Читать книгу Die Neue Welt - Florian Hoffmann - Страница 19

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Berlin Mitte. Ich sitze auf dem Campus der DO School in einem Café. Durch die Glastür sehe ich, wie ein steter Strom von Menschen vorbeizieht. In Richtung Galerien nebenan, der Internationalen Schule gegenüber, der Stiftung in den oberen Stockwerken. Neben mir sitzen Luna* und Finn*, beide 18 Jahre alt, frisch getestet und mit einem Becher Tee in der Hand. Wir sprechen darüber, wie sich die Pandemie für Schüler:innen und junge Menschen anfühlt. Wie es war, Abitur ohne Abifeier zu machen. Über das Highlight des letzten Schuljahres: ein heimliches Treffen zu dritt und mit Bier im Park. Und wie wenig sie in den letzten Monaten von der Schule mitgenommen haben. Im Vergleich zu anderen sind sie ganz gut durchgekommen, sagen sie. Dennoch treibt sie etwas um, das ich seit Jahren immer wieder von Abgänger:innen aller Schularten höre: das Gefühl, nicht zu den 20 Prozent der Jugendlichen zu gehört, die wissen, was sie mit ihrer Zukunft anstellen wollen. Acht von zehn Schulabgänger:innen hören deshalb auf den Rat ihrer Eltern oder ihrer Freund:innen, was sie als Nächstes tun sollen – Ausbildung, Studium, arbeiten, soziales Jahr, auf Reisen gehen. Auch wenn diese Ratschläge noch so gut gemeint sind, wie gut können sie sein? In einer Welt, in der sich so gut wie alles ändert. Man anscheinend alle Chancen hat und zugleich keine.

Wir kennen alle das Spannungsfeld: Schulbildung muss sich komplett verändern, weil unser lineares Bildungssystem aus der Zeit der Industrialisierung stammt. Damals wusste man grob, was der Arbeitsmarkt braucht, um Fortschritt zu erzielen, dafür bildete man aus. Doch unsere heutige Gesellschaft und Wirtschaft funktionieren anders, insofern reicht es nicht aus, bloß nachzujustieren. Lichtblick: 2020, mitten in der Pandemie, wurde die Rekordsumme von 16,1 Milliarden US-Dollar in Bildungsfirmen investiert, eine 32-fache Vervielfachung gegenüber 2010.

Ich schenke eine Runde heißen Tee nach. Luna spricht ganz offen über ihre Angst, die sie gegen Ende ihrer Schulzeit hatte. Und was diese Angst vor der Zukunft bei ihr ausgelöst hat: »Die Schule hat mir alles vorgegeben, ich musste nur im Rahmen funktionieren, aber als es dann auf’s Abi zuging, kamen mir Zweifel, ob ich das Leben jenseits der Schule überhaupt leben kann. Komme ich alleine zurecht? Bisher hatte ich ja immer nur mitgemacht.« Die Umfrage »Youth Recovery Plan« des World Economic Forum, an der etwa 200 000 Jugendliche aus 187 Ländern teilnahmen, kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass sich über die Hälfte am Ende ihrer Schulzeit unzureichend für die Zukunft vorbereitet fühlen. Zudem gab ein Viertel aller Teilnehmer:innen an, Schulden machen zu müssen, wenn bei ihnen eine unerwartete Krankheit auftritt. Für mich passen diese Zahlen ins Bild: Wirtschaftliche Zwänge, gefühlte Alternativlosigkeit und Druck führen seit Jahren dazu, dass junge Menschen nach der Schule zielstrebig ihre Ausbildung vorantreiben. Um dann mit dem Eintritt ins Berufsleben festzustellen, dass ihnen das Studium der Betriebswirtschaftslehre, Rechtswissenschaften oder Architektur weder Sicherheit noch Orientierung bieten kann.

Das wichtigste Ziel sollte für Schüler sein, nach ihrem Abschluss zu wissen, wer sie sind, was sie wollen, wie Leben funktioniert. Auch um hoffnungsvoll in die Zukunft blicken zu können. Die Schulen vermitteln diese Kompetenz (noch) nicht – also müssen wir uns selbst darum kümmern.

Luna

Luna und Finn haben sich entschieden, ihren Weg anders zu gestalten. Sie sind fertig mit der Schule. Bevor sie die nächsten Schritte planen, suchen sie erst einmal nach Antworten. Wollen herausfinden, wer sie sind, was sie antreibt, was sie gut können, was sie begeistert. Durch Praktika in verschiedenen Unternehmen wollen sie Erfahrungen sammeln. Und sie suchen den Austausch mit Menschen, die bereits ihren Weg gefunden haben: Wie haben sie das angestellt, wo liegen die Hürden, würden sie heute eine andere Route wählen? Leicht war es nicht, so Finn, seinen Freund:innen zu erklären, dass er erst mal versuchen will, mehr über sich selbst zu erfahren. Die meisten haben sofort mit einem Studium angefangen, »irgendwas, irgendwo«.

Erst mal loslassen.

Gib dir die Chance, deine Stärken zu entdecken.

Der Weg öffnet sich.

Luna und Finn lassen sich nicht beirren. Die beiden erzählen, wie viel Spaß es macht, zusammen mit anderen ein konkretes Thema anzugehen und zu erkennen, wie man Probleme innerhalb einer Gruppe lösen kann. Wie sie lernen, Entscheidungen zu treffen, auch in komplexeren Situationen, und dadurch selbstbewusster werden. Wie sie sich informieren, welche Berufe es heute schon gibt und welche vielleicht morgen. Wie es ist, sich schon mit 18 bezüglich der eigenen Stärken coachen zu lassen – und nicht erst mit 40. Wie stolz sie sind, sich Zeit zu lassen, und wie sich auch innerhalb ihres Freund:innen- und Bekanntenkreises Skepsis in Unterstützung verwandelt.

Als wir uns fast schon verabschiedet haben, dreht sich Luna noch mal um und sagt den zentralen Satz: »Durch das letzte Jahr habe ich Fähigkeiten gelernt, die jeder in der Schule lernen sollte. Aber viel wichtiger: Ich habe das Gefühl, meine Welt ist aufgegangen. Ich habe meine Angst überwunden, und zum ersten Mal freue ich mich auf die Zukunft.«

Vielleicht denkst du jetzt, dass du keine Zeit hast, erst einmal eine Phase der Orientierung einzuschlagen. Deine Familie, deine Freund:innen oder du selbst konkrete Erwartungshaltungen haben, die eine solche Freiheit fast unmöglich machen. Oder du stellst dir die Frage, wie das überhaupt gehen soll: Raum schaffen, um über Zukunft nachzudenken. Deshalb entfernen wir uns jetzt wieder von Berlin und besuchen Überzeugungstäter:innen, die Menschen neue Perspektiven geben wollen. Und dafür ganze Institutionen in Richtung Zukunft schubsen.

Die Neue Welt

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