Читать книгу Feuermal - Florian Bellows - Страница 9

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„Hey, hast du einen Moment?“, tönt eine Reibeisenstimme hinter ihr. Bella, gedanklich schon in der Badewanne, fährt zusammen. Sie lässt vor Schreck ihre Tasche hart auf dem Kofferraumboden aufschlagen.

„Wer will das wissen?“, fragt Bella und bemüht sich um Contenance.

Hinter ihr steht ein Mann – zwei, vielleicht drei Köpfe größer als sie. Er trägt ein weißes ungebügeltes Hemd und dreckige Jeans. In seinem Mundwinkel glimmt eine Zigarette. Seine fettige Haut glänzt. So sehr, dass seine Halbglatze das Tageslicht reflektiert. Insgesamt macht der Mann keinen sonderlich sauberen Eindruck. Es beschleicht Bella das Gefühl, dass sich dieser Typ an sie herangeschlichen hat.

»Wieso habe ich die Zigarette nicht gerochen?«, fragt sich Bella. „Verzeihen Sie die blöde Frage, aber kenne ich Sie?“, hakt Bella nach. Sie bekommt unerklärlicherweise Gänsehaut an den Armen.

„Du hast es echt drauf!“, sagt der Fremde. „Hast die kleine Teresa solange bearbeitet, bis sie der blöden Schnepfe, die ihr die Haare abgeschnitten hat, nicht mehr böse sein konnte. Gratulation, Frau Pankow!“

Der Mann applaudiert.

Plötzlich schrillen bei Bella die Alarmglocken.

„Sind sie Teresas Vater?“, fragt Bella. Bisher hatte Bella nur Teresas Mutter kennengelernt. Die Väter interessieren sich für gewöhnlich weniger für die Schule. Trotzdem, so hat sich Bella Teresas Papa nicht vorgestellt. „Hat Ihnen Teresa erzählt, was heute passiert ist? Lassen Sie mich erklären.“

Bella will vermitteln. Sie sucht nach einer Möglichkeit, das Gespräch so anzugehen, dass es zu keinen verfrühten Schuldzuweisungen kommt.

„Spar dir die Mühe“, meint der Fremde und grinst ein Grinsen, das man – passend zur Erscheinung des Mannes – nur als dreckig bezeichnen kann. Er tippt sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. „Ich bin praktisch dabei gewesen.“

Bella ist irritiert.

„Wie meinen Sie das? Der Vorfall hat sich doch in meinem Klassenzimmer zugetragen.“ Bella versucht, die Worte des Mannes so auszulegen, dass sie einen Sinn ergeben. „Sind Sie wütend? Das verstehe ich. Ich bitte Sie dennoch darum, nicht voreilig zu handeln. Wir sollten einen Weg finden, wie sich die beiden Mädchen wieder in die Augen schauen können.“

„Da fällt mir nur eine Methode ein“, unterbricht sie der Mann. „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Der Mann mimt eine Schere mit seiner linken Hand und fährt Bella durch das Haar. „Schnipp, schnapp, Haare ab!“

Bella braucht einen Moment, um den Eingriff in ihre Privatsphäre zu verdauen.

»Heilige Scheiße!«, denkt Bella. »So ein krankes Arschloch von Vater!«

„Das ist keine gute Lösung!“ Bella gibt sich vehement. „Hören Sie zu, ich weiß – das, was Rahel getan hat, ist kein Kinkerlitzchen. Aber Kinder streiten tagtäglich. Beizeiten auch heftiger und manchmal fliegen auch die Fetzen. Aber genau so schnell wie sie sich gestritten haben, vertragen sich Kinder auch wieder.“

„Was hältst du davon, wenn ich der scheiß Kackbratze persönlich den Schädel rasiere?“

„Sollten Sie Rahel zu nahe kommen, sehe ich mich gezwungen, die Polizei zu verständigen.“

»Scheiße, aber zuerst muss ich meinen Chef einschalten«, denkt Bella. »Am besten jetzt sofort!«

Bella schließt den Deckel ihres Kofferraums. „Könnten Sie bitte kurz hier warten? Ich möchte meine Schulleitung gerne zu unserem Gespräch dazuholen.“

Bella macht sich bereit, zu rennen, sollte der Kerl auf die Idee kommen, ihr zu folgen.

„Bella, seit wann verstehst du denn keine Späßchen mehr?“, verhöhnt sie das Arschloch. „Du hast es immer noch nicht gecheckt, oder? Ich bin nicht der Vater dieser dummen Göre.“

Damit bröckelt der Hohn wie nasser Putz aus dem Gesicht des Mannes. Zurück bleibt das Fundament. Die obszöne Grimasse eines Raubtiers, das die Zähne bleckt.

„Wer bist du dann?“, schnaubt Bella. Wenn der Irre sie duzt, tut sie das auch. Es bahnt sich eine Migräne an. Der Schmerz dazu strahlt aus ihrem karamellbraunen Feuermal aus.

„Vielleicht hilft dir das ja auf die Sprünge.“

Der Mann präsentiert Bella zwei schwielige Pratzen samt dreckiger Nägel und wackelt die Finger.

„Hokus Pokus!“, sagt der Mann und lässt die Hände mit mystischem Trara kreisen. „Fidibus!“

Die Hände des Mannes sausen auf Bella zu. Bella versucht, den Schlag abzuwehren. Jetzt bereut sie es, nicht gleich gerannt zu sein.

Der erwartete Schmerz bleibt aus. Stattdessen fördert der Fremde einen weißen Zylinder zutage. Er streicht mit Daumen und Zeigefinger über die Krempe des Hutes und setzt ihn sich auf. Das seidig glänzende Stück passt wie angegossen.

„Simsala-Bim!“

Bellas Beine werden schwer wie Blei. Ihr Zorn kühlt auf absolut Null herunter. Zerberstet wie eine Bologneser Träne.

„Oh, nein“, haucht Bella. „Felix Struwwelpeter… Der Zauberer.“

Bilder eitriger Geschwüre an Armen und Beinen, eines Kleides, das aus Stacheldraht gewoben und das der kleinen Bella an den Leib geschneidert worden ist, von einem Käfig voller Ratten schießen Bella in den Kopf.

„Wie konnte ich dich nur vergessen…? Wie, wie ist das möglich…?“

„Na, was sagt man dazu? Du erinnerst dich ja doch. Hast du mich vermisst, Bella-Schatz?“

Bella igelt sich ein, wirft die Arme über den Kopf, zieht die Knie an und betet, dass sie bloß einen Albtraum hat.

»Mach, dass mir mein Gehirn nur einen bösen Streich spielt!«

Doch Felixs unsichtbare Hände finden problemlos ihren Weg durch Bellas mickrige Verteidigung hinein in ihren Körper. Er zupft an Bellas Nervensträngen wie an den Saiten einer Harfe. Bella erleidet die wildesten Halluzinationen. Purpurrote Spinnen und fingergliedgroße Ameisen klettern ihre Extremitäten empor, schlüpfen durch ihre Kleidung und beißen sie in ihr Fleisch. Bella hört das Gefiepe Tausender Ratten, die immer näherkommen. Riecht einen Geruch nach Desinfektionsmittel, Krankenhaus, Verwesung, Tod.

Bella kreischt, doch kein Geräusch verlässt ihre Lippen. Alles findet in ihrem Kopf statt.

„MACH, DASS ES AUFHÖRT!“, presst Bella durch geknirschte Zähne.

„Erinnerst du dich jetzt?“, fragt Felix Struwwelpeter, die Reibeisenstimme dick mit Spott belegt. Er drosselt ihren Schmerz. Lässt sie gegen ihren Willen aufstehen. „Dieses Mal gibt es niemanden, der dich beschützt. Keinen Ritter in goldener Rüstung.“

Bella ringt um Atem. Sie gibt sich größte Mühe, bei Bewusstsein zu bleiben.

»ICH MUSS AN DAS NOTIZBUCH HERANKOMMEN!«, denkt Bella in Großbuchstaben. »WIE BESCHISSEN KANN EIN TAG EIGENTLICH SEIN?«

Felix kommt einen Schritt näher, legt Bella eine große Hand auf die Schulter, die andere auf ihren Arsch. Neben den sehr realen Schmerzen überzeugt Bella die intime Berührung endgültig davon, dass sie nicht nur schlecht träumt.

„Die anderen sind schon so gespannt, dich nach so langer Zeit wiederzusehen.“ Felix schnuppert an Bellas Nacken. Ihr dringt sein unausstehlicher Moschus-Geruch in die Nase. „Du bist hübsch geworden, Bella. Ich würde dich sofort rannehmen, keine Frage. Richtig gut ficken.“

Bella versucht vergebens, ihrem Körper ihren Willen aufzuzwingen. Ihn zu bewegen. Irgendwohin. Weit weg von diesem Scheusal. Gegen die Macht des Zauberers ist Bella chancenlos. Sie stöhnt, zischt, keucht. Nicht einmal die Fähigkeit zur Artikulation lässt er ihr.

„Ich stelle dir schon eine Weile nach, Bella. Ich bin in deinen Kopf geschlüpft. Hab‘ die Welt durch deine Augen gesehen. Mhm, ich hab‘ dich beim Duschen und beobachtet und dabei, wie du es dir selbst gemacht hast. Das ist so einfach gewesen.“ Felixs Hand wandert zwischen Bellas Beine. Reiben dort eine empfindliche Stelle. Bella droht, sich zu verlieren. Die Wärme, die sich in ihrem Körper ausbreitet, ist angenehm. „Der Dicke König will dich sehen. Deswegen muss ich dich nun leider bitte, mitzukommen.“

Bella sieht wehrlos mit an, wie ihr Peiniger ein böses Spiel mit ihr treibt. Sie weint eine heiße Träne. Felix nimmt das erneut als Anlass für seinen Hohn.

„Och, arme Bella!“, mokiert er sie. „Hast du wirklich geglaubt, du wärst uns losgeworden? Vor Albträumen kannst du nicht wegrennen. Wir holen dich immer und immer wieder ein. Wir sind ein Teil von dir.“

Felix stupst Bella auf die linke Brustseite und begrabscht anschließend Bellas C-Körbchen. Seine unsichtbaren Hände finden ihren Weg durch Bellas Augenhöhlen hinein in ihren Schädel. Er windet ihr das Gehirn aus.

Bella verliert – gnädigerweise – das Bewusstsein.

Feuermal

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