Читать книгу Bildband: Unsere Alpen. Ein einzigartiges Paradies und wie wir es erhalten können. Mit Skirennläufer Felix Neureuther in den Bergen wandern. - Felix Neureuther - Страница 17

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Immer faszinierend: Wenn Wasser über Geländekanten stürzt und dann in Millionen Wassertropfen zerstäubt, dann ist das wie hier in den Chiemgauer Alpen in der Nähe von Sachrang auf jeden Fall einen Besuch wert.

Speichersee für mehr Wasser

Ironie des Ganzen: Der lange umstrittene Bau des Speichersees am Sylvenstein, für den der Ort Fall geopfert und versenkt wurde, hatte als primären Zweck gar nicht den Hochwasserschutz. Er sollte der Isar, die hier aufgestaut wird, wieder einen einigermaßen konstanten Wasserspiegel zurückgeben. Denn der Mensch hatte diesem ehemals wilden Fluss (Isar = Die Reißende) über Jahrzehnte buchstäblich das Wasser abgegraben. 1924 ging das Walchenseekraftwerk in Betrieb, die Idee dazu hatte der Bauingenieur Oskar von Miller bereits im Jahr 1897. Er wollte die bayerischen Eisenbahnen elektrifizieren und für die Stromproduktion die 200 Meter Höhenunterschied zwischen Walchen- und Kochelsee nutzen. Es war die Gründerzeit, alles schien möglich, die Technik entwickelte sich rasant. Auch wenn diese Pionierleistung erst nach dem Ersten Weltkrieg in die Tat umgesetzt wurde, war es für Oskar von Miller eine Genugtuung. Er fungierte von 1918 bis 1924 als Projektleiter des seinerzeit größten Speicherseekraftwerks der Welt. Zeitweise waren bis zu 2100 Arbeiter in der riesigen Baustelle beschäftigt, darunter viele Soldaten, die aus den Kriegsgebieten heimkehrten und froh um Arbeit waren. Mit etwa 125 Megawatt Leistung ist das Walchenseekraftwerk und sein unter Denkmalschutz stehendes Wasserschloss am Kochelsee noch heute eines der potentesten in ganz Deutschland.

Dass das Wasser der Isar entzogen wurde, interessierte damals den Staat nicht. Man baute zwischen Mittenwald und Krün ein Stauwehr und lenkte das Isarwasser unterirdisch zum Walchensee, denn die natürlichen Zuflüsse zum Walchensee reichten bei Weitem nicht aus. Doch damit nicht genug: Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Energiemangel in Deutschland groß, neue Kraftwerke durften erst einmal nicht gebaut werden. Also zwackte man dem noch jungen Wildfluss Isar einen seiner Hauptzuflüsse ab, den Rißbach. Hier bohrten Arbeiter einen 3,3 Kilometer langen Stollen zum Walchensee, auf dass mehr Wasser mehr Strom erzeuge.

2,7 Milliarden Euro Schaden

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Die Isar-Anrainergemeinden liefen Sturm. Würden die Brunnen versiegen? Wohin mit den (damals noch ungeklärten) Abwässern, wenn die Isar in trockenen Zeiten kein Wasser mehr führen würde? Letztlich hatte der Landtag im Maximilianeum ein Einsehen, zumal die Isar nach starken Regenfällen auch sehr schnell anschwoll und die Regierungs- und ehemalige Residenzstadt München bedrohte. Der Auftrag für den Bau des Sylvensteinspeichers wurde 1954 gegeben. Aus heutiger Sicht eine weise Entscheidung. Denn nur sechs Jahre nach dem verheerenden Pfingsthochwasser kam die Augustflut 2005. Sie betraf nicht mehr nur den nördlichen Alpenrand, sondern auch große Teile von Ostösterreich sowie die Zentral- und Ost-Alpen vom Berner Oberland über die Innerschweiz, Graubünden, Vorarlberg bis nach Tirol. Viele Kraftwerke mussten wegen Überschwemmungen stillgelegt, die Wasserversorgung und -entsorgung abgestellt werden. In Felix Neureuthers Heimatlandkreis Garmisch-Partenkirchen war der Ort Eschenlohe durch einen Dammbruch weiträumig überflutet.

Auch dieses Mal bewahrte der Sylvensteinsee die Isar-Unterrainer und die Großstadt München vor dem Schlimmsten, wenngleich sein Stauvermögen zeitweise erschöpft war und er geöffnet werden musste. München hatte jedoch seinen Hochwasserschutz in der Stadt verbessert, dank der Renaturierung der Isar konnte mehr Wasser durch die Hochwasserwiesen abfließen. Andere Orte, besonders in der Schweiz, hatten weniger Glück und wurden überschwemmt, Straßen und Eisenbahnlinien zerstört. Mindestens 30 Menschen kamen durch die Fluten ums Leben. Die Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft bezifferte den Schaden für die Schweiz, Österreich, Deutschland, Ungarn und Slowenien auf 2,7 Milliarden Euro.

Trinkwasser in rauen Mengen

Lebenselixier und Todbringer: Die beiden Antipoden sind seit Menschengedenken miteinander verbunden. Die Alpen liefern für ihre Bewohner und die angrenzenden Regionen zuallererst das Trinkwasser, meist in bester Qualität. Legt man die Definition der »EU Strategie für die Alpenregion (EUSALP)« zugrunde, umfasst der Alpenraum 450 000 Quadratkilometer mit einer Wohnbevölkerung von 82,3 Millionen. Die Länge aller Flüsse mit einem Einzugsgebiet von mehr als 100 km2 beträgt dabei 34 300 Kilometer. Es zählen dabei die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg zur Gänze genauso mit wie auch die Donau bis zur Grenze zwischen Österreich und der Slowakei. Im Hintergrund steht die Tatsache, dass die Donau – wenngleich im Schwarzwald entspringend – auf Höhe von Wien praktisch nur noch aus Alpenwasser besteht. Auch Rhein, Rhone und Po beziehen ihr Wasser hauptsächlich aus den Alpen.

Wie problematisch Wasserversorgung einmal war, zeigt das Beispiel München: Nachdem Ende des 19. Jahrhunderts hunderte Bewohner an einer Typhusepidemie starben, überlegten die Stadtväter, die wachsende Metropole mit Wasser aus dem Mangfalltal (80 Prozent) und dem Loisachtal (20 Prozent) zu versorgen. Seit 1883 zapft München die dortigen Quellen an, circa 4250 Liter pro Sekunde – so groß ist der Durst der Münchner Privathaushalte und des Gewerbes. Nur ausnahmsweise nimmt man Grundwasser per Tiefbrunnen aus der Münchner Schotterebene. Nicht immer freut das die Gemeinden im Alpenrand, es gab und gibt Rechtsstreitigkeiten, wem das Wasser gehört.

Regenerative Energie

Auch bei der Wasserkraft, die dem Menschen kostengünstige und nachhaltige Energie liefert, herrscht nicht immer nur Einigkeit. So brauchte es erst ein höchstrichterliches Urteil, bevor ein neues Kleinkraftwerk an der Loisach im Ort Großweil gebaut werden durfte. Naturschützer verzögerten die Anlage um Jahre (siehe S. 46 ff.). In den 1960er-Jahren lag der Anteil an nachhaltig produziertem Strom in Bayern schon einmal bei gut 60 Prozent – hauptsächlich wegen der Wasserkraftnutzung. Dieser Anteil sank in den folgenden Jahrzehnten, da immer mehr Strom verbraucht wurde. Inzwischen tragen die erneuerbaren Energien wieder mit 52 Prozent (Stand: 2019) zu der Bruttostromerzeugung Bayerns bei, die Wasserkraft liegt mit der Photovoltaik in etwa gleich auf (16 %).

In der Schweiz liegt der Anteil naturgemäß höher. Knapp 60 Prozent steuern die Wasserkraftwerke der Eidgenossen zur Stromerzeugung bei, in Österreich sieht es ähnlich aus (Stand: 2020). Interessantes Detail: Hydrologen haben ausgerechnet, dass die Schweiz ihre jährliche Abflussmenge aus Regen- und Schmelzwasser (rund 1300 m3/Sekunde) vierzehn Mal durch Turbinen treibt. Die autonome Provinz Südtirol im Norden Italiens produziert in insgesamt 1037 Wasserkraftwerken sogar 88 Prozent des erzeugten Stroms. Viel mehr wird dort aber nicht mehr gehen. Die Landesregierung hat kürzlich einen Gewässerschutzplan verabschiedet, der den Bau neuer Anlagen nur noch sehr eingeschränkt möglich macht.

Forschen am Thema Wasserbau

Man muss Oskar von Miller übrigens attestieren, dass er nicht etwa blindlings neue Techniken durchdrücken wollte. Er initiierte ein wasserbauliches Institut, die heutige »Versuchsanstalt für Wasserbau und Wasserwirtschaft« der Technischen Universität München in Obernach am Walchensee. Hier untersuchen Wissenschaftler nicht nur alle größeren bayerischen Wasserbauprojekte (wie auch das Schachtkraftwerk Großweil), sondern sind auch weltweit tätig und wurden zum Vorbild für andere Institute.

Felix Neureuther ist inzwischen an den unteren Wasserfällen der Kuhflucht angekommen. Er quert einen steilen, grasbewachsenen Hang und wird wieder zum Jugendlichen – nicht nur, weil das natürlich verboten ist. Er stellt sich auf einen Felsen nahe der herabstürzenden Wassermassen und breitet die Arme aus. Der sanfte Gischt-Nebel legt sich auf seine Kleidung und sein Gesicht. Felix schließt die Augen und steht ganz still. Er sieht zufrieden aus.

» Mir tut es im Herzen weh, wo die Menschen überall ihren Dreck in der Natur hinterlassen.
Bildband: Unsere Alpen. Ein einzigartiges Paradies und wie wir es erhalten können. Mit Skirennläufer Felix Neureuther in den Bergen wandern.

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