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II.
An den Bruder Michail, Petersburg, den 9. August 1838

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[Der Brief beginnt mit Erklärungen, warum D. seinem Bruder so lange nicht geschrieben hat: er hat keine Kopeke Geld gehabt.]

Es ist wahr, ich bin faul, sehr faul. Was soll ich aber tun, wenn das ewige Faulenzen meine einzige Bestimmung im Leben ist? Ich weiß nicht, ob meine trüben Gedanken mich je verlassen werden. Dem Menschen ist ja nur dieser einzige Seelenzustand beschieden: die Atmosphäre seiner Seele besteht aus einer Vermengung des Himmlischen mit dem Irdischen: welch ein unnatürliches Kind ist also der Mensch; denn das Gesetz der geistigen Natur ist in ihm verletzt ... Unsere Erde erscheint mir als ein Fegefeuer für himmlische Geister, die von sündigen Gedanken getrübt worden sind. Mir scheint, daß unsere Welt eine negative Größe geworden ist und daß alles Erhabene, Schöne und Geistige sich in eine Satire verwandelt hat. Wenn nun in dieses Bild eine Person gerät, die weder in der Idee noch im Effekt mit dem Ganzen übereinstimmt, mit einem Worte eine ganz unbeteiligte Person, was kann da aus dem Bilde werden? Das Bild ist verdorben und kann nicht weiter bestehen.

Wie schrecklich ist es aber, nur die rauhe Hülle, unter der das Weltall verschmachtet, zu sehen! Zu wissen, daß eine einzige Anspannung des Willens genügt, um diese Hülle zu sprengen, um mit der Ewigkeit eins zu werden; dies alles zu wissen und dabei wie die letzte der Kreaturen zu leben ... Wie schrecklich! Wie kleinmütig ist der Mensch! Hamlet! Hamlet! Wenn ich an seine aufrührerische wilde Rede denke, in der das Stöhnen der ganzen erstarrten Welt wiederklingt, so entringt sich meiner Brust kein einziger Vorwurf, kein einziger Seufzer ... Die Seele ist dann so sehr von Gram bedrückt, daß sie sich scheut, diesen Gram ganz zu erfassen, um sich selbst nicht zu zerfleischen. Pascal hat einmal gesagt: Wer gegen die Philosophie protestiert, der ist selbst Philosoph. Eine armselige Philosophie!

Ich habe mich aber verplaudert. Von allen deinen Briefen habe ich außer dem allerletzten nur zwei bekommen. Nun, Bruder, du klagst über deine Armut. Auch ich bin nicht reich. Du wirst mir wohl gar nicht glauben wollen, daß ich beim Auszug aus dem Lager nicht eine Kopeke hatte; unterwegs habe ich mich erkältet (es regnete den ganzen Tag und wir waren ohne Obdach), bin auch vor Hunger erkrankt, und hatte dabei kein Geld, um mir die Kehle mit einem Schluck Tee anzufeuchten. Ich habe mich später erholt, litt aber im Lager die bitterste Not, bis endlich das Geld von Papa kam. Ich bezahlte meine Schulden und verbrauchte den Rest.

[D. ergeht sich noch weiter über die Lage des Bruders und seine eigenen Geldschwierigkeiten.]

Es ist aber Zeit, von etwas anderem zu sprechen. Du rühmst dich, daß du so viel Bücher gelesen hast ... Bilde dir aber bitte nicht ein, daß ich dich darum beneide. Auch ich habe in Peterhof mindestens ebensoviel gelesen wie du. Den ganzen Hoffmann russisch und deutsch (d. h. den noch nicht übersetzten Kater Murr), und fast den ganzen Balzac. (Balzac ist groß! Seine Charaktere sind Schöpfungen eines weltumfassenden Geistes! Nicht der Zeitgeist, sondern ganze Jahrtausende haben in ihrem Ringen in der Seele des Menschen eine solche Entwicklung und Lösung gezeitigt!) Ferner Goethes Faust, seine kleineren Gedichte, Polewojs Geschichte, Ugolino und Undine (über Ugolino will ich dir ein anderes Mal ausführlicher schreiben); schließlich Victor Hugo (außer Cromwell und Hernani).

Lebe wohl. Schreibe mir bitte möglichst oft, denn deine Briefe sind mir eine Freude und ein Trost. Beantworte diesen Brief sofort. Ich erwarte deine Antwort in zwölf Tagen. Spätestens. Schreibe mir, damit ich nicht verschmachte.

Dein Bruder F. Dostojewskij.

Ich habe ein neues Projekt: verrückt zu werden. Mögen sich nur die Leute wie wild gebärden, mögen sie mich kurieren, mögen sie versuchen, mich vernünftig zu machen! Wenn du den ganzen Hoffmann gelesen hast, so kannst du dich gewiß an Alban erinnern. Wie gefällt er dir? Es ist schrecklich, einen Menschen zu sehen, der das Unfaßbare in seiner Macht hat, der nicht weiß, was damit anzufangen, und mit einem Spielzeug spielt, welches Gott heißt!

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