Читать книгу Von zänkischen Göttern und tragischen Helden - Филипп Матышак - Страница 13

Schritt 4: Der Kaskadeneffekt

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Nachdem Zeus, der Inbegriff der Ordnung, nun sicher auf seinem Thron hoch auf dem Olymp saß, begann die Welt ihre endgültige Gestalt anzunehmen. Es war eine Welt, die von großen und kleinen Göttern wimmelte, und ihnen allen fiel die Aufgabe zu, alles auszufüllen, was noch an Schöpfung übrig blieb.

Die Aspekte der Götter Eine Gottheit konnte die ihr oder ihm zugewiesenen Rollen auf zwei verschiedene Arten übernehmen. Die erste bestand in Aspekten – in verschiedenen Facetten des Gottes, von denen jede eine spezielle Rolle spiegelte, die der Gott übernommen hatte. So war Zeus der König der Götter, aber auch der Träger der Blitze und der Wolkensammler, der Gott der Stürme, und in anderer Hinsicht ein Gott der Weissagung und Heilung sowie der Beschützer der Fremden. Ein Sterblicher, der göttliche Gunst suchte, wandte sich an jenen Aspekt der Gottheit, den er benötigte, und falls seine Gebete gründlich erhört wurden, baute er eventuell sogar einen eigenen Tempel für den betreffenden Aspekt des Gottes.

Die Kinder der Götter Ebenso konnten die Götter einige ihrer Zuständigkeiten an ihre Nachkommen weitergeben. So kann man sich die Welt des Mythos als eine Götterkaskade vorstellen, die sich in jeden Teil der Welt ergoss und in welcher sich jeder Gott eine Nische schuf und diese besetzte, worauf er Kinder hervorbrachte, die wiederum die Unterabteilungen dieser Nische ausfüllten. Zum Beispiel wurde Tethys, Tochter der Gaia, die Gattin des Okeanos, und aus ihrer Verbindung entsprangen die großen Flüsse der Ge, und aus diesen wiederum Tausende von Nymphen, von denen eine jede ihre Grotte oder ihren Weiher bewohnte.

Pontos, das Wasser, erzeugte Nereus, den „Alten Mann vom Meer“ (der auch als Proteus bekannt ist und dessen Fähigkeit, jeder Aufgabe gerecht zu werden und jede Form anzunehmen, sprichwörtlich wurde). Nereus wieder bevölkerte jede große und kleine Bucht mit seinen Töchtern, den Nereiden, die auch im tiefen Meer leben und mit den Delphinen spielen. Und so, wie die großen Meeresgötter kleinere Götter hervorbrachten und diese ihrerseits noch mehr und immer mehr spezialisierte, ortsgebundene Gottheiten, so zeugten auch die anderen Götter Hunderte von Nachkommen, bis es von den Winden bis zu den Jahreszeiten keine Macht im Universum gab, die nicht ihren Gott oder ihre Göttin hatte. Jede abstrakte Vorstellung hatte – nein, war – eine Gottheit, und jede Grotte hatte ihre Nymphe, jeder Hain seine Dryade.

Nachleben in Kunst und Kultur: Gaia und Pontos

Die Verbindung von Gaia und Pontos brachte die göttlichen Wesen Nereus, Thaumas, Phorkys, Keto und Eurybia hervor. Sie war auch der Ursprung des berühmten Bündnisses der Erde mit dem Wasser, das Rubens etwa um 1618 malte. Darin verwendete er den Mythos als Symbol für die niederländische Sperre der Scheldemündung, die der Handelsstadt Antwerpen ihren lebenswichtigen Zugang zur Nordsee abschnitt. Auch der finnische Komponist Sibelius erweiterte die Nachkommenschaft von Tethys und Okeanos mit seinen Okeaniden, einer 1913/14 geschriebenen symphonischen Dichtung.

Welt der Götter, Welt der Menschen Die nun fertig erschaffene Welt war ebenso menschlich wie numinos. Menschlich, weil die neuen Götter ein Teil der natürlichen Welt waren: Sie waren göttlich, nicht aber allmächtig und gewiss nicht immer weise. Sie teilten die Werte, Ziele und Schwächen der Menschen. Obwohl ihre Nahrung Ambrosia und ihr Blut Ichor war, mussten die Götter essen, spürten Schmerz, Eifersucht und Zorn und bluteten auch, wenn man sie verletzte. Anders als die Menschen zählten die großen Götter jedoch zu jenen Mächten, die die Griechen Daimonen nannten – sie waren normalerweise unsichtbar, aber allgegenwärtig oder dazu fähig, ohne Zeitverlust weite Strecken zurückzulegen. Die Motive ihres Handelns hingegen sind menschlich nachvollziehbar und häufig alles andere als löblich.

Und da die Götter ein Teil der Natur waren, bildeten sie einen Teil eines Kontinuums, auf dem es einen gleitenden Übergang zwischen Mensch und Tier gibt; so war die Trennlinie zwischen Göttlichem und Menschlichem nicht so eindeutig wie heute.

Zwischen Göttern und Menschen (wie und warum die Menschen erschaffen wurden, ist ein Thema für das nächste Kapitel) stand eine Fülle von Wesen, von denen manche wie die Satyrn göttliche Züge besaßen und dabei zugleich weniger als menschlich waren. Nicht nur niedrige Gottheiten, sondern selbst die großen Götter und Göttinnen waren in der Lage, Nachkommen mit Menschen hervorzubringen, und taten das auch mit großer Begeisterung.

Die Menschen der Antike waren Teil einer mit göttlichen Wesen randvollen Welt, in der ständig neue Gottheiten auftauchten – sogar große Götter wie Dionysos. Faune und Satyrn tummelten sich in den Tälern der Wälder und grausige Geschöpfe wie die vampirartige Lamia streiften durch die Nacht. Sogar scheinbare Menschen konnten Götter sein, die inkognito unterwegs waren, oder aber Halbgötter oder auch Götterkinder, denn die Menschen und ihre Götter konnten auf jeder Ebene in jeder Art in Beziehung zueinander treten, die auch den Menschen für ihre Beziehungen untereinander möglich war. Zwischen Natürlichem und Übernatürlichem gab es keine Grenze – das Übernatürliche war ja natürlich. Die Welt des Mythos war immer noch im Begriff, Gestalt anzunehmen, und an dieser Gestaltung waren, wie sich zeigen wird, die Menschen intensiv beteiligt. Die Ordnung der Welt jedoch war abgeschlossen; sie war ein einheitliches, organisiertes Ganzes geworden oder, wie die Griechen sagen würden, ein „Kosmos“.

Von zänkischen Göttern und tragischen Helden

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