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Die Kumpels

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Im Kellergeschoß des ehemaligen Verwaltungsgebäudes drängten sich die Arbeiter in einem engen, dämmrigen Korridor. Im Raum hing schmutziger Tabaksqualm, und die Menschen, selbst schmutzig vom schwarzgrauen Staub der Steinbrüche und Wege, sahen alle gleich aus, wie abendliche Schatten.

Sie fluchten unflätig und schrieen alle durcheinander. Es ging um Tagesrationen und um den Kantinenfraß, um Petroleum, Sonderzuteilungen, Feuerzeuge und Ziegen.

Die Tür zum Betriebsgewerkschaftskomitee stand offen. Auch dort schmutziger Qualm und Gedränge. Niemand erkannte Gleb, als er sich durch den Menschenschwarm hindurchwand; man schielte nur kurz nach seinem Helm mit dem Stern und nach dem Rotbannerorden und hatte ihn im nächsten Augenblick wieder vergessen.

An der Tür produzierte sich ein Bursche mit einer weißen Nachthaube auf dem Kopf, einem Korsett über der Jacke und einer Schnurrbartbinde vor der rasierten Oberlippe. Von der Menge eingezwängt, ruderte er mit den Ellenbogen, kreischte mit Weiberstimme und gebärdete sich wie ein affektierter Narr.

„Ach, gestatten, dass ich mich vorstelle... Par voeux brusque rescape!" plapperte er in phantastischem Französisch und sang dann:

„Ei, du Äpfelchen, wohin rollst du bloß, kommst du zum Gewerkschaftskomitee, wirst du alles los ..."

Die Leute gafften, ermunterten ihn und lachten.

Ein brünetter, schwindsüchtiger Mann, dem der Husten in der Kehle saß, ging gegen den Possenreißer wütend vor. Es war der Schlosser Gromada. Gleb war entsetzt: Wie hatten die letzten drei Jahre diesen Mann mitgenommen! „Hör auf zu diskutieren, Mitrej! Das ist eine Schande und eine Schmach und so weiter ..."

Doch Mitja unterbrach ihn: „Ach, Genosse Gewerkschaftskomitee, entschuldigen Sie, wickeln Sie Ihre Nerven in ein Bündelchen und stecken Sie es sich mit einer Nadel an den Nabel... Gestorben! Krepiert! Gerührt und erschüttert! ... Leg mein Korsett aufs Parkett, das Häubchen als Wagen, als Zügel den Kragen — und wenn die Fuhre fährt, kutschiere ich in voller Parade zur Demonstration ... Prrr!..."

Wieder verrenkte er sich affektiert und arbeitete sich mit dem Ellenbogen zum Ausgang durch. Voller Entzücken über das Schauspiel drängte ihm die Menge nach.

Gleb ging ins Zimmer und stellte sich hinter den Arbeitern an die Wand. Am Tisch saß der bucklige Schlosser Loschak, schwarz und verrostet wie immer, schwerfällig und so unberührt, als wäre er taub.

„Verfluchte Bande!" schrie eine Frau aus voller Kehle. „Ihr habt uns noch gefehlt, ihr Hunde! Seht euch bloß diese vollgefressenen Schnauzen an! Mein Alter krabbelt zu Hause der Ziege den Bauch, und ich muss mich hier mit diesen Dickwänsten rumschlagen."

Die Arbeiter pufften sie in den Rücken und verschluckten sich vor Lachen.

„Feste, Tante Awdotja, feste! Immer mit dem Bauch voran, der Hintern wird's schon aushalten ..."

„Schnauze, ihr Idioten! Wozu hat man uns diese Gewerkschaftskerle aufgehalst? Das nennt ihr Schuhe? Darin soll man laufen?"

Mit jähem Schwung warf sie das Bein in die Höhe und schlug mit dem Schuh auf den Tisch. Der Rock rutschte hoch und entblößte ihr Bein bis zum blaugeäderten Oberschenkel.

Loschak saß unbewegt da, als wäre er taub. Gromada aber sprang wutschnaubend auf.

„Bürgerin! Genossin! Du bist doch eine Arbeiterin. Das Gewerkschaftskomitee tut seine Pflicht... und so weiter... Du musst doch verstehen."

„Mach ihn fertig, Tante Awdotja! Sprich für uns alle hier im Raum!"

„Ruhe, ihr Trottel! Was ist aus meinen Schuhen geworden, die ich als Zuteilung bekommen habe?... Wie lange haben sie gehalten? Einmal ins Dorf, dreimal in die Kantine, Graupensuppe für die Schweine holen — und nun seht euch die Sohlen an!" Sie zog einen Schuh aus und schleuderte ihn auf den Tisch. Mit seinem weit aufgerissenen Rachen stieß der Schuh Loschak vor die Brust.

Er nahm ihn seelenruhig in die Hand und betrachtete ihn interessiert von allen Seiten. „So, Tante, nun mal ruhig weiter im Text. Wir hören."

Aber Gromada hielt es nicht länger aus, er sprang auf und fuchtelte mit den Armen.

„Ich kann das nicht dulden, Genosse Loschak. Der Bürgerin fehlt's an Bewusstsein und so weiter ... Das ist eine Schande und eine Schmach."

„Ruhig Blut, Gromada! Ein tüchtiges Schwitzbad tut immer gut. Gleich werden wir uns mit ihr unterhalten. So, du armes, gekränktes Waisenkind, nun sag mal, für welche Arbeit hast du diese Schuhe bekommen?"

„Red mir keinen Knoten in den Kopf, du buckliger Gauner. Gearbeitet oder nicht, ein Paar Schuhe stehen mir zu."

„Ich frage dich: Für welche Leistung verlangst du denn mit Milch und Honig gepäppelt zu werden? Na? Gib auch den andern Schuh her. Sie sind dir aus Versehen zugeteilt ... Und deine Schweine werden requiriert wegen der Kantinensuppe, die dazu da ist, dass du dir den eigenen Wanst vollschlägst."

Awdotja bedrängte die Arbeiter und machte sie rebellisch.

„Verdammtes Weib!" schrieen die Arbeiter. „Passt auf, Jungs, dass eure Fassade ganz bleibt."

Mit derselben finsteren Ruhe nahm Loschak wieder den Schuh und hielt ihn über den Tisch.

„Da, nimm ... Lass ihn dir von deinem Alten reparieren und trag ihn weiter, zum Spaßen aber komm ein andermal her."

Awdotja riss ihm den Schuh aus der Hand, setzte sich auf den Fußboden und zog ihn hastig über ihren dicken Fuß.

Alles lachte.

Loschak ächzte, stemmte die Hände auf den Tisch und erhob sich. Lange ließ er seinen schweren Blick auf der Menge ruhen und ächzte dann noch einmal.

„Hört zu, Freunde: Ihr habt wohl nicht kapiert, wie die Sowjetmacht sich die ganze Sache denkt? Dem Bauern hat sie das Getreide weggenommen für den Krieg mit den Bourgeois, dem Bourgeois die Fabriken, wie zum Beispiel unsere. Aber Arbeit ist keine da. Den Bourgeois hat sie allen möglichen Krempel weggenommen und sagt: Da, ihr Arbeiter, teilt es unter euch auf, damit nichts verloren geht. Macht mit dem Zeug, was ihr wollt... Ich möchte damit nur sagen: Wenn wir die Fabrik erst wieder in Gang haben, dann wird alles anders."

Er setzte sich schwerfällig und finster.

Gleb hatte sich zum Tisch durchgeschlagen und salutierte. „Tag, Genossen! Bitte mich freundlich wiederaufzunehmen. Bin zu meiner Werkbank zurückgekehrt."

Gromada schrie auf, breitete die Arme aus und stürzte auf Gleb zu. „Loschak, Freund, siehst du denn nicht? Gleb Tschumalow! Unser Gleb! Tot und lebendig. Sieh doch, Loschak!" Loschak blickte Gleb ebenso gleichgültig an wie die Arbeiter, die sich täglich von früh bis spät im Gewerkschaftskomitee herumdrückten. „Sehe schon. Ein neuer Trumpf in unserer Farbe! Die Schlosserei ist hin, Gleb, da werden jetzt Feuerzeuge fabriziert. Eine scheußliche Bude!"

Er zog mit Mühe seinen langen Arm unter dem Tisch hervor und streckte Gleb zögernd die schwere Hand hin.

Arbeiter aus verschiedenen Abteilungen umdrängten Gleb, staunten ihn verstört an wie einen von den Toten Auferstandenen, tauschten Blicke untereinander, murmelten und suchten seine Hände zu fassen. „Ja, Genosse Tschumalow. So sieht das nun bei uns aus. Die Herren sind jetzt wir, ja. Die alten Herren haben wir alle fortgejagt. Und nun — Scheibenkleister. Alles geht zum Teufel! Der eine klaut Daubenholz, der andere montiert das Messing von den Maschinen, der dritte schneidet die Treibriemen ab. Feine Herren sind wir!"

Gleb aber sah sie der Reihe nach an und nickte ihnen freudig zu. „Aah, Böttcher, Schmiede, Elektriker, Schlosser, Kumpels!"

Gromada zwängte sich mit einem Stuhl in den Händen durch die Menschentraube und stellte ihn voll Dienstbeflissenheit neben Gleb.

„Tretet zurück, Genossen! Macht dem Genossen Tschumalow Platz! Er hat für uns in der Roten Armee gekämpft. Und da er ein Arbeiter unserer großartigen Fabrik ist, müssen wir ihn überall mit der Hand an der Mütze grüßen. Hätte der Genosse Tschumalow nicht faktisch gelitten, wäre er nicht über die ,Grünen' zur Roten Armee gegangen und so weiter, dann hätten vielleicht viele nicht den Schritt getan, in die Reihen der KPR einzutreten. Jetzt wisst ihr's, Genossen, was der Genosse Tschumalow für uns bedeutet."

Erneutes Stimmengewirr, Zurufe von allen Seiten. „Noch mal heil davongekommen, Freundchen? Gut so. Hier kannst du dich jetzt erholen. Willst dich doch erholen, nicht? Ist ja sowieso alles flötengegangen."

Gromada aber schwang seine knochigen Arme und schrie mit überschnappender, krächzender Stimme: „Genossen, wir alle, die Arbeiterklasse, wir kämpfen darum, die Produktion zu meistern, aber Schmach und Schande, Genossen, was für Panikmacher wir sind. Wir haben an den Fronten gesiegt und alles liquidiert, und da sollen wir nicht die Kraft haben, wieder eine richtige Arbeit anzupacken?"

Gleb schwieg, er sah in die von Typhus gezeichneten Gesichter der Arbeiter, sah auf den ausgemergelten Gromada (russ.: Riese, Ungetüm), den kleinen Mann mit dem großen Namen, der eben so große Worte von sich gab, und auf den buckligen Loschak und empfand wieder schmerzlich, dass er auch hier nicht die Wärme und Herzlichkeit fand, von der er unterwegs die ganze Zeit geträumt hatte. Seine Ankunft war wohl für alle eine Überraschung, aber hinter ihrem Lächeln und Zurufen fühlte er Kälte und Entfremdung. Die Menschen schienen restlos ausgeglüht, ein für allemal erkaltet. Selbst in Gromadas Ausbrüchen lag etwas Gequältes, bis zur Lächerlichkeit Überspanntes, als bemühe er sich, um jeden Preis leidenschaftlich zu sein. In gewisser Weise ähnelten alle diese Leute Brynsa und Dascha. Aber vielleicht kam ihm das nur so vor, weil das eigentümliche Wiedersehen mit Dascha ihn so verstimmt hatte?

„Ja, Freunde, ihr habt hier keine Fabrik, sondern einen Schutthaufen. Was habt ihr bloß gemacht, Kumpels? Unsereins hat immerhin so etwas wie gekämpft, und ihr — was habt ihr vollbracht? Ist euch nichts Gescheiteres eingefallen als Ziegen und Feuerzeuge?"

In den hinteren Reihen lachte jemand heiser auf. „Wenn wir uns hier nicht drangehalten hätten, hol's der Geier, dann wären wir längst alle wie die Fliegen krepiert. So wichtig ist die Fabrik nun auch wieder nicht!"

Dieses Lachen und diese nüchternen Worte schmetterten Gleb nieder: sie enthielten jene Alltagswahrheit, die jeden Träumer umwerfen kann. War dies nicht auch der Grund, warum der Fanatiker Gromada mit seinem Enthusiasmus sich so lächerlich und gottserbärmlich ausnahm inmitten dieser groben, hungrigen Leute? Das bösartige Lachen, die Missachtung gegenüber ihrer Fabrik, gegenüber sich selbst und ihrer Pflicht als Arbeiter machten Gleb rasend. Er suchte sich zu beherrschen, musterte die Arbeiter, und das Blut stieg ihm zu Kopf.

„Na und? Dann wärt ihr eben krepiert, aber das Werk hättet ihr in Ordnung halten müssen. Man kann doch nicht sein eigenes Gut zerstören und sich selbst ausplündern."

„Hoho, das Lied kennen wir, damit haben uns schon ganz andere in den Ohren gelegen!"

Loschak schlug gleichmütig nach einer Fliege, die sich auf seine Stirn setzen wollte, und sagte mit seinem tiefen Bass: „Gut, dass du wieder im Werk bist, Tschumalow. Wird sich auch für dich Arbeit finden. Werden das Kind schon schaukeln."

Gromada stierte Gleb mit brennenden Augen ins Gesicht und setzte immer wieder zum Sprechen an. Große Worte lagen ihm auf der Zunge, Worte, die er jedoch nicht bewältigen konnte.

Gleb nahm den Helm ab, legte ihn auf den Tisch und lächelte verlegen. In seinen Augen aber glomm noch die Wut.

„Da bin ich nun nach Hause gekommen, aber meine Frau hat nicht einmal ein liebes Wort für mich. Heutzutage erkennt man die eigene Frau nicht wieder. Alles ist zum Teufel. Trag mich wegen der Karten ein, Loschak, für Kantinenessen und Brot."

Die Arbeiter kamen in Bewegung, ihre Mienen hellten sich auf.

„Siehst du! Predigen kann jeder, aber der Bauch will essen. So ist's recht — bist unser Mann. Damit hättest du gleich anfangen sollen. Wer unter die Wölfe fällt, muss mit den Wölfen heulen. Der Bauch will eben essen."

Gromada redete hitzig auf die Arbeiter ein: „Genossen, Tschumalow ist doch einer von uns, gehört doch zu uns. Er hat an der Front gekämpft und so weiter ..." „Das ist ja auch unsere Rede. Der Bauch will essen."

Gleb stand auf und überflog die staubgraue Menge mit ruhigem Blick. Diese fast hölzerne Ruhe hatte etwas Verzweifeltes und gleichzeitig Bedrohliches. „Genossen! Was wollt ihr mir eigentlich beweisen? Der Bauch hat gar nichts damit zu tun. Den Bauch soll der Teufel holen. Einen Kopf muss man auf den Schultern haben. Ihr aber habt euren Kopf verloren, denkt nur noch an euer bisschen Leben — ihr seid ja keine Arbeiter mehr! Mich kriegt ihr so schnell nicht unter. Bitte schön, schreit, soviel ihr wollt, schimpft mich einen Bauch oder sonst was — mich trifft das nicht. Ich habe euch noch nichts weggegessen. Aber ich schäme mich für euch. Eine solche Zersetzung ist schlimmer als Verrat. Ihr seid ja verrückt geworden, Genossen. Gut, ich bin gerade erst zurückgekommen ... Aber wohin bin ich denn gekommen? Nach Hause doch! Glaubt ihr, ich werde jetzt herumfaulenzen wie ihr? Nein, Herrschaften — ich werde kämpfen, was meine Kräfte hergeben. Ihr habt gedacht, ich sei verreckt? Irrtum — ich habe gekämpft und werde weiter kämpfen. Die Partei und die Armee haben mir befohlen: Geh zurück in dein Werk und schlage dich dort für den Sozialismus, wie du es an der Front getan hast."

Die Arbeiter blinzelten verwirrt und traten von einem Fuß auf den anderen.

„Bring Schwung in die Sache, Gleb, ganz meine Meinung. Recht hast du. Und mein Buckel wird's schon aushalten. Sehr recht!"

Gromada lachte, lief vor dem Tisch auf und ab und glühte wie im Fieber.

Durchs Fenster sah man einen würdigen alten Herrn mit silbergrauem Bart den zementierten Pfad heraufkommen, er ging vornübergebeugt und stützte sich schwer auf seinen Stock. Ingenieur Kleist! Wieder kreuzte er Glebs Weg — wie damals, in den Tagen des weißen Terrors. Hinauslaufen und vor ihn hintreten, Auge in Auge — das müsste jetzt gut tun. Der Alte wäre sicher zu Tode erschrocken.

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