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Vorwort

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Frank Baranowski legt mit seinem Werk „Rüstungsproduktion in Deutschlands Mitte von 1923 bis 1945“ die Summe seiner jahrzehntelangen Forschungen vor. Angefangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, hat er Mitte der 1980er Jahre in der Schule. Der Verfasser des Vorworts war sein Lehrer. Die Frage nach französischen Zwangsarbeitern in Südniedersachsen rückte in das Unterrichtsinteresse, lange bevor man sie kannte, anerkannte und für erlittene Unbill „entschädigte“. Wo waren sie geblieben? Was erinnerten die, die noch lebten? Wo haben sie gelebt, wie gelitten inmitten der Schülergroßeltern? Was war aus den Ausbeutern ihrer Arbeitskraft geworden? Vielleicht spielte auch die technische Ausrichtung der gymnasialen Oberstufe, die Baranowskis Forschungsdrang auf den Weg brachte, eine Rolle. Waren es doch vor allem Unternehmen der Kriegsrüstung, die Zwangsarbeiter, ob in Frankreich und Belgien angeworben, eingezogen oder gekidnappt, Kriegsgefangene, Deportierte aus den Weiten des Ostens und zuletzt KZ-Gefangene ausbeuteten, oft jusqu’à ce que mort s’ensuive.1 Die Frage nach der moralischen Verantwortung technischer Bildung war gestellt.

Am Anfang war es eine schulische Rezeption der von Sven Lindqvist initiierten „Grabewo-du-stehst-Bewegung“. Lokalgeschichte, briefliche Befragung von Zeitzeugen, Erforschung von Lebenswelten, Industrie- und Alltagsgeschichte, sie alle wurden zum Bildungserlebnis, waren Teil einer Erlebnisbildung und Weg der Schülersozialisierung. Preisarbeiten für Schülerwettbewerbe der Robert-Bosch-Stiftung, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Körber-Stiftung entstanden im Kursverband. War Frank Baranowski dabei noch Vorreiter, so ließ ihn das Thema nicht mehr los – es ihn und er es. Ulrich Herberts Monographie „Fremdarbeiter, Politik und Praxis des Ausländer-Einsatzes in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches“ wurde Frank Baranowski dabei zum Meilenstein. Neben seinem Jura-Studium setzte er die Forschungen fort, erst im heimatlichen Eichsfeld-Städtchen Duderstadt,2 dann immer weiter ausgreifend.

Dann kam die Wende und für Südniedersachsen lag das ehemalige Konzentrationslager Dora-Mittelbau bei Nordhausen vor der Haustür. Für Frank Baranowski wie für mich war die Anschauung Schock und Antrieb, mehr zu erfahren über das Schicksal dorthin Deportierter und die Strukturen ihrer Ausbeutung. Während ich das vierzig Jahre nach der Befreiung verfasste Erinnerungsbuch des ehemaligen Häftlings Yves Béon „Planet Dora“ aus dem Französischen übersetzte, machte Frank Baranowski sich auf den Weg, die Lager- und Ausbeutungsstrukturen in ihrer ganzen Breite zu erforschen. Er bereiste Archive in ganz Deutschland, studierte NS-Prozessakten in Ludwigsburg, befragte Zeitzeugen, beschaffte Dokumente, zum Teil aus den USA, sammelte sie und vieles mehr in einem umfassenden Privatarchiv, richtete eine Homepage ein, ebenso war er maßgeblich an der Konzeption einer Dauerausstellung zum Thema Heeresmunitionsanstalten in Kalibergwerken der Region in 600 m Tiefe des Schachtes Glückauf in Sondershausen beteiligt.

Zunehmend entwickelte Frank Baranowski das Gespür einer ‚Trüffelnase‘. Mit gewinnender

Art erschloss er Privatarchive und Sammlungen von Nachfahren der Rüstungsproduzenten. Als die Sammlungen des International Tracing System (ITS) in Arolsen unter Verwaltung des Internationalen Roten Kreuzes noch unzugänglich waren, fand er Kopien und noch darüber hinausgehende Bestände im Archiv „Service des Victimes de la Guerre“ (AVSG) in Brüssel, die wir gemeinsam auswerteten. Darüber hinaus sucht Frank Baranowskis Fotoarchiv inzwischen seinesgleichen; die vorliegende Veröffentlichung zeigt nur einen Bruchteil des vorhandenen Materials. Auch an der Spitze einer mittelständischen Rechtsanwaltskanzlei in Siegen trieb er seine Recherchen voran, wandte seinen juristischen Sachverstand auf, um das Tarngeflecht staatlich bezahlter Rüstungsentwicklung in und durch Privatfirmen schon seit den 1920er Jahren zu entwirren. Mit der ab 1934 einsetzenden Kriegsvorbereitung waren es bald vollfinanzierte Staatsfirmen, die vom NS-Regime an Rüstungskonzerne verpachtet und zu deren Tochterfirmen deklariert, die Fassade von Privatfirmen abgaben. Dieses „Montan-System“ analysiert Baranowski ebenso wie er es vielfältig nachweist. Die Herstellung und Einlagerung massenhafter Munitionsbestände in aufgelassenen Thüringer Kalibergwerken, damit sie bloß den Versailler Kontrollkommissionen entgingen, beschreibt er als Untertageverlagerung früher Kriegstreiberei schon seit 1934. Vom industriellen Massenproduzenten von Rüstungsgütern über die verschwiegenen Entwickler von high-tech-Waffen bis zum handwerklichen Kleinstbetrieb, Baranowski hat die meisten Rüstungsproduzenten – Rädchen im System von Waffenherstellung und Kriegsproduktion – erfasst. So gewann er ein Gesamtbild der späten, aber umso intensiveren Dislozierung der Rüstungsindustrie in Thüringen und im Südharz. Ein Geflecht von in unterirdischen Hohlräumen (Naturhöhlen und bergbaulich hergestellte Objekte) verbunkerten Rüstungsschmieden, Teile- und Zuliefer-Manufakturen in mittelständischen Betrieben, deren ursprüngliche Produktion teils zwangsumgestellt wurde, Explosivem, Hochgiftigem und Todbringendem in Hügelland und Bergtälern. Und überall in der Nähe, was sich nur pauschalierend als „Zwangsarbeiterlager“ zusammenfassen lässt. Ein dichtes Netz von Barackenlagern des Grauens, Zeltunterkünften im strengen Winter, ein bald auf das Kohnsteinlager zentriertes KZ-System, aber auch firmeneigene Zwangsarbeiterunterkünfte in un- und umgenutzten Nebengebäuden von Fabriken, in ‚Behelfsheimen‘ auf dem Fabrikhof, wenn nicht gleich in der Werkhalle oder in einem Nebengemach der Fabrik selbst. Wer in einem beschlagnahmten Gaststättensaal untergekommen war, konnte noch von Glück reden.

Nicht nur KZ-Häftlinge nächtigten auf dem blanken Boden von Naturhöhlen, in Bergwerkschächten oder auf Betonböden der Fabriken. Und über allem die Unterdrückung durch das erbarmungslose KZ-Regime, SS-Personal, das man zum Teil bis in die Vernichtungslager des Ostens zurückverfolgen kann; als Peiniger aber auch zur Bewachung abgestellte Wehrmachtssoldaten. SS, Wehrmachtsangehörige und Fabrikpersonal teilten sich Überwachung und Drangsalierung der Zwangsarbeiter/​innen und KZ-Häftlingen, mit allenfalls graduell unterschiedlicher Härte. Willkürliche Strafen und Quälereien, willentliches Sterbenlassen in den Krankenrevieren und außerhalb, die von Kapos, SS-Leuten oder anderem Personal begangenen Morde, die Denunziation von Arbeitskollegen, die stete Demonstration des Lebensunwertes der Ausgebeuteten waren an der Tagesordnung. Kaum Solidarität oder auch nur Zeichen von Menschlichkeit.

Frank Baranowski hat das in den Dokumenten schon seit langem erfasst, gesammelt, ausgewertet. Nun ist er daran gegangenen, aus der Übersicht und seiner umfassenden Kenntnis eine Systematisierung vorzunehmen, die in einen Regionenvergleich mündet. So fördert Frank Baranowski zutage, wie die Herstellung der Vernichtungsmittel des Krieges untrennbar mit der Ausbeutung der Arbeit moderner ‚Sklavenheere‘ bis hin zu ihrer Vernichtung verbunden ist.

Göttingen im Juni 2013

Karl-Udo Bigott †

Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945

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