Читать книгу Bildband: Unsere Alpen. Ein einzigartiges Paradies und wie wir es erhalten können. Mit Skirennläufer Felix Neureuther in den Bergen wandern. - Felix Neureuther - Страница 12
Оглавление»Die Gebrüder Schlagintweit«
Gletscher haben die Wissenschaft auch früher schon fasziniert. Mit die ersten Forscher, die sie gezeichnet und vermessen haben, waren die Gebrüder Schlagintweit. Sie kartierten Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Pasterze am Großglockner (»Der Pasterzengletscher«, 1847–1852, Aquarell über Bleistift von Hermann oder Adolph Schlagintweit).
Die Brüder Adolph und Hermann Schlagintweit in den Alpen um 1850
Wenn man bedenkt, wie mühsam vor mehr als 150 Jahren das Reisen in den Alpen war und mit welch einfachen Messmethoden gearbeitet wurde, dann ist Hermann Schlagintweits Karte »Die primären Gletscher des Alpengebietes«, 1846–1852, ein großes Werk.
Mit Bleistift und Block: Hermann, Adolph und Robert, drei von fünf Söhnen des Münchner Augenarztes Joseph Schlagintweit (1792–1854), fühlten sich ganz der Wissenschaft verpflichtet. Sie forschten zunächst in den Alpen, später mit Alexander von Humboldts Unterstützung im Himalaya und Karakorum.
Oben ist erneut die Pasterze abgebildet (»Die Senkung der Pasterze gegen den See am grünen Tor«, 1847–1852, siehe auch S. 10/11 im Buch), unten »Der große Oetzthalgletscher«, 1847–1852, beide von Hermann oder Adolph Schlagintweit.
Für die Wissenschaftler heute sind alte Karten oder Fotografien, die die Ausdehnung von Gletschern zeigen, wichtige Quellen. So kann der Rückgang über die Jahre besser dokumentiert werden (siehe S. 76 ff.). Die Karte oben stammt von Hermann oder Adolph Schlagintweit und zeigt den Gletscher am Similaun in den Ötztaler Alpen 1847–1852.
Das Aquarell rechts ist mit »Übersicht des Venter-Tales« betitelt und stammt aus dem gleichen Zeitraum. Das besagte Tal liegt ebenfalls in den Ötztaler Alpen, Vent ist heute ein »Bergsteigerdorf«. Das Label vergibt der Alpenverein an Orte, die sich dem traditionellen Bergsteigen verschreiben und auf große Infrastrukturprojekte wie Seilbahnen, Hotels und Eventarenen verzichten.
Mächtige Gletscherströme fließen talwärts: Die ursprüngliche Zeichnung, auf der diese Farblithografie beruht, hat Adolph Schlagintweit am 23.8.1851 angefertigt. Sie trägt den ausführlichen Titel »Ansicht des Monte-Rosa und Gorner Gletschers. Aufgenommen von der Roten Kumme am Riffelberg bei 2808 Metern.«
Vogelperspektive ganz ohne Hubschrauber oder Drohne: Die Farblithografie links zeigt »Die Gletschergruppen des Oetzthales« und wurde im Jahr 1850 entweder von Hermann oder von Adolph Schlagintweit angefertigt. Man kann posthum nur staunen, mit welcher Akribie die Brüder gearbeitet haben und welcher Forscherdrang sie antrieb.
Abendstimmung am Kramer: der Blick in die Ammergauer Alpen mit Hoher Ziegspitz (links) und Friederspitz. Berge und Bergsteigen haben eine lange Tradition in den Familien Neureuther und Mittermaier.
Bergsteiger und Bergwachtler
Der Wunsch und Wille, die Menschheit durch Forschung voranzubringen, hatte zeitlebens auch Felix‘ Großvater umgetrieben. Im Zweiten Weltkrieg als Stabsarzt tätig, fungierte der Facharzt für Innere Medizin später neben seiner Chefarzttätigkeit auch als Landesarzt der Bayrischen Bergwacht. »Er war ein grandioser Bergsteiger und Bergwachtler«, erinnert sich Christian Neureuther an seinen Vater Gottfried. Am wohlsten fühlte er sich bei seinen ›Bergwachtlern‹, wenn er die Gitarre auspackte und singen und musizieren konnte. Den ›Goggi‹ haben sie dafür geliebt, erzählt Christian. Seine fröhliche Lebenseinstellung und der positive Umgang mit Menschen hat ihm im Russlandkrieg wahrscheinlich das Leben gerettet. Weil er so gut musizieren und singen konnte, nahm ihn sein Feldwebel bei dessen Versetzung mit nach Südtirol, wo er überlebte. Alle anderen der Kompanie kamen um.
Schale und Kern
Sein Forschertrieb brachte Gottfried Neureuther 1959 sogar auf eine wissenschaftliche Expedition in den Himalaya ins Karakorum. Sein wissenschaftliches Spezialgebiet war die allgemeine Unterkühlung, ein Phänomen, das bei Bergungen aus Gletscherspalten oder Lawinen auftritt oder bei Unfallopfern, die längere Zeit Regen und Wind ausgesetzt waren. Immer wieder kam es vor, dass solche Gerettete nach der eigentlichen Rettung falsch behandelt wurden und später in der Hütte oder unten im Tal unter den Augen der Retter dennoch verstarben – man nannte das, eher hilflos, den »Bergungstod«. »In einer heizbaren Hüttenküche kann man eher Leben erhalten als nach einem schnellen stundenlangen Abtransport ins Tal«, schrieb der Arzt 1968 in der Broschüre »Erste Hilfe im Gebirge«, die der Österreichische Alpenverein für seine Jugendgruppen herausgab.
Die Liebe zum Schnee
Gottfried Neureuther hatte herausgefunden, dass sich ein unterkühlter Körper damit behilft, die Kerntemperatur im Inneren hoch zu halten, um somit die lebenswichtigen Organe wie das Herz zu schützen, während die die Temperatur in der Außenschale also in den Beinen und Armen geopfert wurde. Haut, Fettgewebe, Muskulatur, Arme und Beine werden dann weiß und kalt, während Herz, Lunge, Bauchorgane und Gehirn möglichst lange funktionsfähig erhalten werden. Findet man einen Bewusstlosen im unterkühlten Zustand, dessen Atmung und Herzschlag nur noch schwach spürbar sind, dann müsse man seine »Schale« möglichst schnell erwärmen, sonst würde sich das warme Kernblut mit dem kalten Schalenblut vermischen, und die allgemeine Bluttemperatur so herabsinken, dass die Organe nicht mehr funktionieren können. Nur in ein paar Decken einhüllen, wäre der falsche Weg. »Wenn das Kernblut in die Schale kommt, muss das Blut dort schon so warm sein, dass kein Temperatur-Abfall des Kernblutes mehr eintritt«, erklärte Neureuther in seinem Aufsatz. Man müsse also möglichst schnell von allen Seiten Wärme an den Körper heranbringen. »Das geht am besten im heißen Bad.« Oder in einem Waschzuber.
» | Alles immer größer, immer mehr, mehr, mehr – das kann es nicht sein. |
Wenn beides nicht vorhanden ist, so riet der Arzt, dann müsse man das Unfallopfer mit feuchten, heißen Tücher, Wärmflaschen, »Bierflaschen mit heißem Wasser« – kurz: mit allem, was an Ort und Stelle aufzutreiben ist, wieder ›aufheizen‹. Bei örtlichen Erfrierungen dagegen, beispielsweise an Fingern und Zehen, erklärt Gottfried Neureuther im weiteren Verlauf seiner Handreichung, müsse man es dagegen genau anders herum machen: »Die Wiedererwärmung muss ganz langsam vor sich gehen.« Sonst riskiere man, dass die geschädigten Gliedmaßen ganz abstürben.
Wenn man so will, dann ist das Haus Neureuther regelrecht angefüllt mit Bergsteigergeschichte und -geschichten. Rosi Mittermaier ist auf der Winklmoosalm aufgewachsen und hat es von dort aus einfachen Verhältnissen zur Doppel-Olympiasiegerin 1976 geschafft. Dieser Erfolg war Rosi nie wichtig. Ein normales und harmonische Familienleben war ihre eigentliche Lebensvorstellung. »Es ist vieles eine Frage der Erziehung. Ich habe mein Skimaterial von meiner älteren Schwester übernommen oder auf ein paar Ski vom Christkind gewartet«, sagt sie. Als Kind gab es neue Ski immer erst zu Weihnachten. Die Skiindustrie hätte den Buben mit mit Skiausrüstung überschüttet, doch wie soll man dann eine Wertschätzung für sein Material entwickeln.
Die Liebe zum Schnee aber, die lebten sowohl die Mittermaiers als auch die Neureuthers in einer sehr speziellen Weise. Für Rosi ist Schneeschaufeln das größte Vergnügen und Opa Mittermaier baute bis ins hohe Alter riesige Schneeburgen. Eine Tradition, die Felix nun auch bei seinen Kindern weiterführt. Bei allem stand immer die Freude im Vordergrund, die Leichtigkeit. Da passt ganz gut eine Anekdote aus Christians Leben. Zur 60. Geburtstagsfeier seines Vaters ließ er sich eine Gletscherlandschaft auf Rollen aus Pappmache bauen. Darin versteckte sich ein nacktes Model, von dem nur Arme und Beine zu sehen waren. Nun wurde das Mädel nach der Methode von Dr. Neureuther „aufgetaut und trat dann nackt aus dem Gletscher vor die Geburtstagsgesellschaft. Alle haben sich riesig gefreut, selbst die Frau vom ›Goggi‹ und die älteren Tanten.
Berg-Gen in der Familie
Vielleicht liegt ein Berg-Gen in der Familie Neureuther. »Warum heiratet Felix die Miriam, warum ich die Rosi«, sagt Christian und weist darauf hin, dass auch Miriam Neureuther einen Bergführer als Vater hat und eine Mutter, die leidenschaftlich klettert. Vielleicht ist dieses Gen auch der Grund für die Neuausrichtung bei Felix. Die Beschäftigung mit den Menschen und Inhalten dieses Buches hat ihn aber an eine eine neue Weggabelung gebracht.
Die Kompassnadel, sie richtet sich neu aus.