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Düsternis
ОглавлениеGegenüber, auf der anderen Seite des Gässchens, in dem kleinen Steinhaus mit den offenen Fenstern, krakeelte der betrunkene Böttcher Sawtschuk. Seine Frau Motja kreischte hysterisch.
Gleb horchte auf und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Er erhob sich und ging zu den Sawtschuks hinüber. Das Zimmer war voller Schmutz und Mief. Auf dem Fußboden lagen Schemel und Kleider umher, dazwischen eine heruntergeworfene Teekanne aus Blech. Und überall war Mehl verstreut. Motja hatte sich über einen Sack mit Kartoffeln geworfen, den sie fest umklammert hielt. Sawtschuk, in zerrissenem Hemd, zerzaust, bearbeitete Motja schimpfend mit den Fäusten und den nackten Füßen.
Gleb packte ihn von hinten an den Schultern und zerrte ihn zurück.
„Sawtschuk! Bist du verrückt geworden? Du zottliger Teufel! Nun verpuste mal etwas."
Sawtschuk sah um sich wie ein Irrer und riss sich los.
Motja stützte sich mit einer Hand auf, zog mit der anderen den Rock über die nackten Beine und flennte winselnd.
Sawtschuk stierte Gleb an, ohne ihn zu erkennen. „Was ist denn das wieder für 'ne Ketzerseele? Hau bloß ab, du, eh ich dir's Genick breche ..."
Gleb lachte ihm ins Gesicht.
„Sawtschuk, alter Junge! Ich komme dich besuchen — und dann empfängst du mich so, Bruderherz!"
In Sawtschuks halbirre Augen kehrte Besinnung zurück. Er klatschte mit dem schmutzigen Fuß auf den Boden und breitete die Arme aus. „Ha, Ketzerseele! Gleb! Bruderherz! Tschumalow! Welcher Satan führt dich aus dem Jenseits her, du Hundesohn?"
Mit voller Wucht fiel er Gleb um den Hals, drückte ihm seinen besabberten Bart auf die Wange und röchelte ihm Fuselgestank ins Gesicht. Dann torkelte er zurück, stieß Motja mit dem Fuß und brach in Lachen aus.
„Steh auf, Motja! Verschieben wir's auf ein andermal. Jetzt setz ich mich erst mal hin mit ihm, dieser Ketzerseele, dem Gleb, und er kriegt die Ohren voll gejammert. Steh auf! Gib dem Herzensgenossen Gleb einen Kuss! Das andere auf ein andermal."
Motja blieb auf dem Sack sitzen und heulte.
Gleb trat zu ihr und streckte ihr die Hand hin. „Na, Motja, du Mordsweib! Fein kämpfst du für deine Rechte! Tag, meine Liebe!"
„Verschwinde gefälligst!" antwortete sie bissig. „Eure Sorte kennt man, ihr wollt bloß faulenzen, und wir sollen schuften."
„Ich bleibe aber, Motja! Was hast du mir zu bieten: Braten, Tee mit Zucker — du alter Hamstersack." Gleb lachte und neckte sie, haschte nach ihren Händen und ließ sie willig draufklopfen.
„Warum jagst du mich fort, Motja? Bin so schon drei Jahre weggewesen, an der Front. Statt dich nun zu freuen, behandelst du mich wie einen Feind. Weißt du noch, was für ein strammes Mädel du gewesen bist? Ich war drauf und dran, dich zu heiraten, aber da kam mir Sawtschuk in die Quere, dieser verdammte Böttcher."
Erschrocken fuhr Motja auf; sie schien Gleb erst jetzt zu bemerken.
„Ja, du meine... Das ist doch... Das bist du doch — Gleb Iwanowitsch!" Sawtschuk lachte trunken.
„Das ist kein Weib, Gleb, eine Kröte ist das. Wenn du mein Freund bist — nimm dein Maschinengewehr und schieß sie tot." Plötzlich stöhnte er verzweifelt auf. „Das ist kein Leben mehr, was ich führe, Gleb. Und sie hat sich im Hamstersack begraben. Sie haben uns das Leben gestohlen, Gleb!"
Motja stand auf und lehnte sich erschöpft gegen die Wand.
„Ich habe doch Kinder gehabt, eine reiche Mutter bin ich gewesen. Wo sind sie geblieben, Gleb Iwanowitsch? Wozu lebe ich denn noch?"
Sie sah Gleb aus tränentrüben Augen an, strich mit zitternden Händen ihren Rock über den Knien glatt und nestelte an der Bluse.
Ach ja, auch Motja war nicht mehr die alte, nicht mehr das sanfte, freundliche, heitere Geschöpf von früher. Gleb sah sie noch vor sich inmitten ihrer lärmenden Kinderschar — die immer geschäftige, zärtlich besorgte Glucke.
Sawtschuk setzte sich auf einen Schemel und schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Weit haben wir's gebracht, Bruderherz!... Mir ist angst,
mein Junge. Nicht den Tod fürcht ich, der will von mir nichts wissen. Vor der Düsternis ist mir angst und der Ödnis. Sieh sie dir an — das ist keine Fabrik — das ist die reinste Müllgrube, ein Ziegenstall... Es gibt keine Fabrik mehr ... Und wenn die hin ist, wo bleibe ich dann, Gleb?"
Motja starrte ihn mit blicklosen Augen an. Plötzlich lächelte sie verlegen. „Zieh dich an, du Büffel! Da hast du dein Hemd. Läufst herum wie ein Landstreicher."
Gleb lachte auf. „Komisch seid ihr, Kinder!" „Motja, Frau!" Sawtschuk ging zu ihr, hob sie wie ein kleines Mädchen hoch und hielt sie Gleb hin. „Da hast du meine Motja — knutscht euch ab, ihr Ketzerseelen!"
Ü ber dem Berggipfel schimmerten die rauchlosen Schlotspitzen, durchsichtig wie leere Gläser.
Auf dem von wucherndem Kreuzdorn- und Thujagestrüpp zottigen Hügel und dem rostigen Bremsberg lagen umgekippte Loren wie tote Schildkröten herum.
„Die Fabrik... was ist sie gewesen, und wie sieht sie jetzt aus, mein Freund Gleb! Weißt du noch, wie in der Fassbinderei die Sägen gesungen haben? Das war Musik — einfach herrlich! Ach, lieber Genosse! Ich bin doch hier aus dem Ei gekrochen."
Sawtschuk sehnte sich zurück nach der alten Fabrik, trauerte seiner früheren Arbeit nach. Tränen traten ihm in die Augen, und wie er so dastand in seinem Leid — ein jammervolles Lächeln um die Lippen, den Kopf hoch erhoben —, glich er einem Blinden.
Motja stand neben ihm — ebenso blind und jammervoll. „Ich gehör ins Haus — bin nur fürs Nest, für Kinder geschaffen. Warum zerstörst du auch das Letzte?"
„Motja, soll ich's machen wie die anderen? Feuerzeuge basteln? Fässer flicken für die Bauern? Das überlasse ich dir, du herrenloser Hund. Lieber krepiere ich, aber ich verkaufe meine Seele nicht dem Teufel."
Wieder schlug er mit der Faust auf den Tisch und knirschte mit den Zähnen.
Motja aber stand da und faselte wie im Schlaf: „Hatten ein volles Nest, Gleb Iwanowitsch — wir hatten's —, wo ist es geblieben? Umgekommen, verreckt sind unsere Kinder. Wo soll ich jetzt hin, sag selbst? Wozu bin ich noch nutze? Kann man denn so weiterleben? Totgeweint habe ich mich. Ich kann nicht, kann nicht mehr, Sawtschuk! Ich geh auf die Straße und hol mir ein paar elternlose Kinder."
Gleb war bewegt. Er umarmte Sawtschuk. „Du bist doch mein alter Kamerad, Sawtschuk. Schon als Jungs sind wir zusammen arbeiten gegangen. Und war Motja nicht unsere Freundin? Während du hier gehockt und geunkt hast, habe ich gegen den Feind gekämpft. Jetzt kehre ich heim, und vom Heim ist nichts mehr da — von der Fabrik auch nichts. Motja ist ein gutes Weib. Wir werden die Kräfte zusammenlegen, Sawtschuk. Wir sind geschlagen, doch wir haben auch schlagen gelernt, sehr gut gelernt, Sawtschuk, glaub mir!"
Sawtschuk sah ihn verdutzt an und schüttelte den Kopf.
Motja lehnte sich an Gleb und umfasste seine Schulter. „Gleb, Freund... Sawtschuk ist ein guter ... bei Gott, ein sehr guter Mensch. Ach, Gleb, ich brauche ja nichts ... nur wieder die Brust voll Milch. Was für ein Leben!"
„Motja, schmus nicht mit ihm wie eine Braut — noch ist er nicht dein Kavalier!"
Gleb drückte Motja die Hand und lachte. „Komisch seid ihr, Kinder!"