Читать книгу Bildband: Unsere Alpen. Ein einzigartiges Paradies und wie wir es erhalten können. Mit Skirennläufer Felix Neureuther in den Bergen wandern. - Felix Neureuther - Страница 9
Оглавление»Mein Platz des Friedens«
Felix Neureuthers Karriere als Skirennläufer hat mehr als 20 Jahre lang gedauert. Sie war gekennzeichnet durch große Erfolge, herbe Rückschläge und viele Comebacks. Jetzt will der zweifache Familienvater Verantwortung für die Berge übernehmen und die Gesellschaft für ihren Schutz sensibilisieren. Wohl auch, weil die Berge und das Bergsteigen fester Bestandteil der Familien-Tradition sind. Eine Annäherung.
Wenn man so will, dann hat Miriam Neureuther ihren Mann Felix eingenordet. Oder, anders ausgedrückt: Sie hat der zuvor zwischen den Magnetfeldern seines jungen Lebens wild ausschlagenden Kompassnadel eine Richtung gegeben. Miriam lebt Nachhaltigkeit, so gut es als Mutter zweier Kinder eben möglich ist. Sie verzichtet auf Plastik, meidet generell Verpackungen, kauft Bio-Produkte und steigt nicht gerne ins Auto. Schaut, dass sie unnötige Fahrten vermeidet. Dass sie ihren ökologischen Fußabdruck gegenüber früher kleiner macht. Und ihren Kindern und der gesamten Familie ein Vorbild ist.
Akrobat im Skizirkus
Felix denkt Nachhaltigkeit jetzt immer öfter. Weil er seit Langem fühlt, dass es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann. Immer öfter handelt er auch danach und lässt sich, gerade von Miriam, dabei leiten. Beide kommen aus dem Leistungssport, einem, der landläufig oft »alpiner Skizirkus« genannt wird. Zirkus trifft die Sache ganz gut, denn der Rennbetrieb ist eine über die Kontinente wandernde Manege mit vielen klar verteilten Rollen doch nur wenigen, die im Rampenlicht stehen. Das wechselt für gewöhnlich Jahr für Jahr, manche Artisten halten sich über eine gewisse Zeit, bis sie irgendwann so oft vom Hochseil heruntergefallen sind, dass es einfach nicht mehr geht. Felix hielt sich lange in diesem Zirkus, bisweilen hieß es, dass er seine Kunststücke nicht mehr in höchster Qualität vollbringen können würde. Doch er zeigte sie wieder und wieder, manchmal mit zusammengebissenen Zähnen, wenn er wieder einmal eine Verletzung hatte, die noch nicht ausgeheilt war. Zum Beispiel nach einem Autounfall im Februar 2014, der bei der Fahrt zum Flughafen München passierte und bei dem er sich ein Schleudertrauma zuzog, die Bänder im Nacken zerrte und zwei Rippen prellte. Er flog trotzdem zur Winter-Olympiade nach Sotschi, flachste über sein Missgeschick, trainierte mit Halskrause, startete im Slalom (ausgeschieden) und wurde 8. im Riesenslalom. Ein Kraftakt, aber auch ein Kunststück.
Brutaler Betrieb
Eines war der Ski-Zirkus nie: nachhaltig. Heute in Val d’Isere, morgen in Sotschi, zwei Tage später in Furano (Japan). Von den Sommer-Trainingslagern in den Anden und an den hohen Gletschern der Alpen in Zermatt oder Saas-Fee gar nicht zu sprechen. Ein Tross, der ständig um die Welt zieht, dessen tiefere, bisweilen unmenschlichen Gesetze der Zuschauer am Bildschirm nicht mitbekommt. Es sei denn, er hat einen dokumentarischen Film wie »Die Streif« gesehen. Ein sich immer schneller drehender Betrieb, dessen Zentrifugalkräfte den einen sportlichen Hoffnungsträger und die andere hochtalentierte Nachwuchsläuferin aus der Bahn werfen, bevor er oder sie sich selbst oder die Trainer/in und Manager/in ihm/ihr ein Denkmal setzen können. Brutaler Betrieb, könnte man sagen, und ab und an bekommt der Zuschauer bei einem fulminanten Sturz im Rennen mit, was für die Skifahrerinnen und -fahrer auf dem Spiel steht. Ihre Gesundheit, ihre Zukunft, ihre Selbstbestimmung.
Im Angesicht des Höchsten: Miriam und Felix haben bei ihrer Tour auf den Kramer einen schönen Aussichtspunkt zur Zugspitze erreicht. Der Juliläumsgrat vom Zugspitzgipfel zur Alpspitze zeichnet sich als zackige Linie ab.
Vom Slalom-Profi zum Alpenschützer
All das hat Felix Neureuther geprägt, er hat es durchdacht und nach dem Ende seiner Profi-Karriere im August 2019 – Auslöser war, wie könnte es anders sein, eine Verletzung – ein distanzierteres Verhältnis zum Zirkus aufgebaut. »Alles immer größer, immer mehr, mehr, mehr – das kann es nicht sein«, sagt er. Dabei habe er nie bereut, den Weg zur Profikarriere eingeschlagen zu haben. Trotz aller Rückschläge, Verletzungen und Frustrationen. Und trotz 15 Operationen. »Das Ganze war ein Glücksfall für mich. Ich konnte tun, woran ich am meisten Lust hatte: Skifahren.« Und heute? Heute fährt er immer noch »saugerne« Ski, jüngst auch schon mit Töchterchen Matilda, bald vier Jahre alt. Doch er ist nachdenklicher geworden, blickt immer wieder mal aus der Vogelperspektive auf den Ski-Zirkus und versucht, die Zusammenhänge zu durchdringen. 25 Jahre lang habe er im Sommer auf Gletschern trainiert, habe ihr Abschmelzen beobachten können. Habe gesehen, wie an ihnen herumgewerkelt wurde. »Es wurde hier noch was reingebaut und dort noch was erweitert. Das war grenzwertig«, sagt er im Rückblick.
»Das ist meine Heimat, ich kenne hier jeden Zentimeter«, sagt Felix auf dem Gipfel des Kramer und schaut hinunter auf Garmisch-Partenkirchen. Solche Momente geben ihm Kraft, »das tut einfach nur gut«.
Verantwortung für die Zukunft
Profitgier, Erschließungswahn, Klimakrise – alles hängt mit allem zusammen. Es sind die Berge, die Alpen, die Felix schützen will. In denen er sich zu Hause fühlt, die im Kraft geben. »Wenn wir Urlaub am Meer machen, bin ich hinterher nicht erholt. Wenn ich auf einen Berg gehe, dann ist das anders«, erzählt er beim Anstieg auf den Kramer, Hausberg in seiner Heimat Garmisch-Partenkirchen. Wie er die Berge fühlt? Er muss nicht lange überlegen. »Sie sind mein Platz des Friedens.« Und gerade weil er so eine starke emotionale Bindung zu den Bergen hat, ihre Schönheit und Erhabenheit direkt vor der Haustüre immer wieder erleben kann, möchte er zum Schutz etwas beitragen. Für sich, seine Familie und die Allgemeinheit. »Ich möchte gerne dazu beitragen, dass die künftigen Generationen auch noch das erleben können, was ich erleben durfte«, sagt er. Das ist der tiefere Grund für seinen Weg zu mehr Verantwortung für die Natur, zu mehr Nachhaltigkeit im Alltag, zu seinem Engagement für mehr Bewusstsein über die Zusammenhänge in der Umwelt. Deshalb auch dieses Buch.
Ideallinie oder Horrorfahrt
Die Stimmung im Hause Neureuther in Garmisch-Partenkirchen ist an diesem Vormittag des 9. Januar 2021 gedrückt. Dabei hat draußen gerade ein herrlicher, fast frühlingshafter Tag begonnen. Gestern hat es einen Skifahrer »zerlegt«, wie Christian Neureuther, Vater von Felix und sechsfacher Weltcup-Sieger im Slalom, erzählt. Schwer verletzt beim Rennen in Adelboden-Lenk im Berner Oberland. Vor sieben Jahren hatte Felix hier einen grandiosen Sieg im Riesenslalom des Ski-Weltcups eingefahren.
Sieg oder Sturz. Die zwei S-Wörter liegen beim Profi-Skifahren, zumal im Slalom, näher zusammen als in anderen Sportarten. Oft entscheiden Hundertstelsekunden, ob es die Ideallinie oder eine Horrorfahrt wird. »Verletzungen von Rennfahrern gehen uns allen sehr nahe«, sagt Christian. Für ihn fast ein Fluch. Im Jahr 1994 stürzt die zweifache Weltmeisterin Ulrike Maier bei der Kandahar-Abfahrt in Garmisch und kollidiert mit einer Zeitmessvorrichtung. Es bricht ihr das Genick. Sie ist sofort tot. Christian war damals Stadionsprecher. »Danach habe ich damit aufgehört.« Rosi Mittermaier, Mutter von Felix und selbst doppelte Ski-Olympia-Siegerin, serviert gerade den Kaffee. »Uli hat sich nicht mehr gerührt. Wir konnten das alle nicht fassen«, sagt sie.
Flucht auf den Kramer
Fuhr Felix in Garmisch Rennen, dann kam Vater Christian nicht ins Stadion. »Ich war zu nervös und wollte auch dem Buben sein Metier alleine geben.« Stattdessen ging er den Kramer rauf, den Hausberg der Neureuthers. Hausberg ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn der Kramer, knapp 2000 Meter hoch, beginnt unmittelbar hinter dem Haus. Die Flucht half allerdings nicht viel, denn der Wind trug die Rufe des Stadion-Sprechers die Bergflanken hoch. »Beim Runtergehen, ab 13 Uhr lief der 2. Durchgang, habe ich mir die Ohren zugehalten«, erzählt Christian Neureuther. Zu Hause rief ihn dann der Bayerische Rundfunk an, um zum 2. Platz zu gratulieren und ein Statement einzuholen. »Ich wusste noch gar nichts und hatte mir auch die Ergebnislisten im Internet nicht angeschaut.«
Inzwischen ist Felix durch die Terrassentür hereingeschneit, sein Haus liegt direkt hinter dem seiner Eltern. Er hat einen Zipfelbob unter dem Arm, denn ein bisschen Spaß muss sein. Sein Vater merkt an, dass es oben ziemlich vereist sei, vielleicht nichts für den Bob. »Des ist grad recht, dann geht was«, findet Felix. Für ihn ist der Kramer Teil seiner Jugend, wobei das nicht ganz stimmt. »Der Königsstand war immer unser Berg. Da waren wir ständig oben«, berichtet er (siehe Herzenstour S. 16). Es ist streng genommen kein eigener Berg, sondern nur eine vorgelagerte Schulter des Kramer-Massivs. Doch die Aussicht auf Karwendel und Wetterstein ist phänomenal. Felix hat sogar mit ein paar Freunden eine Bank gebaut und oben hingestellt.
Fataler Freudensprung
Der Königsstand, so könnte man auch sagen, ist sein Schicksalsberg. Denn dort hatte er sein erstes Berg-Date mit Miriam Gössner. Bald acht Jahre ist das her. Beide kannten sich aus dem Garmischer Skiclub. Miriam fuhr zu Beginn ihrer Karriere ebenfalls alpin, war sogar mal bayerische Schülermeisterin im Slalom. Dann schlug sie sich im Alter von 14 Jahren an einer Slalomstange mehrere Zähne aus und brach sich das Jochbein. Weil es zu gefährlich gewesen wäre, alpin zu trainieren, probierte sie es mit Langlaufen und landete schließlich beim Biathlon. Mit ziemlichem Erfolg: Sieben Weltcupsiege, acht Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. 2019 beendete sie ihre Karriere, wie auch Felix. Er brachte es auf drei WM-Medaillen im Slalom, Team-WM-Gold und insgesamt 13 Weltcupsiege.
Nun ist auch Miriam startbereit, mit großem Rucksack und Hund Buddy, einem Australian Sheperd. Rosi wird sich heute um die Kinder kümmern. Der Kramer, also das erste Teilstück, erlaubt Miriam ab und an kleine Fluchten vom Alltag. Sie läuft dann mit Buddy eine gute Stunde hoch, powert sich ein wenig aus, dreht um und trabt zurück. Heute aber soll es ganz raufgehen auf den Kramergipfel. Wie das Date war am Königsstand? Miriam muss lachen. »Felix hat einen Sprung gemacht und sich dabei zwei Bänder angerissen«, erinnert sie sich. Das Jungenhafte mochte sie immer schon an ihm. Seine Spontaneität, die Begeisterung fürs Ungewöhnliche, sein Draufgängertum. Alles Normale langweile ihn eher. Frage sie ihn, ob er mit laufen komme, habe er dazu keine Lust. »Als ich letztens aber mit Stirnlampe nachts den Berg rauf bin, konnte ich ihn kaum bremsen«, erzählt sie.
»Ich mag nicht das machen, was alle machen, sondern nur das, was wenige machen«, erklärt Felix kurze Zeit später. Zu viel Betrieb am Berg ist ihm ein Gräuel. Wie eigentlich alles, was ihn zu sehr einengt. Deshalb kann er sich auch nicht vorstellen, jetzt nach dem Ende seiner Profi-Karriere ein Studium zu beginnen oder eine Ausbildung. Die Schule hat Felix nicht in bester Erinnerung. »Ich war so froh, als es vorbei war.«
HERZENSTOUR
»KÖNIGSSTAND UND KRAMER«
»Das war immer unser Berg. Meine Spezln und ich haben oben ein Bankerl aufgestellt, weil’s da so schön ist. Zwei Freunde wohnen immer noch in der Frühlingstraße, also gleich in der Nähe. Der Königsstand war auch der Beginn der Beziehung zwischen Miri und mir. Es war das erste Date am Berg, im Oktober 2013. Beim Aufstieg wusste sie, dass der Typ nicht ganz verkehrt ist. Oben bin ich dann in die Luft gehüpft und so blöd aufgekommen, dass ich mir zwei Bänder im Sprunggelenk gerissen hab. Das war kurz vor der Skisaison, und natürlich konnte ich keinem sagen, wo das passiert war. Ich hab das Training dann trotzdem durchgezogen.«
Die Tour startet am Pflegersee bei Garmisch-Partenkirchen und führt über den Maurersteig (nicht markiert) bis zum Gipfel, der eigentlich kein echter Gipfel ist, sondern eine vorgelagerte Schulter des Kramermassivs. Die Aussicht ist dennoch wahrhaft königlich, der Steig führt durch wilde Natur und quert einige steile Hänge.
Königsstand (1453 m)
Ammergauer Alpen
600 Hm rauf
2,5-3 Std.
mittel