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VII.

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„Ist es sehr weit?“, erkundigte sich Skiria verhalten.

„Zwei Tagesreisen, nehme ich an...“, erwiderte Ramin und erntete daraufhin ihr erleichtertes Lächeln, „...bis zu der Höhle des Hojomor“, ergänzte er den Satz beinahe schuldbewusst. „Zum Drachenberg werden wir noch einige Tage länger reisen. Doch zuerst führe ich dich zu meinem Onkel Hojomor, den Mutter gewiss besucht hat, um sich mit Drachenkraut zu stärken. Womöglich weiß er etwas über ihren Aufenthaltsort, und wir können sie finden, ehe ein unschuldiger Mensch in ihren Klauen zappelt.“

In Skirias Gedanken formierten sich Bilder ihres Vaters, als er von einem Drachen fortgetragen wurde. Sie mussten unbedingt verhindern, dass ein weiterer Mensch geopfert wurde.

„Wir sollten am besten sofort losgehen!“

Dass Skiria ihn tatsächlich begleiten wollte, entflammte Ramins Begeisterung. „Du musst ein Bündel schnüren!“, ordnete er an. Skiria verstand nicht recht.

„Warum muss ich ein Bündel schnüren?“

„Weil ich das nicht kann.“

„Natürlich.“

Obwohl ihr einleuchtete, dass Drachenklauen sich nicht dazu eigneten, derart diffizile Aufgaben zu bewältigen, wusste sie immer noch nicht, was in einem solchen Behältnis transportiert werden sollte. Endlich klärte Ramin sie auf: „Wir müssen Drachenkraut mitnehmen, und außerdem kannst du dein Kleid und deine Schuhe darin verstauen.“

Als sei es völlig selbstverständlich, dass sich seine Begleiterin für den Marsch ihres Gewandes entledigte, kehrte ihr Ramin den Rücken zu und streckte seinen Hals nach den Baumkronen aus. Verblüfft beobachtete Skiria, wie er mit seinem Maul einen stabilen Ast abknickte, der sich an seinem Ende verzweigte, und ihn zu ihren Füßen ablegte, als handele es sich um ein Geschenk.

„Binde das Bündel an die Gabelung!“, stieß Ramin hervor, doch Skiria reagierte nicht auf seine Anweisung.

„Warum kann ich mein Kleid nicht anbehalten?“

„Weil es sonst nass wird. Ich erkläre dir alles auf dem Weg zu unserer Höhle.“ Gerne hätte Skiria noch mehr über die bevorstehende Reise erfahren, doch der Drache schien im Moment nicht gewillt, Einzelheiten darüber preiszugeben. Unschlüssig stand sie vor dem Tier, das darauf wartete, endlich losziehen zu können. Schließlich opferte Skiria ein Stück ihres Kleides, um daraus einen Beutel zu binden. Von dem mittlerweile arg zerschlissenen Stoff ließ sich ohne Anstrengung ein breiter Streifen abreißen, der zusammengeknotet Platz für etwas Drachenkraut bot, oder was immer Ramin sonst noch darin zu befördern gedachte. Sorgfältig knüpfte sie die Stoffbahnen zwischen die gegabelten Enden des Zweige, bevor sie das Bündel schulterte. Ramin betrachtete sie wohlwollend.

„Bereit zum Aufbruch?“ Skiria nickte und begab sich folgsam sich Skiria neben ihren künftigen Reisegefährten. Dass nun bei jedem Schritt ihre Knie unter dem gekürzten Rock hervor lugten, erschien Skiria anfangs ungewohnt, doch bald störte sie sich nicht mehr daran.

Die Bäume standen sehr dicht, sodass der Drache nur langsam vorankam. Immer wieder musste er Umwege einschlagen, während Skiria problemlos den kürzeren Weg wählen konnte. Zwischen jungen Baumtrieben zwängte sich der Koloss mit brachialer Gewalt hindurch, sodass die zarten Stämme splitternd brachen. Trotzdem befürchtete Skiria, dass es an der Seite des schwerfälligen Tieres wohl mehr als nur einige Tage dauerte, den Drachenberg zu erreichen. Als sie ihre Bedenken äußerte, versuchte Ramin zu beruhigen: „Wir werden nicht durch den Wald marschieren, sondern benutzen die Drachenwege. So sind wir schneller am Ziel.“

An ihrer fragenden Miene erkannte Ramin, dass Skiria noch sehr wenig von seiner Welt wusste und beschloss, ihr eine kurze Einführung zu geben: „Einst, vor langer Zeit, existierten Wesen, die unter der Erde lebten. Ihren riesigen schaufelartigen Händen verdankten die menschengroßen Geschöpfe ihren Namen. Mit ihnen gruben die Schaufelwarfe unterirdische Pfade. So entstand ein riesiges Netzwerk an Gängen, die große Höhlen miteinander verbanden. Den Schaufelwarfen wurde jedoch zum Verhängnis, dass sie in Drachenkreisen als ausgesprochene Leckerbissen galten. Leider konnten die meisten meiner Artgenossen den schmackhaften Gräbern einfach nicht widerstehen. Obwohl sie eigentlich nützliche Dienste vollbrachten, denn in ihren weitläufigen Bauten konnte sich sogar ein Drache problemlos bewegen. Bald hatten meine Vorfahren die Schaufelwarfe ausgerottet. Zurück blieben ihre Gänge, die zu vielen geräumigen Höhlen führten, in denen wir uns schließlich niederließen. Bis heute nutzen wir die Drachenwege, um auf diese Weise schnell vorwärts zu kommen. Auch zu unserer Höhle führt ein solcher Weg.“

Skiria wanderte in Gedanken die Drachenhöhle ab, konnte sich aber nicht erinnern, dass von dort ein Gang abzweigte.

Gegen Abend erreichten sie Ramins Quartier. Die Höhle lag in völliger Dunkelheit, sodass sie sich bald zur Ruhe legten.

Am nächsten Morgen herrschte in der Grotte bessere Sicht, denn es fielen einige Sonnenstrahlen durch ein Loch in der Decke hinein, gerade genug, um sich einen Überblick zu verschaffen. Skiria wurde jedoch nicht fündig.

„Wo soll hier ein Gang sein, der so groß ist, dass ein Drache darin Platz fände?“, fragte Skiria absichtlich so laut, dass Ramin erwachte und mühsam die Augen öffnete.

„Siehst du dort am Ende des Sees die kleine Öffnung in der Felswand?“, entgegnete er und erhob sich schwerfällig. Angestrengt blickte sie über das Wasser hinüber zu der steilen Wand, die tatsächlich von einem winzigen Loch über der Wasseroberfläche durchbrochen wurde.

Skiria hatte Bedenken.

„Aber das ist doch viel zu klein. Da passt du sicher nicht durch.“

„Es ist größer als du denkst, denn unter dem Wasserspiegel wird die Öffnung breiter. Ich muss nur ein wenig tauchen.“

Zaudernd stand das Mädchen am Ufer des kleinen Sees. Skiria konnte zwar schwimmen, aber dieses Gewässer lud nicht gerade zu einem Bade ein.

„Hab’ keine Angst! Es ist leichter, als du denkst. Die Felsöffnung ist so groß, dass du einfach hindurch schwimmen kannst. Und hinter der Wand befindet sich eine richtig geräumige Höhle. Dort kannst du gemütlich ans Ufer waten. Vertrau’ mir! Ich bin schon oft mit meiner Mutter zu den Drachenwegen getaucht.“

Um dessen Harmlosigkeit zu beweisen, setzte Ramin eine Klaue ins Wasser, sodass eine kleine Welle auf Skiria zuschwappte. Ängstlich trat sie einen Schritt zurück.

„Wir müssen noch Drachenkraut einpacken“, mahnte Ramin sanft. „Und du musst dein Kleid ausziehen, damit wir es trocken über den See bringen. Ich nehme die Stange ins Maul. So kann ich unser Gepäck weit aus dem Wasser halten, und während ich tauche, führe ich es an dem Ast oberhalb des Wassers durch die Öffnung.“

Skiria wagte kaum, sich vorzustellen, tatsächlich durch dieses unbekannte Gewässer zu schwimmen. Wie tief mochte der See sein? Ob in dem Wasser Leben existierte? Fische, die kalt und glatt an ihrer nackten Haut vorüber streiften, Schlingpflanzen, die ihre sanft wiegenden Triebe hinterhältig um ihre Glieder wickelten, als wollten sie ihr Opfer damit in die Tiefe ziehen, oder gar Schlimmeres?

„Du kannst doch fliegen?“, bemühte sie sich um eine Alternative zu dieser gefährlich anmutenden Art zu reisen.

Von der Frage scheinbar überrascht, gab Ramin kleinlaut zu: „Ich bin nicht gerade der beste Flieger.“

„Bist du denn schon einmal geflogen?“, bohrte Skiria nach. Ramins Flügel lösten sich für einen kurzen Schlag aus ihrer eng am Körper anliegenden Position, wie um zu beweisen, dass der Drache sie für durchaus einsatzfähig hielt. Sein Kopf hob sich hoch in die Luft, als er verkündete: „Ich habe es einmal versucht. Meine Mutter wollte es mir zeigen.“

Dass dieser Versuch nicht von übermäßigem Erfolg gekrönt war, versuchte er sich nicht anmerken zu lassen, doch Skiria ahnte es bereits, da Ramin nicht gewillt schien, Details dieses Flugmanövers zu erläutern. Sie beschloss, ihren Gefährten nicht weiter in Verlegenheit zu bringen und fragte ihn stattdessen nach dem Drachenkraut. Das Tier wies mit einem Kopfnicken auf eine kleine Nische, in der sich ein Häuflein getrockneten Gewächses befand, das bei näherer Betrachtung wie Heu wirkte. Skiria füllte das Bündel so gut, dass kaum mehr Platz für andere Dinge blieb.

„Das reicht ja für den ganzen Winter!“, stellte Ramin erfreut fest. Skiria hoffte inständig, dass ihre Reise nicht ganz so lange dauern möge.

„Und jetzt das Kleid!“

In der Dunkelheit der Höhle blieb die Röte verborgen, die Skirias Gesicht überzog. Befangen blickte sie zu Boden. Ramin verstand den Grund für diese Verzögerung nicht recht, doch er appellierte trotzdem an ihre Vernunft: „Wenn du es anlässt, wird es sich voll Wasser saugen und dich wie ein schweres Gewicht nach unten ziehen. Das möchtest du doch nicht, oder?“

Skiria schüttelte den Kopf und bat schließlich: „Sieh bitte weg!“

Ramin wunderte sich, wollte seiner menschlichen Freundin aber gerne diesen Gefallen erweisen und sah angestrengt zu der Nische zurück, in der das Drachenkraut lag. Endlich wagte Skiria, die Verschnürung des Gewandes zu lösen und es auf den felsigen Untergrund sinken zu lassen. Sie konnte sich jedoch nicht dazu überwinden, das Unterkleid ebenfalls auszuziehen und beschloss, es anzubehalten. Ihr Gewand wickelte sie eng um die Astgabelung und band es mit dem Gürtel fest. Zuletzt streifte sie ihre leichten Ledersandalen ab und stopfte sie mit in den Beutel hinein.

„Fertig!“

Ramin wandte seinen Hals zu ihr und gewahrte verblüfft, dass sich unter Mädchenkleidern anscheinend nochmals eine Hülle aus Stoff befand. Der menschlichen Gebräuche unkundig, ließ er Skirias neuen Aufzug lieber unkommentiert, um sie nicht zu verärgern.

„Leg’ nun den Ast zwischen meine Zähne!“ Er gewährte ihr einen Blick in seinen ausladenden Rachen.

Vorsichtig beförderte Skiria den Stecken in seine Schnauze, die er anschließend so weit es ging wieder zuklappte.

„Mass uns mehen!“

Skiria unterdrückte ein Zähneklappern. Plötzlich bereute sie ihren Entschluss, den Drachen zu begleiten. Die Wasseroberfläche lag vollkommen still und kräuselte sich erst ein wenig, als sie ihren Zeh hineinhielt, um die Temperatur zu prüfen. Überrascht von der eisigen Kälte des Sees, zog Skiria den Fuß schnell wieder zurück, auch wenn sie nicht damit gerechnet hatte, angenehm temperiertes Badewasser vorzufinden. In welch ungewöhnliche Lage sie sich nun manövriert hatte: Halb nackt, in einer Höhle neben einem Ungeheuer stehend, und im Begriff, in ein finsteres Gewässer zu tauchen.

Das Schicksal schien ihr seltsame Prüfungen abzuverlangen.

Der erste Schritt ins kalte Nass zog Gänsehaut über ihren Körper. Mutig wagte sie sich weiter vor und unterdrückte einen Aufschrei, als sich die Wassermassen um ihren Bauch schlossen. Der Grund fiel erstaunlich schnell ab, denn nach weniger als drei Ellen spürten ihre Füße die spitzen Steine nicht mehr. Skiria fühlte sich, als schwämme sie im eisklaren Wasser eines winterlichen Gebirgsbaches. Ihre Arme und Beine planschten wild umher, in der Hoffnung, dass die Bewegungen ihren Leib bald etwas erwärmten. Ramin ließ nicht lange auf sich warten und gesellte sich mit wenigen Schritten zu ihr. Die Welle, die der Koloss dabei erzeugte, drohte Skiria wieder ans Ufer zu schwappen, doch sie paddelte tapfer gegen die unvermittelte Strömung an und schaffte es, sich im und zu ihrer großen Erleichterung auch über Wasser zu halten.

„Malt dich an meinem Mückenkamm mest!“, rief Ramin und bemühte sich dabei, seine Klauen möglichst ruhig zu halten, damit sie keine weiteren Wogen erzeugten, die seine kleine Freundin gefährdeten. Wie ein Frosch stieß Skiria sich mit ihren Beinen ab und streckte sich, um den Drachen zu erreichen. Sie bekam eine der rötlichen Zacken zu fassen und zog sich daran nahe an den Drachenleib, sodass sie sich mit beiden Händen festhalten konnte.

„Mist mu mereit?“, fragte Ramin, der seinen Kopf schräg gelegt hatte, damit die Gepäckstange in seinem Maul trocken blieb.

„Von mir aus es kann losgehen!“ Skiria bereitete sich auf einen gewaltigen Ruck vor, der einen Herzschlag später tatsächlich das Ungetüm durchfuhr, als es seine Pranken scheinbar zu einer Art Flossen umwandelte und in einer Geschwindigkeit durch den See pflügte wie ein Boot, auf dem mindestens sechs Männer kräftig ruderten. Während Skiria sich krampfhaft an ihm festkrallte, teilten sich die Fluten unter der Last des Tieres.

Die schmale Öffnung an der gegenüberliegenden Wand rückte näher. Skiria befürchtete schon, dass die Riesenechse nicht mehr rechtzeitig zum Stillstand käme und gegen die Felsen prallte, als das Tier jäh in seinem Schwung inne hielt. Bewegungslos trieb es in dem Gewässer wie ein riesiger toter Fisch.

„Mu musst mich mosmassen, ich merde metzt mauchen!“, informierte er Skiria, die augenblicklich ihre Hände von dem steifen Rückenkamm nahm, als befiele sie die Angst, mit dem Drachen in die Tiefe gerissen zu werden. „Marte einen Augenblick, dann schmimm’ durch den Schmalt. Mir mehen uns drümen mieder!“

Bevor das Mädchen etwas erwidern konnte, fühlte sie den Drachenrumpf unter sich weichen, sah den mächtigen Kopf im Wasser verschwinden, bis nur noch der Ast herausragte, der sich nun in Bewegung setzte und ihr den Weg weisen zu schien. Was hinter dem Loch im Felsen liegen mochte, konnte sie nicht erkennen. Bedrohlich schwarz lag der Eingang zu den Drachenwegen uneinsehbar vor ihr.

Trotz ihrer Furcht schwamm Skiria beherzt darauf zu und betete, dass die dahinter liegende Höhle keine unliebsamen Überraschungen bergen mochte.

Dunkelheit umfing Skiria, als sie den Durchbruch zu den Drachenwegen schwimmend passierte. Immer wieder stiegen kleine Bläschen an die Wasseroberfläche - der einzige Beweis für die Anwesenheit des Drachen. Der Ast, an dem sich das Bündel mit dem Drachenkraut befand, ruckelte nun, doch Ramin blieb weiter unter Wasser. Allmählich gewöhnten sich Skirias Augen an die Dunkelheit. Das Gewässer schien nicht besonders weit in die Grotte hineinzuragen, denn Skiria glaubte, bereits wenige Ellen vor sich das Ufer erkennen zu können. Sie bewegte sich noch etwas vorwärts und ertastete schließlich mit ihren Füßen steinigen Grund, der sich als erstaunlich flach erwies, sodass sie bequem an den Rand des Sees waten konnte. Triefend vor Nässe wartete Skiria darauf, dass ihr Freund auftauchte und begann sich allmählich zu sorgen.

„Ramin?“, schallte ihre Stimme hallend durch den steinernen Raum. Wie auf Kommando schoss der lange Hals des Drachen aus dem Wasser. Schäumende Fontänen spritzten auf seine Begleiterin, als er scheinbar mühelos auf sie zu pflügte, sich aus den Wassermassen erhob und den Stecken, den er immer noch zwischen seinen Zähnen hielt, vor Skirias Füße warf. Dankbar band sie ihr Kleid los, musste aber erkennen, dass es wenig Sinn hatte, das Gewand über ihr tropfnasses Unterkleid zu streifen. Deshalb befreite sich Skiria zuerst davon, nicht ohne Ramin vorher zu bitten, seinen Blick abzuwenden.

Der Drache wunderte sich erneut und fragte sich, was sie wohl vor ihm verbergen mochte. Dass sie eine Schutzschicht benötigte, leuchtete ihm ein, denn verglichen mit seinen widerstandsfähigen Schuppen wirkte ihre Haut dünn und verletzlich. Doch die menschlichen Gewänder schienen noch einem anderen Zweck zu dienen, den er nicht recht verstand. Ramin bemühte sich, seine Neugier zu bezähmen und nicht nach dem nackten Mädchen zu schielen, denn er vermutete, damit ihren Ärger zu erregen. Rasch hatte Skiria sich wieder bedeckt. Ein herrliches Gefühl, trockenen Stoff auf der Haut und feste Schuhe unter den Füßen zu spüren. Auch ihr Haar hatte sich mit Wasser vollgesogen. Um es schneller zu trocknen, band Skiria ihren Zopf auf und ließ die langen hellen Strähnen feucht über ihren Rücken hängen. Das Unterkleid wand sie aus und band es zum Trocknen an die Astgabelung.

„Du kannst wieder hersehen“, gab sie Entwarnung. Ramin erkannte zufrieden, dass seine Kameradin sich nun in reisefertigem Zustand befand und deutete mit einem Kopfnicken an, dass ihr Marsch nun begänne. Er richtete sich zur vollen Größe auf und ließ mit seinen schweren Schritten den Felsboden beben. Zögernd folgte ihm Skiria. Den Stecken, an dem das weiße Wäschestück weithin sichtbar wie eine Fahne baumelte, benutzte sie als Gehhilfe und hoffte inständig, dass ihnen in nächster Zeit niemand begegnen mochte, denn sie kam sich damit etwas albern vor.

Die Drachenwege verliefen sich in weitläufigen, steinigen Gängen, von denen hin und wieder eine Gabelung abzweigte. Skirias Augen gewöhnten sich langsam an die Düsternis, die nur gelegentlich einfallende Sonnenstrahlen unterbrachen. Unter ihren Sohlen spürte sie glatten Felsengrund. Sie musste höllisch aufpassen, um nicht darauf auszurutschen, sodass sie ihre Schritte sehr behutsam setzte. Ramin konnte sich problemlos fortbewegen, denn das Felsengewölbe war hoch genug. Die Breite dagegen variierte. Während manches Mal drei ausgewachsene Drachen nebeneinander Platz gehabt hätten, verengte sich der Weg oft zu einem schmalen Pfad, den die beiden hintereinander beschreiten mussten.

An Trinkwasser mangelte es nicht. Dafür sorgten die schimmernden Wasserperlen, die an der Decke hingen und regelmäßig von dort herab tropften. Am Boden hatten sich kleine Kuhlen gebildet, in denen sich das Wasser sammelte. In manchen Nischen der Felswände verbargen sich schlafende Fledermäuse, die flatternd aufschreckten, sobald Ramin und das Mädchen ihre Ruhe störten.

Skiria stellte sich die Begegnung mit Ramins Onkel wiederholt vor. Er musste seinen Enkel gewiss noch überragen und mit dieser Größe wahrlich Furcht einflößend wirken. Wie würde sie sich an der Seite zweier Drachen fühlen, von denen bereits der kleinere Ausmaße besaß, die ein junges Mädchen daneben wie eine Zwergin erscheinen ließen? Auch fragte sie sich, ob zwischen Drachen ähnliche Unterschiede existierten, wie es bei den Menschen üblich war. Ramin behandelte sie freundlich und hatte sich mittlerweile ihr Vertrauen verdient. Ob Hojomor sich ebenso umgänglich zeigte? Vielleicht gebärdete er sich eher wild und ungestüm, um ihr Angst einzuflößen, oder ließ sie seine Abneigung spüren. Schließlich musste er seit langer Zeit mitverfolgt haben, wie Angehörige der menschlichen Rasse seine Artgenossen töteten. Auch wenn sie selbst niemals einem solchen Tier Leid zugefügt hatte, fühlte sich Skiria plötzlich schuldig.

Nach einigen Stunden gelangten sie in einen Hohlraum, der Ramins Drachenhöhle erheblich ähnelte. Bizarre Kunstwerke aus Tropfstein ließen die steinerne Stätte wie die Ausstellungshalle eines Bildhauers erscheinen. Aber für diese Schönheiten hatten die beiden Reisenden im Augenblick keinen Sinn, überlagerte doch ein penetrant faulig-süßlicher Geruch die Grotte wie eine mit stinkendem Unrat gefüllte Grube. Ramin schüttelte angewidert seinen Kopf, als könne er dadurch den bestialischen Gestank aus seiner Nase vertreiben. Trotzdem fühlte er sich zu einer Erklärung veranlasst: „Das hier war Barsibars Höhle. Leider starb er letztes Jahr an Altersschwäche.“

Da Skiria die Geruchsbelästigung als unerträglich empfand, weckte die Geschichte der Höhle wenig Interesse. Flinken Schrittes durchquerte sie das Heim des verstorbenen Drachen, vorbei an einem gewaltigen Felsblock auf dem Weg zu einem Gang, der von diesem Ort wegführte. Nur aus den Augenwinkeln gewahrte sie im Vorbeigehen den Schatten eines riesigen Gebildes.

Erschrocken blieb Skiria stehen und wagte kaum, sich umzuwenden. Lauerten etwa Trolle in den verborgenen Winkeln der Drachenwege?

Auf einen Angriff gefasst, drehte sie sich um und hoffte, dass Ramin ihr zur Hilfe eilte. Doch der hatte seinen Standort am Eingang der Höhle nicht verlassen, sondern rief ihr fröhlich zu: „Komm zurück! Wir können durch diesen Gang ins Freie gelangen. Etwas frische Luft wird uns gut tun!“

Der vermeintliche Angreifer blieb bewegungslos. Staunend erkannte Skiria ein überdimensionales Gerippe, von dessen Rippen schwarze Fetzen halb verwesten Fleisches hingen. Barsibars Skelett verströmte den widerlichen Geruch, der sein ehemaliges Quartier erfüllte. Hurtig lief das Mädchen zurück zu Ramin, der sie von Barsibars Überresten hinfort ins Freie lotste, wo die Luft des Waldes wohltuend in Skirias Lungen strömte.

Die ungewohnte Helligkeit des lichten Tages ließ ihre Augen schmerzen. Sie atmete tief ein und genoss die frische Luft, deren würziges Tannennadel-Aroma einen reizvollen Gegensatz zu dem abscheulichen Höhlengeruch bildete. Die Reise hatte Ramin erschöpft. Skiria erschrak, als ihm plötzlich ein brüllender Urlaut entfuhr, denn Ramin hatte zuvor noch nie in ihrer Gegenwart gegähnt. Unter einer Tanne ließ er sich nieder, streckte behaglich seine vorderen Klauen aus und schlief wenig später so friedlich wie ein niedlicher Hundewelpe. Zu aufgeregt um zu schlafen, betrachtete Skiria den ruhenden Ramin und fragte sich, wie sich die Haut eines Drachen wohl anfühlen mochte. Seinen steifen Rückenkamm hatte sie bereits berührt, als sie über See geschwommen waren. Es drängte Skiria jedoch, seine Schuppen genauer zu inspizieren. Vorsichtig, damit ihr Begleiter nicht aufwachte, streckte sie die Hand aus und berührte das Tier. Die grün-grauen Plättchen bestanden aus einem merkwürdigen Material. Sie konnte es mit nichts ihr Bekanntem vergleichen. Ihre Finger zwickten in eine der Schuppen, um sie staunend näher zu prüfen. So hart wie Stein, aber doch biegsam. So rau wie Holz und gleichzeitig geschmeidig wie ein geschliffener Kristall.

„Unglaublich, einfach unglaublich!“, flüsterte Skiria beeindruckt.

Ramin klappte mit einem Mal die Augendeckel hoch und trompetete scheinbar hellwach: „Unglaublich praktisch, wie ich meine! Absolut wasserdicht, feuerfest und noch dazu äußerst attraktiv! Ich beneide euch Menschen nicht um eure dünne, blasse Hülle, auch wenn sie an dir ganz passabel wirkt.“ Erschrocken über sein jähes Erwachen rückte Skiria unwillkürlich eine Armlänge von ihm ab, zupfte nervös an ihrem Haar und schwieg, bis Ramin seinen Schlaf endlich fortsetzte.

Am zweiten Tag ihrer Reise passierten sie noch mehrere ehemalige Drachenbehausungen, doch Hojomors Höhle befand sich nicht darunter.

„Weit kann es nicht mehr sein“, vermutete Ramin. Als schließlich ein Hohlraum mit kuppelartigem Dach vor ihnen auftauchte, glaubten sie, ihr Ziel sei erreicht.

„Onkel Hojomor!“ rief Ramin dröhnend. Sie betraten die weitläufige Grotte und sahen sich dabei nach dem alten Drachen um. Wie es schien hatte er sein Quartier verlassen.

„Hojomor? Wo bist du? Ich bin es, Ramin, und ich habe eine Freundin mitge...“

Ramin verstummte, als er die Gefahr erkannte. Ein wimmerndes Geräusch entfuhr ihm. Skiria glaubte, einen ängstlichen Ausdruck in den Augen des sonst so furchtlos wirkenden Drachen zu entdecken.

„Was hast du?“, fragte sie noch arglos. Doch Ramin antwortete nicht, sondern starrte wie paralysiert auf die gegenüber liegende Wand.

Skiria

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