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Faszination Anne Bonny – Faszination Piraten

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Vor einigen Jahren arbeitete ich an einem Roman über die irische Piratin Grace O’Malley, die im 16. Jahrhundert gelebt hat und auf der Grünen Insel zu einer Volksheldin geworden ist. Nach wie vor wird die Erinnerung an diese adelige Piratin sowohl in den Pubs wie auch in Publikationen lebendig gehalten. Dies vor allem, weil sie mit List und viel Fortune über ein halbes Jahrhundert lang eroberungslüstige Engländer von der Westküste ihrer Heimat fernhalten konnte. Einem alten Iren aus Cork habe ich allerdings zu verdanken, daß ich bei meinen damaligen Recherchen auch von der zweiten draufgängerischen Piratin erfuhr, die aus dem Land hervorgegangen ist: Anne Bonny.

Sie lebte ein gutes Jahrhundert später als ihre zumindest in Irland berühmtere Piratenschwester Grace O’Malley. Zudem waren Anne Bonnys Jagdgründe wärmere Gewässer und die mit Palmen übersäten Inseln der Karibik. Damals, als mir Paddy aus Cork, mit fast zahnlosem Mund stolz von Anne Bonny erzählte, nahm ich mir vor, mich mit dieser anderen Piratenkönigin eines Tages näher zu befassen. Im Laufe der Zeit sammelte ich peu à peu Material über ihre seeräuberischen Aktivitäten und war dabei mehr und mehr von ihrem »Lady’s touch« fasziniert – ihren ausgefallenen Tricks, mit denen sie selbst gestandene Männer aufs Kreuz legte, um an ihre Schiffe und Schätze auf See zu kommen. Daß sie dies ein paar Jahre lang im Verein mit einer anderen Piratin tat, nämlich mit Mary Read, machte die ganze Sache für mich noch spektakulärer, weil die beiden Frauen in einem absolut von Männern beherrschten Jahrhundert agierten. Zudem weckte ein Zitat der amerikanischen Schauspielerin, Rennfahrerin und Flugzeugpilotin Jill St. John meine Aufmerksamkeit. In den fünfziger Jahren stellte die Amerikanerin in einem Film eine Piratin dar und äußerte sich über Anne Bonny wie folgt:

»Niemand soll auf die Idee kommen, daß ich in ›Der Pirat des Königs‹ diese Anne Bonny verkörpere. Sie war schließlich 1 Meter 85 groß, wog zweihundert Pfund und hatte ein Gesicht, das eine Sonnenuhr stoppen konnte.« 1 )

Offensichtlich wollte die Schauspielerin lieber eine Piratin mit dem Aussehen eines Pariser Mannequins spielen und distanzierte sich deshalb so stark von Anne Bonny. Tatsächlich war die Piratenkönigin der Karibik alles andere als ein süßes Mäuschen mit dem strahlenden Gesicht eines Leinwandstars à la Hollywood. Aber sie war wohl auch nicht so häßlich, wie Jill St. John sie sich vorstellte.

Es gibt einen höchst interessanten Stich aus dem Jahre 1724, der sie als junge Frau vor einer Palmenküste mit Schiffen in der Ferne zeigt. Anne Bonny trägt weite Hosen mit einem kurzen Jäckchen und einem offenen Hemd, das die Brüste freigibt. Mit der rechten Hand feuert sie eine Pistole ab. Ein Enterbeil in der linken Hosentasche, ein Säbel und zwei weitere Pistolen in einem ledernen Leibriemen vervollständigen ihre Ausrüstung. Ihr breitkrempiger Hut sitzt schief, und das rötlichblonde Haar weht. Das Gesicht ist fein geschnitten, und der Zeichner, der sie in natura wahrscheinlich niemals getroffen hat, mag etwas festgehalten haben von dem Hemmungslosen und Rebellischen, das dieser Frau eigen gewesen ist.

Doch das Auffallendste an dieser Abbildung ist die Drehbewegung, die die Gestalt auszuführen scheint, wodurch das rechte Bein etwas zurückbleibt. Das gibt der Figur etwas unvergleichlich Zierliches, wie überhaupt die ganze Zeichnung einmalig und höchst ungewöhnlich ist. Alle anderen Abbildungen von berühmten Piraten – Zeitgenossen von Anne Bonny – wirken dagegen steif und phantasielos. Anne Bonny gleicht einer Primaballerina, die sich als Püppchen auf einer Spieldose dreht – aber umringt von Feinden, die sie einen nach dem anderen, immer sich drehend und schießend, unschädlich macht. Spielerisch wirkt ihr Tun und zugleich beängstigend. Was für eine ungewöhnliche Frau! Anne Bonny, die Piratenkönigin, war groß, durchtrainiert und hatte Muskeln wie moderne Athletinnen. Die brauchte sie allerdings auch, um sich in einer der unbarmherzigsten Männergesellschaften behaupten zu können, die es jemals gab: die Piratenbanden der Karibik um 1700.

Schillernde Gestalten befanden sich darunter, wie der dämonische Blackbeard, alias Edward Teach, der wegen seiner Brutalität selbst bei seiner eigenen Besatzung als Teufel in Menschengestalt galt. Oder Bartholomew Roberts, den viele wegen seiner Taktik der Kriegsführung auf See und seiner sagenhaften Erfolge für den größten Piraten seiner Zeit hielten und der nach dem Sprachgebrauch seiner Kumpane pistolenfest war. Oder Stede Bonnet – ein seltsamer Kauz – der bei seinen Überfällen auch gerne die Schiffsbibliothek mitgehen ließ, weil er so gerne Gedichte las. Oder Howell Davis, der eine mörderische, halsabschneiderische Besatzung befehligte, die ihm allerdings vollkommen ergeben war, weil sie bei ihm nichts für unmöglich hielten.

Alle diese Heroen und noch viele mehr wird Anne Bonny persönlich gekannt haben. Daß sie sich gegen sie behaupten konnte, zeigt, wie außergewöhnlich diese Frau aus Irland gewesen sein muß. Im übrigen haben Piraten zu allen Zeiten zugleich Schrecken und Bewunderung ausgelöst. Dies gilt um so mehr für das Goldene Zeitalter der Piraterie zwischen 1691 und 1723. Unauslöschlich hat sich trotz dieser kurzen Blütezeit gerissener Schurkenstreiche auf hoher See Stil und Bravour der westindischen Piraten in der Psyche der westlichen Welt eingeprägt. Denn trotz all ihrer Roheit sprechen die Piraten bis auf den heutigen Tag etwas in uns an: »Die Lockung ferner Horizonte, die Verheißung eines anderen Morgens, der Traum, die Ketten der menschlichen Existenz abzustreifen, alle Regeln zu brechen und obendrein noch reich zu werden.« 2 )

Hans Leip hat diese irreale Sehnsucht des sowohl verschreckten als auch faszinierten Kleinbürgers so ausgedrückt: »Befassen sich neuere Schriftsteller mit dem Thema Freibeuterei, ist ihnen meist der soziale Untergrund reizvoll, die historische Unumgänglichkeit, der frühdemokratische Einschlag, die gelegentlich anarchistische oder sektierische Gegebenheit und die einzelnen Typen in ihrer Brutalität, Abseitigkeit oder Verstiegenheit. Und dieses alles auf dem gewaltigen Gefilde der See. Das Malerische kommt hinzu und das Schwierige, die Weltabgeschiedenheit vergangener Segelschiffahrt, auch der Hauch Romantik, der um das scheinbar freie Seeräuberleben geistert, das Glitzern geheimnisvoller Münzen und Kleinodien, die Verschwiegenheit und exotische Pracht der Zuflüchte auf tropischen Inseln, das wild Verschwenderische dort, die Orgien und Ränke, die höllischen Selbstherrlichkeiten und was alles sich das nach Unerhörtem begehrliche zivile Herz aus alten Verhinderungen oder Sehnsüchten heraus ins unerfüllte Tagebuch schreibt.« 3 )

Aber die Betrachtung des karibischen Seeräubertums ist auch noch aus einem anderen Grund interessant und eines der faszinierendsten Kapitel der amerikanischen Geschichte. Denn, will man ehrlich sein, so sind die westindischen Freibeuter, sind Männer wie Blackbeard, Bonnet, Bartholomew und Frauen wie Anne Bonny und Mary Read die ersten Amerikaner im modernen Sinn des Wortes. Warum? Weil sie sich früher als andere von ihrem Mutterland England losgelöst haben, um etwas Neues und Eigenständiges zu gründen. Piratenkolonien nannten und nennen es die Bürger abwertend bis heute, aber gerade dieses Moment des Außerstaatlichen stellte für die bürgerlichen Zeitgenossen der Piraten das eigentliche Verbrechen dar – wie wir noch sehen werden. Dabei war diesen Outlaws immer gegenwärtig, was ihnen blühte, wenn man ihrer habhaft wurde. Der Strick war dabei noch das freundlichste Schicksal. Ein Beispiel dafür ist das Todesurteil von Stede Bonnet. Er würde im Hafen von Charles Town öffentlich gehängt, obwohl er um Gnade gefleht und in seiner Verzweifelung sogar an den Gouverneur geschrieben hatte. In seinem Brief teilte er diesem mit, daß er, falls man ihn begnadige, sich unfähig machen würde, das Piratenleben je wieder aufzunehmen, indem er alle seine Gliedmaßen vom Körper trennen und nur die Zunge behalten werde, um ständig voller Reue den Herrn anzurufen und zu ihm zu beten. Das Angebot der Selbstverstümmelung hat ihm nichts genutzt. Ein gefangener Pirat wurde von der damaligen Justiz immer auf grausamste Weise ums Leben gebracht.

Das muß auch Anne Bonny klargewesen sein. Dennoch hat sie ihr selbstgewähltes Schicksal niemals verleugnet. Vielleicht, weil ein Leben auf See ihr die einzige Möglichkeit eröffnete, an männlicher Bewegungsfreiheit und ihren Privilegien teilzuhaben. Wie Anne Bonny letztlich war und wie sich selber fühlte, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben. Diese Biographie kann deshalb auch nur die harten Fakten zusammenstellen – Berichte und Aussagen von Menschen, die Anne Bonny gekannt haben, oder was man über sie vom Hörensagen weiß. Ein verläßlicher Zeuge bei dieser »Beweisaufnahme« ist sicherlich Daniel Defoe, Verfasser des Robinson Crusoe und intimer Kenner der karibischen Piratenszene. Er veröffentlichte 1724, knapp zwei Jahre nach den letzten Massenhinrichtungen von Piraten durch den Strang, in London ein Buch mit dem Titel: A General History of the Robberies und Murders of the Most Notorious Pirates, das 1728 auch in deutscher Sprache erschien. 4 ) Defoes Buch, basierend auf Material aus erster Hand, wie den Abschriften von Piratenprozessen und Unterredungen mit Piraten und ihren Opfern, befaßt sich eingehend mit den westindischen Seeräubern und vor allem mit Anne Bonny und Mary Read. 1728 erschien aufgrund des überwältigenden Erfolges ein zweiter Band. Defoe hatte beide Bücher unter dem Pseudonym Kapitän Charles Johnson veröffentlicht und erst sehr viel später, nämlich in den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts, konnte die wirkliche Autorenschaft gelüftet werden. Defoes Buch wurde vor allem wegen seiner »Biographie« der Anne Bonny berühmt und fand zahlreiche Leser, die jedes Wort über die Piratin begeistert verschlangen. Vor allem was ihr Ende angeht, das nach wie vor im dunkeln bleibt, und worüber Defoe keine Auskunft geben konnte oder wollte.

Mich beschleicht beim Lesen von Defoes Bericht der Eindruck, als ob dem Autoren Anne Bonny selbst nicht geheuer gewesen ist. Er bezeichnet ihr Dasein als »äußerst extravagant« und falls der Leser den Eindruck hätte, das Leben dieser Frau gleiche einem Roman, so müsse er ihm leider sagen, daß nichts davon ausgedacht sei. Als Beweis für seine Glaubwürdigkeit fügt Defoe an, daß es immer noch genügend Zeugen gäbe, die dies bestätigen könnten. Defoe ist sich aber zugleich bewußt, daß die ungewöhnliche Laufbahn von Anne Bonny als Piratin seinem Buch eine große Leserschar bescheren wird, selbst wenn ihm die Frau, wohl weil sie aus der tradierten Rolle herausfällt, irgendwie unheimlich bleibt. Und die Faszination, die die Figur des weiblichen Piraten ausübt, ist bis heute ungebrochen.

Anne Bonny - Piratenkönigin der Karibik

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