Читать книгу Skiria - Fran Rubin - Страница 10
VI.
ОглавлениеJanus wirkte zufrieden. Dass nun drei Kameraden und eine Kameradin mit ihm durch die Wälder zogen, brachte Vorteile mit sich. Wegelagerer und angriffslustige Waldbewohner bevorzugten eher allein Reisende und hielten sich von Gruppen fern. Sollte trotzdem ein Räuber einen Überfall wagen, hatten sie weitaus bessere Chancen, sich zu verteidigen als eine einzelne Person.
Der große Schwarzhaarige erweckte zwar den Eindruck eines jähzornigen Egoisten, doch er schien sich in den Wäldern gut auszukennen und führte sie zielsicher durch Gebiete, in denen jeder andere wohl die Orientierung verloren hätte. Nun streifte Janus nicht mehr planlos durch die Gegend, sondern hatte eine Aufgabe und ein Ziel. Drachen aufzuspüren, fand er spannend und sinnvoll, und auch die Stadt zog ihn magisch an. Eventuell hegte Skiria ähnliche Absichten. Wenn es ihr gelang, Umiena zu erreichen, träfen sie sich dort womöglich.
Irian erwies sich während ihres Marsches als kameradschaftlicher Gefährte, an dessen Seite Janus bevorzugt wanderte. Er erzählte vom Leben in Tralor und von seiner Absicht, an den Drachen Rache zu nehmen. Auch Janus vertraute ihm einige Begebenheiten aus früheren Zeiten an. Über das Schicksal seiner Schwester äußerte er sich dabei aber lediglich vage.
Mit Karol sprach Janus nur selten. Zu sehr war der beleibte Knabe mit sich selbst beschäftigt. Mit seinem Schicksal hadernd, schleppte er sich mühsam von Tag zu Tag, erntete jedoch wenig Mitleid von den anderen. Oft fragte sich Janus, wie der dicke Junge die strapaziöse Reise überstehen sollte, und rechnete damit, dass er sich bald von der Gruppe lösen würde um zurückzukehren.
Warum Agata an der Drachenjagd teilnahm, wusste niemand genau. Wie Irian ihm erzählte, munkelten die Bewohner Tralors, dass verschmähte Liebe der Grund für ihren raschen Entschluss zum Verlassen des Dorfes gewesen sei.
Im Gegensatz zu Irian gewöhnte sich Janus schnell an Agatas ruppigen, lauten Umgangston und den oftmals ordinären Humor. Er fand es spaßig, wie sie Rabanus mit stichelnden Kommentaren beinahe zur Weißglut brachte, während Irian sich über ihre schlechten Manieren entsetzte.
Abends, wenn sich die anderen bereits Schlafen gelegt hatten, saß Irian meist mit Rabanus an der glimmenden Feuerstelle und legte den Marsch für den nächsten Tag fest. Er kümmerte um die Routen und interessierte sich für die Absichten ihres selbst ernannten Anführers. Oft hörte Janus die beiden dabei streiten. Nur selten herrschte Einigkeit. Rabanus wirkte wenig erfreut darüber, dass sich jemand in seine Planungen einmischte. Doch Irian wollte alles genau wissen und widersprach ihm manches Mal.
Auch am Ende dieses Tages schien sich eine Auseinandersetzung anzubahnen. Janus, der sich eine Schlafstatt auf einem Polster aus Moos ausgesucht hatte, lauschte auf jeden Wortfetzen, den der Wind ihm zutrug, konnte jedoch der Unterhaltung trotzdem nicht recht folgen. Nur einen Satz, den sie zum Schluss aussprachen, verstand er.
„Wir werden es ihnen morgen sagen“, beendete Irian die Unterredung.
Bei diesen Worten spannte sich Janus’ Körper an. Was hatten seine Kameraden vor? Wollten sie etwa aufgeben? Oder sollte jemand die Gruppe verlassen? Diese Fragen beschäftigten ihn noch eine ganze Weile, doch dann besann er sich darauf, zur Ruhe zu kommen. Er würde es früh genug erfahren.
„Wir werden uns teilen“, klärte Irian die versammelte Mannschaft auf. „Rabanus, Agata und Karol wandern vier Tage Richtung Norden, während Janus und ich nach Westen ziehen. Auf diese Weise haben wir bessere Chancen, auf einen Drachen zu treffen.“
Agata höhnte: „Was, ich soll mit den zwei Schwachköpfen losziehen?“
Rabanus bereute es jetzt bereits, dass er dieser Aufteilung zugestimmt hatte. „Danach kehren wir um und treffen uns wieder hier. Habt ihr alles verstanden?“
Karol nickte brav, Rabanus brummte missmutig und Agata verdrehte die Augen, während sich Janus ein Grinsen verkniff. Insgeheim hegte er den Verdacht, dass Irian dies alles arrangiert hatte, um einige Tage Ruhe vor den anderen Kameraden zu bekommen, behielt ihn aber für sich. Er zweifelte ein wenig an der Entscheidung, die Truppe zu spalten, fügte sich jedoch willig. Zu kurz gehörte Janus zu den Drachentötern, um sich ein Widerspruchsrecht herauszunehmen.
Nach einem kargen Frühstück, das lediglich aus überreifen, halb vergorenen Brombeeren bestand, zogen sie los.
„Lebt wohl ihr Stümper!“, rief Agata Irian und Janus nach. „Nur falls ihr nicht mehr zurück kommt“, ergänzte sie und lachte süffisant. „Ihr Burschen werdet dem Drachen schmecken.“
Irian wandte sich wortlos ab. „Gehen wir!“, forderte er Janus auf. Die Erleichterung, endlich getrennt von den ungeliebten Mitreisenden zu sein, merkte er ihm deutlich an.
Nur kurze Zeit nach dem Aufbruch atmete Irian wie befreit auf.
„Jetzt herrscht endlich Ruhe“, stellte er zufrieden fest, „wenigstens für einige Tage.“
Janus wirkte skeptisch.
„Glaubst du, dass wir zwei mit einem Drachen überhaupt fertig werden?“
„Darauf kannst du dich verlassen!“
„Wahrscheinlich begegnet uns gar keiner“, vermutete Janus leichthin.
„Das werden wir erst einmal sehen“.
Die Zeit verging rasch, denn die beiden Jünglinge hatten sich viel zu erzählen. Janus brachte Irian mit lustigen Scherzen zum Lachen und Irian berichtete von den Büchern, die er gelesen hatte. Gespannt lauschte Janus, der im Gegensatz zu seiner Schwester nie lesen gelernt hatte, den Abenteuern der Helden, die Irian in verkürzter Fassung begeistert wiedergab. In ihre Unterhaltung vertieft, entging ihren Blicken zunächst die braune Wand, die zwischen den Bäumen hervorschimmerte. Erst als sich deutlich die Umrisse eines Gebäudes aus dem Dickicht schälten, blieben sie überrascht stehen. Jemand hatte in dem einsamen Waldgebiet eine kleine Holzhütte errichtet. Unwillkürlich griff Janus an den Griff seines Kurzschwertes und sah sich gleichzeitig um, als lauere der Bewohner hinter den umliegenden Bäumen. Auch Irian zückte sein Schwert. Gemeinsam suchten sie nach einem möglichen Angreifer, doch außerhalb des Hauses schien sich niemand aufzuhalten.
„Gehen wir einfach weiter“, schlug Janus vor, aber Irian schüttelte den Kopf. „Womöglich finden wir dort drin etwas, das wir brauchen können. Waffen oder Ähnliches.“
„Und wenn jemand zuhause ist?“
„Dann fragen wir einfach nach Proviant. Ich habe genug Silbergeld, um dafür zu bezahlen.“
Janus nickte. Das klang einleuchtend. Sollte der Hausherr ihnen nicht freundlich gesinnt sein, so konnten sie immer noch davonlaufen, oder sich notfalls mit ihren Waffen verteidigen. Beherzt ging Irian auf die Tür zu und klopfte. Keine Reaktion.
„Ist dort jemand?“
Vorsichtig drückte er die Klinke herunter, um einzutreten. Zögernd folgte Janus seinem Kameraden und fühlte sich unwohl, als die Tür knarzend hinter ihnen ins Schloss fiel. Ungewohnte Dunkelheit empfing sie. Die mit rauchfarbener Seide verhängten Fenster ließen kaum Licht in den Raum. Janus hatte sich noch nicht an die Düsternis gewohnt, sodass er das Eckstück einer Tischplatte übersah, das sich hart gegen seinen Oberschenkel bohrte. Fluchend rieb er sich die schmerzende Stelle. Durch einen schmalen Spalt zwischen den Vorhängen fielen Sonnenstrahlen ein, die einen hellen Streifen auf den Tisch warfen. Prüfend fuhr Irian mit seinem Zeigefinger über die Tischplatte und hielt ihn sodann ins Licht. Sauber. Keine Spur von Staub. Das Haus wirkte durchaus bewohnt.
„Machen wir doch die Scheiben frei, dann sehen wir mehr!“, schlug Janus vor.
„Gute Idee!“, stimmte Irian zu und trat auf eines der Fenster zu.
„Bleibt, wo ihr seid!“, rief eine kräftige, männliche Stimme. Sie kam aus dem Eingang, der zu einem Nebenraum führte. Die beiden Eindringlinge erstarrten.
Irian spürte eine kalte Schneide unter seinem Kinn.
„Tu’ ihm nichts!“, rief Janus, „Wir sind nur Jäger auf der Suche nach etwas Proviant.“
Ohne seine Waffe zu senken, streckte der Mann seine Hand nach dem Fenster aus und riss mit einem Ruck den Stoff herab, sodass Sonnenlicht herein flutete und das Zimmer erhellte. Auf seinem Gesicht, das alt und eingefallen wirkte, zeichnete sich Misstrauen ab.
„Legt eure Waffen ab!“, befahl er. Die Eindringlinge gehorchten widerwillig. Das schien ihn vorerst zu besänftigen.
„Was wollt ihr hier in dieser abgelegenen Gegend? Hirsche könnt ihr doch auch in der Nähe von Dörfern erlegen.“
Irian wollte eben seine Frage beantworten, als Janus ihm forsch zuvor kam: „Das ist eine lange Geschichte. Wenn du sie hören willst, sollten wir uns lieber setzen.“
Skeptische Blicke streiften ihn. Nach einer Pause fügte der Jüngling grinsend hinzu: „Ein ordentlicher Humpen dazu könnte auch nicht schaden.“
Die Mundwinkel des Mannes hoben sich beinahe unmerklich. Er deutete auf zwei Stühle, die neben dem Tisch standen.
Während die beiden Platz nahmen, verschwand der Alte wieder im Nebenzimmer, um kurz darauf mit drei gefüllten Bechern zurückzukehren. Ein Hocker, der sich bis dahin unter dem Tisch verborgen hatte, diente ihm als Sitzgelegenheit.
„Ich bin Ottla, Hüter des Waldes“, stellte er sich vor und erhob sein Glas, um mit seinen Gästen anzustoßen.
„Irian von Gemenor. Ich bin Lehrer und stamme aus Tralor“, erwiderte Irian höflich. Von den Hütern des Waldes hatte er bereits viel gehört. Sie sorgten für Ordnung im Wald, kümmerten sich um kranke Tiere und Pflanzen.
„Janus“, beendete Janus die Vorstellungsrunde kurz und nahm einen kräftigen Schluck. Doch kaum benetzte die Flüssigkeit seine Kehle, spie er sie prustend wieder aus.
„Was ist das für ein Gesöff?“
Der Waldhüter lächelte. „Birkenrindensaft.“
Irians Fuß stieß seinen Kumpanen unter dem Tisch an und versuchte, die peinliche Situation zu retten.
„Er schmeckt vorzüglich.“
Ihr Gastgeber nickte freundlich.
„Ich habe noch einen ganzen Krug. Ihr könnt ihn ruhig austrinken.“
Diese Aufforderung wohlweislich ignorierend erzählten ihm seine Gäste von ihrem Vorhaben, Drachen zu erlegen. Nachdenklich runzelte sich die Stirn des Mannes.
„Ihr solltet lieber Trolle jagen. Die richten größeren Schaden an als alle anderen Bewohner des Waldes. Außerdem sind Drachen schwer zu finden. Sie haben ein sehr feines Gehör und werden über euer Kommen bereits kundig sein, bevor ihr auch nur erahnen könnt, dass sich einer von ihnen in der Nähe befindet. Besonders Waffengeklirre scheuen sie sehr.“
Ein amüsierter Zug lag um seinen Mund und es schien beinahe so, als sympathisiere er heimlich mit den Riesenreptilien. Irian ließ sich von seinen Worten nicht beirren.
„Das lasst nur unsere Sorgen sein! Wir werden Beute erlegen, dessen bin ich mir gewiss!“
„So soll es sein“, stimmte Ottla scheinbar gleichgültig zu.
„Wohnst du allein hier?“, erkundigte sich Janus.
Seine glanzlosen Augen wirkten traurig, als er antwortete: „Bis vor kurzem bewohnte ich dieses Haus mit meinem Weib, doch sie erlag vor wenigen Wochen einer rätselhaften Krankheit.“
Janus begriff. Das erklärte die verhangenen Fenster, denn auch in Runa sperrten Trauernde das Tageslicht für einige Zeit aus ihren Häusern aus.
„Das tut uns sehr Leid“, entgegnete Irian und Janus nickte bekräftigend.
„Sie war Schneiderin“, erinnerte sich Ottla lächelnd und wies auf das seidene Tuch, das nun auf der Fensterbank lag. „Einige Monate im Jahr reiste sie in die umliegenden Ortschaften, um ihre Kleider zu verkaufen und Stoffe zu erwerben. Die restliche Zeit verbrachte sie hier bei mir. Während ich im Wald nach dem Rechten sah, entwarf und nähte sie neue Gewänder.“
Janus und Irian empfanden Mitleid mit dem Mann, doch trotzdem wollten sie nicht allzu lang in dessen Hütte verweilen. Nach einem Blick in seine spärlich gefüllte Vorratskammer gestand er ihnen: „Ich brauche für mich selbst nur wenig Vorräte.“ Er schenkte ihnen etwas getrockneten Fisch, sowie ein Glas mit eingelegten Beeren, das seine Frau zubereitet hatte, als sie noch nicht von Krankheit gezeichnet war. Nachdenklich blickte der traurige Hüter des Waldes seinen Gästen nach, die noch einmal freundlich zurückwinkten, bevor sie im dichten Gehölz verschwanden.