Читать книгу Kaxinawa - Meine Reise zurück zu mir - Fernanda Brandao - Страница 10

BERUF: KÜNSTLERIN

Оглавление

Schon mit sieben Jahren wusste ich, dass ich einmal auf der Bühne stehen und eine berühmte Künstlerin sein würde. Einerseits gab es dafür genügend Beispiele in meiner Familie – bei uns war gefühlt jeder und jede Zweite künstlerisch tätig, und zwar mit viel Herzblut. Meine Mutter spielte Theater und schrieb tolle Stücke. Ihre Geschwister Marcia und Rafael sind Sänger und Songwriter, meine Mutter managte ihre Band Vitrine, die viele TV-Auftritte hatte und sogar eigene Musikvideos auf MTV. Damals war das sehr viel, ohne eine Plattenfirma und ein Marketingbudget im Hintergrund. Mein Großonkel Rui ist auch Sänger, Maler und Buchautor. Mein Onkel Marciso, der lange Zeit als Grafikdesigner für eines der größten brasilianischen Plattenlabels arbeitete, ist ebenfalls ein fantastischer Musiker und Songwriter.

Andererseits konnte niemand von ihnen davon leben. Für eine erfolgreiche Karriere hatte ich also daheim kein Vorbild. Das hinderte mich aber nicht daran, mir meinen Ruhm hingebungsvoll auszumalen. Ich übte mein Autogramm und interviewte mich selbst – von »Was ist Ihre Lieblingsfarbe?« bis »Was ist Ihr nächstes Projekt?«. Und weil ich noch keine Fans hatte, schickte ich mir einfach selbst Fanpost. Natürlich war ich aber zu bescheiden, um zuzugeben, dass ich kaum schreiben konnte und schon von einer internationalen Karriere träumte.

Als ich neun war, änderte sich alles. Meine Mutter zog mit mir nach Deutschland. Aus dem warmen, grellen, bunten, chaotischen Leben in Rio, wo immer das Gefühl im Vordergrund stand, kam ich in das kalte, dunkle, graue Deutschland. Hier gab es diese harte und komplizierte Sprache. Und die Menschen hier waren wie ihre Sprache: Regeln, Logik und Vernunft standen ganz oben. Gefühl? Spontaneität? Lebendigkeit? Zweitrangig. Anfangs war es ein Kulturschock. Aber zugleich gab uns dieses fremde Land Sicherheit, Perspektive, Unabhängigkeit – und was am wichtigsten war: eine Heimat. Hamburg empfing uns mit offenem Herzen. Dafür bin ich bis heute unglaublich dankbar, denn ausgerechnet hier verwirklichten sich meine kindlichen Träume von einer Künstlerkarriere. In Brasilien wäre das mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals passiert.

Meinen Traum hatte ich nämlich trotz des Umzugs nicht aufgegeben. Tanzen war mein Ding – und mit zehn Jahren fing ich an, Jazzdance-Unterricht zu nehmen. Mit elf hatte ich dann meinen ersten Tanzauftritt mit Gage – eine Lambadashow bei einer Hochzeit. Meiner damaligen Tanzlehrerin, Mona Brandenburg, habe ich unendlich viel zu verdanken. Sie erkannte mein Talent und verschaffte mir ein Tanzstipendium. Deshalb hatte ich zusätzlich zum Jazzdance noch Balletttraining. Sie brachte mir alles bei, was das Tanzen ausmacht: Körperbewusstsein, Bewegungen, Disziplin, Durchhaltevermögen und das Fokussieren. Und sie nahm mich mit zu meiner ersten Ballettaufführung in der Staatsoper: Ein Sommernachtstraum von John Neumeier. Und was machte Fernanda? Sie kam natürlich zu spät und musste während des gesamten ersten Akts am Rand des Balkons stehen …

Mit elf träumte ich endgültig nur noch vom Künstlersein, von der Bühne, vom Darstellen, Performen und Applaus. Ich wusste: Das ist es, was ich will! Hätte man mich damals gefragt, was das denn nun genau ist, was ich will, hätte ich wohl geantwortet: »Berühmt werden!« Heute weiß ich: Es ging mir eher darum, eine Stimme zu haben und Menschen zu erreichen.

Ich arbeitete hart an mir, ging auf unzählige Castings und versuchte im Showgeschäft Fuß zu fassen. Und ich tanzte – in vielen Musikvideos und auf Showbühnen, zum Beispiel bei Konzerten von Pink, Shaggy, Sarah Connor und Modern Talking. Aber es sollte nicht beim Tanzen bleiben: Parallel wurde ich nach einer entsprechenden Ausbildung (»Bodypump«) mit sechzehn Jahren Deutschlands jüngste lizenzierte Fitnesstrainerin. Eine Dozentin setzte sich dafür ein, dass ich als Minderjährige unterrichten durfte. Es folgten die B-Lizenz und Fortbildungen. Ich hatte immer das Glück, Mentoren zu treffen, die mich in meinem Leben gefördert haben. Oftmals waren es Frauen.

Mein Leben spielte sich zwischen Showbühnen, Proberäumen, Drehs, Anproben und Fitnessunterricht ab. Dabei war ich ja noch Schülerin – allerdings mit weit weniger Begeisterung. Ich verdiente für mein Alter schon recht früh viel Geld und fühlte mich dadurch teilweise zu selbstsicher und unabhängig. Kein Wunder, dass die Lehrer und auch die Mitschüler nicht so richtig mit mir klarkamen. Heute verstehe ich das ein bisschen besser als damals.

Nach der Schule entschied ich mich – obwohl ich mit dem Fitnesstraining richtig gut im Geschäft war – für die Freiheit und die Kunst statt für die regelmäßigen Fitnesskurse und das Geld. Ich hatte auch mit Klavier- und Gesangsunterricht begonnen. Eigentlich hätte ich gerne eine Ausbildung als Tanzpädagogin oder zur Kauffrau für audiovisuelle Medien gemacht, mit Berufsschule und allem Drum und Dran, aber dann hatte ich immer mehr Auftritte, sodass es zeitlich mit der Lehre niemals hingehauen hätte. Im Jahr 2000, nach meinem Schulabschluss, bekam ich meinen ersten Plattenvertrag und tourte eine Weile als Sängerin mit einem brasilianischen Trio. Dann kam ein Soloprojekt als Sängerin. Das Projekt lief im Ausland besser als in Deutschland und plötzlich hatte ich auf Myspace viele Fans in den USA. Unter anderem lebte ich in London und auf Ibiza – und ich war immer auf der Bühne. Ich hatte sehr viel Spaß, aber leider nur mäßigen Erfolg.

Dann kamen die Hot Banditoz. Mit dem Trällern des spanischen Kinderlieds Veo Veo kamen wir 2004 – ich war einundzwanzig – bis auf Platz 3 der Charts. Mein Kindertraum hatte sich tatsächlich erfüllt. Wobei – ganz ehrlich: Musikalisch war das nicht das, was mich damals begeisterte. Das wäre eher Elektro gewesen oder No-Mainstream-Jazz und Funk – ich wollte cool sein. Diese unkommerzielle Musik »durfte« ich nie machen. Stattdessen sechs Jahre lang spanische Kinderlieder … Aber es wäre unfair zu jammern. Die Hot Banditoz waren mein Sprungbrett. Für diese Chance bin ich dankbar. Ich habe in dieser Zeit auch sehr viel gelernt. Zum Beispiel, was Professionalität bedeutet: seine Arbeit immer engagiert und so gut wie möglich zu machen, auch wenn man selbst nicht zur Zielgruppe gehört. Der Respekt vor meinem Publikum und den beteiligten Kolleginnen und Kollegen gebietet es, dass ich immer mein Bestes gebe.

Und es ging immer weiter: 2011 saß ich plötzlich in der Jury von Deutschland sucht den Superstar.

Als sich mein Management meldete und sagte, dass DSDS mich haben wolle, kam mir wieder in den Sinn, dass sie mich schon zwei Jahre zuvor als Jurorin haben wollten. Damals kam es zu Probeaufnahmen, eine Art »Jury-Recall« … (lach!) Ich hatte mir echt Hoffnungen gemacht. Es gab viele Telefonate und große Erwartungen, aber es kam letztlich doch nicht dazu. Dementsprechend hielt sich mein Enthusiasmus in Grenzen, als sie sich jetzt wieder meldeten. Ich war gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigt, machte mir keine großen Hoffnungen und sagte meinem Management, sie sollten mich erst wieder damit nerven, wenn der unterschriftsreife Vertrag auf dem Tisch liege. Woran ich nicht glaubte. Als es dann doch klappte, war ich echt sprachlos. Unglaublich, wie das Leben so spielt. Ich glaube, es war Dieter Bohlen, der mich für den Jurysessel vorschlug. Und auch wenn er nicht immer nett zu mir war, habe ich gerade durch diese Erfahrungen für mein Leben gelernt. Danke, Dieter!

Damit war ich endgültig drauf auf dem Karussell dieser verrückten Show- und Fernsehwelt. Nun nahm der Wahnsinn kein Ende mehr – das ist der Schneeballeffekt solcher massenwirksamen Medienevents wie DSDS. Bald folgten viele weitere TV-Projekte, Theater-, Film- und Musikjobs, Premieren und Events – sehr viel Action. Ich konnte es selbst kaum fassen. Aber die Gefahr, sich selbst zu verlieren, ist in solchen Erfolgsphasen am größten. Du kannst kaum Luft holen – geschweige denn darüber nachdenken, was du gerade tust und was du eigentlich willst.

2012 nahm mich der Sportartikelhersteller Puma unter Vertrag – ich kehrte zu meinen Wurzeln als Fitnesscoach zurück und entwickelte mein erstes eigenes Sportprogramm: Ginga ist eine Mischung aus Capoeira, Fitness und Tanz, mit eigens komponierter Musik. Ich wollte den traditionellen Capoeiracharakter, aber ohne den Folkloretouch, den dieser ursprüngliche Kampftanz oft hat.

Als Brasilien 2014 wegen zweier sportlicher Großereignisse auch in Deutschland in aller Munde war, zeigte sich mal wieder, wie sehr Karrieren auch vom Glück abhängen: Ich war einfach im richtigen Moment am richtigen Ort und fiel der ARD ein, als sie überlegten, wer aus Brasilien stammt, Deutsch kann und eine gewisse Bekanntheit hat. So kam es, dass ich 2014 während der für Deutschland so erfolgreichen WM über »Land und Leute« erzählen durfte – und 2016 während der Olympischen Spiele bei der Eröffnungsfeier dabei war.

Die WM war unglaublich! Ich freute mich sehr, für eine längere Zeit in meinem Heimatland zu arbeiten und bei meiner Familie zu sein. Brasilien war sauber und sicher, und ich war erleichtert, dass wir so ein Riesenevent ohne große Pannen und in Frieden stemmen konnten. Hinter der Fassade sah es allerdings anders aus. Seit dem Confed Cup 2013 demonstrierten die Menschen im ganzen Land. Der Anlass waren erhöhte Buspreise, die zum Symbol für alle Ungerechtigkeiten und die wuchernde Korruption wurden. Überteuerte Stadien wurden in einem Land gebaut, in dem es an allem mangelte. Viele Menschen machten sich damals die Taschen voll und heute fallen die meisten Stadien auseinander. Aber anyway … Die Welt schaute damals auf Brasilien. Der Druck, Weltmeister zu werden, war enorm. Mindestens so groß wie die Emotionen der Spieler beim Singen der Nationalhymne. Doch dann kam die größte Tragödie in der Geschichte des brasilianischen Fußballs: 1 : 7 im Halbfinale gegen Deutschland. Ich guckte mir das Spiel an der Copacabana an. Millionen von Menschen in gelben Trikots verließen nach und nach den Schauplatz und gingen nach Hause. Wir dachten: War das jetzt die Wiederholung? Nein, es war noch ein Tor für Deutschland. Und noch eins und noch eins … »Gol da Alemanha!« (»Tor für Deutschland!«) ist inzwischen ein verbreiteter Ausdruck für ein Unglück oder ein Missgeschick – vor allem wenn es sowieso gerade nicht läuft.

Die Deutschen waren letztlich sehr respektvoll – das Spiel hätte auch 20 : 1 ausgehen können. Aber sie hielten sich zurück, um den Gastgeber nicht noch mehr zu demütigen. Zum Glück – so trösteten sich viele – hatten wir gegen Deutschland und nicht gegen den Erzfeind Argentinien verloren.

Im Nachhinein fand ich es gar nicht so schlecht, dass Brasilien diesen Schock erlitt. Hätten wir die WM gewonnen, wären (mal wieder) alle Probleme unter den Teppich der Party gekehrt worden. Das 1 : 7 brachte uns auf schmerzhafte Weise die Erkenntnis, dass nicht nur unsere Nationalmannschaft, sondern unser ganzes Land mehr Struktur, Planung und Fokus braucht.

Im Beruf treibt meine Neugier mich dazu, immer neue Dinge auszuprobieren und anzugehen. Aufgrund der Regenwalderfahrung entwickelte ich zusammen mit Kale & Me einen Drink aus Acaibeeren. Noch während der Arbeiten an diesem Buch machte ich eine Pilates-Ausbildung, zu der ich mich sehr spontan entschieden hatte. Zurzeit arbeite ich an der Optimierung meines neuen Fitnessprogramms, das Bewegung, Erholung und Mentaltraining kombiniert. Und gemeinsam mit einem Freund gründete ich ein Unterhosenlabel in Brasilien – für Gays! Vielseitigkeit hat mich schon immer fasziniert.

All diese Ausflüge sind wegen meiner Bekanntheit und der dadurch erzeugten Einnahmen möglich. Aber die Bekanntheit hat auch ihre kleinen Schattenseiten.

Kaxinawa - Meine Reise zurück zu mir

Подняться наверх