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»DU KANNST JA GERADEAUS LAUFEN UND REDEN!« DIE SHOW-FERNANDA UND DIE REALE FERNANDA

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Mir geht es wie vielen, vor allem weiblichen Showkünstlern: Einige Menschen verwechseln die Rolle, die ich bediene, mit meiner Persönlichkeit. Deshalb werden Frauen im Kleid so oft unterschätzt. Hübsche Frauen gelten eben als dumm – und manche Inszenierungen bedienen dieses Image aus Unterhaltungsgründen noch zusätzlich. Ich habe damit keine großen Probleme, auch wenn es manchmal schade ist, dass ich aufgrund eines Outfits und Make-ups in eine Schublade gesteckt werde. Aber ich nehme es niemandem übel. Wer mich nur im Glamourkleid kennt, kann nicht wissen, dass ich kein Püppchen bin, sondern gerne auf dem Boden sitze, auf der Straße aus der Hand esse und im Regenwald notgedrungen wie alle anderen hinter den Baumstamm kacke.

Interessant finde ich allerdings, wenn Leute aus der Branche in mir das kleine, süße, kindliche, fröhliche, etwas unbedarfte Eingeborenenmädchen sehen. Die haben dann echte Schwierigkeiten, wenn sie mich besser kennenlernen. Vor allem Männer, die von sich denken, sie seien das größte Alphatier, empfinden mich schnell als Bedrohung, wenn deutlich wird, dass ich so was wie »Gedanken« in meinem hübsch frisierten Köpfchen habe, die ich auch formulieren und vertreten kann.

Meistens reagieren Kolleginnen und Kollegen aber positiv, wenn sie mich das erste Mal hinter der Bühne erleben: »Du bist ja viel cooler, als ich dachte.« Überhaupt unterscheide ich die Kolleginnen und Kollegen inzwischen danach, ob sie auf dem Teppich bleiben und sich selbst nicht zu ernst nehmen. Das sind die Coolen. Mit denen arbeite ich nicht nur gerne, sondern genieße auch die freien Zeiten zwischen den Proben, Drehs und Auftritten.

Aber wer ist nun die wirkliche Fernanda? Beginnen wir mit meinem Selbstverständnis als Künstlerin. Ich glaube, dass in vielen Menschen ein unterdrückter Künstler schlummert, den sie aber nicht herauslassen. Ich habe das Glück, als Künstlerin leben zu können. Das entsprach mir einfach mehr als eine Bürokarriere. Aber was für eine Künstlerin bin ich überhaupt? Was genau ist mein Beruf? Sängerin? Schauspielerin? Fitnesstrainerin und -expertin? Entertainerin? Choreografin? Tänzerin? Moderatorin? Irgendwie alles. Aber das Performen macht mir eindeutig am meisten Spaß. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen und gemeinsam mit den Menschen und der Musik in eine andere Sphäre zu fliegen. Es ist pure Magie.

Meine größte Leidenschaft ist weiterhin das Tanzen. Ich kann damit ausdrücken, was ich mit Worten nicht formulieren könnte. Oft ist das Tanzen ein heiliges Ventil für meine Emotionen. Ich brauche das unbedingt – ohne diese Möglichkeit würde ich verkümmern wie eine trockene Blume. Das Tanzen ist meine Sprache, die von innen kommt.

Ich bin sehr selbstkritisch. Wenn ich selbst nicht fühle, dass ich etwas gut gemacht habe, nützt auch die Anerkennung anderer nichts. Oft denke ich: Das war nicht mein Bestes – auch wenn andere mich loben. Für eine Künstlerin ist Professionalität superwichtig. Diese Professionalität erwarte ich sowohl von mir als auch von den Menschen, mit denen ich arbeite. Manchmal geht die Disziplin auf Kosten meiner wilden und unangepassten Seite. Aber auch hier geht es am Ende des Tages um eine Balance zwischen den Extremen.

Ich fände es schwierig, wenn diese Glamourfigur mein einziger Lebensinhalt wäre. Dann könnte ich diesen Beruf wohl nicht ausüben, weil zu wenig von der wahren Fernanda übrig bliebe. Also mache ich lieber den Spagat und versuche, beides zu verkörpern – TV-Glamour und das wahre Leben, die Not der Indianer im Regenwald zum Beispiel. Alles an seinem Platz und zu seiner Zeit. Lust auf Vielfalt und das Streben nach konstanter Weiterentwicklung haben mich schon immer geprägt. Der Mensch Fernanda hat viel mehr als die Medienfigur Fernanda Brandao zu sagen. Ich brauche dringend Abwechslung und Vielseitigkeit – sonst würde ich mich sehr schnell langweilen. Zu gerne möchte ich zusammen mit innovativen Leuten etwas bewegen. Ich habe einen großen Tatendrang und gestalte und erschaffe gerne Dinge – oft mit einer ordentlichen Portion Idealismus und fröhlicher Naivität. Wird schon klappen, heißt dann meine Devise, und: Ich will unbedingt rauf auf diesen Berg! Wenn ich dann oben bin, frage ich mich gerne: Und jetzt? Her mit dem nächsten Gipfel! Anstatt einfach mal auszuruhen.

Meine Einstellung zur Professionalität kommt aus einem extrem ausgeprägten Pflichtbewusstsein. Ich bin ehrgeizig und diszipliniert und enttäusche mich und andere Menschen sehr ungern. Ich empfand es immer als meine Pflicht, aus der Chance, die ich im Leben bekommen habe, etwas zu machen – und etwas zurückzugeben. Mit viel Energie und Fleiß war ich damit beschäftigt, mir eine sichere materielle Basis aufzubauen. Zu meinem (für andere manchmal anstrengenden) Tatendrang kommt ein gewisser Perfektionismus. Eine Stimme in mir ermahnt mich regelmäßig: »Du musst die Sachen ordentlich machen.« Jemand hat mich mal gefragt, wer diese »Instanz« ist, die mir das ursprünglich eingehämmert hat. Die meisten nennen dann ihre Mutter, ihren Vater oder eine Lehrerin oder Trainerin. Ich konnte nur antworten: Das bin ich selbst. Ich habe mir diese inneren Ermahnungen wohl angewöhnt, weil ich bereits als Kind sehr vernünftig und erwachsen handelte.

Und wie bin ich sonst so? Im »wahren« Leben? Man lernt ja das ganze Leben lang – auch über sich selbst. Was ich in diesem Buch erzähle, ist also auch nur eine Momentaufnahme. Immerhin kann ich aber – obwohl ich erst Mitte dreißig bin – schon auf mehr als zwei Jahrzehnte Berufstätigkeit und »Erwachsensein« zurückblicken. Das lässt manche meiner Gedanken vielleicht ein wenig altklug klingen oder zumindest untypisch für jemanden in meinem Alter.

Heute weiß ich: Ich hatte lange ein extremes Bedürfnis nach Sicherheit. Ja, die fröhlich herumhüpfende, unbekümmert wirkende Latina ist sparsam und sehr vernünftig mit ihren Finanzen. Ich dachte stets, dass ich mich unbedingt absichern müsse, solange die Dinge gut laufen. Und ich dachte – je nach Karrierephase – immer über solche Fragen nach wie: Kann ich davon überleben? Wie kann ich Vermögen aufbauen? Wie halte ich mein Vermögen? Erst ziemlich spät ist die Frage dazugekommen: Wie viel will ich noch arbeiten? Natürlich habe ich nicht nur an Materielles gedacht, sondern immer auch an Freude, Erfüllung und Selbstverwirklichung. Heute weiß ich: Auch wenn du dir ein vermeintlich »sicheres« Leben aufbaust, ist es nicht sicher. Noch nicht mal dein Leben selbst ist jemals sicher. Du weißt nicht, wie lange du hier auf der Erde bist.

Meine größte Angst, so fand ich in einem Meditationsseminar einmal heraus, war nicht etwa die vor Krankheit, Spinnen oder großer Höhe – es war lange Zeit die vor Mittellosigkeit. Angesichts dessen, was ich bereits erreicht habe, ist das ganz schön irrational. Diese Angst ist viel größer, als es die tatsächlichen Probleme wären, die ich mit wenig oder gar keinem Geld hätte. Ich weiß aus meiner Kindheit, dass ich mit einem viel geringeren Lebensstandard auskommen könnte, als ich ihn heute habe. Eigentlich lebe ich nach der Devise: Was ist das Schlimmste, das passieren kann? Wenn du damit leben kannst, musst du keine Angst haben. Aber beim Geld war es anders.

Warum also diese Angst? Es hat etwas mit Unabhängigkeit zu tun. Ich will stets die Mittel haben, um für mich und meine Liebsten sorgen zu können. Ich will nicht abhängig sein. Ich gebe gern – aber Annehmen ist noch nicht meine Stärke. Weder Geschenke noch Hilfe noch Rat. Das ist eine große Lernaufgabe für mich, an der ich hart arbeite.

Von mir selbst erwartete ich lange, auf gar keinen Fall schlappzumachen. Ich dachte immer: Ich muss funktionieren, weil ich das Mutterschiff bin. Vielleicht kommt das von den starken Frauen in meiner Familie – die haben sehr oft ihre unfähigen Männer zum Teufel gejagt und ihre Familie allein durchgebracht. Diese Rolle habe ich angenommen – auch ohne eigene Kinder zu haben, für die Frauen sich ja üblicherweise aufopfern. Mich macht die Vorstellung verrückt, ich könnte nicht tun, was mir wichtig ist, weil es mir und meinen Lieben am Grundlegenden fehlt. Die Folge ist, dass ich früher sehr schwer Nein zu einem Angebot sagen konnte, das mir Geld versprach. Die Frage »Reicht das Geld?« war früher übermächtig. Oft stand da Verstand (»Fernanda, du brauchst ne Pause!«) gegen Bauch (»Fernanda, sammle die Kohle!«).

Und jetzt kommt wieder ein typischer Fernanda-Widerspruch: Würde mir jemand lebenslange finanzielle Sicherheit garantieren, würde ich mich vermutlich schnell zu Tode langweilen. Oder alles Geld verschenken, um es mir wieder selbst zu verdienen und zu erkämpfen. Der Mensch kann eben nicht aus seiner Haut.

Ich sorge mich um andere – und für sie. Aber was ist mit mir selbst? Sehr lange verbrauchte ich meine Kräfte ohne Rücksicht. Ich war und bin nicht gut darin, auf mich aufzupassen – und von anderen hätte ich so was nie akzeptiert. Inzwischen nehme ich Erschöpfungssignale meines Körpers aber besser wahr als früher und versuche, mir mehr Pausen zu gönnen. Die Indianer haben mich gelehrt zu erkennen, welche psychischen Belastungen sich im Körper verbergen und wie sie sich manifestieren. Die Arbeit im Regenwald hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, Nein sagen zu können. Jedes Nein, das man zum Schutz vor Überlastung ausspricht, ist ein Ja zu sich selbst. Ich muss gerade lernen, nicht zu viel zu versprechen, nicht jedes Problem anzusprechen und anzupacken, sondern auch mal einfach nur zu sein, zuzuschauen und zuzuhören.

Im Regenwald habe ich auch gelernt, mich zu fokussieren und nicht immer nur von einer Blüte zur nächsten zu flattern. Der übliche Trubel fehlte mir dort nicht. Im Alltag lenke ich mich viel zu gerne mit einem Projekt nach dem anderen ab. Oder mit mehreren gleichzeitig. Dabei sehne ich mich oft nach Ruhe und Runterkommen. Inzwischen bin ich nicht mehr der konstante, gleichmäßig arbeitende Typ, sondern eher die, die sich nach extrem arbeitsreichen Phasen mal eine Pause nimmt, etwa im Schweigeseminar. Ich habe »externe« Phasen, in denen ich mich stark nach außen orientiere, und dann wieder »interne« Phasen, in denen ich sehr auf mich konzentriert bin.

Ich hasse Extreme, erzwungenen Verzicht und Verbote. Was mich auf Dauer fertigmacht, sind einengende Strukturen. Jegliche Begrenzung, Einschränkung und Einengung weckt – Pflichtbewusstsein hin und Disziplin her – irgendwann meinen Widerstandsgeist. Dann brauche ich Freiraum. Sonst gehe ich ein. Manchmal brauche ich auch Sonderregeln für mich – aber ich habe die Menschen, die mir diese Regeln gewährten, noch nie enttäuscht. Ein Beispiel ist eine bestimmte Phase bei den Hot Banditoz. Ich wollte damals etwas in meinem Leben verändern und überlegte, die Band deshalb zu verlassen. Das wollten die anderen aber vermeiden. Schließlich vereinbarten wir, dass ich mir meinen Herzenswunsch erfüllen und nach Berlin ziehen durfte. Im Gegenzug verpflichtete ich mich, trotzdem vor jeder Tournee zuerst nach Hamburg zu kommen, damit die Band wie bisher gemeinsam aufbrechen konnte. Häufig war das organisatorisch und zeitlich aufwendig (und manchmal mit unsinnigen Hin- und Herfahrten verbunden), aber ich hielt die Regel immer ein, weil ich das Entgegenkommen der Band zu schätzen wusste.

Wenn ich keine Freiräume bekomme, kann ich schnell gereizt und misslaunig werden. Dann macht mir nichts mehr Spaß. Da bin ich wie ein Kind. Ich muss immer auch spielen können. Sonst bin ich nicht glücklich. Ein Kind sein, das heißt: frei, ohne Verantwortung, tanzen, singen. Am besten klappt das, wenn ich in der Natur bin. Vor allem am Strand. Dort zu chillen, stundenlang in Ruhe gelassen zu werden, zu spielen, zu lesen – das entspannt mich total und macht mich glücklich. Dann fühle ich mich wieder wie als Kind in der Floresta da Tijuca, einem Regenwald mitten in Rio de Janeiro. Auch der Kontakt mit Tieren hilft mir, zu mir selbst zu kommen. Wenn ich ein Tier streichle, bin ich absolut im Hier und Jetzt und denke über nichts anderes nach. Mich in dieser Weise fallen zu lassen, ist reine Seelenpflege. Aber es ist auch immer ein Kampf – weil die Vernunft- und Sicherheitsstimme sich dauernd einmischt. Ich bin einerseits ein sehr logisch denkender und rationaler Mensch, andererseits aber auch das Gegenteil. Eben ein fröhlich durch die Welt wandelnder Widerspruch.

Kaxinawa - Meine Reise zurück zu mir

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