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2. Name und Herkunft der Germanen
ОглавлениеQuellenlage
Den Historiker stellt die Erforschung der germanischen Geschichte vor ein großes methodisches Problem: Alle Berichte über die Germanen stammen aus den Federn römischer Autoren. Zwar kannten die Germanen Gesänge, in denen sie ihre mythisch verklärte Herkunft feierten und die Taten ihrer Herrscher priesen, jedoch ist keiner dieser frühen Gesänge schriftlich festgehalten und überliefert worden. Folglich existieren keine Schriftquellen, in denen die Germanen selbst Auskunft geben über ihre Lebensverhältnisse, über ihre internen Konflikte, über ihre Herrschaftsstrukturen oder über die Mentalitäten ihres Adels und ihrer einfachen Bauern.
Bei den Berichten der Römer ist stets damit zu rechnen, dass deren Autoren ohne nähere Kenntnisse der Wirklichkeit die mündliche Überlieferung der Germanen und andere ihnen vorliegende Informationen ihren eigenen Vorstellungen und ihrer eigenen Lebenswelt entsprechend interpretierten und umformten. Folglich hätten sich viele Germanen in den ihnen angehefteten Etikettierungen wohl nicht wiedererkannt.
Erste Erwähnung
Diese Quellenproblematik offenbart sich bereits bei dem Namen Germanen. Er begegnet zum ersten Mal in einem Verzeichnis, in dem der Triumph eines Konsuls über einen gallischen Stamm eben dieses Namens in Oberitalien 222 v. Chr. gefeiert wird. Jedoch ließ sich bislang nicht klären, in welcher Beziehung dieser Name zu dem erst später überlieferten Germanenbegriff steht und ob er nicht erst nachträglich in die Inschrift eingefügt worden ist.
Der stoische Gelehrte Poseidonios von Apameia (ca. 135 – 51 / 50 v. Chr.), der für seine geographischen und ethnographischen Studien nach Gallien kam, erwähnte kurz die Germanoi, die sich in ihren Essgewohnheiten kaum von den Galliern unterschieden. Er kannte sie somit als ein den Galliern nahestehendes Volk, lässt aber offen, ob es sich hierbei um einen eigenständigen ethnischen Verband handelte. Wenn das zutreffen sollte, müsste er seinen Standort Massalia (Marseille) verlassen haben und gen Norden gereist sein.
Oberbegriff für verschiedene Völker
Das Verdienst, die Bezeichnung Germanen als Oberbegriff für verschiedene Völker geprägt zu haben, kommt letztlich dem römischen Feldherrn und Staatsmann Caius Julius Caesar (100 – 44) zu. Gleich zu Beginn seines Berichtes über den Gallischen Krieg verwendete er diesen Namen mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass man davon ausgehen kann, dass er in Rom bereits allgemein bekannt war. Im Laufe seiner Darstellung grenzte Caesar die Germanen klar und deutlich von den Galliern ab, indem er wiederholt auf Unterschiede in ihrer Lebensweise und Kultur hinwies. Dabei erklärte Caesar den Rhein zur geographischen Grenze zwischen beiden Völkerschaften. Das Gebiet jenseits, das heißt rechts des Rheines bewohnten nach seiner Ansicht die Germanen, das Gebiet diesseits, das heißt links des Rheines die Gallier. Allerdings wies er auch darauf hin, dass im Norden einige nicht-gallische Stämme lebten, die sich selbst Germanen nannten. Denkbar ist, dass Caesar bei seiner ethnischen Einteilung die Sichtweise von Galliern übernahm, die in Verhandlungen mit den Römern die Invasoren, die über den Rhein in ihre Gebiete vorgestoßenen waren, unter der Bezeichnung Germanen subsumierten.
Q
Die Belger ein germanischer Stamm?
Caesar, Bellum Gallicum 1,1,3 und 2,4,1 – 3
Von all diesen (Stämmen) sind die Belger am tapfersten, weil sie von der Lebensweise und der (höheren) Bildung der Provinz (gemeint ist die Gallia Narbonensis) am weitesten entfernt leben und zu ihnen am wenigsten häufig Kaufleute gelangen und (Dinge) einführen, die zur Verweichlung des Charakters beitragen, auch weil sie den Germanen am nächsten leben, die jenseits des Rheins wohnen (und) mit denen sie ständig Krieg führen. (…) Als Caesar (die Remer) fragte, welche und wie viele Stämme unter Waffen stünden und wie stark sie im Krieg seien, erfuhr er Folgendes: Die meisten Belger stammten von den Germanen ab und hätten in alten Zeiten den Rhein überschritten, sich wegen des fruchtbaren Bodens dort niedergelassen und die Gallier, die diese Gegend bewohnten, vertrieben; sie hätten als einzige zurzeit unserer Väter, als ganz Gallien heimgesucht wurde, verhindert, dass die Teutonen und Kimbern in ihr Gebiet einfielen; aus der Erinnerung an diese Vorfälle bezögen sie ein großes Ansehen und einen hohen Sinn im Kriegswesen.
(Übersetzung Goetz-Welwei I 277 und 315)
Der griechische Geograph Strabon von Amaseia (65 / 64 v. Chr. – nach 23 n. Chr.) übernahm nicht Caesars Sichtweise. Zwar hießen die Bewohner jenseits des Rheines für ihn ebenfalls Germanen, jedoch unterschieden sie sich für ihn kaum von den Galliern, sondern ähnelten ihnen hinsichtlich ihrer Gestalt und Lebensgewohnheiten.
Tacitus griff indes wieder die Vorstellungen Caesars auf und grenzte die Germanen klar und eindeutig von den Galliern ab. Die Bewohner Germaniens, das heißt des Gebietes jenseits von Rhein und Donau, sah er als eine autochthone Bevölkerung an, die sich aufgrund der Lage ihres Landes nicht mit anderen Völkern vermischt habe. Als ihren Stammvater führte er Mannus an, den Sohn des Gottes Tuisto. Da Mannus drei Söhne hatte, zerfielen die Germanen in die drei Großverbände der Ingvaeonen, Herminonen und Istvaeonen, bei denen es sich offensichtlich um Kultgemeinschaften handelte.
E
Publius Cornelius Tacitus (etwa 55 – nach 113 n. Chr.)
entstammte einer wohlhabenden Familie, die entweder in Südgallien oder Oberitalien beheimatet war. Innerhalb der römischen Ämterlaufbahn hatte er 88 die Prätur und 97 den Konsulat inne. Er verwaltete schließlich 112 / 113 als Statthalter die bedeutende Provinz Asia. Ob er vorher ein militärisches Kommando am Rhein innehatte, lässt sich nur vermuten. Als Kritiker der Kaiserherrschaft und Anhänger der Republik verfasste Tacitus zwei größere, nicht vollständig überlieferte Geschichtswerke, die Annales und Historiae. In den Annales beschrieb er die politischen Ereignisse in der Zeit von 14 bis 68 n. Chr., in den Historiae in der Zeit von 69 bis 96 n. Chr. Grundlegend für das Verständnis der Germanen wurde seine 98 verfasste ethnographische Schrift mit dem Titel Germania.
Q
Herkunft und Name der Germanen
Tacitus, Germania 2,1.3
Ich möchte glauben, dass die Germanen selbst Eingeborene sind und sich keineswegs durch Einwanderung und Aufnahme anderer Völker vermischt haben, weil doch in alter Zeit diejenigen, die ihre Wohnsitze wechseln wollten, nicht zu Lande, sondern zu Schiff nahten und dort drüben ein riesiger und sozusagen widriger Ozean selten von Schiffen aus unserer Welt befahren wird. Wer würde außerdem, ganz abgesehen von der Gefahr der rauen und unbekannten See, Asien, Afrika oder Italien verlassen und gerade Germanien mit seiner ungestalteten Landschaft, seinem rauen Klima und seinem trübseligen Anbau und Anblick aufsuchen, es sei denn, es wäre seine Heimat? (…)
Im übrigen sei die Bezeichnung Germaniens jung und erst seit kurzem (dem Land) beigelegt, weil diejenigen, die als erste den Rhein überschritten und die Gallier vertrieben hätten und jetzt Tungrer hießen, damals Germanen geheißen hätten: So habe sich allmählich der Name einer Völkerschaft, nicht des (ganzen) Volkes durchgesetzt, sodass alle anfangs aus Furcht nach dem Sieger benannt wurden, bald auch sich selbst mit dem aufgefundenen Namen Germanen nannten.
(Übersetzung Goetz-Welwei I 127 – 129)
In dem letzten Absatz des hier aufgeführten Zitats, dem sogenannten „Namen(s)satz“, der sprachlich nicht ganz sicher überliefert und dessen Interpretation daher umstritten ist, referierte Tacitus die These, dass der Name Germanien neu sei und sich von den linksrheinischen Tungrern ableitete, die sich einmal selbst als Germanen bezeichnet hätten. Unklar bleibt bei Tacitus’ Feststellung, warum gerade die Tungrer, ein eher unbedeutender Stamm, als Namensgeber fungiert haben sollen und wer mit dem Sieger gemeint ist. Allerdings ist hier genau auf die Formulierung des römischen Historikers zu achten. Offensichtlich betrachtete er diese Aussage selbst mit einer gewissen Skepsis und schenkte ihr wenig Glauben. Der Hinweis auf die Selbstbezeichnung könnte auch dahingehend verstanden werden, dass die Germanen in Verhandlungen mit den Römern die von diesen gebrauchte Fremdbezeichnung schließlich für sich übernahmen, um Missverständnissen vorzubeugen.
Während Tacitus im Westen den Rhein als eindeutige Grenze angibt, wird er ungenau bei der geographischen Abgrenzung des germanischen Einzugsgebietes nach Norden und Osten, das für ihn irgendwo am Nordpolarmeer und im Ostseeraum endete. Ein exaktes Bild der ethnischen Verhältnisse in Mitteleuropa entsteht so nicht. Letztlich ging es Tacitus wohl darum, die Germanen hinsichtlich ihrer Abstammung, Lebensweise und Sprache als eigenständige Völkerfamilie darzustellen und von den Galliern im Westen und den Sarmaten beziehungsweise Skythen im Osten abzugrenzen.
Caesar und Tacitus haben mit ihren Darstellungen zwar die neuzeitlichen Vorstellungen von den Germanen geprägt, aber in der antiken Geschichtsschreibung setzte sich ihr ethnographisches Konzept nicht durch. Ab dem 3. Jahrhundert wurde die Bezeichnung Germanen kaum noch verwendet; stattdessen begegnen Bezeichnungen wie Alamannen, Goten und Franken, mit denen ganz konkret bestimmte Großstämme der Germanen benannt werden. Die unklare Abgrenzung zu den Galliern und anderen auswärtigen Völkern blieb bestehen. So werden die Kimbern, die Caesar bereits als Germanen identifizierte, als Keltoskythen, die Goten, weil sie nicht aus den germanischen Provinzen des Römischen Reiches stammten, wie andere auswärtige Völker als Skythen bezeichnet.
Neben den philologisch-historischen Erkenntnissen kommt den Erkenntnissen der Archäologie eine größer werdende Bedeutung zu, die allerdings nicht immer mit den Aussagen der antiken Schriftsteller übereinstimmen. Dies lässt sich an der Abgrenzung der gallischen von der germanischen Kultur zeigen.
Abgrenzung der gallischen von der germanischen Kultur
Während der Latènezeit, insbesondere seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. errichteten die Gallier unter dem Einfluss der griechischen und römischen Zivilisation, der sie in Südgallien, in Oberitalien und auf dem Balkan begegneten, mehrere großflächige, stadtartige Siedlungen, die sie mit eindrucksvollen Mauern und Wallanlagen befestigten. In Anlehnung an Caesar werden diese stadtartigen Siedlungen heute noch als oppida (Singular: oppidum) bezeichnet. Die Oppida waren Zentren für den Handel und Verkehr in einem weitgehend kultivierten Umland, in dem es weiterhin Dörfer und Einzelhöfe gab. Kennzeichnend für diese Stadtkultur waren eine hochwertige Eisenverarbeitung, das Prägen von Münzen und ein bescheidener Schriftverkehr, für den die Gallier das griechische Alphabet benutzten. Oppida lassen sich von Frankreich über Deutschland und Tschechien bis auf den Balkan nachweisen. In Deutschland erstreckte sich die Oppida-Kultur bis in den Mittelgebirgsraum.
E
Latènezeit
In La Tène am Neuenburger See in der Schweiz wurden 1857 tausende von Fundobjekten (Waffen und Fibeln) entdeckt. Nach dieser Fundstätte ist die Phase der klassischen Kunst und Kultur der Gallier benannt worden, die von 450 bis 50 v. Chr. reichte und in der Gallier sich in weiten Teilen Europas (Irland, Britannien, von der Iberischen Halbinsel bis nach Kleinasien) niederließen.
Im niederländisch-norddeutschen Raum existierten dagegen keine derartigen Großsiedlungen mit einer differenzierten, hoch entwickelten Produktionsweise. In der nach dem Fundort Jastorf (Kreis Uelzen) benannten Kultur, die sich von Holstein über das nordöstliche Niedersachsen bis in den Westen Mecklenburgs erstreckte, herrschten kleinere Siedlungen vor, die mit anderen Siedlungen in Waldgebieten sogenannte Siedlungskammern bildeten und deren Bewohner vorwiegend von Ackerbau und Viehzucht lebten. Münz- und Eisenfunde belegen Handelskontakte zu den Galliern.
Kulturregionen
Anhand von Grab- und Siedlungsfunden lassen sich somit bestimmte Kulturregionen ausmachen. So unterscheidet man zwischen Elb-, Rhein-Weser- oder Nordseegermanen und den Trägern der Przeworsker-Gruppe, denen sich nur schwer die Namen der in den Schriftquellen überlieferten Germanenstämme zuordnen lassen. Auch mit Hilfe der Archäologie kann nicht eindeutig geklärt werden, was unter den Germanen zu verstehen ist. Die materiellen Funde sagen wenig oder gar nichts aus über die Sprache, über die rechtlichen und religiösen Vorstellungen und über das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner bestimmter Gebiete. Dies sind aber Faktoren, die letztlich entscheidend sind für die Bestimmung der Zugehörigkeit zu einem Volk, zu einer Völkergemeinschaft.
Anhand der archäologischen Funde lassen sich jedoch zwei Sichtweisen der antiken Historiographie korrigieren: Der Rhein bildete keine Kultur- und Völkergrenze, vielmehr existierte eine kulturelle Grenze zwischen Norden und Süden. Die Germanen stellten kein einheitliches Volk dar und besaßen folglich keinen einheitlichen Ursprung und kein stammesübergreifendes Gemeinschaftsbewusstsein. Zwischen den Völkern der Oppida-Kultur und den Völkern Nordeuropas herrschte ein reger kultureller Austausch. Archäologische Funde in Dänemark, die sich der Latènekultur zuordnen lassen, sprechen dafür, dass sie durch Handel dorthin gelangten oder einheimische Handwerker Produkte der gallischen Oppida-Kultur nachahmten, die offensichtlich eine große Anziehungskraft auf die Germanen ausübten.
Es wäre nun naheliegend Germanen und Gallier anhand ihrer Sprache zu unterscheiden. Allerdings ist es problematisch, die archäologisch fassbaren Kulturen bestimmten Sprachen zuzuordnen, sofern nicht sprachliche Zeugnisse dies erlauben. Immerhin gab es Germanenstämme vor allem links des Rheines, die einen gallischen Dialekt sprachen. Überhaupt waren die Grenzen zur benachbarten gallischen Kultur fließend, was letztlich auch Caesar bewusst war, wenn er auf die engen Beziehungen bestimmter germanischer Stämme wie der Sueben mit den gallischen Nachbarn hinwies.
Ungeachtet der hier aufgezeigten Probleme folgt die moderne Geschichtswissenschaft weiterhin der antiken Ethnographie darin, bestimmte Völker zu Großverbänden (Kelten, Skythen) zusammenzufassen, obwohl die Bezeichnung Germanen für Völker im Nordosten des gallischen und später römischen Herrschaftsbereiches genauso wenig zutrifft wie die Bezeichnung Indianer für die Ureinwohner des amerikanischen Doppelkontinents, die Columbus aufbrachte. Dieser Oberbegriff ist aber dennoch beibehalten worden, weil bei aller Ungenauigkeit und Kritik bislang keine Alternative für ihn gefunden wurde.