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Captain Kidd – ein Pirat als Abschreckung für alle Anständigen

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Mit ihren unhandlichen, schweren Schrankkoffern ging die Familie eines Morgens hinunter zum Hafen von Cork. Dort wartete bereits ein Schiff auf die drei Cormacs, das sie nach London bringen sollte. Keiner von ihnen würde je wieder nach Irland zurückkehren, und zu diesem Zeitpunkt werden sich auch weder William, Mary noch Anne Cormac danach gesehnt haben. »Nur möglichst weit weg von Cork«, mag ihre Devise gelautet haben, und auf der Fahrt nach London, die einige Tage in Anspruch nahm, fiel der Druck, der die letzten Jahre auf ihnen gelastet hatte, ganz allmählich ab. Für Anne war es die erste längere Schiffahrt überhaupt und daher ein Abenteuer besonderer Art. Als sie in die Themse einfuhren und Tilbury Point passierten, wird sie jemand auf eine bestimmte Stelle am rechten Ufer aufmerksam gemacht haben. Vielleicht ist es sogar William Cormac selbst gewesen, der – seine Tochter an sich gedrückt – auf einen Landstrich gezeigt und vom Galgen erzählt hat, der dort vor ein paar Jahren für den berüchtigten Piraten Captain Kidd errichtet worden war. Anne wird die abschreckende Geschichte vom Piraten Kidd sicherlich gekannt haben, weil sie damals in aller Münde gewesen ist. Alle Schiffe, die in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts die Themse nach London hinauffuhren, mußten an dem an einem Galgenbaum hängenden, mit Ketten gefesselten und in ein eisernes Gerüst gepreßten Kidd vorbei – konnten ihn kaum übersehen. Kidd hing dort als abschreckendes Beispiel. Und manch ein Seefahrer, der Pirat wurde, schwor, sich eher in die Luft zu sprengen, als zum Trocknen aufgehängt zu werden wie Kidd.

Seine Seeräubereien waren in Annes Kindheit in aller Munde, und Kidd wurde zum Monster stilisiert, das unartige Kinder fraß. Noch bei späteren Generationen galt William Kidd allgemein als Seeräuber übelster Sorte, als Prototyp eines grausamen und halsabschneiderischen Piraten. Kidd war ein berühmter Fall, aber dies eher aufgrund politischer Intrigen als der tatsächlich begangenen Verbrechen. Sein Aufstieg zum geächteten Piraten ist nämlich untrennbar verbunden mit den Namen einiger der erlauchtesten Männer des britischen Königreichs. Männern, die Kidd am Ende verrieten und keinen Finger für ihn rührten, um nicht selbst in Gefahr zu geraten.

Über die ersten 45 Jahre seines Lebens ist wenig bekannt. Kidd war Schotte und wurde wahrscheinlich 1645 in Greenock geboren. Vermutlich wird er schon als Junge zur See gegangen sein. Später wanderte er nach Amerika aus und soll um 1690 ein vermögender Mann in New York gewesen sein. William Kidd besaß ein eigenes Handelsschiff und hatte sich 1689 als Kaperkapitän im Dienste des Königs gegen die Franzosen in Westindien hervorgetan. Kidd war mit Sarah Oort verheiratet, die, obwohl erst Anfang Zwanzig, bereits zwei Ehemänner überlebt hatte. Bevor William Kidd nach New York kam, hatte er in London einflußreichen Leuten bei Hofe auseinandergesetzt, daß er in der Lage sei, die See von Piraten leerzufegen, ohne daß dies der Regierung auch nur die geringsten Kosten verursachen würde. Alles, was er benötige, sei finanzielle Unterstützung seitens der Londoner Kaufmannschaft, um ein gutes, mit starken Geschützen wohlbestücktes Schiff auszurüsten. Lohn brauche der kampfkräftigen Mannschaft seines Schiffes nicht gezahlt zu werden, weil man ja auf Kaperfahrt gegen Piraten zöge. Kidds Plan gefiel den hohen Herren in London, und so stellten sie ihm 6.000 Pfund Sterling zur Verfügung, um das Unternehmen zu finanzieren. Mit von der Partie, wenn auch nur in finanzieller und politischer Hinsicht, waren der Lordkanzler von England, der Lord der Admiralität und einige angesehene Herren aus dem Hochadel.

William Kidd schien der geeignete Mann für ein solches Unternehmen zu sein. Er war ein ehrlicher, zuverlässiger Handelskapitän und kampferprobter Seemann, der sich mit Piraten auskannte. Seine besondere Kaperfahrt versprach Gewinn. Wie es Brauch war, sollten die ersten zehn Prozent der Beute an die Krone fallen. Die restlichen 90 Prozent sollten wie 100 Prozent zu drei Teilen aufgeteilt werden. 60 Prozent für die Londoner Geldgeber, 15 Prozent für Kidd und nur 25 statt der sonst üblichen 60 Prozent für die Besatzung. Außerdem sollte die Beute erst nach der Fahrt, zum Abschluß des ganzen Unternehmens, verteilt werden. William Kidd wurden zwei Sondervollmachten verliehen, um diesem privaten Unternehmen ein offizielles Mäntelchen umzuhängen. Die eine war ein Kaperbrief, der ihn ermächtigte, französische Schiffe aufzubringen. Die andere war die Vollmacht des Königs, Jagd auf Piraten zu machen und wies Kidd als »unser treuer und vielgeliebter Captain William Kidd« aus.

Im Dezember 1695 lief sein Schiff, die »Adventure Galley« in London vom Stapel. Sie hatte mehr Kanonen an Bord als jedes Seeräuber schiff. Kidd segelte zuerst nach New York, wo er seine endgültige Mannschaft zusammenstellte. Im September 1696 stach er von dort aus in See, um seinen Auftrag zu erfüllen. Nach wie vor ist unbekannt, wie aus dem wohlhabenden Kapitän, der auf Piratenfang gehen wollte, selbst ein Pirat wurde. Die einen sagen, er sei dazu von seiner habgierigen Crew gepreßt worden, Es ist durchaus möglich, daß die Männer meuterten, nachdem sie auf See keine Beute erhalten hatten und darauf nach Aussage ihres Kapitäns auch noch lange warten sollten. Die anderen glauben, daß William Kidd von vornherein nichts anderes im Sinn gehabt hätte, als mit einem starken Schiff selbst Pirat zu werden. Es dauerte ein Jahr, bis man in London von Kidds Taten hörte. Es hieß, er würde seine Opfer fesseln und danach mit der flachen Klinge seines Entermessers so lange schlagen, bis sie verrieten, wo das Bargeld oder der Schmuck versteckt seien. Kidd habe auch Gefangene getötet, Schiffe verbrannt und sich mit anderen Seeräubern zusammengetan und Munition ausgetauscht, wurde erzählt. Doch nichts Genaues wurde bekannt. Für zwei Jahre war Captain Kidd jedenfalls der Schrecken des Meeres zwischen Madagaskar und Westindien. Dann hatte er so enorme Mengen Seide, Gewürze, Edelsteine, Gold- und Silbermünzen erbeutet, daß selbst seine Männer genug hatten. Die »Adventure Galley« wurde verbrannt, die Crew ging auseinander. Kidd zog sich nach New York zurück, nachdem er vorher den größten Teil seines Schatzes auf einer Insel versteckt hatte – manche vermuten ihn auf einer der Kokos-Inseln im südlichen Indischen Ozean.

Auf dem nordamerikanischen Kontinent wurde Kidd auf Veranlassung jener Männer, die sein Unternehmen finanziert hatten, ins Gefängnis geworfen. Kidd hatte sich zuvor geweigert, einen Bericht über seine Fahrten zu verfassen, behauptete, seine Besatzung habe das Logbuch zerstört. Das, was von seiner Beute noch übrig war, wurde mit ihm zusammen nach London gebracht. Das geschah am 6. Februar 1700. Am 11. April brachte man Kidd in das damals schon 500 Jahre alte Gefängnis von Newgate, das erste Zuchthaus von London. Selbst nach den Maßstäben der damaligen Zeit war es ein widerlicher Ort. Zwei, drei Gefangene teilten sich ein Bett. Die Zellen, durch die Abwasserkanäle liefen, waren so voller Ungeziefer, daß man beim Gehen knirschend Läuse zertrat. Der Gestank von Kot und die Nässe veranlaßte Besucher, Blumensträuße mitzubringen, um ihre Nasen hineinzustecken. Unglaublicherweise wurde das Gefängnis als Privatunternehmen geführt; die Gefangenen mußten für ihre Zellen bezahlen und wurden von den Wärtern erpreßt.

Als man Kidd am Morgen des 14. April in die Admiralität abführen wollte, stellte man fest, daß er dazu nicht mehr imstande war. Kidd – körperlich krank und vorübergehend geistig verwirrt – bat um ein Messer, um sich umzubringen. Er wollte auch lieber erschossen werden, anstatt an den Galgen zu kommen. Ende März 1701 wurde Kidd plötzlich vor das Unterhaus gerufen. Dort hätte er eine Chance gehabt, die zu den Whigs gehörenden Staatsmänner mit hineinzuziehen, sie als Schurken hinzustellen und sich selbst als ihr Opfer. Aber William Kidd hatte kein Gespür für politische Intrigen. Er gab sich widerborstig, beleidigend und wirkte, als sei er betrunken. So bemerkte ein Abgeordneter: »Ich hatte ihn bislang nur für einen Schuft gehalten, aber nun weiß ich, daß er auch ein Dummkopf ist.«

Als Kidd endlich auf der Anklagebank im Old Bailey erschien, hatte er schon fast zwei Jahre im Gefängnis zugebracht. Erst wenige Minuten vor Prozeßbeginn wurde ihm ein Verteidiger gewährt. Beweismaterial, das ihn hätte entlasten können, war plötzlich nicht mehr auffindbar. Faktisch mußte sich Kidd selbst verteidigen. Er tat dies schwerfällig und unbeholfen. Als er sein Urteil vernahm, sagte er: »Mylord, dies ist ein hartes Urteil. Ich habe nichts anderes zu sagen, als daß ich das unschuldige Opfer schlechter Menschen bin.« 6 )

Die Richter sollen gnädig genickt haben, aber das änderte nichts an dem Ausgang des Verfahrens. William Kidd wurde zum Tod durch den Strang verurteilt. Sein Leichnam wurde mit Teer bestrichen und mit Ketten gefesselt, der Kopf in einen Harnisch gesteckt, damit Knochen und Schädel an Ort und Stelle blieben, wenn das Muskelgewebe verweste. Dann hängte man ihn an einem Platz nahe der Themse-Mündung auf, wo er für jedermann, der den Fluß hinauf- oder hinuntersegelte, deutlich zu sehen war. Einigen Berichten zufolge soll er dort jahrelang gehangen haben. Die Sonne ließ ihn verwesen, der Regen peitschte ihn, der Frost ließ ihn zerfallen, die Möwen hackten ihm die Augen aus. Anne wird diese Geschichte von Captain Kidd schaudernd vernommen haben, und es ist gut möglich, daß sie sich in späteren Jahren an den unglückseligen Kidd erinnerte: Noble Männer, angesehen und in Amt und Würden, sind weitaus gefährlicher als bärtige, übelriechende, waffenstarrende Piraten. Die halten wenigstens ihr Wort gegenüber ihresgleichen.

Anne Bonny - Piratenkönigin der Karibik

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