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DIE BESCHWERDE Sehr geehrter Herr Funny van Dannen,

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ist »van Dannen« eigentlich Ihr richtiger Name?

Das ließe darauf schließen, dass Sie Holländer sind, also kein Muttersprachler (was vielleicht Ihren eher saloppen Umgang mit der deutschen Sprache erklären würde), ich hoffe aber mal, Sie verstehen trotzdem genug Deutsch, um das Folgende rezipieren zu können. Ich werde versuchen, so sachlich und konzis wie möglich zu bleiben, selbst wenn’s schwerfällt.

Ich wende mich auf diesem Weg an Sie, um mich zu beschweren.

Es geht um Ihren Song »Okapiposter«, den mir der Jens, mein Pfleger, neulich auf YouTube vorgespielt hat. Um mich zum Lachen zu bringen. Aber so lustig fand ich das, ehrlich gesagt, nicht.

Zwar habe ich durchaus Humor, und niemand weiß einen guten Witz mehr zu schätzen als ich. Selbst wenn er auf meine Kosten geht. Man soll sich nicht allzu ernst nehmen, dafür ist das Leben viel zu kurz. Oder wie der Jens immer zu mir sagt: »Plummy, ohne dich wäre es nur halb so lustig hier im Zoo.«

Humor ist ja, wenn man trotzdem lacht, aber wenn ich so etwas wie das hier höre, dann hört für mich der Spaß auf:

»Ich wollte ein Okapiposter,

und was schenkst du mir?

Das ist kein Okapi. –

Das ist ein Schabrackentapir!

Jetzt ist der Geburtstag im Eimer, das ist dir ja hoffentlich klar.

Wenn das mal kein schlechtes Omen ist

für das ganze nächste Jahr!«

Sie ahnen es vielleicht bereits: Ich bin ein Schabrackentapir. Und ich bin not amused. Au contraire, ich muss Ihnen leider in aller Deutlichkeit sagen, dass ich diesen Text ziemlich verletzend, ja geradezu ehrabschneidend finde. Für mich, für alle Schabrackentapire auf der Welt!

Mal ganz davon abgesehen, dass es sehr unhöflich ist, ein Geschenk auf diese Art zurückzuweisen – und das auch noch in aller Öffentlichkeit, die Person hat es doch sicher nur gut gemeint –, also mal abgesehen vom eklatanten Mangel an guter Kinderstube, der sich hier offenbart: Was bitte hat ein Okapi, das ein Schabrackentapir nicht hat?

Okapis sind doch nichts weiter als zu klein geratene Giraffen ohne Hals, die farblich daherkommen, als hätte ein expressionistischer Maler im Absinthrausch mit seiner Palette nach ihnen geschmissen.

Was glauben Sie denn, warum diese Behelfsgiraffen erst vor 100 Jahren von den Menschen entdeckt wurden? Weil sie nicht entdeckt werden wollten, darum! Minderwertigkeitskomplexe haben sie, und das mit Grund. Jahrtausendelang trauten sie sich nicht hinaus auf die Savanne, wo alle Bewohner, von Schuppentier bis Warzenschwein, über sie gelacht hätten. Stattdessen hielten sie sich im tiefsten Dschungel versteckt, aus Scham, keine vollwertigen Giraffen zu sein, sondern ein gründlich danebengegangener Scherz der Evolution.

Ausgerechnet Okapis. So ein missglücktes Geschöpf einem schönen Schabrackentapir vorzuziehen, ist äußerst herabsetzend, und ich muss mich im Namen aller meiner Artgenossen auf das Entschiedenste dagegen verwehren, mit Okapis in einen Topf geworfen zu werden.

Aber gut, lassen Sie uns nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, schließlich kann keiner was dafür, wie er aussieht. Ich für mein Teil bin dem Schicksal jedenfalls sehr dankbar, als Schabrackentapir und nicht als Okapi geboren zu sein, daran kann auch Ihr Lied nichts ändern. Sie wollen keinen Schabrackentapir zum Geburtstag, na schön. Ich kann mir auch Tausende Leute vorstellen, an die ich lieber zum Geburtstag verschenkt werden würde als an Herrn Funny van Dannen. Menschen, die froh und dankbar über einen geschenkten Schabrackentapir wären und ihn pfleglich und liebevoll behandeln würden. Aber Monsieur hätte lieber ein Okapi. Es fällt wirklich schwer, das ernst zu nehmen.

Ich möchte meinen Ärger über Ihr Lied aber auch nicht an den Okapis auslassen (vielleicht ist es ja genau das, was Sie wollen?), schließlich hat kein Okapi diese bedauerliche Affäre losgetreten, sondern Sie, ein erwachsener Mensch, der sich den Folgen seiner Handlungen bewusst sein sollte.

Darüber hinaus finde ich es ehrlich gesagt sehr traurig, wie hier eine bedrohte Tierart gegen eine andere ausgespielt wird, zur Gaudi Ihres (wenn ich mir das YouTube-Video so ansehe, durchaus überschaubaren) Publikums. Das gibt nur böses Blut zwischen Okapis und Schabrackentapiren, und wem sollte das etwas nutzen.

Wäre es nicht viel verständiger, wenn wir speziesübergreifend alle zusammenhalten würden, um dem Artensterben Einhalt zu gebieten? Dazu gehören auch gute Presse und Visibilität für seltene Tiere in der Öffentlichkeit. Von daher finde ich es grundsätzlich erfreulich, dass es ausnahmsweise mal nicht um Koalas, Wölfe oder Blauwale geht, sondern um ein Tier, das keine so große Lobby hat.

Aber statt die Gelegenheit zu nutzen, um auf das Schicksal der Schabrackentapire hinzuweisen (es gibt nur noch zweitausend von uns!), machen Sie sich lustig.

Stellen Sie sich mal vor, ein hitzköpfiger Schabrackentapirjüngling, der über weniger Langmut und Weltklugheit verfügt als ich, bekommt etwas von diesem Lied mit und leitet eine Blutfehde gegen Okapis in die Wege. Es sind schon Kriege aus geringerem Anlass ausgebrochen!

Und was wissen Sie schon von mir und meinem Leben? Ich bin hier im Gehege der einzige Schabrackentapir unter lauter Bergtapiren, Sie können sich gar nicht vorstellen, was da an Mobbing abgeht. Die unscheinbaren braunen Bergzwerge neiden mir meine schöne Färbung und meine stattliche Statur. Was kann ich denn dafür, dass ich der Blickfang bei den Besuchern bin und immer alle nur mich füttern wollen? Da kommt zum Schabrackenneid auch noch Futterneid hinzu.

Zum Glück bin ich von Natur aus ein Solitär und kann auf die Gesellschaft dieser Neidhammel verzichten. Mein einziger Freund hier ist der Jens. Wenn er Pause hat, kommt er immer bei mir vorbei, und wir unterhalten uns und hören zusammen Radio oder gucken YouTube.

Ich habe weiß Gott kein einfaches Leben gehabt, bin von einem Tierpark zum anderen durchgereicht worden, vier Zoos in drei Ländern auf zwei Kontinenten. Meine Mama ist mir früh genommen worden, von Gummipflanzern, und ein gutherziger Mensch fand mich als hilfloses Baby und brachte mich in den Pahang-Nationalpark. Dort begann meine Odyssee.

Darüber könnten Sie mal ein Lied schreiben! Anstatt mich und meine gesamte Art zu »dissen«, wie man wohl heutzutage sagt. Vielleicht würde das Ihrer Karriere sogar guttun, ich zumindest habe noch nie eines Ihrer Lieder auf dem Schlagerkanal oder im Oldiesender gehört, und ich höre den ganzen Tag Radio.

Ja, schreiben Sie doch mal ein Lied über meine Mama, so wie Heintje das gemacht hat. Der konnte wenigstens richtig singen, im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten, und der würde sicher nicht undankbar und selbstmitleidig rumnölen, wenn er einen Schabrackentapir zum Geburtstag geschenkt bekäme, sondern hätte sich einfach höflich bedankt.

Was haben Sie sich nur dabei gedacht? Es will nicht in meinen Kopf.

Kommt man heutzutage in die Charts, wenn man Schabrackentapire verhöhnt? Ist es so weit gekommen mit der Menschheit? Wenn solche Lieder über meine Art im Umlauf sind, dann wundert es auch nicht, dass wir auf der Roten Liste stehen.

Es ist übrigens kein Niemand, der Ihnen hier schreibt. Seit meiner Ankunft vor fünf Jahren halte ich mich konstant in den Top Ten der beliebtesten Zoo-Insassen, die am Ende jedes Kalendermonats vom Personal erstellt werden. Und an meinem letzten Geburtstag war sogar ein kleiner Artikel über mich im Stadtanzeiger, der Jens hat ihn herausgeschnitten und an die Wand meines Schlafstalls gepinnt.

Und dann muss ich mir so etwas anhören:

»Okapis sind Giraffen, ein Tapir sieht aus wie ein Schwein.«

Nur zu Ihrer Information: Schweine sind Paarhufer.

Ich aber bin Unpaarhufer, mein Herr!

Meine Verwandten sind edle Pferde und stolze Nashörner, nicht schnöde Schweine und anderes Nutzvieh.

Das ist eigentlich Beweis genug, dass Ihr Schabrackentapir-Shaming von keinerlei naturwissenschaftlicher Sachkenntnis unterfüttert ist. Es gibt doch so viele Themen für Schlagersänger, müssen es da wirklich Schabrackentapire sein (von denen Sie ja offensichtlich nichts verstehen)?

Wenn Sie zu cool sind, um über Mama zu singen, dann singen Sie doch über die Kunst des Schachspiels wie Roland Kaiser, oder über Marmor, Stein und Eisen wie Drafi Deutscher, über Nippel wie Mike Krüger, Theater wie Katja Ebstein, über losen Atem wie Helene Fischer. Oder über ’nen Cowboy als Mann wie Gitte Hænning!

Oder machen Sie es meinem großen Idol Udo Jürgens nach (der Jens hat mir ein signiertes Poster besorgt, das gleich neben meinem Pressefoto hängt), und besingen Sie griechischen Wein, Schlagsahne und New York, tun Sie sich mit der Fußballnationalmannschaft zusammen, und rufen Sie es in die Welt hinaus:

»Buenos Dias, Argentina, er war lang, mein Weg zu dir,

doch nun schwenk ich den Sombrero, Buenos Dias, ich bin hier.«

Udo Jürgens, er fehlt so sehr. Was habe ich an dem Tag geweint, als ich von seinem Ableben erfuhr. Udo Jürgens hätte sich bestimmt nicht über einen geschenkten Tapir beschwert, der hätte sich ans Klavier gesetzt und »Merci, chérie« gesungen.

Und jetzt kommen Sie mir nicht damit, dass das alles alte Lieder von alten Leuten sind, es gibt durchaus auch junge Menschen, die gehaltvolle Musik produzieren. Kennen Sie das aufstrebende Schlagerkollektiv Die Ärzte?

Hören Sie mal rein, die zeigen, wie es richtig gemacht wird, singen über Blumen und über die Liebe zwischen Claudia und ihrem Schäferhund. Und das alles mit dem gebotenen Respekt gegenüber Flora und Fauna, den Sie vermissen lassen.

Ja, von Schlagern kann ich Ihnen ein Lied singen! Wenn ich kein Schabrackentapir wäre, dann wäre ich Schlagersänger geworden.

Und nehmen Sie sich meine Ratschläge, ihr Songwriting betreffend, gerne zu Herzen, dann klappt’s vielleicht irgendwann mal mit dem Oldiesender.

In der Hoffnung auf ein klärendes Gespräch verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen,

Ihr Plummy

Schabrackentapir und stolz darauf

Eber im Nebel

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