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Anthropozän, Animismus und Post-Humanismus

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Doch die Frage, wer oder was hier eigentlich repräsentiert wird, zieht noch weitere Kreise: In den letzten Jahren hat sich zunehmend die Vorstellung durchgesetzt, dass wir in einem neuen Zeitalter leben, dem Anthropozän; einer Ära, die, wie der Name sagt, maßgeblich vom Menschen beeinflusst ist.

Dass die Menschheit den Planeten massiv verändert hat, mag erst einmal nicht weiter überraschend klingen. Das Konzept des Anthropozän allerdings geht buchstäblich tiefer; es ist kein kulturhistorisches, sondern ein geochronologisches: Die Spuren der Menschheit lassen sich nicht nur an der Oberfläche, sondern langfristig oder gar für immer in den geologischen, biologischen und atmosphärischen Prozessen der Erde nachweisen.

Dieser Befund hat auch in der Kunst die drängende Frage nach grundlegend anderen Lebensmodellen aufgeworfen, darunter diverse Varianten eines neuen Materialismus und Theorien eines Trans- oder Posthumanismus (der in verschiedenen Spielarten den Menschen zumindest aus dem Zentrum der Schöpfung vertreibt, ihn neu konfiguriert – oder gar ganz abschafft). Dabei ist vor allem das ursprünglich aus der Ethnologie des 19. Jahrhunderts stammende Konzept des Animismus – also die Auffassung, dass alles auf der Erde Seele oder Geist habe, auch Tiere, Pflanzen, Steine, Flüsse … – zum Ausgangspunkt zahlreicher neuer Überlegungen geworden. Im künstlerischen Diskurs hat besonders eine Ausstellung gleichen Namens im Berliner Haus der Kulturen der Welt (2012) die Grenzen zwischen Leben und Nicht-Leben verwischt und so, als Kritik am Entweder-oder-Dualismus der Moderne, einen anderen Blick auf uns umgebende »belebte Materie, beseelte oder sozialisierte Natur, handelnde Dinge, Geister, Verwandlungen«32 und deren Repräsentation gefordert.

Einer der prominentesten Vertreter einer solchen Grundsatzkritik an der Moderne ist – neben der Biologin und Feminismustheoretikerin Donna Haraway und der Philosophin Isabelle Stengers – der französische Wissenschaftssoziologe Bruno Latour, der das Soziale um nichtmenschliche Akteure erweitern und die Unterscheidung zwischen vermeintlichen Gegensätzen wie Subjekt und Objekt auflösen will. Das von ihm entworfene »Parlament der Dinge« soll Menschen, Tieren, Pflanzen, Gegenständen als AkteurInnen und »AktantInnen« (wie er nichtmenschliche AkteurInnen bezeichnet) ermöglichen, gemeinsam selbst zu bestimmen, wie sie überhaupt entscheiden und wie sie zusammenleben wollen.33

Sich dies als eine, wenn auch utopische, Theateraufführung vorzustellen, ist vermutlich nicht verkehrt. Schließlich stammt der Ausdruck »AkteurIn« – ein zentraler Begriff in Latours Theorie –, wie er selbst an anderer Stelle schreibt, »aus der Bühnenwelt.« Ihn »zu verwenden bedeutet, dass nie klar ist, wer und was handelt, wenn wir handeln, denn kein Akteur auf der Bühne handelt allein.«34 Man kann dabei an den polnischen Theatererfinder Tadeusz Kantor denken, der in legendären Arbeiten wie Die tote Klasse (1975) Puppen, Gegenstände und SchauspielerInnen als gleichberechtigte PerformerInnen verstand. Menschen und Dinge verschmelzen zu »Bio-Objekten«.

Und so schließt die Auseinandersetzung mit Repräsentation im Theater, konsequent weitergedacht, auch nichtmenschliche Wesenheiten mit ein, wenn etwa Mette Ingvartsen in evaporated landscapes (2009) imaginäre Landschaften aus Nebel und Licht choreografiert, Jozef Wouters das Naturhistorische Museum in Brüssel um ein Zoological Institute for Recently Extinct Species (2013) erweitert oder David Weber-Krebs in seinem Langzeit-Projekt Balthazar (seit 2011) einen Esel als ziemlich eigensinnigen Performer auf die Bühne und damit die anderen SchauspielerInnen in die Situation bringt, immer antizipieren zu müssen, wie das Tier reagiert, wie es handelt, wie es den Raum begreift.35

Solche Arbeiten werfen in erster Linie Fragen auf; Fragen, die auf den politischen Tagesordnungen in der Regel nicht gerade weit oben stehen. Wie jene, die zum Ausgangspunkt für das spielerische Projekt Animals of Manchester (including HUMANZ) (2019) der Hamburger Theatermacherin Sibylle Peters wurden: »Was, wenn Tiere die gleichen Rechte hätten, Bürgerrechte hätten; was, wenn wir Menschen das Recht hätten, unsere Tierhaftigkeit einzufordern, wenn keine Spezies besser oder schlechter wäre als die andere?«36 Unter anderem beeinflusst von Donna Haraway37 entwarf das dreitägige Projekt die Vision einer Stadt, in der »alle Arten von Tieren, einschließlich Menschen« gemeinsam erprobten, wie Frieden zwischen den Spezies aussehen könnte:*

Eine heterotopische Zone samt essbarem Einkaufszentrum für Eichhörnchen und Vögel, einem Rathaus mit einer Konferenz der Tiere inklusive einer pensionierten Milchkuh als Bürgermeisterin, Tauben und Mikroben, ein Friedhof im Gedenken an ausgestorbene Arten, eine Universität, in der Hunde und andere Haustiere Menschen unterrichten, ein Käfer-Filminstitut und eine Life Art-Bücherei, die Tieren als KünstlerInnen und PerformerInnen gewidmet ist.38

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