Читать книгу Mist, die versteht mich ja! - Florence Brokowski-Shekete - Страница 7
Vorwort
Оглавление»Wo kommen Sie eigentlich her?«
Das ist wohl die am häufigsten gestellte Frage in meinem Leben – gefühlte mehrere Millionen Mal – in Wirklichkeit dann doch nur ein paar Tausend Mal. Dennoch, oft genug – in Cafés, bei Bewerbungsgesprächen, am Rande von Sitzungen, auf Feiern, beim Einkaufen – auf diese Frage ist Verlass – bis heute. Sie ist stets der Garant für amüsante Begegnungen, zumindest für mich.
Woher ich komme? Meist antworte ich damit, meinen aktuellen Wohnort zu nennen. Mein Gegenüber, sichtlich unzufrieden mit dieser Auskunft, setzt dann an, die Frage zu präzisieren. »Nein, wo Sie wirklich herkommen.« Ah ja, ich verstehe und nenne meine Heimatstadt – Buxtehude – die kenne er doch, oder? Mein Gegenüber, merklich nervös, fast schon peinlich berührt, jedoch entschlossen, nicht aufzugeben, setzt nochmals an: »Nein, ursprünglich.« Nun nenne ich meine Geburtsstadt – Hamburg – und bringe ihn vollends aus der Fassung. Nur die Wenigsten nennen das Kind beim Namen, trauen sich das zu fragen, was sie doch so brennend interessiert, nämlich, wo meine Vorfahren herkommen, warum meine Aussprache so gar nicht mit meinem Äußeren harmoniert, kurz: warum ich Schwarz bin, warum ich Deutsch spreche. Warum fällt es den Menschen nur so schwer, warum ist es ihnen geradezu peinlich, genau das zu fragen, was sie doch so dringend wissen möchten? Bei vielen von ihnen habe ich den Eindruck, als kämpften sie mit einem selbst auferlegten Benimmkodex, der ihnen verbietet, solche Fragen zu stellen. Gleichzeitig wollen sie jedoch die Antwort wissen, verspüren eine Neugierde und versuchen diese zu tarnen, indem sie ungelenk, fast schon verschämt, diese Frage in ein wissenschaftliches Forschungsmäntelchen hüllen. Entweder erzählen sie mir von Auslandssemestern, die sie in Afrika verbracht haben, berichten begeistert, dass Afrikanisch ohnehin eine sehr schöne Sprache sei oder fragen mich übertrieben interessiert, ob ich afrikanisch kochen könne. Dass Afrika kein Land ist, Afrikanisch keine Sprache und man ebenso wenig afrikanisch wie europäisch kocht, behalte ich zunächst für mich. Dann ertappt, verstricken sie sich in Erklärungen, die die Situation für mich nur noch amüsanter, für sie jedoch noch unbehaglicher werden lässt.
Ich habe den Eindruck, dass das, was man in Deutschland auch im 21. Jahrhundert als normal ansehen möchte, noch lange nicht normal ist. Was auch immer das Wort »normal« in diesem Zusammenhang bedeuten möge. Deutschsein wird noch immer mit einer weißen Hautfarbe verbunden und ausschließlich auf das Äußere reduziert. Dass es zwischenzeitlich Millionen von Menschen gibt, denen man ihr Deutschsein zwar nicht ansieht, eben weil sie nicht »deutsch« aussehen, sich aber der deutschen Kultur nicht nur verbunden, sondern zugehörig fühlen, ist im Innersten vieler Menschen, die sich als »biodeutsch« verstehen, bei aller Weltoffenheit, noch immer nicht restlos angekommen. Nicht aus einer Böswilligkeit heraus, zumindest nicht bei jenen, die sich glaubwürdig als weltoffen, kosmopolitisch und zugewandt bezeichnen und auch so leben.
Mein Deutsch ist lupenrein, der norddeutsche Akzent, inzwischen durch einen leicht badischen Singsang gefärbt, ist deutlich herauszuhören. Dennoch werden mir deutsche Idiome und einzelne Worte extra erklärt, verbunden mit der Frage, wie diese denn in »meiner« Sprache hießen. Dass ich mit meinem Gegenüber bereits über einen längeren Zeitraum problemlos eine Konversation in deutscher Sprache geführt habe, scheint dieser überhört zu haben. Die visuelle Wahrnehmung hat die akustische überlagert, im wahrsten Sinne des Wortes »ausgeschaltet«. Ein Mensch mit einer anderen Hautfarbe muss einfach woanders herkommen, die Sprache nicht verstehen und auch sonst kulturell anders gestrickt sein. Anders kann es nicht sein, sonst würde das Weltbild einiger erschüttert, egal, welchen Hintergrund sie haben. Erstaunlicherweise wurden mir in den letzten Jahren die aberwitzigsten Fragen von den vermeintlich gebildetsten Menschen gestellt. Denn eines scheinen diese Leute zu vergessen: Ein akademischer Titel macht aus einer Grenzüberschreitung keinen wissenschaftlichen Diskurs. Anzunehmen, dass eine Schwarze Frau in Begleitung eines weißen Mannes ein Urlaubsmitbringsel sein muss, ist ebenso absurd wie zu glauben, dass er sie bezahlt habe. Ebenfalls ist die Vorstellung, dass viele vermeintlich ausländische Menschen bereits in der zweiten oder gar dritten Generation in Deutschland leben, vielen dieser Leute fremd. Die ehrliche Antwort wird nicht gehört, nicht akzeptiert, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Oder vielleicht sogar umgekehrt? Niemand mit dunkler Hautfarbe kommt »einfach« mal so aus Hamburg und schon gar nicht aus Buxtehude, das geht einfach nicht. Als ich die Frage, zu wessen Beerdigung ich führe, mit: »Zu der meines deutschen Onkels«, beantwortete, wurde ich von einem Fremden korrigiert: »Aha, ein Bekannter, ein quasi Onkel also.« Mein Gegenüber erklärte mir meine Familienverhältnisse, denn wie könnte ein weißer alter Mann mein Onkel sein?! Prinzipiell ist gegen ein Interesse an meiner Person nichts einzuwenden, zeugt es doch von einer gewissen Neugier, die den Weg zu einer Offenheit bahnen kann. Diese Fragen nicht zu beantworten, nicht zu erläutern, halte ich daher für ungeschickt. Seine Antworten jedoch jedes Mal rechtfertigen zu müssen, ist mühsam und ermüdend.
Kinder sollen fragen, nur so lernen sie. Soll das für Erwachsene nicht gelten? Ist es beleidigend, wenn eine Oma die Erlaubnis für ihr Enkelkind einholt, die braune Haut einmal anfassen zu dürfen, weil das Kind sich frage, ob diese abfärbe? Würde ein »Nein« dem Kind helfen, diese Frage zu »begreifen«? Natürlich können diese Fragen, besonders von wildfremden Menschen, eine anmaßende Grenzüberschreitung bedeuten. Es ist nicht immer lustig, im Supermarkt zwischen Obst und Gemüse eine Kurzfassung der eigenen Biografie zu präsentieren, die dann womöglich auch noch hinterfragt wird. Wie geht man damit um, wenn das Interesse so weit reicht, dass einem Menschen ungefragt in die Haare fassen, weil sie wissen möchten, wie sich diese anfühlen?
Neugier, die von einem ehrlichen Interesse zeugt, macht Freude und ich begegne ihr mit einer ebensolchen Zugewandtheit. Grenzüberschreitungen jedoch sind inakzeptabel.
Im Normalfall kommen wir ins Gespräch und mein Gegenüber lauscht gebannt und will mehr wissen. Doch nicht immer reicht die Zeit, sodass es am Ende oft heißt: »Mensch, Sie sollten ein Buch schreiben!«
Ein Buch schreiben? Ist meine Geschichte denn wirklich so spannend? Ein Buch über mich, meine Herkunft, meinen Vater, meine Mutter und meine Mama? Über die Tatsache, Einzelkind mit vier Geschwistern zu sein? Über die Alltagserlebnisse in Deutschland als Mensch, Mädchen, Frau mit afrikanischer Herkunft? Darüber, dass diese Erlebnisse nicht immer etwas mit Alltagsrassismus zu tun haben, es diesen aber durchaus gibt? Darüber, wie diese Erlebnisse gehört, empfunden, aufgenommen und verstanden werden können, aber nicht müssen? Darüber, dass es manchmal einfach eines Perspektivwechsels bedarf, um zu verstehen, was der andere warum sagt? Darüber, wie es sich anfühlt, aufgrund einer anderen Hautfarbe optisch immer herauszustechen, immer anders zu sein und eigentlich nie wirklich dazuzugehören? Darüber, immer besser und fleißiger sein zu müssen als die anderen, um wenigstens als annähernd ähnlich qualifiziert angesehen zu werden? Dies jedoch schon als normal zu empfinden und nicht mehr zu spüren? Darüber, stets adrett gekleidet sein zu müssen, um als halbwegs ordentlich angezogen zu gelten? Darüber, es gewohnt zu sein, beruflich stets über die eigenen Grenzen zu gehen, ohne wahrzunehmen, dass das nicht gesund ist? Sich gar eine »Karriere« anzumaßen?
Dass der Begriff »Neger« schon lange vor der Political Correctness nicht mehr salonfähig war, ist jedem bekannt. Auch der Sarotti-Mohr war noch nie wirklich niedlich. Und die Erklärung »Wir meinen es ja nicht böse, aber so sagt man bei uns nun mal« war schon immer beliebig.
Ich könnte schreiben, dass es dennoch verständlich ist, dass Jahrhunderte lang benutzte Begriffe nicht mit einem Fingerschnippen aus dem Sprachgebrauch und den Köpfen verschwinden. Ich könnte beschreiben, dass all dies nicht schwächt, sondern ganz im Gegenteil stärkt. Und, dass fortwährendes Brückenbauen eine Last sein kann, aber nicht sein muss und durchaus eine Bereicherung darstellt.
Und ich könnte beschreiben, wie es mir gelungen ist, die Dinge so zu sehen, wie ich sie sehe und zu welchem Preis.
Ein Buch? Ja, warum eigentlich nicht!