Читать книгу Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945 - Frank Baranowski - Страница 16

Die Einbeziehung südniedersächsischer Firmen in die Rüstungsproduktion – ein Kurzüberblick

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Die staatlich begünstigte Ansiedlung von Chemiebetrieben und Sprengstoffwerken

Die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen die Vielschichtigkeit der flächendeckenden Einbeziehung von Betrieben verschiedenster Wirtschaftszweige in die Kriegsmaschinerie außerhalb der Ballungszentren Braunschweig-Hannover-Hildesheim-Salzgitter, des Universitätsstandortes Göttingen sowie der Städte Hildesheim und Osterode.1 Von den teils frühen Aufrüstungsbestrebungen profitierten insbesondere Standorte im Harz, aber auch solche am nördlichen und südlichen Rand des Gebirges. Die größte mit Staatsmitteln subventionierte Ansiedlung im Bereich des Rüstungskommandos Hannover nahm das NS-Regime in Clausthal-Zellerfeld vor.2 Die Anfänge des Harzer Sprengstoffwerkes gehen auf das Jahr 1934 zurück, als Vertreter der Dynamit AG (DAG), ehemals Alfred Nobel & Co. aus Troisdorf, im Oberharz Ausschau nach einem geeigneten Gelände für eine „Trinitritoluol-Fabrik“ hielten. Die Entscheidung fiel auf eine etwa 120 ha große Waldfläche am Ortsausgang von Clausthal-Zellerfeld, die die „Montan“ 1935 und 1936 von der Preußischen Staatsforstverwaltung für das Deutsche Reich erwarb, aus Tarnungsgründen aber unter dem Deckmantel einer privatrechtlichen Gesellschaft figurieren ließ.3 Ende 1936 war diese Fabrik „Tanne“ in ihrem Grundbestand errichtet. Die Anlage war eines von mehreren ‚Schlafwerken‘ im Deutschen Reich, die nach Bauabschluss zunächst nicht in Betrieb gingen, sondern ausschließlich für den Bedarfsfall errichtet wurden.4


Gebäudereste auf dem Gelände des Werkes „Tanne“ in Clausthal-Zellerfeld, 1992

(Sammlung Jürgen Müller)


Zerstörtes Tri-Gebäude auf dem Gelände des Werkes „Tanne“ in Clausthal-Zellerfeld, 1992 (Sammlung Jürgen Müller)


Ehemaliges Säuregebäude des Werkes „Tanne“, 1992 (Sammlung Jürgen Müller)

Anfang 1938 kam es zur Reaktivierung des ‚Schläfers‘ und einer Fortführung der Bauarbeiten im Harz. Um Produktionsausfällen entgegenzuwirken, war fast jede Werksabteilung doppelt vorhanden. Zur Fabrik gehörten 214 Einzelgebäude, die zumeist in Skelettbauweise errichtet worden waren, um im Falle von Explosionen die Verluste so gering wie möglich zu halten.5 Pächterin und Betreiberin des Clausthal-Zellerfelder Sprengstoffwerkes und der angeschlossenen Füllstation war die Verwertchemie, eine 100 %ige Tochterfirma der DAG, die die Gebäude zu Beginn des Jahres 1939 formell übernahm. Die TNT-Produktion kam im April 1939 in Gang, drei Monate später als ursprünglich vorgesehen.6 Am 6. Juni 1940 forderte eine schwere Explosion in der Tri-Nitrierung 61 Tote, 38 Schwer- und 126 Leichtverletzte.7 Ab Februar 1942 beschäftigte die DAG in ihrem Werk „Tanne“ im Mittel etwa 2.500 Personen,8 darunter eine Vielzahl von Zwangsarbeitern. Im Vergleich zu den Großbetrieben um Braunschweig war diese Belegschaftsstärke noch relativ gering, trotzdem gehörte die DAG-Niederlassung zu einem der führenden Betriebe des Rüstungskommandos Hannover. Im zweiten Quartal 1944 nahm das Unternehmen nach seiner Beschäftigtenzahl den zehnten Rang im Rüstungskommando ein.9 Am 7. Oktober 1944 war der Betrieb Ziel eines alliierten Luftangriffs; 70 der 214 Gebäude wurden dabei teils schwer bis mittelschwer beschädigt, fünf von ihnen sogar völlig zerstört. 61 Arbeitskräfte des Werkes ließen dabei ihr leben, unter ihnen 47 russische und ein belgischer Zwangsarbeiter. Weitere fünf verstarben im Krankenhaus.10


Gebäude der Borvisk-Kunstseiden AG, 1936 (StadtA Herzberg)


Das durch Explosion zerstörte DAG-Werksgelände am Pfingstanger, April 1945 (Sammlung Matwijow)

Die Bleikupferhütte in Oker und die Zinkhütte in Harlingerode belieferten das Clausthaler DAG-Werk mit Oleum (rauchende Schwefelsäure).11 Ein weiterer Zulieferer war die Wifo. Sie hatte 1937 die Langelsheimer Chlorkaliumfabrik übernommen und in den folgenden Monaten zu einer Salpetersäureanlage umgebaut, die 1939 ihre Fabrikation aufnahm. Monatlich stellte das Werk etwa 4.800 t an 98%iger Salpetersäure (HOKO) her, die im Werk „Tanne“ zu Sprengstoff weiter verarbeitet wurde. Die Langelsheimer Wifo-HOKO-Anlage deckte acht Prozent des Gesamtbedarfes des Deutschen Reiches.12 Zusätzlich hatte die Wifo nur wenige Meter von ihrer Schwefel- und Salpetersäurefabrik entfernt 12 Lagertanks mit einem Fassungsvermögen von jeweils 600 m3 für Toluol aufgestellt, die im August 1938 in Nutzung gingen. Über diese Anlage konnten in 15 Stunden zwei Kesselwagen gefüllt und für den Abtransport nach Clausthal-Zellerfeld bereitgestellt werden. In unmittelbarer Nachbarschaft befanden sich weitere sechs Tanks zur Aufnahme von Ammoniak.13

Etwa ein Jahr nach Inbetriebnahme des Werkes „Tanne“ entschieden sich die NS-Planer, eine weitere Füllstelle im Harz zu schaffen. Im Juni 1940 erwarb die „Montan“ aus der Konkursmasse der Borvisk-Kunstseiden AG das am Herzberger Pfingstanger gelegene Werksgelände. Der Umbau der Fabrik war schon im Sommer 1941 abgeschlossen.14 Die hinter der Verwertchemie stehende DAG trat wie in Clausthal-Zellerfeld als Betreiberin des Rüstungsbetriebs auf, der auf die Füllung von 50-kg- und 250-kg-Bomben spezialisiert war. Ende 1943 fuhr der Konzern die Befüllung von Bomben drastisch zurück, um so Kapazitäten für die Herstellung von Tellerminen zu schaffen, von denen von nun an bis zu 6.000 Stück pro Tag gefüllt werden konnten. Am 4. April 1945 kam es in der Fabrik zu einem Brand, der sich schnell ausbreitete und eine Explosion von 8.000 mit Sprengstoff gefüllten Minen auslöste. Die Füllstelle wurde nahezu vollständig zerstört. Bei dem Unglück kamen 29 Personen ums Leben; weitere 58 wurden schwer verletzt.15

Zusätzlich zu den bereits genannten Rüstungsstandorten hatte die Wifo in Langelsheim für 5,7 Millionen RM eine weitere Fabrikanlage auf Staatskosten erbaut. Die Chemischen Werke Harz-Weser stellten in den Gebäuden ab 1940 Aktivkohle für Gasmaskenfilter her. Die Kapazität lag bei monatlich etwa 150 t. Im April 1945 beschäftigte das Unternehmen 153 Personen.16 Die Pulver- und pyrotechnische Fabriken GmbH J. F. Eisfeld in Liebenburg nördlich von Goslar arbeitete seit 1936 ebenfalls für die Wehrmacht. Ihr Werk „Kunigunde“ produzierte unterschiedliche Schwarzpulversorten und stellte Nebelhandgranaten, Leuchtmunition, Landungsfackeln sowie Nebelbomben her.17


Die Langelsheimer Wifo-HOKO-Anlage in den 1940er Jahren

(Sammlung Frank Jacobs)

Von weitaus größerer wirtschaftlicher Bedeutung war die Neuansiedlung des Schickert-Werkes zur Herstellung von Wasserstoffperoxyd in Bad Lauterberg. Bereits während des Ersten Weltkrieges bestand Interesse an der militärischen Nutzung der chemischen Substanz, doch es fehlten noch die Mittel einer großtechnischen Herstellung. Sie wurden durch die Elektrochemischen Werke München (EWM) erst in den folgenden Jahren geschaffen. Der Kieler Chemiker und Ingenieur Dr. Helmut Walter hatte für das Oberkommando der Marine im Zusammenhang mit modernen Triebwerken neue Treibstoffe erforscht und erprobt. Seine Ergebnisse lösten einen wahren Entwicklungsschub aus. Er nutzte den bei der katalytischen Zersetzung von Wasserstoffperoxyd freiwerdenden Sauerstoff zur Verbrennung von Treibstoff und ermöglichte damit der Firma EWM die militärische Nutzung in großem Stil, auf die sie lange Zeit gewartet hatte.18 Es zeichnete sich bereits frühzeitig ab, dass das Unternehmen die geforderten Mengen an Wasserstoffperoxyd nicht an einem Standort herstellen konnte, zumal neben der Marine auch andere militärische Stellen Interesse bekundeten.

Die Schaffung einer weiteren Fabrikationsstätte war unausweichlich. Im Sommer 1938 fiel die Entscheidung für die Gründung einer Niederlassung im Odertal in Bad Lauterberg. Ausschlaggebend für die Ansiedlung in der Harzstadt war die Nähe zu der 1933 gebauten Odertalsperre, die hinreichend Wasser zur Kühlung der Elektrolyse und der Erzeugung von Wasserdampf bereithielt. Im August 1938 beauftragte die EWM den Architekten Proebst aus Ingolstadt mit der Bauplanung dieser „Anlage Z“ in Bad Lauterberg, die aus fünf identischen, voneinander aber völlig unabhängig arbeitenden Produktionseinheiten bestehen sollte.19 Am 8. Dezember 1938 wies der Reichsminister der Luftfahrt die Elektrochemischen Werke an, der Ausbau der Fabrik in Lauterberg habe sofort in vollem Umfang zu erfolgen, und ebenfalls sei mit der Projektierung eines zweiten Werkes in Rhumspringe mit fünf Einheiten umgehend zu beginnen. Die rechtlichen Grundlagen wurden dagegen erst knapp ein Jahr später mit der Unterzeichnung eines „Aufbauvertrages“ am 26. Oktober 1939 geschaffen, in dem sich das Reich verpflichtete, im Odertal bei Bad Lauterberg auf eigene Kosten ein Werk „zur Erzeugung von chemischen Stoffen für den Wehrmachtsbedarf“ zu errichten.20


Bei der Herstellung von Nebelbomben im Werk „Kunigunde“ in Dörnten bei Goslar (Sammlung Frank Jacobs)

Zum Zwecke der Geheimhaltung hatte sich EWM im September 1938 zur Gründung der Otto Schickert & Co. KG entschieden, die nach außen hin als Betreibergesellschaft des Bad Lauterberger Werkes hin auftrat. Ende Januar 1941 ging die erste Halle zur Erzeugung von 35%igem Wasserstoffperoxyd samt der zentralen Anlage zur Hochkonzentration der Chemikalie auf 80 – 85 % in Betrieb. Die zweite Halle zur Produktion von 35%igem Wasserstoffperoxyd lief im Sommer 1941 an. Der Bau von Halle 3 war im Frühjahr 1942 und von Halle 4 im November 1942 abgeschlossen.

Der Aufbau des Chemiewerkes war mit der Inbetriebnahme von Halle 5 im Juni 1944 vollendet. Die vom Reich zu übernehmenden Kosten für den Bau der Fabrik in Bad Lauterberg beliefen sich auf 70 Millionen RM.21 Bei der Planung des Rhumspringer Werkes kam es hingegen zu Verzögerungen infolge einer vorübergehend geringeren Nachfrage nach Wasserstoffperoxyd. Anfang Mai 1940 plädierte daher die Rüstungsinspektion Hannover beim RLM für eine Rückstellung des geplanten Zweigwerkes.22 Mitte Juni 1942 kam das Oberkommando der Marine auf die Vorplanungen aus dem Jahr 1938 zurück. In dem Bericht des Rüstungskommandos vom 18. Juni 1942 heißt es: „Die Bauarbeiten für das Werk Rhumspringe wurden auf Anordnung des OKM wieder aufgenommen und sollen mit großem Nachdruck vorangetrieben werden“.23 In Rhumspringe sollten wie in Bad Lauterberg fünf Produktionshallen errichtet werden, allerdings wurden die Pläne auf drei Hallen und die entsprechenden Hilfsgebäude zusammengestrichen. Die Produktion in Halle 1 sollte am 1. Mai 1945, in Halle 2 am 1. September 1945 und in Halle 3 am 1. März 1946 aufgenommen werden.24 Obwohl Ende Dezember 1944 über 1.300 Arbeitskräfte auf der Baustelle in Rhumspringe tätig waren,25 ließen sich diese Zeitvorgaben bei Weitem nicht einhalten. Bei Kriegsende waren von Halle 1 gerade mal die Fundamente gegossen. Die Arbeiten am zweiten Produktionsgebäude waren am weitesten fortgeschritten, so dass Schickert im Frühjahr 1945 mit dem Einbau des Maschinenparks begann. Die Produktionsaufnahme stand im März 1945 unmittelbar bevor.26


Das im Aufbau begriffene Schickert-Werk Bad Lauterberg, 1939 (Foto Lindenberg)


Großbaustelle Schickert-Werke Bad Lauterberg, 1939 (Foto Lindenberg)


Gesamtansicht des Lauterberger Schickert-Werkes, 1942 (Foto Lindenberg)


Modell des Schickert-Werkes Rhumspringe, 1942 (Sammlung Baranowski)

Ebenso nahm die seit 1885 in Hann.-Münden bestehende Firma Händler & Natermann Anteil am Rüstungsgeschäft.27 Spätestens ab 1942 stellte sie spezielle Aluminiumfolien für die Marine und Walzblei für die Accumulatorenfabrik Hannover (Afa) her. Zudem arbeitete der Betrieb als Zulieferer für die Deutschen Edelstahlwerke in Hannover (Panzerwaffenteile) und die Torpedo-Werkstätten in Eckernförde. Auch Feststellvorrichtungen für Bordfenster verließen die Fabrik. Außerdem lieferte Händler & Natermann den Polte-Werken Geschossdraht sowie spezielle Bleidichtungen für das U-Boot-Programm. Anfang Januar 1942 beschäftigte der Mündener Rüstungszulieferer 152 Arbeitskräfte.28 Im ersten Quartal 1944 übernahm die Firma als Ausweichbetrieb für die Berliner Bamag-Meguin AG zusätzlich die Produktion von Ruderfeststell-Vorrichtungen für Flugzeuge. Der Betrieb deckte etwa 25 % des Gesamtbedarfs der deutschen Flugzeugindustrie.29 Bis September 1944 kletterte die Beschäftigtenzahl auf 274; darunter befanden sich 45 Ostarbeiter und 37 weitere, zumeist aus Westeuropa stammende Arbeitskräfte.30

Die 1924 aus dem Goslarer Stadtgebiet nach Oker verlegte Gebrüder Borchers AG war ebenfalls in die Rüstungsproduktion einbezogen, mit heute noch einschneidenden Folgen für Umwelt und Natur. Das Unternehmen war bei der Herstellung von Wolfram und Molybdän marktbeherrschend. 1935 erwarb die Firma H. C. Starck von der Hildesheimer Bank die Aktienmehrheit an der Gebrüder Borchers AG und bildete gemeinsam mit Krupp, der Gesellschaft für Metallurgie und der I.G. Farben ein Konsortium zur Gewinnung einheimischer Rohstoffe zur Stahlveredelung. Um die Abhängigkeit vom Ausland zu verringern, hatte es sich dieses „Ofensauenkonsortium“ zur Aufgabe gemacht, aus den Schmelzrückständen des Mansfelder Kupferschiefers Molybdän zu gewinnen, technologisch ein energieintensiver und äußerst umweltschädlicher Prozess. Die Anlagen wurden ab 1935 in Oker gebaut. Ein weiteres Standbein war die Produktion von Arsen als Vorprodukt von „Schädlingsbekämpfungsmitteln“ und offenbar auch chemischen Kampfstoffen.31 Seit August 1938 war die Borchers AG offiziell Unterlieferant der Luftwaffe.32 Die konkrete Zahl der bei Borchers beschäftigten Personen ließ sich nicht ermitteln. Bekannt ist nur, dass die Chemiefabrik mehr als 500 ausländische Arbeitskräfte beschäftigte.


Im Bau befindliche Heizzentrale des Rhumspringer Schickert-Werkes, April 1945

(CIOS-Bericht)


Links: Blick in das Innere, Fraktionssäulen des Schickert-Werkes Lauterberg (Foto Lindenberg)

Rechts: Batteriezellen im Schickert-Werk Rhumspringe (CIOS-Bericht)


Halle 3 des Schickert-Werkes Rhumspringe; die Halle 4 im Vordergrund ist im Aufbau begriffen, April 1945 (CIOS-Bericht)

Unter ihnen 94 französische Kriegsgefangene, die unter unvorstellbaren Bedingungen im Werk arbeiteten. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es über diese unmenschlichen Arbeitsbedingungen: „Bei Ankunft des mineralhaltigen Gesteins laden fünf oder sechs Gefangene es ab. Eine harte, aber nicht gefährliche Arbeit. Dieses Erz kommt in die Halle, wo die Hochöfen stehen. Drei Kameraden, die in dieser Halle arbeiten, sind damit beschäftigt, die Hochöfen mit dem Erz und anderen nicht gesundheitsschädlichen chemischen Produkten zu beladen. Eine sehr anstrengende Arbeit bei großer Hitze. Zwei bis drei Meter lange Flammen kommen aus den Hochöfen, die auf 800 bis 900 Grad aufgeheizt werden. Das Produkt aus diesem Schmelzvorgang wird aus den Hochöfen gekippt und von unseren Kameraden mit dem Vorschlaghammer zerstückelt, wenn es erkaltet ist. Diese Stücke werden dann weiter zerkleinert und zu einem feinen Staub zermahlen. Bei jedem Abstich holen die Kameraden neun Schubladen voll dieses feinen Staubes auf Arsenbasis, der ätzend ist, die Schleimhäute verbrennt, die Augen tränen lässt und von dem man niest. Die Gefangenen arbeiten ohne Schutzmaske, erhalten weder Milch noch eine Zusatzration, während die Zivilarbeiter über all diese notwendigen Schutzmaßnahmen verfügen. Der aus dieser Bearbeitung entstandene Staub wird mit Säuren gemischt. Die Mischung kommt dann unter Hochdruck in Pressen. Die Gefangenen müssen die Pressen leeren, aus denen übel riechende Gase und ätzende Dämpfe hervortreten“.33 Eine Chronik, in der die heute noch bestehende und „verantwortlichen Handelns“ rühmende Firma sich ihrer Verantwortung stellt, steht nach wie vor aus.

Der aufrüstungsbedingte Wandel der metallverarbeitenden Industrie

Neben der chemischen war die metallverarbeitende Industrie im heutigen südniedersächsischen Raum stark vertreten. Eine Vorreiterrolle nahm dabei der Magdeburger Rüstungsproduzent Polte ein, der schon 1934 die Anfang der 1920er Jahre von der Stokelbusch Holzrohr AG in Bad Lauterberg im Odertal errichtete Fabrikanlage erworben hatte, um an dem Standort wiederum mit staatlichen Mitteln ein Zweigwerk zu eröffnen. Der Röhrenhersteller Stokelbusch war kurz nach der Fertigstellung der Gebäude in Zahlungsschwierigkeiten geraten und musste deshalb 1925 Konkurs anmelden.34 Das Werksgelände ging danach zu gleichen Teilen in das Eigentum der Reichsbankhauptstelle Hannover und der Magdeburger Firma Gerecke über. Bis zur Übernahme durch Polte hatten die neuen Eigentümer das Werk an die Deutsche Holzröhren AG (Deuhrag) verpachtet. Bereits 1934 begann der Magdeburger Rüstungslieferant mit dem Umbau des Fabrikgebäudes, um fortan 7,92-mm-Gewehrmunition zu produzieren. Der Betrieb, der unter dem Namen Metallwerk Odertal GmbH firmierte, nahm 1935 seine Lieferungen auf.35 Anfang Januar 1943 waren 935 Personen für den Rüstungsproduzenten tätig, und die Zahl schnellte im Laufe des Jahres drastisch in die Höhe. Ab Januar 1944 sind Belegschaftszahlen von mehr als 2.000 Personen nachgewiesen. Ende Dezember 1944 waren sogar 2.349 Arbeitskräfte mit der Herstellung von Gewehrmunition beschäftigt.36


Arbeiter der Stockelbusch Holzrohr AG auf dem Betriebsgelände

(Foto Lindenberg)


Die Holzröhrenfabrik Stockelbusch, später Metallwerk Odertal (Foto Lindenberg)


Zufahrt zum Duderstädter Polte-Werk, im Hintergrund die Feuerwache, 1992 (Sammlung Baranowski)

Im Herbst 1938 bekundete Polte Interesse an der Ansiedlung eines weiteren Rüstungsbetriebes in der Umgebung und hatte sich dabei für Duderstadt entschieden, nachdem Verhandlungen mit der Stadt Clausthal-Zellerfeld im Harz gescheitert waren.37 Anfang Januar 1939 verlangte das RLM die Einreichung prüfungsfähiger Bauunterlagen für das Duderstädter Werk.38 Anfang April 1939 kam der Rüstungslieferant der Forderung nach und legte seinen Planungsentwurf vor. Für die Auftragserteilung setzte Polte dem RLM eine Frist bis zum 1. Juli 1939.39 Die Konzeption überzeugte und der Magdeburger Rüstungsproduzent erhielt am 23. Juni 1939 die Genehmigung, mit dem Bau der Fabrik auf Staatskosten zu beginnen.40 Noch bevor diese Entscheidung gefallen war, hatte die Stadt Duderstadt auf ihre Kosten die Stichstraße „Am Euzenberg“ zum vorgesehenen Fabrikgelände anlegen lassen.41 Im Januar 1940, als die Bauarbeiten bereits im vollen Gange waren, kam die Idee einer Erweiterung des Werkes auf. Der überarbeitete Planungsentwurf vom April 1940 sah den Bau einer weiteren Füllstelle und einer zweiten Produktionseinheit für Geschosse, Hülsen sowie Zünder vor.42 Nur wenige Wochen später verwarf die Luftwaffe die Ausbaupläne und Polte erhielt die Weisung, die Arbeiten im ursprünglich vorgesehenen Umfang zum Abschluss zu bringen.43 Im Frühjahr 1941 verließen die ersten Chargen 2-cm-Geschosse das Duderstädter Werk, doch bald kam es wegen fehlender Arbeitskräfte immer wieder zu Produktionsengpässen. Der Betrieb brachte es nur selten auf die vom Rüstungskommando geforderten Mengen.44


Luftbild der teilzerstörten Abfüllstation des Polte-Werkes, 1950er Jahre

(Sammlung Baranowski)


Vor den Toren des Polte-Werkes, das „Wohnlager Am Euzenberg“, 1941

(Sammlung Baranowski)

Ab 1941 griff Polte Duderstadt vermehrt und im stetig steigendem Umfang auf zwangsrekrutierte Fremdarbeiter und Kriegsgefangene zurück, die zunächst in acht Holzbaracken unmittelbar vor den Werkstoren einquartiert waren.45 Im Frühsommer 1942 setzte der Rüstungsproduzent sich mit seiner Forderung nach dem Bau eines Barackenlagers für 600 bis 800 Fremdarbeiter und Kriegsgefangene auf dem Fußballplatz „Am Westerborn“ durch.46 Am 27. Juli 1942 unterrichtete das Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion die Stadt, „dass in den nächsten Tagen mit den Arbeiten zur Errichtung des Lagers für ausländische Arbeitskräfte der Firma Polte auf dem Fußballspielplatz in Duderstadt begonnen wird. […] Das ganze Lager, abgesehen von den Teilen, die mit Kriegsgefangenen belegt werden, wird durch einen 1,50 m hohen Lattenzaun mit darüber waagerecht gezogenen Stacheldraht, insgesamt 2 m hoch, umgeben“.47 Nach Bezugsfähigkeit der Baracken löste Polte die bisherigen Unterkünfte vor dem Werksgelände auf und verlegte die Insassen in das neu geschaffene Lager. Zusätzlich hatte Polte Räumlichkeiten im Gebäude der Möbelfabrik Steinhoff angemietet und darin weitere ausländische Arbeitskräfte, offenbar nur Frauen, untergebracht.48 Ende Dezember 1943 standen 2.424 Personen im Dienst des Rüstungsproduzenten, am 31. Januar 1944 waren es 2.487, dann sank die Zahl zum 30. Juni 1944 geringfügig auf 2.277.49 Im Frühjahr 1944 lag der Ausländeranteil bei etwa 40 %.50


Blick auf das KZ-Außenkommando, im Hintergrund der Rüstungsbetrieb Polte

(IWM London)

Doch Einberufungen zur Wehrmacht entzogen dem Betrieb weitere deutsche Arbeitskräfte. Mitte 1944 entschied die Magdeburger Konzernleitung, auch in ihrer Duderstädter Niederlassung KZ-Häftlinge zu beschäftigen, wie zu ihrer Zufriedenheit in anderen Zweigwerken praktiziert.51 Am 24. Oktober 1944 reichte der Polte den Bauantrag für „die Errichtung eines Zaunes um das KZ-Außenlager“ beim Bauamt der Stadt Duderstadt ein.52 Nach einer ärztlichen Tauglichkeitsuntersuchung stellte die SS Ende Oktober 1944 in Bergen-Belsen einen Transport von 750 ungarischen Jüdinnen zusammen, der am 4. November 1944 in Duderstadt eintraf. Viele der Frauen trugen nur dünne Sommerbekleidung und Schuhwerk, das schlimme Wunden an den Füßen verursachte.53 „Unsere Bekleidung bestand aus Fetzen, anstatt Schuhe hatten wir Holzpantoffeln ohne Strümpfe“.54 Zum Außenkommando gehörten zwei Unterkunfts- und eine Waschbaracke, die in unmittelbarer Nähe des Rüstungsbetriebes auf dem Gelände der ehemaligen Möbelfabrik Steinhoff Aufstellung fanden.55 Nach den Erfahrungen in Auschwitz empfanden die Frauen die Bedingungen in Duderstadt erträglicher, obwohl sich an der lagermäßigen Unterbringung nichts geändert hatte. Zwar gab es keine Gaskammern, doch es bestand weiterhin die Gefahr, im Krankheitsfalle ins Stammlager nach Buchenwald zurückgeführt zu werden, was einem Todesurteil gleichkam.56


Aufseherinnen auf dem Gelände des KZ-Außenkommandos der Polte-Werke, 1944/​45

(Sammlung Baranowski)

Die Arbeit bei Polte wird von den Insassen übereinstimmend als schwer und kräftezehrend bezeichnet. „Ich arbeitete in einer Waffenfabrik, zwölf Stunden, abwechselnd bald tags, bald nachts. Die Arbeit war sehr schwer und erschöpfend“.57 Eine andere Ungarin erinnert sich: „Ich kam zur schwersten Arbeit. Wir mussten mit Eisen gefüllte zentnerschwere Kisten heben“.58 Auch Jolan Reich bestätigt: „Es herrschte Strenge, frühes Aufstehen, wir schleppten Kisten, und sie waren so streng, dass sie uns für den kleinsten Fehler mit dem Tod drohten“.59 Soweit bekannt ist, verstarben vier weibliche Häftlinge in den ersten beiden Monaten ihrer Gefangenschaft im Duderstädter Außenkommando. Ihre Beisetzung fand auf dem jüdischen Friedhof am Gänseweg statt.60 Am 25. Januar 1945 wurde eine der Frauen mit ihrem in Duderstadt zur Welt gebrachten Kind selektiert und nach Bergen-Belsen geschafft. Als ‚Ersatz‘ und zur Wiederherstellung der bisherigen Kopfzahl wurden dem Duderstädter Rüstungsbetrieb am 28. Januar 1945 fünf Frauen aus Bergen-Belsen zugewiesen.61 Anfang März 1945 kam die Produktion bei Polte fast vollständig zum Erliegen. Es bestand kaum noch eine Notwendigkeit, auf die Arbeitskraft der früher unverzichtbaren Häftlingsarbeit zurückzugreifen. Am 4. März 1945 waren 35 und am 11. März nur noch 16 der vormals 750 Frauen im Betrieb eingesetzt. Mitte März 1945 rechnete die SS die bis dahin erbrachten Arbeitsstunden ab, was darauf hindeutet, dass das werkseigene Außenkommando bereits zu dem Zeitpunkt aufgelöst werden sollte.62

Als die amerikanischen Truppen dem Harz näher rückten, transportierte die SS am 5. April 1945 die KZ-Häftlinge in einer ‚Blitzaktion‘ mit Bussen und LKWs nach Seesen.63 Von dort wurden sie in geschlossenen Eisenbahnwaggons, aus denen sie nur für seltene Pausen herausgelassen wurden, in Richtung Theresienstadt transportiert. Die Fahrtroute führte über Magdeburg, Dessau, Wolfen, Leipzig und Dresden. Am 21. April 1945 erreichten die Frauen völlig entkräftet und ausgehungert Lobositz, wo sie Ziel eines Tieffliegerangriffs wurden. Wie viele von ihnen ums Leben kamen, ist nicht bekannt. Am 26. April 1945, nach fast dreiwöchiger Irrfahrt, trafen die Häftlinge des aufgelösten Duderstädter Außenkommandos in Theresienstadt ein. Am 9. Mai befreite die Rote Armee das Lager, das bereits am 2. Mai 1945 vom Internationalen Roten Kreuz übernommen worden war.64

Die Mühlenbau KG in Bad Lauterberg war wie Polte in Duderstadt ein metallverarbeitender Betrieb, der ab 1943 Teile für die A4-Rakete wie Halterungen und Gerätekreuze in den Kohnstein lieferte,65 aber auch 20-l-Benzinkanister herstellte. Ende 1944 beschäftigte der Betrieb 344 Personen.66 Die Hermann Weule Maschinenfabrik & Eisengießerei in Goslar arbeitete ebenfalls als Zulieferer der Heeresversuchsanstalt Peenemünde; sie erscheint erstmalig im April 1943 in einer Aufstellung über die Betriebe, „die mit der Herstellung des Gerätes A4 beschäftigt“ waren. Was die Firma genau herstellte, ist aus dem Dokument nicht ersichtlich, jedoch setzte sie ihre Tätigkeit auch für die unterirdische Produktionsstätte im ‚Raketenberg‘ bei Nordhausen fort.67

Die Arnold & Stolzenberg KG (Juliusmühle) bei Einbeck stellte Ketten und Kettenräder, zugleich Einzelteile für das Luftwaffenprogramm her.68 Die ebenfalls in Einbeck ansässige Fahrradfabrik Karl Heidemann lieferte Teile für Maschinengewehre, 2-cm-Sprenggranaten und Zündschrauben des Typs C12. Und in größerer Stückzahl verließen Infanteriekarren diese Fabrik.69 Das Ruwowerk Dassel war auf dem gleichen Gebiet tätig, es führte ab 1936 erste Rüstungsaufträge aus; ab 1939 spezialisierte es sich auf Maschinengewehrteile, insbesondere auf Feuerdämpfer und die Ummantelungen der Läufe. Gegen Ende des Krieges war offenbar die Herstellung von Teilen für V-Waffen geplant, aber dazu kam es nicht mehr.70 Die Eisenhütte Dassel und das Zweigwerk Zorge der Bergbau Lothringen AG hatten mit der Produktion von Werfergranaten ihr Tun.71 In Zorge stellte man unter anderem Maschinenguss für die Nordhäuser Maschinenbau und Bahnbedarf AG her. Die Lothringen AG hatte sich überhaupt auf den Guss von Motoren-Zylindern für die LKW-Industrie spezialisiert und erhielt daher im Herbst 1944 einen Großauftrag zur Bearbeitung der Zylinderköpfe des 4,5 t Büssing-Lastwagen.72 Ebenso führte die Herzberger Eisen- und Stahlgießerei Pleißner wichtige Rüstungsaufträge aus und belieferte die Wehrmacht mit Feldhaubitzgranaten, Nebelwerfern und Kettenantriebsgehäusen des Panzerkampfwagens „Tiger“.73


Die Lauterberger Mühlenbau KG „Miag“ (Foto Lindenberg)

Im Oktober 1934 erwarb die Harkort-Eicken-Stahl GmbH, ein Tochterunternehmen der Dortmunder Hoesch AG, die im Juli 1912 stillgelegte Silberhütte St. Andreasberg. Noch bis 1929 hatten die Harzer Werke „Glück Auf“ (Inhaber Dr. Rudolf Alberti aus Goslar) in den Gebäuden hauptsächlich Spielwaren hergestellt. Die neu gegründete Metallwerk Silberhütte GmbH übernahm zugleich den weiteren Grundbesitz der Silberhütte (Vereinigte Werke Dr. Rudolf Alberti & Co., später Werk I), dazu noch die Gebäude der Bauholzwerke und Kistenfabrik St. Andreasberg GmbH am Westbahnhof, später Werk II, sowie die der Firma C. W. Hertwig im Sperrluttertal, später Werk III, die jedoch an die Hoesch-Tochter Schmiedag weiterverpachtet wurden. Bis Ende 1935 baute die Metallwerk Silberhütte die Hallen in Werk I und II für ihre Zwecke um und erweiterte sie. Ab dem Frühjahr 1936 stellte der Hoesch-Zweigbetrieb in den übernommenen Räumlichkeiten Infanteriemunition her, vorwiegend Patronen und Ladestreifen für Standardgewehre der Wehrmacht.74 Ab 1941 dienten die Gebäude am Westbahnhof allerdings nur noch der Unterbringung zumeist russischer Zwangsarbeiter.75

Im Metallwerk Silberhütte waren Ende Dezember 1944 fast 1.200 Personen in der Rüstungsproduktion beschäftigt, darunter 659 Ostarbeiter (137 Männer/​522 Frauen) und 75 Fremdarbeiter (55 Männer/​20 Frauen).76 Im Werk III stellte die Schmiedag AG ab 1935 Artilleriemunition (Geschosshülsen der Kaliber 7,5 cm und 10,5 cm) her, jedoch belief sich die Belegschaft auf nur 263 Personen, darunter 155 ausländischer Herkunft.77 Die fertigen Hülsen wurden an die Heeresmunitionsanstalt in Kummersdorf bei Berlin geliefert.78 Auch die Langelsheimer Firma Paul Uhlig arbeitete spätestens ab Februar 1939 als Direktlieferant der Kriegsmaschinerie; sie produzierte Blech- und Stanzteile für Flugzeugmotoren, insbesondere für die Junkers-Werke in Dessau.79 Die Gewehrfabrik und Maschinenbaufirma Burgsmüller & Söhne GmbH in Kreiensen war gleich mehrfach in die Rüstungsproduktion eingebunden. Der Betrieb stellte vorwiegend 8,8-cm-Sprengranaten (18.340 Stück im 2. Quartal 1944), 8-cm-Werfergranaten (265.518 Stück im 2. Quartal 1944), Zünderzwischenstücke und Flugzeugteile her. Ende Februar 1944 hatte der Betrieb 343 Arbeitskräfte.80


Teilzerstörte Pleißner-Werkhalle für Feldhaubitzgranaten, April 1945 (NARA)


Die stillgelegte Silberhütte, 1914 (Foto Lindenberg)


Werkzeug der Metallwerk Silberhütte mit Produktionskennzeichen (Sammlung Baranowski)

Die Einbindung weiterer Industriezweige in die Kriegswirtschaft

Die holzverarbeitende Industrie im Gau Südhannover-Braunschweig war ebenfalls großzügig in die Rüstungsproduktion eingebunden. Das Sägewerk und die Holzwarenfabrik August Müller & Co. (Amco) in Kirchbrak stellten Munitionskisten für die Marine her. Zusätzlich verließen Handgranatenstiele und Stößel für Zünderteile das Werk. Außerdem fertigte die Amco ab 1944 Teile für das Sperrholzflugzeug TA 154.81 Zeitweise waren in dem mittelständischen Unternehmen mehr als 300 Personen tätig.82 Zur Belegschaft zählten 79 Ukrainerinnen, die in einer 1940 errichteten Baracke am Eingang des Ortes Richtung Dielmissen untergebracht waren. Das Grundstück hatte die Gemeinde der Firma Amco kostenlos überlassen. Ansonsten beschäftigte das Sägewerk einige Holländer und Franzosen, die in ‚freien‘ Unterkünften beherbergt wurden. Noch gegen Kriegsende richtete der Rüstungsbetrieb mit Zustimmung des Hildesheimer Regierungspräsidenten ein werkseigenes Lager ein. Am 18. August 1944 hatte er der zuständigen Rüstungsinspektion XI a mitgeteilt, dass gegen den Bau einer Wohnbaracke zur Unterbringung von 40 weiteren Ausländern auf dem Gelände des Sägewerkes keine Bedenken bestünden.83


Die Kistenfabrik Haltenhoff, im Hintergrund das Metallwerk Odertal, 1937 (Foto Lindenberg)

Die 1889 gegründete und 1937 „arisierte“ Holzwarenfabrik Herlag in Lauenförde an der Weser führte nach Angaben ihrer Werkschronik ab 1940 Rüstungsaufträge aus. Sie stellte vorwiegend Munitionskisten sowie Waschhocker für das Militär und Holzstühle für Baracken her. Im Frühsommer 1944 kamen weitere Aufträge hinzu, nämlich Annietmuttern als Ausweichbetrieb für die Göttinger Aluminiumwerke GmbH.84

In Bad Lauterberg war die Kistenfabrik Albert Haltenhoff in die Rüstung eingebunden. Ab 1937 versorgte sie das wenige Meter entfernt arbeitende Metallwerk Odertal überwiegend mit Munitionskisten und Verpackungsmaterial, im Februar 1944 mit einer Belegschaft von 118 Personen.85 Die Uslarer Möbelfabrik Ilse & Co. [ehemals Vereinigte Möbelfabriken Neugarten & Eichmann] produzierte ebenfalls Munitionskisten, führte zugleich aber auch Zulieferaufträge für die Luftwaffe aus.86 Die Werkzeugfabrik Carl Bruns GmbH aus Kreiensen hatte sich gleichermaßen auf die Fabrikation von Munitionspackgefäßen und den Zellenbau für Flugzeuge spezialisiert.87 Die 1935 ins Leben gerufenen Mechanischen Werkstätten C. & M. Brüggemann in Hann.-Münden fertigten als „Sonderbetrieb“ Fallschirme zum Abwurf von Heeresmaterial. Am 15. März 1944 waren in dem Unternehmen über 700 Personen tätig.88 Selbst die Northeimer Baufirma Herbst war Ende des Krieges Zulieferer für die Rüstungsindustrie; sie produzierte in ihren ehemals der Reparatur und Konstruktion dienenden Gebäuden in der Güterbahnhofstraße 10 Metallteile für Splitterbomben, die zur Weiterbearbeitung an die Heeresmuna in Volpriehausen geliefert wurden.89 Der kurze Überblick zeigt, wie vielschichtig und in welch unterschiedlichen Bereichen Betriebe im heutigen Südniedersachsen in die Kriegsproduktion eingebunden waren, ohne zu den Rüstungsschmieden im Großraum Braunschweig-Hannover-Hildesheim-Salzgitter aufschließen zu können.

Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945

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