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EBER IM NEBEL

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Ein Rascheln in der Maisplantage, eine kaum wahrnehmbare Bewegung, dort, wo das Feld in Mischwald übergeht.

»Sie kommen«, flüstert Sir Percival Batchelor mir aufgeregt zu. »Bleiben Sie dicht hinter mir, und machen Sie mir alles nach, dann wird man Sie für ein Jungtier aus meiner Rotte halten.« Er lässt seine 120 Kilo Lebendgewicht (»Kartoffeln, seit 20 Jahren nichts als Eicheln und Kartoffeln, old boy!«) auf alle viere plumpsen und nimmt Witterung auf. Der Schnurrbart zittert, sein verbeulter Tropenhelm ist in den Nacken gerutscht, borstige Haarbüschel gucken aus seinen Ohren, der Blick der rot geränderten Äuglein ist ins Weite gerichtet. »Oink, oink«, gurrt er zärtlich. »Oink-o? O-ink?«

Wieder mal falscher Alarm, denke ich verdrießlich. Ein Betrunkener auf dem Heimweg oder ein Eingeborener, der seinen Hund Gassi führt. Ich lehne mich gähnend gegen das rostige Chassis des alten Traktors mit DDR-Kennzeichen, der uns als Basislager dient.

Doch Sir Percival macht mir hektisch Zeichen. Widerstrebend lasse auch ich mich auf allen vieren nieder und grunze lustlos.

Mir ist kalt. Und es ist nass. Der Schlamm, in dem wir uns gesuhlt haben, damit die Wildschweine uns akzeptieren, will in der feuchten Kühle des Morgens einfach nicht trocknen. Seit Ewigkeiten habe ich nicht mehr richtig geschlafen. Nachts finden wir keine Ruhe wegen des Geheuls der Wölfe, die sich immer näher an die menschlichen Siedlungen heranwagen, hier in Deutschlands wildem Osten, wo Europa langsam in Asien übergeht und sich Pole und Mongole Gute Nacht sagen.

Seit zwei Wochen harren wir in der vernebelten, verregneten Einöde der Vorstadtlandschaft aus, ohne ein einziges Wildschwein gesichtet zu haben. Wir sind auf der Suche nach dem Familienverbund, mit dem Sir Percival Batchelor, der legendäre Wildschweinflüsterer, in den Achtzigerjahren zusammengelebt hat. Zum wiederholten Mal frage ich mich, worauf ich mich hier eingelassen habe.

Sir Percival möchte beweisen, dass die letzten Prenzlauer-Berg-Wildschweine, die durch seine zahllosen Bücher und Filme (Eber im Nebel, Keilerdämmerung, Der Sommer des Überläufers, Ein Bett im Kornkreis) weltberühmt wurden, immer noch hier am Rand des Schrebergartengürtels hausen.

Durch Gentrifizierung und invasive Schweinebanden aus der Provinz wurden die einst häufigen Tiere im zwanzigsten Jahrhundert aus ihrer Pankower Heimat verdrängt und wichen in die dünn besiedelten Sumpfwälder von Treptow-Köpenick südlich des Müggelsees aus.

Sir Percys Filme zeigten der Welt, dass es auch Wildschweine gibt, die sich zu benehmen wissen, »gentleboars« und »ladysows«, wie er sie nennt. Damit vermittelte er der zivilisierten Welt ein neues Bild der sanften Riesen, die hier im abgelegenen Berlin – die nächste menschliche Siedlung ist Minsk – gerade wieder gnadenlos bejagt und von ängstlichen Radfahrern und Badegästen als mordlustige Bestien und notorische Langfinger verteufelt werden.

Nachdem die Geschichte der »Klausau vom Teufelssee« um die Welt ging, ist das Wildschwein in Berlin ja endgültig zum Problemtier geworden. Sir Percival hat den ominösen Videoclip, in dem man einen nackten Mann sieht, der ein Wildschwein und zwei Frischlinge verfolgt, die seine Tasche samt Laptop gestohlen haben, gründlich analysiert: »Das war keine von meinen Sauen«, erklärt er kategorisch. »Die fürchten sich nämlich vor Menschen, und das mit Grund. Wir haben es hier mit Rotten von Zugezogenen zu tun, die jegliche Contenance verloren haben und in organisierten Gangs die Badeseen unsicher machen, von menschlichen Müllbergen angelockt. Old-School-Schweine machen so etwas einfach nicht.«

Während in der ganzen Welt, dank mutigen Tierfilmern wie Henry Lee Nugent aus Razorback/Arkansas, der in eine namibische Warzenschweinfamilie einheiratete, oder dem »Schweinemann von Borneo«, Dr. Luc van Eyck, der Indonesiens Hirscheber in einem modernen Staatswesen organisierte, das Bild des Schweins als nächstem Verwandten des Menschen eine Aufwertung erfuhr, herrschen in diesen rückständigen Regionen Eurasiens leider noch immer die alten Vorurteile.

»O-oink O-ink-o«, tönt es vom Waldrand. Ich fahre aus meinen trüben Gedanken hoch.

»Claire, altes Mädchen«, quiekt Sir Percival und verschwindet erstaunlich behände zwischen den meterhohen Maisstauden. Ich folge auf allen vieren.

Und dann sehe ich das mächtige Tier: Gleich Zahnstochern knickt es die Maispflanzen, wie ein T-34-Panzer walzt es auf Sir Percy zu.

Lady Claire, die gewaltige Silberrücken. Und ihre Rotte folgt auf dem Fuß, ich sehe in Schweinsgesichter, die jeder, der in den Siebzigern und Achtzigern aufgewachsen ist, aus dem Fernsehen kennt. Claires in Ehren ersilberte Ehemänner Paddington und Pinkerton, die Töchter Emily, Emma und Posh, die Söhne Lipton und Tipton, mittlerweile alle selbst mit Familie. Frischlinge und Frischlingsfrischlinge. Älter sind sie geworden, reifer, aus Frischlingen wurden Überläufer, aus Überläufern Eber …

Sie begrüßen Sir Percival wie eine Rugbymannschaft den alten Jugendtrainer, mich lassen sie zum Glück links liegen, beäugen mich bloß. Ich halte mich zurück und vermeide Blickkontakt, nur wenn ich angerempelt werde, grunze ich höflich.

Plötzlich hält Sir Percival, der sich eben noch fröhlich im Matsch wälzte, inne. Sein Blick wird suchend, fragend.

»Heathcliff«, fragt er. »Wo ist denn Heathcliff?«

Ja, wo ist er? Heathcliff, dessen Waisenschicksal Millionen vor den Bildschirmen zu Tränen rührte. Der Findelfrischling, dessen gesamte Rotte von gewissenlosen Düsseldorfer Trophäenjägern ermordet wurde. Sir Percival fand ihn, halb verhungert, nicht größer als ein Frühstücksei, zwischen den kopflosen Leichen seiner Familie und zog ihn mit der Flasche auf. Der Whiskyflasche, wohlgemerkt. Die Geschichte, wie er aufwuchs, dann ausgewildert und von Claires Rotte adoptiert wurde, ist durch den Film Wurmhöhe unsterblich geworden.

»Oinky-doinky!« Die Maisstauden teilen sich; Heathcliff, mittlerweile ein stattlicher Keiler von den Ausmaßen eines VW Polo, stürmt heran und wirft sich Sir Percy in die Arme. »Du kleiner Schelm!«, ruft dieser. »Wolltest mir einen Schrecken einjagen.«

Und dann werde ich Zeuge des bezauberndsten Naturschauspiels, dem ich je beiwohnen durfte.

Wie auf Kommando stellen die Wildschweine sich im Halbkreis vor Sir Percival auf.

Ich befürchte einen Angriff, will schon eingreifen, beziehungsweise weglaufen, da gibt Sir Percy mir ein Zeichen, mich still zu verhalten.

Lady Claire stampft, einmal, zweimal mit dem rechten Vorderhuf auf, trampelt einen Takt, und dann beginnen alle, miteinander zu grunzen, schnell erkenne ich das Lied: Die ganze Rotte grunzt »For he’s a jolly good fellow«, um Sir Percival willkommen zu heißen, das Lied, das er ihnen, nebst anderen britischen Traditionen, einst beigebracht hatte.

Etwas später. Wir haben es uns auf einem Kartoffelacker gemütlich gemacht und brunchen mit der Wildschweinfamilie, es gibt junge Kartoffeln und frische Regenwürmer auf Toastbrot. Sir Percy lässt eine Thermoskanne Tee herumgehen, an der die Schweine schmatzend saugen.

»Ich hätte nie gedacht, dass sie uns Menschen so ähnlich sind«, flüstere ich Sir Percival zu.

Der nickt. Ganz entspannt ist allerdings niemand, das hier ist immer noch ein Jagdrevier. Es sollen Waidmänner gesichtet worden sein, und die Wildschweine sind trotz aller Wiedersehensfreude wachsam.

Das Naturvolk der Waidmänner (in ihrer eigenen Sprache nennen sie sich »Halali«) lebte einst als Jäger und Sammler in den urtümlichen Regenwäldern Brandenburgs, bis hier im Nichts die künstliche Hauptstadt Berlin aus dem Boden gestampft wurde. Das Berliner Schurkenregime fing die freien Waidmänner ein und verdonnerte sie zu einem sesshaften Lebensstil. Heutzutage vegetieren sie in primitiven Reihenhaussiedlungen, verlernen ihre alte Sprache, das Jägerlatein, gehen geregelter Arbeit nach und werden darüber depressiv und alkoholkrank. Am Wochenende aber legen sie ihre grüne Stammestracht an, beschmieren sich die Gesichter mit Blut und wandern singend hinaus in die alte Waldheimat, wo sie nach Art der Vorfahren Jagd machen auf »Rotwild« und »Schwarzwild«, wie es in ihrer Sprache heißt.

Dem Volk der Schreber, das das fruchtbare Grasland zwischen Elbe und Ural jahrtausendelang als Kleinviehzüchter und Gärtner bevölkerte, bekam der sogenannte Fortschritt nicht besser. Ihre gewaltigen Karnickelherden wurden aus »hygienischen« Gründen vergast, ihre Gemüsegärten in nachhaltige Freizeitparks für junge Musterfamilien umgewandelt. Die kümmerlichen Überreste des Stammes leben in »Schrebergartenkolonien« genannten Slums an der Grenze des Stadtmolochs. Doch ihre baufälligen Wellblechhütten und Wohnwagen, ihre Gartenzwerg-Totems und Bambi-Fetische sind der Obrigkeit weiterhin ein Dorn im Auge. In den nächsten Jahren sollen sie einem »Kiez« weichen, für die wachsende Schar der Hipster und Kreativen, die heuschreckengleich aus den entlegensten Sümpfen und Hinterwäldern in Berlin einfallen, auf der Suche nach Futtertrögen und Wohnraum.

Plötzlich ertönt ein Pfiff so schrill, dass ich mich fast an meinem Engerling verschlucke. Ich blicke auf. Die Wildschweine gehen in Kampfformation.

»Die Waidmänner«, schießt (sic!) es mir durch den Kopf. Doch als ich aufblicke, sehe ich nur eine zwergenhafte, in Kakiuniform und rotes Pfadfinderhalstuch gekleidete Gestalt mit Feldstecher, vielleicht 1,20 Meter hoch, die uns vom Rand des Ackers aus beobachtet.

Ein Spreewaldpygmäe, denke ich aufgeregt, wir haben das verlorene Volk der Spreewaldpygmäen entdeckt, das immer noch ohne Kontakt mit der Zivilisation in den undurchdringlichen Auwäldern hausen soll. Als die Gestalt sich langsam nähert, erkenne ich, dass ich mich geirrt habe. Es ist kein Spreewaldpygmäe. Es ist Hannes Jaenicke.

Ein Kameramann folgt ihm geduckt.

»Konkurrenz«, ruft Sir Percival empört.

Schnell hissen wir das BBC-Banner und die National-Geographic-Flagge. Diese Rotte gehört uns!

»Können wir verhandeln?«, ruft Jaenicke. »Ich brauche nur ein paar Aufnahmen, wo ich mit Wildschweinen kuschle und

Frischlinge herze. Dafür kriegen Sie exklusives Großtrappenmaterial von mir. Total flauschige Küken.«

»No fuckin’ way«, brüllt Batchelor und richtet einen alten Vorderlader, wo hat er den auf einmal her?, auf Jaenicke.

Der weicht zurück. Doch im Hintergrund sehe ich eine gewaltige Staubwolke aufsteigen: Das restliche Team der ZDF-Sendung Deutschlands letzte Paradiese ist im Anmarsch. Kamerakräne, Lastwagen, Kabelrollen, Raupenfahrzeuge, Luxuswohnmobile, Andreas Kieling im Lendenschurz auf einem Przewalski-Pferd und die komplette Fernsehgarten-Bühne.

Die sind in der Überzahl. Uns bleibt nur die Flucht.

Hinein in den Busch. Ich finde mich auf einem Wildschwein reitend wieder, ich glaube, es ist Paddingtons ältester Sohn Harvey oder Horsey. Tiefer, immer tiefer dringen wir in die unberührte Wildnis vor, rennen Jogger um, weichen Wisenten aus und zertrampeln illegale Cannabispflanzungen.

Irgendwann, nach gefühlten Stunden, halten wir inne. Hannes Jaenickes verzweifelte Stimme, »Ich gebe euch Rohrdommeln, Löffelreiher, Trauerschnäpper, was immer ihr wollt«, ist in der Ferne verpufft, Andreas Kielings gutturale Kriegsschreie sind verklungen. Wir haben sie abgehängt. Auf einer Lichtung lassen wir uns erschöpft in den Schlamm fallen. Lady Claire schickt Wachtposten und Späher aus.

Diese Gegend hat bestimmt noch nie ein Mensch betreten, denke ich, und lehne mich gegen einen bemoosten Baumstamm.

»Wie kommt es eigentlich«, frage ich Sir Percival, »dass die Schweineversteher immer männlich sind? Henry Lee Nugent, Dr. van Eyck, Sie, während die Menschenaffenforscherinnen alle weiblich waren: Jane Goodall bei den Schimpansen, Dian Fossey bei den Gorillas, Birutè Galdikas bei den Orang-Utans …«

»Well«, sagt Sir Percival und beißt einer Haselmaus den Kopf ab. »Wir Männer können uns vermutlich besser in die sensiblen Schweine hineinversetzen. Frauen fehlen da wohl einfach die nötigen Antennen für die monolithische Gefühlswelt der scheuen Tiere.«

»Ah ja«, sage ich und beiße in einen roten Pilz mit weißen Tupfen drauf, von dem mir die Wildschweine durch aufmunterndes Zugrunzen versichert haben, dass er ungiftig sei.

»Während Frauen mit ihrem Multitasking«, fährt Sir Percy fort, »die Ordnung in so einer Rotte nur durcheinanderbringen würden. Bei Wildschweinen gibt es für alles eine Zeit: Suhle ist Suhle, und Eichelmast ist Eichelmast, da gibt’s kein Vertun.«

»Wahrlich«, sage ich zerstreut und nehme mir einen zweiten Pilz. Wirklich lecker, die Dinger. Erdiges Aroma mit nussiger Note, ein Hauch mulchig im Abgang.

»Außerdem sind, wie Sie ja mittlerweile wohl wissen werden, Wildschweine streng matriarchal organisiert. Ein rottenfremdes Weibchen würde von der Alpha-Bache als Konkurrenz angesehen werden. Zickenkrieg vorprogrammiert. Bei einer patriarchal organisierten Gesellschaft, wie eben Menschenaffen, stellt sich das Problem natürlich nicht. Beziehungsweise eben doch, nur umgekehrt.«

»Umgekehrt. Latürnich«, sage ich. Einer geht noch, denke ich und esse den nächsten Pilz. Endlich fange ich an, mich wohlzufühlen unter den wilden Schweinen. Ich wühle mich tiefer in den Dreck hinein und fange an zu tagträumen. Fast wie im Märchen hier.

Gerade als ich kurz vor dem Wegtreten bin, kommt ein junger Keiler auf unsere Lichtung gesprintet. Aufgeregt grunzt er etwas in seiner Sprache. Die anderen Wildschweine sind sofort hellwach.

»Sie scheinen etwas entdeckt zu haben«, meint Sir Percy. »Folgen wir ihnen.«

Leicht benommen stolpere ich hinterher.

Plötzlich öffnet sich das Dickicht des Waldes und gibt den Blick auf eine grüne Ebene frei: Felder, so weit das Auge reicht, Gurkenfelder, nichts als Gurken, dazwischen Bewässerungskanäle und Schilfhütten.

Und Menschen. Klein. Winzig. Männer und Frauen mit weißen Bärten und roten Zipfelmützen. Sie halten Schäufelchen, Heugäbelchen und Hackebeilchen in den Händen.

»Wir haben die geheimen Gurkengründe der Spreewaldpygmäen entdeckt«, flüstere ich ergriffen.

Ich möchte auf die kleinen Menschen zueilen, doch Sir Percy hält mich zurück.

»Niemand«, zischt er, »niemand, der die geheimen Gurkengründe der Spreewaldpygmäen zu Gesicht bekam, ist je wieder von dort zurückgekehrt.«

Woher will er das denn wissen, denke ich.

»Ach was, die sind total lieb, die Zwerge«, sage ich. »Sooo lieb sind die.«

Die Wildschweine schauen besorgt und ziehen sich geräuschlos ins Unterholz zurück.

Energisch zupft Sir Percy mich am Ärmel, »Kommen Sie jetzt mit, Sie Idiot. Solange es noch geht.«

Dann ist Sir Percy verschwunden. Mir doch egal.

Ich will mich gerade erheben und den Zwergen eine Begrüßung zurufen, vielleicht eine Rede halten, mir ist irgendwie danach, da bohrt sich etwas Hartes in meine Kniekehle. Ich drehe mich um. Es ist eine Lanze in Spielzeuggröße, die einer der Zipfelmützenzwerge in den Händen hält. Er ist nicht allein. Im Nu bin ich umzingelt von ungezählten Spreewaldpygmäen mit Waffen aller Art. Knüppel, Speere, Sensen, Dreschflegel, sogar eine zweizackige Harpune sehe ich.

»Hui, Frissfleiss«, lacht der mit der Lanze.

»Ei, Wonntagsbrat’n«, kichert der mit dem Zweizack.

»Hey, Leute«, rufe ich, »ich komme in Frieden.«

»Von weg’n Fried’n. Er hat unf Twerge g’nannt. Hab’t g’nau g’hört«, kreischt einer der Zwerge.

Die müssen uns die ganze Zeit über beschattet haben, fährt es mir durch den Kopf.

»Und detthalb mutt d’r Frevler fterben«, kräht der mit der Lanze. »Keiner b’leidigt ungeftraft ’n ftolten Ftamm d’r Fpreewaldpygmä’n.«

»Hurra, hurra, ’t gitt Mentsenfleiss!«, jubeln alle und werfen ihre Zipfelmützen in die Luft.

Ich drehe mich um, um zu flüchten. Wäre doch gelacht, wenn diese Winzlinge …

Ein fachkundig geworfenes Lasso schlingt sich um meinen Hals, ich werde zurückgerissen und falle in den Schlamm. Sofort sitzen Dutzende Spreewaldpygmäen auf mir drauf. Eine winzige Speerspitze zittert Zentimeter vor meinem rechten Auge.

»Keine Faptfen«, droht der Lanzenzwerg und drückt seine Waffe gegen meine Gurgel. Dann ruft er: »Einhorn! Einhorn, hierher!«

Ein plumpes Tier, groß wie ein Ackergaul, mit verfilztem Fell in schmutzigem Lila und einem meterlangen blutverkrusteten Horn auf der Stirn, kommt herangestampft. Es zieht einen altertümlichen Leiterwagen, auf dem ich rostige Ketten entdecke.

»Hau ruck, hau ruck«, skandieren die Zwerge, während sie mich am Lasso zum Karren führen. Ich habe keine Wahl, als ihnen zu folgen, mit der Schlinge um den Hals. Sie pieksen mich auffordernd mit ihren Waffen, und ich steige auf den Wagen. Es riecht nach altem Erbrochenen und frischem Einhorndung. Ein paar Zwerge hüpfen mir hinterher. Ketten schließen sich um meine Hand- und Fußgelenke. Irgendwer stopft mir eine Zwiebel in den Mund.

Unfähig, mich zu rühren, richte ich den Blick auf die Anhöhe, dorthin, wo wir hergekommen sind, und sehe mehrere Gestalten, die sich im Schatten der Bäume bewegen. »Sir Percy und die Wildschweine, sie sind gekommen, um mich zu retten«, denke ich erleichtert, »sie werden mich hier nicht allein sterben lassen.«

Nun erkenne ich die majestätischen Silhouetten der Wildschweine ganz deutlich im Schein der untergehenden Sonne. Sie haben sich in einer Reihe aufgestellt, kommen aber nicht näher heran. Der Zwerg auf dem Kutschbock lässt die Peitsche knallen, das Zugtier stößt ein rasselndes Geröchel aus, das eher nach Raucherhusten als Wiehern klingt. Dann setzt der Einhornkarren sich schwerfällig in Bewegung.

Sir Percys Stimme schallt über die Ebene: »One, two, three, four.«

Und die Wildschweine beginnen, im Chor zu grunzen:

»When you walk through a storm

Hold your head up high

And don’t be afraid of the dark

At the end of a storm

There’s a golden sky

And the sweet silver song of a lark

Walk on through the wind

Walk on through the rain

Though your dreams be tossed and blown

Walk on, walk on

With hope in your heart

And you’ll never walk alone«

Eber im Nebel

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