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1. Kritische Anmerkung
ОглавлениеDie Germanen leisteten einen wichtigen Beitrag zur europäischen Geschichte. Ohne sie sind viele Prozesse der Staatenbildung und der kulturellen Entwicklung nicht zu verstehen. Es fällt jedoch schwer, ihre historische Leistung unbefangen und unvoreingenommen zu bewerten. Allzu oft wurden in die Germanen bestimmte nicht zeitgemäße Vorstellungen projiziert.
Nationalismus
Beflügelt von antiken Berichten über die Lebensweise und die Kämpfe der Germanen gegen die Römer feierten Gelehrte wie Literaten im Deutschen Reich seit dem frühen 16. Jahrhundert die Germanen als ein unverdorbenes Volk und betonten dessen Überlegenheit gegenüber der Kurie und den Franzosen. Die Gleichsetzung der Deutschen mit den Germanen bot eine willkommene Grundlage für den seit dem Ende des 18. Jahrhunderts aufkommmenden Nationalismus. Die Kriege der Germanen gegen die römische Herrschaft 9 bis 16 n. Chr. dienten als Vorbild für den Kampf der Deutschen gegen die französische Fremdherrschaft (1806 – 1815).
Ähnliche Glorifizierungen lassen sich auch in anderen Ländern beobachten. Die Niederländer beriefen sich in ihrem Freiheitskampf gegen die spanisch-habsburgische Monarchie (1568 – 1648) auf den Aufstand der Bataver 69 / 70. Die schwedischen Könige begründeten im 16. und 17. Jahrhundert ihr Großmachtstreben mit der Herrschaft der Goten über weite Teile Europas seit dem 5. Jahrhundert.
Rassenlehre
Besonders verhängnisvoll wirkte sich seit dem 19. Jahrhundert die Rassenlehre auf das Germanenbild aus. Frei von irgendwelchen „Beimischungen“ galten sie als die Träger der abendländischen Kultur. Diese Idee fand schließlich Eingang in die Ideologie des Nationalsozialismus. Im Dritten Reich nahm die Germanenverehrung einen geradezu religiösen Charakter an.
Nach dem 2. Weltkrieg hat man sich allmählich von diesem verklärten, kruden Germanenbild gelöst. In einem sich vereinigenden Europa verloren nationale Mythen in zunehmendem Maße ihre Sinn stiftende Funktion. Die Gleichsetzung der Germanen oder einzelner Germanenstämmen mit bestimmten Nationen wurde folgerichtig aufgegeben. Die wissenschaftliche Diskussion hat sich weitgehend versachlicht und durch neue Forschnungsansätze konnte das tradierte Germanenbild revidiert werden.