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Vorgeplänkel zu mir

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Die allermeisten Menschen müssen sich beim Warten auf den Tod vor allem deshalb nicht weiter ablenken, weil sie gar nicht auf den Tod warten. Ihnen wird erst auf Sichtweite klar, dass der Besuch des Sensenmanns unausweichlich ist.

Ich gehöre zu jenen Menschen, die warten, obwohl sie sich der Statistik nach noch eine Weile gedulden könnten. Die Beschäftigung mit der dunklen Brühe dient mir aber gerne als Ablenkung.

Mein Name ist Mindaugas. Mein Vorname wohlgemerkt. Ich bin nicht sonderlich stolz darauf.

>> Es war einfach eine Laune << , sagte meine Mutter, als ich sie auf ihr Motiv für die Namenswahl ansprach.

>> Keine Ahnung << , sagte mein Vater.

>> Man darf keinem Kind einen Namen geben, den es nicht schon irgendwo gibt << , wusste Henrik. Er selbst hatte „Mindaugas“ noch nie gehört und folgerte daraus, dass es den Namen nirgendwo gab. Die Frau aus der Stadtbibliothek war in dieser Angelegenheit anderer Auffassung. Ich hatte ihr mein Leid geklagt und sie gebeten, in ihren Registern nachzuforschen.

>> Mindaugas war der König von Litauen << , sagte sie, ohne in ein Register zu schauen.

>> Die erzählt Unfug << , sagte Henrik, der genauso wenig wie ich wusste, wer oder was Litauen war. Ziemlich bald blätterte ich in einem Lexikon. Für einige Stunden versank ich magisch gebannt in die Geschichte litauischer Könige. Die Vielzahl römischer Ziffern für Könige, Päpste und Großfürsten jener Zeit irritierte mich jedoch, und ich beschloss, das Interesse an der Herkunft meines Namens zu verlieren. Damit verlor ich gleichzeitig das Interesse an der Frage, warum man seinem einzigen Kind aus einer bloßen Laune heraus den Namen eines Königs geben konnte, der vor hunderttausend Jahren gelebt und Abermillionen Kilometer entfernt ein Land regiert hatte, von dessen Existenz gerade ein Dutzend Menschen auf der Welt überhaupt etwas wusste. Unsere Bibliothekarin und den Autor des Lexikons eingeschlossen.

Tihomir Krastevla hieß der neue Kaufmann in der Straße. Der kannte die Herkunft seines Namens gewiss auch nicht. Weder vom Vor- noch vom Zunamen. Oder Humpert Hadley. Einer unsere Mitschüler.

Da sich mein Name nicht auf etwas Doofes reimte, war er mir am Ende egal. „Mindy“ nannten mich meine Freunde, schon bevor wir Englisch in der Schule hatten. Damit konnte ich gut leben. Anspielungen auf weibliche Eigenschaften war ich nie ausgesetzt. Dies muss ich wohl der Tatsache zurechnen, dass ich etwas robuster daherkam, körperlich wie sprachlich. Im Rückblick verstand ich „Mindy“ durchweg als Respektsbekundung, nie als Häme.

Henrik nannten die meisten Henry. Seitdem wir Englisch hatten. Ich nannte ihn weiter Henrik. Ich wollte nicht so sein wie die meisten. Ich war es nicht, und ich bin es nicht.

Mein Leben bestand darin, zur Arbeit zu gehen und nach Hause zu kommen. Wenn ich bei der Arbeit war, machte sie mir keinen Spaß. Wenn ich Freizeit hatte, machte sie mir keinen Spaß. Wenn ich Bier trank, machte es mir einigermaßen Spaß. Wenn ich Radio hörte, machte es mir selten Spaß. Wenn ich fernsah, machte es mir selten Spaß. Andere Länder zu besuchen, machte mir selten Spaß. Wenn ich mit Freunden sprach, machte es mir manchmal Spaß.

Ich fahre mit dieser Aufreihung nicht fort, weil ich annehme, dass mein Gemüt hinreichend umrissen ist. Fakt ist: eben dieses Gemüt ließ mir reichlich Zeit, Bier zu trinken und mich mit dem Für und Wider des Lebens auseinanderzusetzen. Fragen zu stellen, Antworten zu bekommen, Antworten zu bewerten und neue Fragen zu stellen. Die dunkle Brühe eben.

Ich wohnte in einer großen Stadt. In einem jener Viertel, in denen man seine Kinder nicht aufziehen sollte. Ich war dort nicht aufgezogen worden und zog dort niemanden auf. Ich wohnte dort, weil es meinen beiden einzigen Kriterien entsprach. Es war günstig im Preis und nicht allzu weit von meiner Arbeit entfernt.

Mein Name ist Mindaugas

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