Читать книгу Achtsamkeits - Yoga - Frank Boccio - Страница 10
ОглавлениеEinführung
1976 war ich 20 Jahre alt, meine Tochter war zwei, und in meiner Ehe zeigten sich bereits die ersten Probleme. Ich hasste meine Arbeit. Jemand, den ich kannte, schlug mir vor, eine Yoga-Klasse zu besuchen, um zu entspannen und abzuschalten.
Als ich aus meiner ersten Yoga-Klasse kam, war ich ruhiger, mehr im Gleichgewicht und entspannter, als ich mich erinnern konnte, es je gewesen zu sein. Ich fühlte mich offen, weit und leicht. Der Raum wirkte wie ein Schoß, in dem man sich behütet fühlte. Die Räucherstäbchen, das gedämpfte Licht, der alte Teppich (immerhin waren es die 70er Jahre) und die indische Musik schufen eine Atmosphäre, in der ich mich niederlassen und meine Rüstung ablegen konnte. Die Yoga-Lehrerin war eine schöne Hippie-Frau, die eine Aura ausstrahlte von Erdmutter und Sexgöttin zugleich. Ich war mir sicher, den Himmel auf Erden gefunden zu haben.
Ich begann, zwei Klassen in der Woche zu besuchen, manchmal auch mehr. Nachmittags um vier nahm ich nach der Arbeit den Zug von Südmanhattan und fuhr stadtaufwärts. Später fuhr ich dann mit der Linie 7 nach Flushings in Queens, wo ich mit meiner Familie lebte. Schon ein paar Wochen nachdem ich mit diesem Programm begonnen hatte, merkte ich, dass ich zwar nach den Klassen himmlische Freuden empfand, doch sobald ich den Zug in Flushing verließ, war ich bereits wieder in meine eigene, private Hölle gefallen. Schlimmer noch: Die Ekstasen, die ich in den Yoga-Klassen erlebte, kamen mir in meinem sonstigen Leben immer fern und fremd vor. Auch nachdem ich zu Hause damit angefangen hatte, Yogahaltungen und Atemübungen zu praktizieren, fand ich, dass der Frieden, den ich verspürte, wenn ich „Yoga machte“, sich mir vorher und nachher entzog. Zu jener Zeit stöberte ich durch einen örtlichen Buchladen und entdeckte Shunryu Suzukis Zen-Geist, Anfänger-Geist. Bereits auf der Highschool hatte ich mich ein wenig mit dem Buddhismus beschäftigt, vor allem mit den Werken von Alan Watts, D.T. Suzuki und Christmas Humphreys. Die Direktheit, Einfachheit und die fast schon wissenschaftliche, empirische Sichtweise des Buddhismus sprachen mich intellektuell an.
Als jemand, der Naturwissenschaften studiert hatte und sich für einen Atheisten hielt, konnte ich mich mit dem Buddhismus anfreunden. Seine Religion war nichttheistisch, psychologisch durchdacht und erfrischend undogmatisch. Vor allem gefiel mir aber, dass Buddha seinen Anhängerinnen und Anhängern ausdrücklich empfahl, nichts einfach nur deshalb zu akzeptieren, weil Lehrer (einschließlich er selbst) es ihnen gesagt hatten, oder etwas nur zu glauben, weil es in den Schriften stand, solange sie es nicht selbst überprüft hatten. Stattdessen riet er ihnen, gewisse „geschickte Mittel“ zu praktizieren und selbst darauf zu achten, ob sie funktionierten. Wenn das, was sie dabei herausfanden, mit dem übereinstimmte, was die Weisen lehrten, wenn es zu einem harmonischen Leben beitrug, das frei von Leiden war, dann sollten sie diese Wahrheit annehmen und in Übereinstimmung mit ihr leben. Falls die Praktiken, die Buddha lehrte, in ihrer Erfahrung das Leiden linderten, sollten sie dabei bleiben. Wenn sie jedoch entdeckten, dass bestimmte Verhaltensweisen zu Unheil und Ungemach führten, dann sollten sie von diesem Verhalten ablassen.
Doch erst als ich Zen-Geist, Anfänger-Geist entdeckte, als ich Suzuki Roshis offenes, direktes und warmherzig-ehrliches Gesicht auf dem Buchumschlag sah und mir seine klaren Worte begegneten, wurde ich dazu angeregt, mit der Dharma-Praxis zu beginnen. Meine ersten Studien des Buddhadharma fanden in der japanischen Soto-Tradition statt. Was ich im Zendo lernte, anfangs durch Vorträge und Dharma-Unterweisungen, später in meiner eigenen Zazen-Praxis, leitete allmählich einen Prozess der Verwandlung ein, der mir heute fast wie ein Wunder vorkommt.
Damals befand ich mich jedoch in einer zwiespältigen Situation. Meine Mitschüler im Ashram, in dem ich Yoga studierte und praktizierte, waren über meiner Begeisterung für den Buddhismus verwundert, denn „diese sauertöpfischen Buddhisten reden doch über nichts anderes als das Leiden“, während meine Dharma-Brüder und -Schwestern misstrauisch meine Yoga-Praxis beäugten und alle Yogis und Yoginis als „Ekstase-Süchtige“ und „Rauschköpfe“ bezeichneten oder mit anderen abschätzigen Begriffen belegten.
Ich konnte sehen, wieso jede Gruppe die andere so beurteilte, wie sie es tat, aber das war nicht die ganze Wahrheit. In meinem Innern verstand ich, dass beide Traditionen einander nicht nur ergänzten, sondern dass sie sich auf einer grundlegenden Ebene gar nicht so sehr voneinander unterschieden.
Dreizehn Jahre lang war ich einfach nur ein Dilettant. Aber dann, nach all dem Schmerz und Leiden, als schon wieder eine Beziehung an ihr schreckliches Ende gekommen war, ließ ich mich erneut und tiefer auf die Praxis und das Studium des Yoga und Dharma ein. Nach weiteren sechs Jahren machte ich meinen Abschluss als Yoga-Lehrer und -therapeut, und im selben Jahr nahm ich bei dem vietnamesischen Zen-Meister Thich Nhat Hanh formal Zuflucht zu den fünf Gelübden.
Um 1995 hatte ich andere buddhistische Praktizierende kennen gelernt, die „Yoga machten“, und zugleich blickten damals viele in der Yoga-Welt auf den Buddhismus, dessen Meditationslehren und -praktiken sie interessierten. Mir schien es jedoch, als würde etwas mit dem Bild, das die meisten von der Praxis hatten, nicht stimmen. Anstatt zu erkennen, dass beide Traditionen in eine umfassende Praxis integriert werden können, wurden Yoga und Buddhadharma von vielen als getrennte Bereiche betrachtet. Sie meinten, Yoga sei nichts weiter als eine Vorbereitung auf die „wirkliche Arbeit“ der Meditation, oder aber, dass es in der Meditation nur um den Geist gehe und sie keinerlei Bedeutung dafür habe, wie wir im Yoga mit dem Körper arbeiten.
Das Problem lag natürlich in dem weit verbreiteten Missverständnis darüber, was Yoga eigentlich ist. Im Westen verbinden wir Yoga mit der Praxis der Haltungen (Asanas), die in den Yoga-Klassen gelehrt werden. Haltungen sind jedoch nur ein Teil der Yoga-Tradition – und ironischerweise nur ein sehr kleiner! Selbst Gemeinschaften, von denen man annehmen könnte, dass sie es besser wüssten, tragen zur Verbreitung dieses Missverständnisses bei. Kürzlich erhielt ich das Programm eines großen und bekannten Yogazentrums. Unter den Angeboten fand ich Kurse, die „Yoga und Zen“ und „Yoga und Meditation“ hießen. Zwar mag es noch angehen, einen Kurs „Yoga und Zen“ zu nennen, da es sich dabei um zwei unterschiedliche kulturelle Traditionen handelt (obwohl Zazen nach meinem Verständnis eine Form des buddhistischen Yoga ist), doch wenn man einen Unterschied zwischen Yoga und Meditation macht, wird verkannt, was Yoga in Wirklichkeit ist. In den Kursangaben wurde Yoga schlicht und einfach als Asana-Praxis beschrieben, die „den Körper öffnet und stärkt“, während die meditative Aufmerksamkeit „Ihre Yoga-Praxis verbessern kann“. Nach meiner Ansicht, die auf meinen direkten Erfahrungen und Studien beruht, wird ohne meditative Achtsamkeit vielleicht der Körper trainiert, aber es handelt sich dabei nicht um die wirkliche Praxis des Yoga. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass wir in Wirklichkeit, dass wir letztendlich niemals „Yoga machen“, sondern dass wir Yoga sind oder in Yoga sind – oder eben nicht.
Aus diesem Grund gebe ich im ersten Kapitel, „Buddhas Yoga“, einen kurzen Abriss über den historischen Kontext, in dem Yoga und Buddhadharma sich entwickelt haben. An dieser Stelle möchte ich aber schon zwei zentrale Punkte erwähnen. Erstens meine Auffassung, derzufolge buddhistische Praxis selbst eine Form oder kulturelle Tradition des Yoga ist. Zweitens meine Darstellung eines buddhistisch-meditativen Ansatzes für die Praxis der Yoga-Asanas.
Lassen Sie uns zu Beginn einen Blick auf das Wort „Yoga“ werfen. Wie so viele Begriffe aus dem Sanskrit ist es reich an Bedeutungen und Assoziationen. Seine Wurzel ist yuj, was „aufzäumen“ oder „ins Joch einspannen“ bedeutet. Tatsächlich geht das deutsche Wort „Joch“ auf das Sanskrit zurück, wobei die mit ihm assoziierte „Verbundenheit“ auch in der Bedeutung des Wortes „Yoga“ existiert. „Yoga“ wurde benutzt, um eine Verbindung oder Einheit zu bezeichnen, und es bedeutet „Summe“ und „Zusammentreffen“ im Sinne eines Zusammenfügens. In einer Bedeutungserweiterung wurde „Yoga“ schließlich zu einem Begriff, der das spirituelle Streben, insbesondere als eine Disziplinierung des Geistes und der Sinne, bezeichnete. Diese spezielle Bedeutung reicht bis in das 2. Jahrtausend v. u. Z. zurück.
Bereits nach dieser etymologischen Betrachtung können wir vorläufig feststellen, dass Yoga ein spirituelles Bemühen bezeichnet, in dem etwas zur Einheit zusammengefügt wird, und es bezeichnet zugleich diesen Zustand der Einheit selbst. Das führt uns zu der offensichtlichen und vielleicht grundlegenderen Frage: Die Einheit von was und mit wem? Was ist es, das vereint werden muss?
Laut einigen der frühesten yogischen Texte sind es das bewusste Subjekt und seine geistigen Objekte, die vereint werden. Dieses (anscheinende) Zusammenführen von Subjekt und Objekt wird in der yogischen Literatur (aber auch in den Schriften des Buddhismus) als Zustand des samadhi bezeichnet, ein Begriff, der im wörtlichen Sinne selbst wiederum „zusammenführen, zusammenlegen“ bedeutet. Wenn wir diese Erklärung tief auf uns wirken lassen, werden wir erkennen, dass es im Yoga oder Samadhi letztlich um die Transzendierung der (wahrgenommenen) Trennung von Subjekt und Objekt geht. Yoga ist beides zugleich: die Technik und der Zustand der Selbst-Transzendierung. Wie diese Transzendierung im Einzelnen gedeutet wird und welche Techniken zu ihrer Verwirklichung eingesetzt werden, hat zu der Vielfalt von Schulen, Übertragungslinien und Formen geführt, die es in der Yoga-Tradition als Ganzes gibt.
Im letzten Absatz habe ich die Wörter „anscheinend“ und „wahrgenommen“ in Klammern gesetzt, um damit auf meine spezielle Interpretation des Yoga und Samadhi hinzuweisen. Einige philosophische Schulen betrachten Yoga als die „reale“ Vereinigung eines individuellen Selbst mit der absoluten Wirklichkeit, der es zuvor entfremdet war. Andere verstehen das Selbst und alle Phänomene als maya oder Illusion. Wieder andere lehren, dass es keine reale Vereinigung gibt, die verwirklicht werden müsse, da die Trennung selbst nichts weiter als eine Täuschung sei und wir im Yoga einfach nur zu dem erwachen, was von Anfang an unsere wahre Natur gewesen ist. Selbstverständlich wurde dem, was diese wahre Natur ist, eine Reihe von Namen verliehen, vom offenkundig widersprüchlichen atman, der als ein „transzendentes Selbst“ jenseits des Geistes und der Sinne aufgefasst wird, über brahman, ein Begriff, der „unermessliche Weite“ bedeutet und als „das Absolute“ verstanden wird, das mit Atman identisch ist, bis hin zur Buddhanatur (buddhata), der „wahren, unveränderlichen und ewigen“ Natur aller Wesen. Sie soll das Gleiche wie shunyata sein, ein Begriff aus dem Sanskrit, der die unser Verständnis herausfordernde Bedeutung von „Leerheit“ oder „Leere“ hat. Interessanterweise wird von der Buddhanatur behauptet, dass sie jenseits von Konzepten und Vorstellungen sei.
Aus diesem weiten Bedeutungsfeld heraus können wir Yoga als einen allgemeinen Begriff verstehen, der die enorme Fülle spiritueller Lehren und Techniken bezeichnet, die in Indien in den vergangenen fünf Jahrtausenden entstanden sind. In diesem Sinne lassen sich die Lehren Buddhas zu Recht als Yoga bezeichnen. Buddha lehrte, dass die irrtümliche Identifikation mit unserem wahrgenommenen Selbst die Quelle unserer Leiden und Schmerzen ist, dass wir diese wahrgenommene Trennung durch eine Reihe von Praktiken überwinden und so die Beendigung des Leidens oder nirvana (nibbana auf Pali) verwirklichen können. In diesem Zusammenhang mag es von Interesse sein, dass jene buddhistischen Traditionen, die den indischen Quellen am nächsten stehen, nämlich die Theravada- und die tibetischen Schulen, ihre Praktizierenden häufig als yogis und yoginis (männliche und weibliche Yoga-Praktizierende) bezeichnen. Doch auch wer Zen und anderen buddhistischen Praktiken folgt, kann sich gleichermaßen und mit Recht als Yoga-Praktizierender betrachten.
Verwirrung entsteht, sobald wir Yoga im engeren Sinne als eine der sechs orthodoxen Traditionen oder Systeme der „Philosophie“ begreifen. Darshana, das Wort aus dem Sanskrit, das ich hier mit „Philosophie“ übersetze, bedeutet eigentlich „direkte Wahrnehmung“ oder „Sicht“. Damit wird deutlich, dass die Betonung in Indien immer auf dem direkten Erfassen der Wirklichkeit lag, im Gegensatz zu einer rein intellektuellen Auseinandersetzung. Als orthodoxe „Standpunkte“ berufen sich diese sechs philosophischen Systeme auf die Autorität der alten vedischen Literatur Indiens.
Wenn wir von Yoga in diesem Sinne als einem der Darshanas sprechen, meinen wir das, was formal als klassischer Yoga bezeichnet wird, den der große Weise Patanjali ungefähr im 2. Jahrhundert u. Z. im Yoga-Sutra dargelegt hat (wobei einige Forscher von einem früheren Zeitpunkt, ungefähr 200 v. u. Z., ausgehen). Der klassische Yoga wird auch als ashtanga (achtgliedriger)-Yoga oder raja(königlicher)-Yoga bezeichnet.
Während die meisten Formen des Yoga (prä- und postklassische) in einem nichtdualistischen Denken verankert sind, ist Patanjalis klassischer Yoga, der mit der dualistischen philosophischen Schule des Samkhya verbunden ist, durchaus dualistisch. Patanjali geht von einer strikten Trennung von Geist (purusha) und Natur oder Materie (prakriti) aus. In seinem System werden unzählige Purushas angenommen, wobei es in den Lehren und Praktiken, die sich im Yoga-Sutra finden, darum geht, dass die Praktizierenden eine Einsicht (viveka) entwickeln, in der sie zwischen dem transzendenten Purusha und allem, was „Nicht-Selbst“ (anatman) ist, unterscheiden; Letzteres umfasst auch den gesamten psychophysischen Organismus, der dem Bereich des Prakriti zugerechnet wird. (Es sollte bedacht werden, dass Patanjali Anatman etwas anders versteht, als er in buddhistischen Texten aufgefasst wird.)
Ironischerweise wird Yoga in dieser Vorstellung zu einer Abtrennung und einem Rückzug von der phänomenalen oder relativen Wirklichkeit, bis die Yogini ihr wahres Selbst wiederentdeckt. Tatsächlich behaupten einige Kommentare zum Yoga-Sutra, dass Yoga „viyoga“ sei, also: „Einheit ist Trennung“ – was fälschlicherweise wie ein Zen-Koan klingt!
Ob wir uns nun dazu entscheiden, der Metaphysik Patanjalis zu folgen oder nicht, der Prozess der Einsicht, Viveka, spielt selbst in nichtdualistischen philosophischen Schulen des Yoga, Vedanta und Buddhismus eine Rolle. Deshalb kann es auch für nichtdualistische Buddhisten durchaus von Gewinn sein, sich mit Patanjalis dualistischem Yoga-Sutra zu beschäftigen. Außerdem sind viele Praktizierende der vedantischen und tantrischen Tradition der Ansicht, Patanjali habe eher ein Modell für die Praxis und Lehre vorgelegt als eine eigenständige Ontologie.
Durchlässige Interpretationen und die Akzeptanz von Widersprüchen und Paradoxien sind Eigenschaften, die alle Yogalehren auszeichnen.
Nach allem, was hier gesagt wurde, fragen Sie sich vielleicht, wie die Haltungen in dieses Bild passen. Wie ich bereits erwähnt habe, spielten die Haltungen, die wir heute kennen und praktizieren, im Lauf der Geschichte keine so große bis gar keine Rolle. Selbst im Yoga-Sutra beziehen sich nur drei der 195 Aphorismen auf die Asanas, die Patanjali als „stabil und angenehm“ charakterisiert. Sie werden in einem „entspannten Bemühen“ praktiziert und führen zu einer „Befreiung von Gegensätzen“ wie Hitze und Kälte, Lust und Schmerz.
In diesem und anderen frühen Texten wird deutlich, dass die Asanas, um die es dort geht, die Haltungen der Sitzmeditation sind. Für Patanjali sind die Asanas ein Hilfsmittel, das den Rückzug der Sinne unterstützt und zu einer tiefen Konzentration führt, die in der Meditation gipfelt. Tatsächlich bedeutet das Wort „Asana“ wörtlich „Sitz“ und bezeichnete ursprünglich den Platz, auf dem der Yogi sich niederließ. Wenn Sie sich in Meditation setzen, praktizieren Sie also im buchstäblichen Sinne Yoga!
Mit der Zeit entwickelte sich unter dem Einfluss tantrischer Lehren – die den Körper eher als ein Werkzeug der Befreiung und nicht mehr nur als Hindernis auf dem Weg zum Erwachen betrachteten – eine Form des Yoga, die das Arbeiten mit dem Körper betonte, der als Grundlage der Selbsterkenntnis perfektioniert werden sollte. Dieser hatha-Yoga (wörtlich: „kraftvoller Yoga“, da er Disziplin und eine dynamische Qualität der Praxis betont und daran interessiert ist, kundalini-shakti zu erwecken, die göttlich-weibliche Lebenskraft, die eingerollt an der Basis der Wirbelsäule ruhen soll) entwickelte die unzähligen Haltungen, die im Westen so populär geworden sind.
Doch von Anfang an hat es Weise gegeben, die vor einer Überbetonung der Haltungen auf Kosten der Meditation gewarnt haben, da dies zu einer noch stärkeren Identifikation mit dem physischen Körper und der Entwicklung von maßlosem Stolz, Eifersucht und Frustration führen könnte. Leider veranlasste diese Tendenz, die Praxis der Asanas – bereits bevor sie in den Westen kam – zu übertreiben, einige Weise, davor zu warnen, dass „die Techniken der Haltung für den Yoga nicht förderlich sind. Obwohl sie als wesentlich beschrieben werden, hemmen sie das eigene Fortschreiten“, wie es ein Zitat aus dem Garuda-Purana, einem Text aus dem 10. Jahrhundert u. Z., dessen Autor unbekannt ist, formuliert.
Heutzutage wird der Yoga in Amerika und anderen westlichen Ländern nur allzu oft auf die Asanas reduziert. In den meisten Yoga-Klassen, die Sie besuchen, werden Sie nur wenig oder gar keine Meditation finden, ganz zu schweigen von einer Diskussion des Kontextes, in den die Praxis der Asanas eingebettet ist. Als ich mit dem Studium des Yoga begann, gab es keine wirkliche Meditationsunterweisung. Obwohl die Asanas angeblich eine Vorbereitung auf die Meditation sein sollten, schienen wir nie zum Meditieren zu kommen.
Wie Buddha lehrte, sollten wir in jeder der vier Positionen oder „Haltungen“, die alle Aktivitäten des Lebens repräsentieren – Sitzen, Stehen, Gehen und Liegen – meditative Aufmerksamkeit entwickeln. Das können wir auch, wenn wir allem, was wir tun, und allem, was auftaucht, achtsam begegnen. Dann leben wir im „ewigen Jetzt“ und halten „unsere Verabredung mit dem Leben“ ein, wie Thich Nhat Hanh es sagt, die immer im gegenwärtigen Moment stattfindet.
Buddhas ausführliche Unterweisungen zur Achtsamkeits-Meditation finden sich in zwei wichtigen Lehrreden, im Anapanasati-Sutta (Sutra des Bewussten Atmens) und im Satipatthana-Sutta (Sutra der Vier Verankerungen der Achtsamkeit). Im sechsten Kapitel, „Eine Einführung in die Sutras“, werde ich diese vorstellen und aufzeigen, wie sie sich gegenseitig ergänzen. Es wird darum gehen, wie wir durch spezielle Übungen, die Buddha lehrt, die Asanas als Achtsamkeits-Meditation praktizieren können.
Wenn wir uns in dieser Weise, wie es im dritten Teil beschrieben wird, mit den Yoga-Asanas beschäftigen, können wir Einsichten erlangen, die uns verwandeln und heilen und uns sogar von vielen unserer begrenzenden und zerstörerischen Denk- und Verhaltensmuster befreien. Buddha versichert uns, dass die Übung des bewussten Atmens uns mit Erfolg die Vier Verankerungen der Achtsamkeit praktizieren lässt. Diese wiederum, wenn sie beständig entfaltet und geübt werden, lassen uns in den Sieben Faktoren des Erwachens verweilen, die zu tiefer Einsicht und vollständiger Befreiung des Geistes führen.
Aber nehmen Sie mich (oder ihn) nicht beim Wort. Praktizieren Sie, und finden Sie es selbst heraus!
Intermezzo
Die Wurzeln des Yoga finden sich bereits in den Veden, den ältesten indischen Überlieferungen, die von gläubigen Hindus als offenbarte Schriften betrachtet werden. Die Veden, die bis in das 4. Jahrtausend v. u. Z. zurückreichen, werden als ewig, ungeschaffen und unanfechtbar angesehen – auch wenn sie Gegenstand vielfältiger Interpretationen sind. Seit seinen frühesten Anfängen ist es schon immer das Ziel des Yoga gewesen, eine Praxis der disziplinierten Introspektion oder meditativen Betrachtung zu entwickeln, die auf eine Transzendierung des egozentrischen Selbst ausgerichtet ist. Anfangs bestanden diese meditativen Praktiken hauptsächlich im Abhalten von Opferritualen. Mit dem Entstehen der Upanischaden und einer upanischadischen Yoga-Praxis, die sich über mehrere Jahrhunderte entwickelte, richteten sich die meditativen Praktiken immer stärker nach Innen, und das Opfer verwandelte sich von einer direkten, äußeren Handlung in einen metaphorischen und inneren Prozess.
Ironischerweise ist die Tradition des Yoga, wenn man an die Bedeutung des Begriffs im Sinne von „Einheit“ denkt, nie sonderlich einheitlich gewesen. Von Anfang an hat es unterschiedliche Schulen und Ansätze gegeben. Selbst Lehrer einer bestimmten Schule vertreten oft unterschiedliche Ansichten und Praktiken. Manchmal widersprechen sich die verschiedenen Lehren sogar. Wenn wir von Yoga sprechen, meinen wir deshalb eine ganze Reihe yogischer Pfade und Anschauungen – ja sogar Ziele, die auf den ersten Blick unterschiedlich erscheinen, obwohl alle davon sprechen, dass ihr Ziel die Befreiung sei. Und das ist auch gut so, denn es gibt ganz unterschiedliche Persönlichkeiten mit vielfältigen Neigungen und in verschiedenen Lebensabschnitten, die sich zur Yoga-Praxis hingezogen fühlen. Buddha selbst soll gesagt haben, dass es 84 000 Dharma-Tore gebe – Praktiken, die zur Befreiung führen.
Trotz dieser inneren Vielfalt der Yoga-Tradition stimmen alle zumindest in einem Punkt überein: Die Welt ist nicht das, was sie zu sein scheint, und es gibt ein ganz reales Bedürfnis nach „Selbst-Transzendierung“, also danach, die begrenzte menschliche Persönlichkeit mit ihren einschränkenden gewohnheitsmäßigen Handlungsmustern zu überschreiten, um zu der Wahrheit der Wirklichkeit, so wie sie ist, zu erwachen. Es ist also nur der Weg, auf dem diese Transzendierung, dieses Erwachen erreicht und wie er beschrieben wird, der sich in den einzelnen Schulen und Traditionen unterscheidet.
Innerhalb der weitläufigen Yoga-Tradition, die aus meiner Sicht auch die Lehren Buddhas, der Jainas (wie die Praktizierenden des Jainismus richtig genannt werden) und ihres Begründers, des Weisen Mahavira, sowie die verschiedenen yogischen Ansätze in der Kultur des Hinduismus umfassen, können wir diverse Hauptformen des Yoga erkennen, die sich verbreitet haben: bhakti-Yoga, karma-Yoga, jnana-Yoga, raja-Yoga, mantra-Yoga und tantra-Yoga. Außerdem zählen dazu auch hatha-Yoga, kundalini-Yoga und laya-Yoga, die alle sehr eng miteinander verwandt sind, auch wenn sie immer wieder als unterschiedliche Schulen bezeichnet werden. Alle drei sind vom Tantra-Yoga beeinflusst, von dem sie möglicherweise auch abstammen.
Bhakti-Yoga wird häufig als Pfad der Verehrung bezeichnet, dessen Anhänger das Transzendent-Absolute in einer persönlichen Gottheit erkennen. Einige Praktizierende folgen dabei einem dualistischen Ansatz und betrachten das Göttliche als das Andere. Wieder andere versuchen, das Selbst mit dem Göttlichen zu vereinen, indem sie die Illusion einer unabhängigen Ich-Persönlichkeit solange auszulöschen versuchen, bis das Göttliche als die einzig existierende Wirklichkeit erkannt wird. Es wird behauptet, dass dies ein Pfad für eher emotional geprägte Menschen sei, dessen hauptsächliche Praxis aus kirtan besteht, der Rezitation von Gesängen, die das Göttliche verehren.
Karma-Yoga ist der Yoga des Handelns, womit vor allem ein Tun gemeint ist, das einer bestimmten inneren Haltung entspringt – der Haltung der selbstlosen Hingabe –, die wiederum selbst eine geistige Handlung darstellt. („Karma“ bedeutet ganz einfach „Handlung“.) Zu handeln, seine Pflichten zu erfüllen, ohne dabei an einem Resultat festzuhalten, ist die Praxis eines Karma-Yogi. Dieses selbstlose Tun entspricht dem „nicht handelnden Handeln“ des Daoismus und wird von Krishna in der Bhagavad-Gita hoch gerühmt. In einem ganz wirklichen Sinne ist diese geistige „Haltung“ die grundlegende Asana-Praxis der Karma-Yogis.
Jnana-Yoga ist der Yoga des Wissens, der fast schon zu einem Synonym für Vedanta geworden ist, jene nichtdualistische Hindu-Tradition, in der die Verwirklichung durch die Erkenntnis des Wirklichen gegenüber dem Unwirklichen gesucht wird. Der Geist wird eingesetzt, sagt man in dieser Richtung, um über den Geist hinauszugehen. Ein moderner Vertreter dieser Tradition ist der große Weise Ramana Maharishi, der seinen Schülerinnen und Schülern lehrt, sich beständig zu fragen: „Wer bin ich?“ Diese Technik ähnelt der Koan-Praxis des Rinzai-Zen.
Raja-Yoga oder königlicher Yoga steht insbesondere für das Yoga-System Patanjalis. Ursprünglich unterschied man damit Patanjalis achtfachen Pfad, der die Meditation betont, vom relativ jüngeren Hatha-Yoga. Über diesen Yoga werde ich an anderer Stelle in diesem Buch mehr sagen.
Mantra-Yoga nutzt die Kraft des Klangs, um das Bewusstsein zu beeinflussen. Die esoterische Bedeutung von mantra ist „das, was den Geist [vor sich selbst] schützt“, indem die Befreiung durch die Konzentration des Geistes auf eine kraftgeladene Silbe verwirklicht wird. In einem der heiligsten Texte dieser Schule werden sechzehn „Glieder“ der Praxis beschrieben, darunter Hingabe, Haltungen, Meditation und Samadhi. Tantra-Yoga war anfangs eine panindische Bewegung, die als Antwort auf die welt- und lebensverneindenden Tendenzen, die sich in den yogischen Praktiken des Hinduismus und Buddhismus entwickelt hatten, entstanden war. Denn trotz der nichtdualistischen Lehren Buddhas und der Upanischaden hatte die Gewohnheit des dualistischen Denkens zu einer Abwertung dieser Welt gegenüber dem Absoluten geführt. Tantrische Praktizierende fragen sich, warum es, da es in Wahrheit nur eine Wirklichkeit gibt, ein Kampf sein muss, sie zu erkennen? Wieso muss spirituelle Praxis immer in Begriffen des Kampfes formuliert werden? Wieso müssen wir uns von den Freuden des Körpers und der Welt abwenden, um das Absolute zu erkennen?
Hatha-Yoga hat sich als unabhängige Schule aus dem tantrischen Ansatz entwickelt und konzentriert sich auf die Perfektionierung des Körpers, um das Glücksgefühl der transzendenten Erkenntnis vollständiger genießen zu können. Erleuchtung wird dabei als ein Ereignis aufgefasst, das den gesamten Körper betrifft, weshalb der Hatha-Yoga in seinen Praktiken das Ideal des Tantra ausdrückt: Aus der Fülle der Erkenntnis leben seine Praktizierenden in der Welt und ziehen sich nicht um der Erleuchtung willen aus ihr zurück. Obwohl die psychospirituellen Praktiken von pranayama (Atemkontrolle) und Asanas im Kontext der Erkenntnis des Absoluten gesehen werden müssen, vergessen manche Praktizierende ihr spirituelles Bestreben und verfallen einer ego-getriebenen Praxis. In den Augen mancher Wissenschaftler hat Hatha-Yoga einen schlechten Ruf, weil sich einige seiner Yogis in der Falle der Narzissmus verfangen haben. Leider ist ego-getriebene Praxis eine Falle, in die man nur allzu leicht gehen kann – besonders in unserer körperorientierten Gesellschaft. Der Wert des Hatha-Yoga sollten jedoch nicht unterschätzt werden.
Viele Hathas
Im Hatha-Yoga, der beliebtesten Form des Yoga im Westen, spielen die Haltungen, die im Denken vieler Menschen zu einem Synonym für Yoga geworden sind, eine wichtige Rolle. In der esoterischen Bedeutung von „Hatha“ steht ha für die Sonne und tha für den Mond. Hatha ist demnach ein Yoga, der die Kräfte von Sonne und Mond vereinigt – die männlichen und weiblichen Energien, die in uns allen existieren.
Alle bekannten Yoga-Traditionen, die mit den Haltungen arbeiten, sind eine Form oder ein Stil des Hatha-Yoga. Iyengar-Yoga ist eine Form des Hatha-Yoga, die von der großen Persönlichkeit B. K. S. Iyengars geprägt ist. Power-Yoga, Ashtanga-Yoga, Kripalu-Yoga, Anusara-Yoga, Integraler Yoga, Yoga nach Sivananda und viele andere sind einfach nur unterschiedliche stilistische Ansätze innerhalb des Hatha-Yoga. Eine Form des Hatha-Yoga, die sich nach Buddhas Unterweisungen zur Achtsamkeit richtet, könnte ganz einfach Achtsamkeits-Yoga oder Buddha-Yoga genannt werden.
Die Praktiken des Hatha-Yoga sind von großem Wert und wurden ausführlich beschrieben. Kurz gesagt wirken die Asanas auf allen Ebenen und in allen Systemen des Körpers; sie stärken ihn und bewirken zugleich eine größere Flexibilität und Leichtigkeit der Bewegung. Asana-Praxis kann den Körper entschlacken und reinigen, die Verdauung und Entsorgung unterstützen, den Hormonhaushalt ins Gleichgewicht bringen und die Nerven beruhigen. Wenn wir die Haltungen zusätzlich mit unserer konzentrierten Aufmerksamkeit verbinden, können tiefe emotionale und geistige Verhaltensweisen erkannt werden, und wir entwickeln Einsicht und Verwandlung unseres Selbst.