traditionen zu verteidigen. Doch so wie all die anderen Feiglinge hast auch du nur an dich gedacht, als du dich zwischen dem einfachen und dem richtigen Weg entscheiden musstest. Indem du dich, wider besseren Wissens, für Barmbas entschlossen hast, nur um ein bequemeres Leben führen zu können, hast du deine Chance auf meine Vergebung verspielt.« Nubrax atmete schwer. Die Worte hatten ihn viel Kraft gekostet, doch seit dem Moment, da er vor den Toren Urgolinds wieder zu Bewusstsein gekommen war und Ephialtes ihm die Umstände seiner Rettung in knappen Worten erläutert hatte, brannten diese Sätze wie glühende Kohlen in seinem Innersten.

»Du hast Paro und mich vor den Alben gerettet, dafür hätte dir mein lebenslanger Dank gegolten. Aber da du einer von Barmbas engsten Vertrauten gewesen bist, ohne je etwas gegen ihn zu unternommen zu haben, hast du dir gleichermaßen den Tod verdient«, fuhr er angestrengt fort und spürte, wie sein Hals vom Sprechen immer dicker wurde. »Ich habe beschlossen, dich am Leben lassen, doch damit sind wir quitt. Du kannst gehen wohin du willst ...«

»Ich will bei Euch bleiben«, unterbrach Ephialtes ihn sogleich untertänig.

»... Hauptsache, ich muss dich nie wiedersehen«, endete Nubrax, ohne ihn zu beachten.

»Bitte lasst mich für meine Schuld büßen. Ich tue alles, was Ihr wollt, Majestät.« Die tiefe Stimme des einstigen Leibgardisten war von Trauer zerfressen und zitterte merklich. Während er sich darum bemühte, nicht den Anschluss zu verlieren, achtete er einen Augenblick lang nicht auf den Boden vor sich und blieb mit seinem Stock, dessen Oberfläche unregelmäßig und an vielen Stellen von kleinen Zweigen gesäumt war, an einer Wurzel hängen. Nur mit Mühe gelang es Ephialtes, einen Sturz zu verhindern, indem er sich beidhändig an dem dazugehörigen Baumstamm abfing. Langsam und kraftlos sank er an der glatten Rinde zu Boden. Sein Überlebenswille tat es ihm gleich. Noch immer hielt er den Blick auf die beiden Zwerge vor sich gerichtet, die, eng aufeinandergestützt wie zwei Betrunkene, durchs Unterholz wankten.

Nubrax bemerkte unterdessen nicht, dass seine Worte bereits die von ihm gewünschte Wirkung erzielt hatten und der Krieger, der sie erst verraten und dann ihr Leben gerettet hatte, verzweifelt auf dem Boden hinter ihnen zurückblieb. So krächzte er unter Qualen weiter und ließ damit all seinen Zorn heraus, der ihn zum Teil schon seit seiner Verbannung auf der Seele gelegen hatte.

»Du willst für deine Schuld büßen, Ephialtes? Dann töte Barmbas. Töte Barmbas und befreie meinen Vater aus seinem ewig währenden Halbschlaf, in den dieser Bastard ihn versetzt hat und der ihn dazu bringt, jede Anweisung dieses heimtückischen Taiscors willenlos abzunicken. Sorge dafür, dass Norbix wieder lebensfroh und weise wird, so wie er es einst gewesen ist.« Einen Augenblick lang versagte dem Prinzen die Stimme, was diesmal nicht allein an den Schmerzen in seinem Hals lag.

»Wenn Barmbas’ Kopf zu meinen Füßen liegt und du Paros abgeschlagene Hand wieder heil gemacht hast. Wenn ich wieder neben meinem Vater auf dem Thron sitze und die Leben der grundlos gefallenen Zwerge und Elfen gesühnt wurden, dann hast du deine Schuld abgebüßt und keinen Augenblick eher. Aber bis dahin bleibe mir aus den Augen, Verräter.«

Fingerdicke Schweißperlen standen Nubrax auf der Stirn, als er mit seiner Rede geendet hatte und die Luft war ihm nun knapper denn je. Doch obwohl er wusste, dass er mit zweierlei Gemmenwaagen maß, da jeder einzelne Soldat die Wahl gehabt hätte, den Kriegsdienst zu verweigern und sich gegen Barmbas aufzulehnen, tat es gut, seine Wut stellvertretend an einem von ihnen auszulassen.

»Ihr wisst, dass ich keine Wunder wirken kann, Majestät. Doch ich werde es versuchen!«, rief Ephialtes, der nun gänzlich auf der Erde saß und seinem Gebieter mit feuchten Augen nachsah. »Ich werde Barmbas töten und den Rest meines Lebens dafür aufwenden, um sowohl für meine Taten geradezustehen als auch für die seinen, die ich zu verhindern versäumt habe. Soweit wie es mir möglich ist, will ich alles wiedergutmachen, was ich angerichtet habe.«

Der breitschultrige Zwerg, vor dessen geistigem Auge sein gesamter bisheriger Werdegang unter dem drakonischen Alleinherrscher ablief, hatte die Stimme weit über das gängige Maß hinweg erhoben, da Nubrax und Paro sich langsam aber stetig weiter von ihm entfernten.

Daran, dass sie noch immer auf der Flucht vor ihren Feinden waren, die jeden Augenblick hinter einem der vielen Bäume auftauchen und sie angreifen konnten, dachte er in diesem Augenblick nicht. Ihm war einzig und allein wichtig, sich zu erklären und eine Chance auf Vergebung zu erlangen.

»Viel zu spät habe ich erkannt, dass Barmbas nicht zwischen Freund und Feind zu unterscheiden vermag«, fuhr er mutlos, jedoch mit ungebrochener Lautstärke fort. »Bis gestern war ich sein engster Untergebener und dazu bereit, wirklich alles für ihn zu tun. Doch als Lohn für meine bedingungslose Treue hat er versucht, mich umzubringen. Erst nachdem ich zwischen den Leichen meiner Kameraden, die ebenfalls seiner unbegründeten Blutgier zum Opfer gefallen sind, wieder zu mir gekommen bin, habe ich erkannt, dass meine Loyalität falsch angebracht war.

Doch bitte glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass ich meinen Fehler erkannt habe und nun mein restliches Leben darauf verwenden werde, meine Taten wiedergutzumachen und Barmbas zu jagen, wo immer er auch ist.« Eine einzelne Träne der Verzweiflung lief Ephialtes in den gekräuselten Bart, der vom Blut seiner Landsleute noch immer dunkelbraun gefärbt war. Er begann schon, sich damit abzufinden, dass er von nun an allein den Kampf gegen seinen einstigen Herrscher würde aufnehmen müssen, doch kurz bevor Nubrax hinter einem dornenbesetzten Busch zu verschwinden drohte, hielt dieser inne und drehte sich noch einmal herum.

Nach wie vor hing Paro wie ein nasser Sack an seiner Schulter. Die Messerseuche schien den tapferen Zwerg bereits fest in ihren Klauen zu halten, denn es war offensichtlich, dass er gleichermaßen mit dem Fieber, wie auch mit der Ohnmacht rang. Beharrlich wurde Nubrax von der Last des zitternden Körpers nach unten gezogen, doch das ungebrochene zwergische Durchhaltevermögen ließ ihn nicht zu Boden gehen.

Auch wenn der Prinz es nicht wahrhaben wollte, so schien sich die Zeit für den treusten seiner Freunde unweigerlich dem Ende zu nähern. Ein weiterer Grund, Ephialtes zu hassen.

»Jetzt, wo du endlich die wahre Natur von Barmbas erkannt hast und dir aufgefallen ist, dass sich seine Falschheit und sein ungebrochener Sinn nach Gewalt und Verrat auch gegen dich richten kann. Jetzt willst du angekrochen kommen und die Seiten wechseln?« Nubrax spie aus. Seine Stimme war nur noch ein unverständliches Rasseln, das sich kaum mehr über das Rauschen der Blätter und das Zwitschern der Vögel erhob. Vom Zwist der Zwerge unbeeindruckt sangen sie ihre Lieder von den Ästen herab und schufen damit eine Szenerie des Friedens, die unwirklicher nicht hätte sein können. Im Gegenteil. Die Melancholie von Ephialtes hatte sich noch gesteigert, denn mit einiger Anstrengung war er sich des Sinns der meisten Worte seines Prinzen gewahr geworden.

»Du machst mich krank, Ephialtes, und ich verfluche mein Leben, weil ich es dir zu verdanken habe. Denn wenn dem nicht so wäre, dann, so sei dir gewiss, würde ich dich hier und jetzt mit bloßen Händen töten.« Wie zur Bestätigung ging er einen halben Schritt auf den zusammengesunkenen Zwerg zu, bevor er wutentbrannt weiter zischte. »Sage mir eins, wenn ich dir deinen schändlichen Verrat an mir, meinem Vater und meinem Volk vergeben würde, wie lange würde deine Treue zu uns wohl halten? Wie lange würde es dauern, bis du die neu gemischten Karten wieder tauschen und dich dem nächstbesten Kriegsherren an den Hals werfen würdest?

Loës’ Streitkräfte haben die Schlacht um Urgolind übrigens gewonnen, aber das weißt du ja.« Ohne Vorankündigung löste Nubrax seinen linken Arm von Paros Hüfte und deutete fuchtelnd in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Beinahe wäre der desorientierte Zwerg aus dem Gleichgewicht geraten und zu Boden gestürzt. Erst im letzten Moment gelang es ihm, sich unter größter Mühe am Überwurf seines Gefährten festzukrallen. Der hatte sich mittlerweile jedoch – ungeachtet der Tatsache, dass seine Stimme keinen viertel Steinwurf weit zu hören war – soweit in Rage geredet, dass für ihn sogar das Schicksal seines besten Freundes kurzfristig in den Hintergrund getreten war.

»Wieso versuchst du es nicht einmal bei den Alben? Ich bin sicher, Loës kann einen einsichtigen und treuen Untergebenen wie dich gut gebrauchen. Indirekt hast du ja ohnehin schon in seinen Diensten gestanden, es würde sich also nicht viel für dich ändern.«

Nubrax’ Gesicht hatte unter seinem Bart, in dem sich während ihrer Flucht Unmengen an Kleinstgestrüpp verfangen hatte, ein tiefpurpurnes Rot angenommen. Die Ader auf seiner Stirn war indes vor Erregung soweit angeschwollen, dass sie jeden Augenblick zu platzen drohte. Allerdings war das pochende Blutgefäß nicht das Einzige, was sich geweitet zu haben schien, denn die Schwellung seines Kehlkopfes war nun, bedingt durch seinen Wutausbruch, schlimmer denn je.

Mehr als einen pfeifenden Ton, den vermutlich nur Paro hören konnte, brachte er nicht mehr heraus. Das Atmen fiel ihm zunehmend schwerer und zum ersten Mal, seit er nach Saparins Angriff erwacht war, schmeckte er wieder Blut in seinem Mund. Erst eine leichte Berührung seines Weggefährten ließ ihn wieder zur Räson kommen, doch selbst dann bedurfte es noch einiger Augenblicke, bis ihm klar wurde, dass dieser ihm etwas zu sagen hatte.

»Sei ... nicht zu streng mit ihm ... Nubrax. Das habe ich dich nicht gelehrt ... Nur wenn wir anderen mit der Bereitschaft zur Verzeihung gegenübertreten ... können wir diese Welt zu einem besseren Ort machen. Jeder hat noch eine zweite Chance verdient.«

»Noch vor Stunden hätte er uns getötet, wenn sich ihm die Möglichkeit dazu geboten hätte. Wer sagt uns, dass er sich nicht bei der nächstbesten Gelegenheit wieder Barmbas oder Loës zuwenden wird?« versuchte Nubrax zu sagen. Doch die Anstrengung, seinen besten Freund durchs Dickicht zu ziehen und die Tatsache, dass sein angeschwollener Kehlkopf ihm die Luft nun beinahe zur Gänze abschnürte, ließen ihn größtenteils nur trocken würgen.

Paros Gesichtszüge waren schmerzverzerrt, während er versuchte, sich, entgegen des Haltegriffes seines Gefährten, langsam und unbeholfen auf einen umgestürzten Baumstamm herabzulassen. Es war ihm unmöglich, auch nur noch einen weiteren Schritt zu tun. Die Qualen, welche seine Wunde ihm bereitete, waren inzwischen so schlimm, dass er sich den Tod fast schon wehmütig herbeisehnte. Wimmernd presste der Zwerg die Lider zusammen, während er mit seiner Rechten den Unterarm kurz über dem Stumpf immer stärker umkrallte. Fast sah es so aus, als wolle er sich das schmerzende Gliedmaß herausreißen, um die Pein zu lindern.

Ephialtes kauerte in der Zwischenzeit noch immer in halb sitzender, halb kniender Position zwischen den Wurzeln der alten Gelbborke, kaum einen halben Steinwurf von ihnen entfernt. Obwohl er den im Flüsterton gehaltenen Gesprächsinhalt der beiden nicht verstanden hatte, machte er sich in einem letzten Anflug von verzweifeltem Erklärungseifer daran, für seine schändlichen Dienste Rechenschaft abzulegen.

»Ja, es ist wahr. Genau wie Ihr es mir vorgeworfen habt, habe ich unter der Führung von Barmbas dem Albengott Loës gedient, auch wenn ich selbst nicht unmittelbar an der Schlacht beteiligt gewesen bin.« Halt suchend stützte er sich an dem Baum ab und versuchte wieder auf die Beine zu kommen.

»Doch wie Ihr gerade eben selbst gesagt habt, Hoheit: Alle Zwergenkrieger Mittelbergs sind gegen die Elfen gezogen. Ich will mein Verhalten damit nicht rechtfertigen, doch bedenkt, wie Ihr an meiner Stelle gehandelt hättet. Majestät, wenn all Eure Freunde und Kameraden in den Krieg gezogen wären, wärt Ihr untätig zurückgeblieben und hättet die Strafe der Befehlsverweigerung hingenommen, anstatt für Euer Reich zu kämpfen? Zumindest war es das, was Barmbas uns vorgegaukelt hat.«

Was den Stimmen von Nubrax und Paro an Kraft gefehlt hatte, schien Ephialtes mit der Seinen doppelt wieder wettmachen zu wollen. Nicht zuletzt, um die Unsicherheit in seinen Worten zu übertünchen. Mit aller Deutlichkeit ließ er seine Worte durch den Wald erklingen, um sichergehen zu können, dass sein Gebieter, der nun nicht mehr ihn, sondern Paro ansah, auch jede einzelne Silbe gut verstand.

»Inzwischen habe ich jedoch erkannt, dass Barmbas einzig seiner Machtgier frönen wollte. Er hat sich zum obersten Heerführer ausrufen lassen und verkündet, dass die Elfen unsere Reichsgrenzen nicht mehr achten würden und dass sie grundlos unschuldige Minenarbeiter überfallen hätten. Ich schäme mich dafür, dass ich seinerzeit nichts gegen diese – wie mir jetzt endlich klar geworden ist – haltlosen Anschuldigungen unternommen habe. Doch selbst wenn ich mich ihm in den Weg gestellt hätte, was wäre das schon für ein Unterschied gewesen? Ihr wisst selbst am besten, was mit jenen geschieht, die sich Barmbas widersetzen. Viel zu viele sind auf seinen Geheiß schon verbannt oder hingerichtet worden.

Ich weiß, dass das keine Rechtfertigung für mein Handeln ist. Aber ich möchte versuchen, wenigstens einen Teil meiner Schuld abzutragen, indem ich mich euch beiden anschließe und dazu beitrage, dass Ihr dereinst Euren rechtmäßigen Platz auf dem Throne Mittelbergs einnehmt und den Mörder Eures Vaters seiner gerechten ...«

Doch weiter kam Ephialtes nicht. Verdutzt unterbrach er sich selbst, als ein splitterndes Knacken zu seiner Linken ertönte. Mit Müh und Not, vor allem jedoch durch den Ansporn, dass Nubrax und Paro ihn noch nicht gänzlich hinter sich gelassen hatten, war es dem einstigen Leibwächter bereits gelungen, einige Schritte weit auf die beiden zuzuhumpeln. Doch kaum, dass der kräftige Zwerg neue Hoffnung gefasst hatte, sah er sich plötzlich einer Gefahr gegenüber, mit der er schon gar nicht mehr gerechnet hatte.

Einige kurz aufeinanderfolgende und stetig lauter werdende Geräusche, die sich wie das Bersten kleiner Zweige anhörten, ließen ihn und seine Begleiter im ersten Augenblick noch ein größeres Tier vermuten. Doch schon kurze Zeit später schälte sich ein Schatten zwischen den dreieckigen Blättern eines Buschwerkes hervor.

Wären die Lungen von Nubrax noch in der Lage gewesen, gleichmäßig die feucht-modrige Luft des Waldes einzusaugen, so hätte ihm allerspätestens jetzt der Atem gestockt. Vor Überraschung gab er ein gleichermaßen keuchendes, wie auch pfeifendes Geräusch von sich, bei dem noch ein wenig mehr Blut seinen schmerzenden Hals emporstieg.

Durch ein kreisrundes Spinnennetz, welches zwischen zwei tief hängenden Astgabeln gewoben war und an dem noch einige Tropfen Morgentau hingen, funkelten ihm zwei nachtschwarze Augen bedrohlich entgegen. Instinktiv wanderte seine Rechte zum Gürtel, wo für gewöhnlich die Axt hing. Doch satt der Waffe bekamen seine Finger nur leere Luft zu fassen.

Freudig erregt über seinen Fund verzog der Alb seine porzellanfeinen Züge. Obwohl er lächelte, legte sich seine hohe Stirn angriffslustig in Falten. Um sich gut an die Umgebung des Naoséwaldes anzupassen und besser voranzukommen, war der kräftige Mann, der Nubrax um fast vier Haupteslängen überragte, in eine leichte Lederrüstung gekleidet. Darüber trug er einen weiten, moosgrün gepunkteten Umhang mit einer Kapuze, dessen Saum ihm bis über die Knie reichte. Anders als sein Gegenüber verfügte der Schwarzäugige jedoch auch über eine angemessene Waffe an seiner Seite. Und noch während der Zwergenprinz den Blick auf die lederne Schwertscheide gerichtet hatte, zog der Alb bereits einen breiten Säbel daraus hervor.

»Joa, ich hab drei von ihnen gefunden! Hol die anderen!«, brüllte der Krieger und taxierte Nubrax weiterhin scharf mit seinen pechfarbenen Augen. Langsam und vorsichtig näherte er sich Paro und ihm über den laubbedeckten Waldboden, der seine Schritte in ein sanftes Nichts abdämpfte. Die Muskeln des Mannes waren sichtlich gespannt und er war bereit, jeden Augenblick den entscheidenden Ausfallschritt zu machen. Sein Rufen war allerdings unnötig gewesen. Schließlich hatte Ephialtes zuvor laut genug gesprochen, um jeden Feind von hier bis Baknakaï auf sie aufmerksam zu machen.

Schon raschelte es erneut und ein weiterer Alb, kaum dem Kindesalter entwachsen, kam hinter einem Baum zum Vorschein. Auch in seinen Händen blitzte es metallisch auf, als ein einzelner Sonnenstrahl den Weg durch die Baumkronen hinab zur Erde fand. Unstet und panisch wechselte Nubrax’ Blick zwischen den beiden Kriegern hin und her.

»Was wollt ihr von uns?«, versuchte er zu sagen. Doch selbst wenn die Worte ihm nicht im zugeschwollenen Halse stecken geblieben wären, hätten sie sich nach einem fadenscheinigen Versuch der Zeitschinderei angehört. Das Anliegen der beiden Soldaten war absolut klar.

Gehetzt sah sich der Prinz in seiner Umgebung um, doch sie waren nach fast allen Seiten hin vom dichten Unterholz eingekesselt. Die einzigen Passagen, die zwischen den mächtigen Laubbäumen und nadelspitzen Dornenfleckenbüschen existierten, wurden von den Alben besetzt gehalten. Vorsichtigen Schrittes und ohne die Zwerge dabei aus den Augen zu lassen, hatten sie einander gegenüber Aufstellung bezogen. Offenbar waren sie nicht gewillt, sofort anzugreifen, sondern wollten ihre Gegner lediglich an der Flucht hindern, bis weitere Verstärkung eingetroffen war.

Soweit lasse ich es aber nicht kommen, schoss es Nubrax, der sich nun noch nicht einmal mehr die Mühe machte seine Stimme zu erheben, durch den Kopf. Schon hörte er ein neuerliches Knacken und das Geräusch, welches Blätter verursachen, wenn man in großer Eile durch sie hindurchläuft. Krampfhaft überlegte er, wie er Paro und sich selbst retten konnte.

Wegrennen kam nicht infrage. Ihm wäre es vielleicht, trotz der Luftknappheit in seinen Lungen, aufgrund seiner geringen Körpergröße gelungen, die hochgewachsenen Schwarzaugen im dichten Gestrüpp abzuhängen. Paro, der wie ein nasser Sack auf dem umgestürzten und mit Moos überwucherten Baumstamm hing, hatte allerdings keine Chance zu entkommen. Die unbeschreiblichen Schmerzen in seinem Arm, den er sich schnaubend und mit hemmungslos verweinten Augen eng an den Leib gepresst hielt, schienen seinen gesamten Körper förmlich paralysiert zu haben.

»Rührt euch nicht vom Fleck und leistet keinen Widerstand!«, richtete sich nun zum ersten Mal einer der Alben, es war der größere, welcher sie zuerst erspäht hatte, an die drei. Seine Stimme war glasklar und klang trotz des schneidenden Untertons erstaunlich friedlich. »Wenn ihr tut, was wir euch sagen, dann hat der Gesunde«, mit einem Wink seines ausgestreckten Schwertes deutete er kurz auf Nubrax, »vielleicht eine Chance zu überleben. Und euch beiden erleichtern wir gnädig den Abgang.« Angriffslustig senkte der Zwergenprinz den Kopf, verengte die Augen zu Schlitzen und biss die Zähne aufeinander.

Die mangelnde Luft, den einsetzenden Schwindel und den Schmerz in seiner Kehle ignorierte er so gut wie möglich und machte sich bereit, mit geballten Fäusten auf den Alben loszugehen. Seine Muskeln spannten sich, doch urplötzlich nahm er aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung von Ephialtes wahr, an den er schon gar keinen Gedanken mehr verschwendet hatte. Die eine Hand fest um seinen Stock geklammert, die andere auf Brusthöhe unter dem Mantel verborgen, setzte er mit erstaunlich weit ausgreifenden Sprüngen seines gesunden Beines auf ihn zu.

»Gar nichts wirst du tun, elendes Schwarzauge!«, erhob sich ein weiteres Mal die tiefe Stimme des früheren Leibgardisten. Wie schon zuvor brüllte er laut genug, um beinahe den gesamte Naoséwald mithören zu lassen. Schlagartig riss er seine Rechte unter dem Gewand hervor und holte noch im Sprung zum Wurf aus.

»Fangt auf, Majestät!«, bellte er und ohne zum Stehen zu kommen oder seinen Blick von dem jungenhaften Alben abzuwenden, warf er ein kurzes Messer nach Nubrax. Der überraschte Zwerg hatte kaum die Dauer eines Lidschlages Zeit, den silber schimmernden Gegenstand als das zu erkennen, was er war. Doch da er sich durch die vermeintliche Attacke in seiner Meinung über den treulosen Verräter bestätigt sah, versuchte er im ersten Augenblick instinktiv auszuweichen. Als er erkannte, dass Ephialtes nicht vorgehabt hatte, ihn mit der Waffe zu verletzten, war sie bereits nutzlos im herabgefallenen Laub der umstehenden Bäume gelandet. Wie ein Ertrinkender, der nach dem rettenden Stück Treibholz greifen wollte, stürzte sich der mittelbergische Thronfolger auf den Boden, um im fahlen Licht der aufgehenden Sonne nach der Klinge zu suchen.

»Nein, lass das liegen!«, schrie der Alb, der nur wenige Schritte vor ihm stand und setzte mit großen Schritten auf ihn zu, wobei er sich in einer Ranke verfing und beinahe gestolpert wäre. Nubrax bekam davon nichts mit. Stattdessen durchpflügte er mit bloßen Händen das vom letzten Regen noch immer aufgeweichte Erdreich. Doch je dringlicher er nach dem Messer tastete, desto weniger schien er es finden zu können. Unablässig waren seine Augen auf den Waldboden fixiert, während er auf den Knien kauernd mit dem Unterarm die Blätter beiseite wischte.

Im Hintergrund konnte er hören, wie das Breitschwert des jüngeren Angreifers mit dem Krückstock von Ephialtes zusammenschlug. Obwohl es keinem Zwerg schwerfiel, bei geringer Helligkeit etwas zu erkennen, wirkte das hektisch aufgewühlte Laub wie ein Vorhang, der die rettende Waffe beinahe schon absichtlich zu verbergen schien.

Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, berührten Nubrax’ Finger einen harten, scharfkantigen Gegenstand in der ansonsten butterweichen Erde. Noch nie zuvor hatte er sich so über einen Schnitt in die Hand gefreut, als er das Messer an der Klinge aus dem Dreck zog.

Doch die Suche hatte einen Herzschlag zu lang gedauert. Denn im gleichen Moment, da der Prinz die Waffe zu Verteidigung emporreißen wollte, traf ihn schon der Stiefel des Alben hart an der Schulter. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Körper, während er von den Knien gerissen wurde und sich auf dem Waldboden einmal um die eigene Achse drehte.

»Bleib liegen, Zwerg, oder das nächste Mal züchtigt dich der Stahl meines Schwertes!«, spie der Krieger ihm drohend entgegen. Wie zum Beweis seiner Worte richtete er den Säbel auf Nubrax’ Hals, kaum dass dieser zum Liegen gekommen war. »Leg das Messer nieder und wir lassen dich am Leben«, fügte er hinzu, während seine schwarz glänzenden Augen durchdringend auf ihn herabsahen.

Aber der Königssohn dachte gar nicht daran aufzugeben. Was hatte er denn schon zu verlieren? Zwar überkam ihn eine seltsam verquere Gefühlsmischung aus Glück und Dankbarkeit, dafür, dass der Schwarzäugige ihn nicht getötet oder gegen den Kopf getreten hatte – obwohl ihm nach wie vor zu beidem die Möglichkeit gegeben war. Allerdings wusste er nur zu gut, wozu Wesen seiner Art fähig waren. Aus diesem Grund hatte er nicht vor, ihm mit der gleichen Nachsicht zu begegnen.

Ein weiteres Mal war das Geräusch von Stahl zu hören, der wuchtig gegen Holz prallte, dicht gefolgt von einem dumpfen Aufschlag, welcher wohl von Ephialtes’ entzwei geschlagener Krücke stammte. Auf dem Rücken liegend kam Nubrax der Aufforderung augenscheinlich nach, indem er übertrieben langsam die Hand mit dem Messer auf den Boden sinken ließ, ohne es jedoch gänzlich loszulassen. Gleichzeitig krallten sich die Finger seiner Linken unmerklich ins feuchte Erdreich.

Nach wie vor nahm er Kampflaute hinter sich wahr und empfand dabei zum ersten Mal so etwas wie Verbundenheit mit seinem unfreiwilligen Weggefährten. Kaum dass dieser Gedanke in seinem Hirn Gestalt anzunehmen begann, tat Ephialtes ihm unbewusst einen weiteren Gefallen, indem er schmerzgepeinigt aufbrüllte und damit sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zog. In diesem Moment entschied sich Nubrax alles auf eine Karte zu setzen und warf seinem Gegner mit ganzer Kraft den Dreck ins Gesicht, woraufhin der reflexartig den Kopf zur Seite drehte und sich die Hände vors Gesicht hielt.

»Scheiße! Du verdammter, kleiner ...«, begann der albische Soldat zu fluchen, doch er wurde von seinem eigenen Schmerzensschrei unterbrochen, als Nubrax ihm noch im Liegen das Messer in den Fuß jagte. Das derbe Stiefelleder war nicht in der Lage, dem Zwergenstahl standzuhalten, der sich nun erbarmungslos in den Knochen bohrte.

Noch immer hielt der Prinz die Waffe an der Schneide gepackt, so wie er sie im schmutzigen Laub zu greifen bekommen hatte. Nach beiden Seiten hin schnitt sich das scharfkantige Metall ins Fleisch seiner Finger, als er es noch fester zu umgreifen versuchte, aber das qualvolle Aufheulen des Alben war es allemal wert.

Schon fiel die hünenhafte Kreatur, gleich einem gefällten Baum, nach hinten über und landete mit dem Oberkörper in den Dornen eines Gebüschs. Im gleichen Maße wie der Alb zu Boden ging, schien Nubrax förmlich auf die Beine zu fliegen, sodass die feuchte Erde, welche seinen kompakten Körper von oben bis unten besudelte, nach allen Seiten hin von ihm abfiel.

»Verrecke, du schwarzäugige Missgeburt!«, versuchte er zu sagen, doch die Beschimpfung hörte sich wie das bedrohliche Zischen einer Schlange an. Mit einem Sprung überwand der Zwerg die kurze Distanz, ließ dabei das Messer los und fing es beinahe im gleichen Augenblick mit geübtem Handgriff wieder so auf, dass sich seiner Finger nun zur Gänze um das fein gearbeitete Holz schlossen. Der Alb war viel zu überrumpelt, als dass er noch in der Lage gewesen wäre, sich zu verteidigen. So drückte Nubrax ihm die Schwerthand beinahe schon spielerisch zu Boden, während er sich mit seinem kompletten Körpergewicht auf die Brust des Mannes fallen ließ und ihn so am Boden fixierte.

Richte Loës schöne Grüße aus, wenn ich ihn dir bald hinterherschicke, verabschiedete Nubrax den Krieger in Gedanken, während er in weitem Bogen mit dem Messer ausholte, um es ihm bis zum Griff in die Kehle zu rammen. Er genoss es, die Furcht in den glänzenden Augen der Kreatur sehen, die ihn im Stehen fast um das Doppelte überragt hatte und nun, schockiert über die unerwartete Wendung, unter ihm zappelte. Doch urplötzlich ließ ihn der mahnende Schrei einer Frau innehalten.

»Nubrax, nein!« In seinem Kampfrausch hörte es sich für ihn so an, als käme die Stimme von ganz weit weg, trotzdem war der Zwerg wie festgefroren, als er sie vernahm. Unvermittelt und scheinbar grundlos ließ er die Klinge mitten in der Luft verharren. Wäre der Ruf einen Wimpernschlag später erfolgt oder nur um den Laut eines Vogelzwitscherns leiser gewesen, hätte sich das Blut des Alben nun über ihn ergossen.

Reglos verharrte Nubrax auf dem Rumpf des Schwarzäugigen und bemerkte dabei kaum, dass er ihm mit dem Knie die Luft abdrückte, sodass diesem das Atmen inzwischen fast schon schwerer fiel als ihm selbst. Der Sohne Boringars’ wagte noch immer nicht, sich zu rühren. Weder konnte noch wollte er den Blick vom angstverzerrten Gesicht seines Gegners abwenden. Zum einen, weil der Mann sein Schwert nach wie vor fest umklammert hielt, sodass er jeden Augenblick wieder zum Gegenangriff übergehen konnte. Zum anderen war er selbst wie versteinert, als die vertraute Stimme an sein Ohr gedrungen war.

»Hört auf zu kämpfen. Ihr beide, lasst sofort von den Zwergen ab«, wieder sprach die Frau. Ihre helle Stimme war gleichermaßen flehentlich wie befehlend. Doch als sie nach einem kurzen Moment der Pause zur Gänze aus dem dichten Geäst hervortrat, versanken ihre Worte förmlich in purem Unglauben.

»Nubrax? Kann das wahr sein?« Es war weniger eine Frage als mehr eine Aufforderung an den Zwerg, den Blick zu heben. Doch erst als der Alb unter ihm den Griff um sein Schwert löste, sodass es langsam zu Boden glitt und er als Zeichen seiner Niederlage beide Handflächen nach oben drehte, hob Nubrax zögerlich den Kopf.

»Bitte ... geh runter von mir«, hauchte der Alb, dessen Körper, gleich einem seidenen Spinnenfaden im Wind, vom durchbohrten Fuß an aufwärts immer stärker zu zittern begann. Der Zwergenprinz ignorierte ihn jedoch.

Wie selbstverständlich schien der Soldat davon auszugehen, dass sein Feind nun von ihm ablassen würde und er sich seiner Wunde zuwenden konnte. Nubrax verharrte allerdings unverrückbar wie mittelbergischer Fels auf seiner Brust, um ihn weiterhin in der Defensive zu halten. Noch wagte er dem plötzlichen Frieden nicht recht zu trauen und nach wie vor war der kriegerische Teil von ihm darauf gefasst, falls nötig, sofort mit dem kurzen Silbermann zuzustoßen. Davon jedoch einmal abgesehen, hatte sich seine Aufmerksamkeit nun gänzlich auf die rehbraunen Augen der Zwergin gerichtet, die nur wenige Armlängen vor ihm stand.

»Joa?«

Bruderliebe

Ungläubig blickte Darius an der hünenhaften Gestalt empor, welche sein Sichtfeld in den hinteren Teil der Zelle komplett abdeckte. Noch immer lag das Antlitz des Fremden im Schatten und nach wie vor hatte der den Stiefel fest auf seine Brust gestemmt. Langsam und genüsslich schien der Riese den Druck zu erhöhen, sodass Darius das Atmen zusehends schwerer fiel.

»Erkennst du mich noch?« Die tiefe Stimme des Mannes hörte sich rau an und ein kaum zu leugnender Akzent, der sich ein wenig wie Gegrunze anhörte, gab seinen Worten einen etwas dümmlichen Klang. Schließlich, als fast alle Luft aus Darius’ Lungen herausgepresst war und er das Gefühl hatte, dass ihm jeden Moment die Augen aus den Höhlen treten würden, nahm der Fremde seinen Fuß von ihm herunter.

Doch wenn der erschöpfte Iatas geglaubt hatte, dass sein Martyrium damit vorbei wäre, so hatte er sich getäuscht. Noch bevor er in der Lage war, seinen ersten befreiten Atemzug zu machen, packte ihn eine kräftige Hand am Hals und zog ihn in die Höhe. Eine große Anzahl kleiner, grüner Schuppen zeichnete sich deutlich auf der ledrigen Haut ab. Dazu spannte sich ein breiter Metallring um das dicke Handgelenk, von dem aus eine Kette in den hinteren Teil der Zelle verlief.

»Du hättest wohl kaum geglaubt, mich jemals wiederzusehen, nicht wahr, Mensch?«, grunzte der Riese, dessen Kopf bis kurz unter die Kerkerdecke reichte, genüsslich. Dabei hielt er Darius ohne Mühen mit einer Hand in der Luft und zog ihn ganz nah zu sich heran. Die Füße des jungen Mannes baumelten nutzlos über dem Boden, während er in die grässliche Visage des Orks blickte.

Kleine, gelbe Augen starrten gemein und ohne Wimpernschlag aus ihren Höhlen, welche tiefer gelegen waren als die eines Menschen, da die Stirn der Kreatur erstaunlich weit nach vorn gelagert war. Diese Laune der Natur verschaffte dem grüngeschuppten Ungeheuer ein zugleich minderbemitteltes, wie auch zorniges Aussehen. Die Augen waren allerdings das einzig kleine im Gesicht des Monsters. Lange gebogene Hauer, nicht unähnlich denen eines Wildschweines, entwuchsen ihm seitlich aus dem Maul und ließen seinen ohnehin schon stattlichen Unterkiefer noch mächtiger wirken.

Unentwegt schien ihm Speichel aus dem Maul über seine riesigen Beißwerkzeuge zu laufen, der dann in langen, klebrigen Fäden gen Boden troff. Kurz über seiner Furcht erregenden Schnauze klafften, ohne eine sichtbare Erhebung, zwei nüsternähnliche Schlitze, die der Kreatur als Nase dienten. Da das flache Riechorgan im deutlichen Gegensatz zu den riesigen Hauern stand, wirkte der gesamte Kopf des Orks seltsam deformiert.

»Ihr zwei seid wirklich die Letzten, mit denen ich hier gerechnet hätte. Umso süßer wird meine Rache sein, wenn ich dir die Haut abziehe«, knurrte der Ork, sichtlich erfreut über den unerwarteten Besucher in seiner Zelle. Dabei verzog er seine Mundwinkel zu einem grauenhaften Lächeln.

»Ich hab keine Ahnung, wer du bist«, keuchte Darius wahrheitsgemäß, während er sich an die Faust der Bestie klammerte, um den Druck von seinem Hals zu nehmen. »Du musst mich mit jemand anderem verwechseln.« Die letzten Worte des jungen Iatas gingen beinahe in seinem eigenen Gurgeln unter, da ihm die Luft inzwischen mehr als nur knapp wurde. Das bemerkte auch der Ork und ließ ihn mit missbilligendem Blick seiner kleinen Knopfaugen wieder zurück auf den Boden. Wie sich im nächsten Moment zeigte, tat er es jedoch nicht aus Warmherzigkeit, sondern einzig, damit Darius auch noch seine folgenden Worte mitbekam.

»Eine Verwechslung? Ganz bestimmt nicht, Mensch ... Denk nach, du hellhäutiges Stück Dreck. Sagt dir der Name Drug irgendetwas? Ihr mögt vielleicht alle gleich aussehen, doch dein Gesicht und das deiner Schwester hat sich mir ins Hirn gebrannt.« Dabei deutete er mit der freien Hand durch die Gitterstäbe in die Nachbarzelle, wo Therry auf dem Boden saß und sich mit Hilfe der rothaarigen Elfin bereits einen großen Teil der Bandage von ihren Augen abgewickelt hatte.

Darius vermied es, das wütende Monstrum darüber aufzuklären, dass Therry nicht seine Schwester war, geschweige denn eine Aussage über sein Gehirn zu treffen, welches bei der Rasse der Orks bekanntlich keine allzu stattliche Größe aufwies. Stattdessen ließ er sich sämtliche Ereignisse durch den Kopf gehen, bei denen er je mit dem kriegerischen Volk in Kontakt gekommen war. Und plötzlich dämmerte es ihm, als er an seinen ersten Aufenthalt im Albewald zurückdachte. Die Erkenntnis musste sich offenbar auch auf seinem Gesicht widerspiegeln, denn Drug nickte vielsagend und deutete erneut auf Therry.

»Du hast in jener Nacht meinen Bruder getötet, Menschin. Jetzt sieh zu, wie deiner stirbt!«, bellte er, riss Darius erneut in die Höhe und stieß ihn mit dem Kopf gegen die Gitter, welche die beiden Zellen voneinander trennten, sodass sein Gesicht halb durch die schmalen Zwischenräume gedrückt wurde. Das Ungeheuer bemühte sich bewusst, nicht so viel Kraft aufzuwenden, damit das Leben seines Opfers kein allzu jähes Ende fand. Vielmehr schien es sein Anliegen zu sein, dass die Mörderin seines Bruders ihrem Gefährten ins Gesicht sehen musste, wenn das Leben langsam und unter Qualen aus ihm wich.

»Darius? Was geht hier vor?«, keuchte Therry aufgeregt und arbeitete Drug unbewusst in die Hände, indem sie sich bemühte, den Verband um ihre Augen noch schneller abzulegen. Die Elfin, die ihr dabei anfangs noch helfend zur Hand gegangen war, starrte nun bloß noch mitleidig zu Darius herüber, in dem Wissen, dass sie, genau wie auch ihre Landsleute, nichts für ihn tun konnte. Ab und zu schien ihr Blick zwar noch Hilfe suchend in den hinteren Teil seiner Zelle zu wandern, so als erhoffte sie sich von dort ein Wunder, doch nach wie vor war der wütende Ork der Einzige, der die Gegenwart des jungen Kriegers teilte.

»Komm zurück zu uns, Amestris!«, zischte es aus dem hinteren Teil ihres eigenen Verlieses. Als die Waldbewohnerin den Kopf drehte, sah sie ihre Familienmitglieder, mit denen sie sich den Gefängnisraum teilte und welche sie fordernd zu sich herüberwinkten. Nach wie vor hatten sich ihre Leute in der hintersten Ecke eng an die Wand gedrängt, um dort ängstlich und fest ineinander geschlungen zu verharren.

»Überlass den Menschen sich selbst, du kannst nichts für ihn tun.« Die Stimme ihrer Mutter wurde nun eindringlicher und Amestris war klar, dass sie recht hatte. Aber obwohl ihr gar nicht wohl dabei war, so nahe an dem tobenden Ork zu stehen, fiel es ihr dann doch schwer, die aufs Übelste zugerichtete und zu ihren Füßen kniende Frau im Stich zu lassen. Schließlich gewann jedoch die furchtsame Natur der Elfin die Oberhand, welche sie dazu drängte, sich von jedweder Gefahrenquelle fernzuhalten. Während sie zurückwich, blickte sie entschuldigend zu dem Menschen hinüber, der immer stärker von dem boshaften Ork malträtiert wurde.

»Ich habe nichts Unrechtes getan und wenn du mich nicht augenblicklich loslässt, dann reiß ich dir den Kopf ab!«, spie Darius eine Drohung aus, die er, wie sie beide wussten, unmöglich wahr machen konnte. Noch immer versuchte er, sich aus Drugs Griff zu befreien, doch der hielt ihn ohne Schwierigkeiten und mit beständiger Härte gegen das Gitter gedrückt. Bedrohlich legte die grüngeschuppte Kreatur ihm eine Pranke in den Nacken, sodass der Iatas den Druck auf seinem Genick spüren konnte, welches der Ork ihm jederzeit mit Leichtigkeit zu brechen vermochte.

Mit fahrigen Fingern hatte Therry endlich die Binde um ihre Augen abgelöst. Sie wusste nicht, was geschehen war. Das Letzte, woran sie sich noch klar und deutlich erinnern konnte, war die Schlacht um Urgolind und eine zappelnde, wild um sich schlagende Albin, in die sie genüsslich ihre Zähne versenkt hatte. Danach war alles dunkel und von einem gleichmäßigen Pochen in ihrem rechten Auge überdeckt worden, bis sie in den Armen zweier Männer wieder zu sich gekommen war, die sie grob umhergetragen hatten.

Ihr gesamter Körper fühlte sich seltsam taub und leicht an. Therry wusste, dass ihre Brust von einer gewaltigen Brandwunde bedeckt wurde, die Loës ihr mit seinem Drachenschwert zugefügt hatte.

Außerdem hatte die Albin, gegen welche sie gekämpft hatte, ihr mehrfach mit einem Stein auf den Kopf geschlagen, dennoch spürte sie fast keinen Schmerz. Einzig von ihrem rechten Auge, auf dem sie nach wie vor nichts sehen konnte, strahlte mit zuverlässiger Gleichmäßigkeit ein unnachgiebiges, wenn auch noch einigermaßen erträgliches Stechen bis in den hintersten Teil ihres Schädels.

»Darius!« Das Antlitz ihres besten Freundes war das Erste, was die junge Iatas erblickte und sein Name der erste, der ihr über die bebenden Lippen kam, als sie entsetzt zu ihm aufsah. Starr blickte er sie mit seinen blaugrauen Augen an, während sein von Schlägen zerbeultes Gesicht gegen eine Wand aus quer und senkrecht verlaufenden Gitterstäben gepresst wurde. Als Nächstes richtete sich ihr Blick auf das riesige Ungeheuer hinter ihm, welches ihren Gefährten an Körperbreite gut um die Hälfte übertraf und dessen raue Stimme bereits zuvor seltsam bekannt in ihren Ohren geklungen hatte.

»Du«, hauchte sie nur, nachdem ihr bewusst geworden war, um wen es sich handelte. Groß und bedrohlich baute sich einer jener Orks, die Darius und sie damals – kurz nachdem sie sich das erste Mal begegnet waren – am Rande des Albewaldes angegriffen hatten, vor ihr auf.

»Ja, ich«, grunzte der Ork, diesmal so intensiv, dass man ihn kaum verstehen konnte und sie seine Worte deshalb mehr von den wulstigen Lippen ablesen musste. »Sag mir doch bitte, dass wenigstens du dich an mich und meinen Bruder erinnern kannst, dessen Leben du so kaltherzig genommen hast. Ansonsten sollte ich wohl besser dafür sorgen, dass man mich nicht mehr allzu schnell vergisst«, sprach er hämisch, obwohl seine Worte von einer gewissen Bitterkeit durchdrungen waren.

Kaum hatte Drug den Satz beendet, drückte er Darius’ Kopf mit einem Ruck noch stärker gegen die Metallstreben, welche die beiden Zellen voneinander trennten. Obwohl der junge Krieger kräftig gebaut war und sich mit aller Macht von dem Gitter wegzudrücken versuchte, versagten seine Muskeln im Angesicht der rohen Stärke des Orks. Ein Hilfe suchendes, schmerzgepeinigtes Aufstöhnen hallte von den Wänden des modrigen Kerkers wider, als sich eine der Querstangen durch seine Stirn zu drücken drohte.

»Hör auf!«, kreischte Therry und wollte aufspringen, um zu Darius zu Hilfe zu kommen. Doch kaum, dass sie sich erhoben hatte und ihre Beine zum ersten Mal seit Beendigung der Ohnmacht das Gewicht des Körpers aus eigener Kraft tragen mussten, begann sich alles in ihrem Kopf zu drehen. Therry wurde gleichzeitig heiß und kalt, während sie trocken zu würgen begann. Das dumpfe Pochen in ihrer rechten Augenhöhle wurde schlagartig stärker und schwarze Flecken tauchten unvermittelt in ihrem Sichtfeld auf. Schon sank sie wieder in Richtung Boden und erst im allerletzten Moment gelang es ihr, sich mit den Händen abzustützen.

Auf allen vieren kroch die sonst so stolze Iatas-Kriegerin über die steinernen Fliesen auf ihren Freund zu, während ihr gesamter Körper von der kurzen Anstrengung noch immer bedrohlich zitterte. Nach wie vor galt ihr Auge und all ihre Aufmerksamkeit einzig und allein Darius.

»Halte durch«, hauchte sie und während ihre Blicke sich kreuzten, konnte Therry spüren, dass ihr eine einzelne Träne über die zerkratzte Wange lief. »Bitte halte durch.« Die letzten Worte gingen jedoch beinahe in ihrem eigenen Schluchzen unter, als der Ork den Druck auf Darius’ Genick ohne eine Spur von Mitleid noch weiter erhöhte und ein erstes unheilvolles Knacken an ihre Ohren drang.

Der Kopf ihres Gefährten war inzwischen unnatürlich weit nach hinten gebogen, während das Gitter sich weiterhin gnadenlos gegen seine Stirn drückte. Therry überlegte krampfhaft, wie sie ihm, der nur wenige Armlängen vor ihr stand und dennoch unerreichbar war, helfen konnte.

Drug schien sich indessen bei der Auslebung seiner Rache bestens zu amüsieren, denn wieder ließ er ein hämisches Grunzen vernehmen und bellte: »Sieh dir genau an, was ich mit deinem Bruder mache! Dasselbe erwartet dich, wenn ich dich erst einmal in die Finger bekomme.« Darius’ Augenlider begannen inzwischen wild zu flattern und Blut lief ihm in einem schmalen Rinnsal aus der Nase. Als zudem noch seine Glieder zu erschlaffen drohten, begann Therry haltlos zu weinen. Sie schämte sich ihrer Tränen nicht, geschweige denn dass sie versuchte, sie zurückzuhalten, obschon ihr blindes Auge wie Feuer brannte.

»Hör auf zu flennen, elende Menschin. Spitz lieber deine Ohren, denn es braucht nur noch einen winzig kleinen Stoß und das Rückgrat deines Bruders bricht entzwei, wie ein morsches Stück Holz!«, kläffte Drug mit gefletschten Zähnen und grinste böse.

»Nein ...«, wimmerte Therry und ballte ihre Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortraten und sämtlicher Wundschorf auf ihren Handrücken wieder aufriss. »Bitte nicht.« Verzweifelt kroch sie auf Händen und Knien über den dunklen Boden auf Darius zu. Ihr ganzes Sein drehte sich einzig und allein darum, ihm irgendwie helfen zu können – auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie das anstellen sollte. Dabei bemerkte die sonst so durchdacht handelnde Kriegern noch nicht einmal, dass sie dem Grüngeschuppten direkt in die Falle ging.

Innerlich wie äußerlich lachte der Ork auf, als er feststellte, dass sein Plan aufging und ihn nur noch wenige Handbreit davon trennten, den Schopf der einfältigen Menschin zu packen und mit einem Ruck an sich heranzuziehen.

»Nur noch ein kleines Stück«, flüsterte er, wobei sich seine dicken, ledrigen Lippen, die von länglichen Furchen durchzogen waren, kaum bewegten. Lauter und an die vor ihm im Dreck kriechende Frau gewandt, grunzte er provokativ: »Ich mag eure Gesetze vielleicht nicht kennen, doch acht meiner Männer haben durch die Hand dieses Menschen den Tod gefunden. Ist es euren Ansichten nach etwa nicht recht und billig, dass ich ihn jetzt dafür ebenfalls töte?« Dabei deutete er mit einer kleinen Bewegung an, seine Pranke noch ein Stück weiter in Darius’ Nacken zu drücken, was dieser nicht überleben würde.

Sichtlich erregt nahm er das erschrockene Aufkeuchen Therrys wahr und fuhr fort: »Und du, du hast meinen Bruder vor meinen Augen ermordet. Entspricht es nicht der Ehre von euch Menschen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten?« Therry hatte keine Ahnung, was er damit meinte und es war ihr auch egal. Das Einzige, was ihr in diesem Moment wichtig erschien, war, dafür zu sorgen, dass Drug weitersprach. Denn solange wie sie ihn am Reden hielt – da war sie sich sicher – würde er das Leben von Darius zumindest vorerst verschonen.

»Ich habe deinen Bruder nicht ermordet«, erwiderte sie deshalb mit vor Tränen bebender Stimme. Ungeachtet dessen versuchte sie ihren Worten dennoch einen selbstsicheren und möglichst glaubhaften Klang zu verleihen. Innerhalb von nur einem Lidschlag schien sich der komplette nächtliche Kampf, welcher vor etwas über einem Mond zwischen Darius, ihr und den Orks am Rande des Albewaldes stattgefunden hatte, vor dem geistigen Auge der Iatas abzuspielen. »Er hat mich zuerst angegriffen. Ich habe mich nur verteidigt«, sprach sie wahrheitsgemäß und blickte herausfordernd zu ihrem Gegenüber hinauf.

»Was hat denn das damit zu tun?«, brüllte Drug sichtlich entrüstet über die Dreistigkeit ihres offenbar willkürlich gewählten Argumentes, mit dem sie nicht nur die Ehre seines toten Bruders, sondern auch die eines jeden anderen tugendhaften Orks in den Schmutz zog.

Just in diesem Augenblick erkannte Therry, dass sie sich getäuscht hatte. Der Versuch, das grüngeschuppte Ungeheuer am Sprechen zu halten, hatte nicht das Geringste genützt.

»Jetzt stirb endlich, du elendige Made«, war das Einzige, was sadistisch hinter den breiten Hauern hervorkam. Für die Dauer eines Herzschlages konnte die schluchzende Frau in den stechend gelben Augen ablesen, dass sie mit ihrer Rechtfertigung das Leben von Darius verspielt hatte. Hasserfüllt und scheinbar unendlich langsam verzog sich das ohnehin schon hässliche Gesicht des Orks zu einer Grimasse, während er sein gesamtes Körpergewicht in Bewegung zu bringen versuchte.

Doch dann, urplötzlich, überschlugen sich die Ereignisse. Ein langgezogener, erschrockener Schrei, dicht gefolgt von einem kurzen Aufstöhnen, hallten an den Kerkerwänden wider, ohne dass sich deren Ausgangsort feststellen ließ. Gleichzeitig schien Drug mitten in der Bewegung zu erstarren. Damit jedoch nicht genug. Therry konnte ihrem in Tränen schwimmenden Auge kaum glauben, als sie sah, dass eine unsichtbare Kraft die Klaue des Grüngeschuppten langsam, Stück für Stück, nach hinten zog.

Drug schien darüber genauso perplex, denn mit einem gegrunzten: »Was zum ...«, wandte er den Kopf und blickte verwirrt auf sein massiges Handgelenk. Erst jetzt fiel Therry auf, dass ein dicker Stahlring daran befestigt war, an dem eine straff gespannte Kette in den hinteren, dunklen Teil der Zelle führte.

Ihr verbliebenes linkes Auge war, von dem Moment an, da sie den Verband abgelegt hatte, an wenig Licht gewöhnt. Somit fiel es ihr nicht schwer, in dem düsteren Kerkergewölbe etwas zu erkennen. Dennoch hatte sich ihr Blick bisher einzig und allein auf Darius und seinen monströsen Peiniger gerichtet. So sehr, dass sowohl der restliche Teil ihrer als auch deren Zelle für sie lediglich zu einem grauen Hintergrund verschmolzen waren. Umso erstaunter war Therry, als sich plötzlich eine ihr wohlbekannte Gestalt aus dem Schatten löste und auf den Ork zusprang.

»Isolandòr? Du lebst?«, hauchte sie ungläubig, jedoch überglücklich, als sie den elfischen General erkannte, der Darius nun unerwartet zu Hilfe kam. Ihre Worte gingen allerdings in mehreren kurz aufeinanderfolgenden Klatschern unter.

Drug hatte zu lang auf die Kette an seinem Handgelenk gestarrt, bis ihm klar wurde, dass wohl jemand mit aller Kraft am anderen Ende daran ziehen musste. Als er schließlich verärgert den Blick hob, um sich nach dem Übeltäter umzusehen, traf ihn bereits der erste Faustschlag direkt auf das flache Kinn. Noch bevor das Ungeheuer auf den unerwarteten Angriff reagieren konnte, folgte ein weiterer Hieb auf die nüsternähnliche Nase, sodass dickflüssiges Orkblut nach allen Seiten spritzte.

»Wenn du ihn willst, dann musst du erst an mir vorbei!«, spie Isolandòr, während er seine Faust zum dritten Mal in weitem Bogen auf die schmerzerfüllt aufheulende Kreatur zufliegen ließ. Reflexartig riss Drug sich die muskelbepackten Arme vors Gesicht und wich zurück. Dafür musste er jedoch von Darius ablassen, dessen kraftlose Beine ihn ohne den Druck von hinten nicht länger aufrecht zu halten vermochten. Somit fiel sein geschundener Körper, ein kaum vernehmbares Stöhnen von sich gebend, regelrecht in sich selbst zusammen.

Noch immer war der Kopf des Iatas unnatürlich weit nach hinten gebogen und es ließ sich nicht sagen, ob sein Rückgrat dauerhaften Schaden genommen hatte. Der Aufschlag auf den Boden hätte jedoch mit Sicherheit sein Übriges getan, wenn Therry nicht geistesgegenwärtig und ohne Rücksicht auf ihre eigenen Verletzungen nach vorne gehechtet wäre, um ihn aufzufangen. Im allerletzten Augenblick gelang es ihr, die Arme durch die engen Gitterstäbe zu strecken und Haupt und Schultern ihres Freundes nur eine Handbreit über dem Boden festzuhalten.

Kraftlos und schlaff lag sein Kopf in ihren Händen, während sie verzweifelt versuchte, selbigen sicher in ihrer Armbeuge zu betten. Da Isolandòr allerdings noch immer wie vom Taiscor gestochen auf den völlig unvorbereiteten Ork einschlug, schien es bloß noch eine Frage der Zeit, bis dieser mit seinem massigen Körper auf Darius herabfallen und ihm somit endgültig den Garaus machen würde. Nur allzu gern hätte Therry ihn aus dem Gefahrenbereich gezogen, doch mehr als ihn mit ihren Händen zu schützen, vermochte sie nicht.

»Darius, bitte sag was.« Die Tränen liefen der jungen Iatas inzwischen haltlos über das zerschundene Gesicht, während sie ihn behutsam so nah wie möglich an die im Boden verankerten Gitterstäbe zu ziehen versuchte. Da sie jedoch noch nicht einmal dazu in der Lage war, sich aus eigener Kraft auf den Beinen zu halten, stellte das eine schier unlösbare Aufgabe dar. »Bitte, du darfst jetzt nicht sterben«, wimmerte sie und strich Darius zärtlich mit den Fingern über die Wange. Just in diesem Augenblick streckten sich zwei weitere Frauenhände kurz über dem Boden durch die Gitterstäbe und griffen nach den Beinen des reglosen Kriegers.

»Dreh seinen Kopf vorsichtig auf die Seite«, befahl Amestris, die sich ein Herz gefasst hatte und trotz der unmittelbaren Nähe zu Drug zurückgekommen war, um den beiden Menschen zu helfen.

»Verrecke, du grüne Missgeburt!«, schrie Isolandòr und ließ nach wie vor seine Fäuste gegen den Schädel der Bestie krachen. Weder seine blutenden Fingerknöchel, noch die Wunde, die er im Kampf gegen Loës davongetragen hatte, würden ihn davon abhalten, den Ork mit bloßen Händen niederzustrecken. Aber der erwies sich als standfester, als es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte. Bereits nach wenigen Herzschlägen hatte das gewaltige Ungeheuer, welches selbst ihn um mehr als eine Haupteslänge überragte, seinen ersten Schock überwunden und begann nun seinerseits auszuteilen.

Wuchtig und zum größten Teil ungezielt – was nicht zuletzt an der beträchtlichen Menge seines eigenen Blutes lag, das ihm in den Augen klebte – stieß Drug seine breiten Fäuste in Richtung des elfischen Generals. Der musste nun seinerseits zurückweichen, wollte er nicht wie eine Sandnuss zermalmt werden. Selbst das Abwehren der Angriffe gestaltete sich als ein Ding der Unmöglichkeit, da Drug mit so viel Kraft zuschlug, dass er ihm die Unterarmknochen zu zerschmettern drohte, sollte er mit ihnen kollidieren.

Schon konnte Isolandòr die beiden anderen Orks im hinteren Teil seiner Zelle hören. Indem er einen kurzen Moment ihrer Unachtsamkeit für sich ausgenutzt hatte, war es ihm gelungen, dem Griff der Bestien zu entkommen und sie kurzerhand zu überwältigen. Doch nun erhoben die zwei sich unter Stöhnen und Fluchen wieder vom Boden und setzten mit schwer trampelnden Füßen auf ihn zu.

Der Elf erkannte, dass ihm nur noch eine letzte Chance blieb, zumindest das ihm gegenüberstehende Exemplar zu töten, bevor sie ihn jeden Augenblick zu Boden ringen oder in Stücke reißen würden. In einem günstigen Moment, kurz nachdem er es erneut nur um Haaresbreite geschafft hatte der todbringenden Faust von Drug auszuweichen, sprang er mit einem Satz auf den Ork zu.

Mit ganzer Kraft packte er ihn bei den langen, spitz zulaufenden Ohren, die, so ganz im Gegensatz zu denen seines Volkes, schlaff wie die eines alten Köters gen Boden hingen. Und indem er all seine Geschwindigkeit und sein akrobatisches Geschick einsetzte, wie sie einzig von einem Elf nach jahrelanger Übung entwickelt werden konnten, sprang der General blitzartig auf die wilde Bestie zu.

Während er mit Macht den Kopf des Orks nach unten zog, bewegte er im gleichen Maße ruckartig sein Knie auf dessen Gesicht zu, um es mit einem alles entscheidenden Stoß zu zerschmettern.

Das Biest in Dir

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