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Hannelore

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Ich hatte Hannelore einige Male im Treppenaufgang getroffen. Meinen freundlichen Gruß hatte sie kühl erwidert. Ob diese Abstand fordernde Erwiderung im Treppenhaus für mich einen Reiz darstellte, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Auf jeden Fall war ich von meiner Nachbarin angezogen und hoffte, irgendwann in ein Gespräch mit ihr verwickelt zu werden. Ich spielte mit mehreren Phantasien. Sie stand vom Regen durchnässt vor der Haustür und hatte ihren Schlüssel vergessen während ich gerade heimkam. Dann wärmte sie sich bei mir auf und wartete auf den Schlüsseldienst. Ich traf sie auf der Straße mit einem Einkauf, der zu schwer und sperrig für sie war und bot meine Hilfe an, die sie dankbar annahm. Sie stand in der Schlange der Supermarkasse vor mir und hatte nicht genug Geld dabei. Ich half ihr aus. Ich saß im Kino durch Zufall neben ihr.

Das Warten auf Zufälle hatte ich lang genug betrieben. Nach reiflicher Überlegung besorgte ich mir einen Termin in ihrer Praxis. Sie erkannte mich nicht, als ich im Behandlungszimmer auf dem Hocker saß. Auch Name und Anschrift auf dem Patientenbogen erweckten nicht ihre Aufmerksamkeit.

>> Mit Ihrer Lunge ist alles in Ordnung << , diagnostizierte sie, nachdem sie mich mit ihrem Stethoskop auf meiner Brust hatte tief ein- und ausatmen lassen und meinen Brustkorb abgeklopft hatte, >> und schon gar keine Tuberkulose. <<

>> Mir war so << , feixte ich ruhig. Sie rollte mit ihrem Stuhl einen Meter zurück und betrachtete mich mit durchdringendem Blick.

>> Dafür bekommen Sie keine Krankschreibung von mir << , sagte sie ernst.

>> Daran war mir auch nicht gelegen << , antwortet ich sachlich, >> ich wollte nur ausschließen, vorzeitig zu versterben. << Ich glaubte ein leichtes Schmunzeln auf ihren Mundwinkeln zu erkennen und fügte hinzu: >> Ich habe doch noch so einiges vor. << Sie bewegte ihren Stuhl zu einem kleinen Tisch und griff die dünne Akte, die sie zur Behandlung abgelegt hatte.

>> Das ist schön für Sie. Ihr Körper steht Ihnen dabei nicht im Wege. Zumindest nicht mit Fehlfunktionen. Und soweit ich das überblicken kann. <<

>> Meinen Sie nicht, dass das gefeiert werden muss? << , näherte ich mich meinem eigentlichen Ziel.

>> Feiern Sie ruhig!. << , folgte sie mir nicht.

>> Feiern Sie mit? << , wurde ich deutlicher.

>> Auf Wiedersehen! << , wurde Sie deutlicher, stand auf und verließ das Behandlungszimmer. Ich war zufrieden mit mir, zog mich an und schlenderte aus der Praxis. Die Sprechstundenhilfe, so schien mir, senkte verschämt ihren Blick, als ich mich von ihr verabschiedete.

Es sollte eine Weile dauern, bis wir uns vor ihrer Wohnungstür wieder begegneten. Sie erkannte mich erst, nachdem sie ihren beiläufigen Gruß ausgesprochen hatte.

>> Sind Sie nicht? << , fragte sie, den Satz bewusst nicht abschließend.

>> Mir geht es schon viel besser << , entgegnete ich freundlich.

Sie runzelte die Stirn und formulierte fortgesetzt bruchstückhaft: >> Wie habe ich das? <<

>> Sie sind meine eigene Empfehlung << , sagte ich zweideutig.

>> Sie sind mir nie << , setzte sie an und errötete, weil die Fortsetzung des Satzes ihr nicht gefiel.

>> Sie mir schon << , versuchte ich einen peinlichen Moment zu verkürzen und eine noch peinlichere Vollendung oder gar Diskussion erst gar nicht zu ermöglichen, >> daran hat auch Ihre Weigerung, mich krankzuschreiben, nichts geändert. <<

>> Sie wollten also doch << , rang sie sich ein Lächeln ab.

>> Mit Ihnen feiern << , verwirrte ich den Dialog vollends. >> Ich gebe Ihnen eine Stunde, dann werde ich bei Ihnen klingeln. Wenn Sie öffnen, werden wir ausgehen. Wenn nicht, werde ich mir eine andere Krankheit holen. <<

>> Ich werde mich nicht in meiner Wohnung verstecken und das Licht ausmachen << , war sie fast beleidigt, setzte aber hinzu: >> und ich behandle Sie nur bei richtigen Krankheiten. <<

>> Umso besser << , lachte ich, >> wenn Sie die Klingel abstellen, klopfe ich. <<

Sie hatte inzwischen ihre Wohnung aufgeschlossen und beanspruchte das letzte Wort, bevor sie die hinter Tür hinter sich zuzog: >> Ich werde sicherheitshalber die Kette vorlegen. <<

Ich ging mit ihr aus und versuchte zu verbergen, dass ich das Ausgehen nicht wirklich im Blut hatte. Schon die Wahl der Örtlichkeiten bereitete mir einigermaßen Schwierigkeiten, konnte ich die frittierte Kartoffel des Franzosen geschmacklich nicht von der einer amerikanischen Imbisskette unterscheiden und mochte auch keinen großen Mehrwert durch gutgekleidetes Personal oder gutgekleidete Gäste am Nachbartisch verspüren. Mein mühsam erlerntes Vermögen, mein eigenes Empfinden nicht zum Maßstab anderer zu machen, war mir bei meinem weiteren Bestreben aber nützlich. Ich wählte die Lokalität stumpf nach Preis und Lage, wodurch mir Lob zuteil und guter Geschmack attestiert wurde. Jedoch musste ich in den folgenden Wochen der kulinarisch kommunikativen Treffen meinen verbliebenen Hunger anschließend heimlich mit dem Inhalt einer Dose italienischer Teigtaschen in Tomatensauce stillen.

Ich genoss die Stunden der Unterhaltung mit Frau Doktor Lamprecht und schrieb die Tatsache, dass sich die Zeit unserer Annäherung aus meiner Sicht in die Länge zog, unserem Alter und einer gehobenen Anspruchshaltung meiner Angebeteten zu. Ein Treffen in meinen Räumlichkeiten konnte und wollte ich für körperliche Offensiven nicht ausnutzen, und so wartete ich, bis eine Einladung mich in ihre Wohnung bugsierte. Ihre Kochkünste waren, anders als ihre Routine in Speiselokalen, eher bescheiden, das Wissen um die Dinge, die bei ihr passieren sollten, aber durchaus präsent. Hatte ich mit hölzernen Versuchen, das zu imitieren, was vor zwanzig Jahren eine Selbstverständlichkeit war, gerechnet, so sah ich mich getäuscht und um genau diese zwanzig Jahre zurückversetzt. Im Detail gab es aber durchaus Unterschiede. Vor allem durch den Einsatz einer ganzen Batterie von Hilfsmitteln, die zu entdecken Privileg des Älterwerdens zu sein scheint. Reichlich Schminke. Reichlich Zahnersatz und -aufhellung. Duftwässerchen reichlich. Straffende Wäsche fast überall. Aufpolsternde Wäsche an entscheidenden Stellen. Hätte ich nicht den eigenen Hormonen gehorchen und in den Teich der Wollust eintauchen müssen, hätte sich mir die Frage aufgedrängt, ob ich durch die Hilfsmittel betrogen worden war oder Mitleid empfinden sollte. Mein Repertoire, das Alter zu kaschieren, beschränkte sich auf eine Pfefferminzpastille gegen schlechten Atem, auch wenn mir nicht verborgen geblieben war, dass auch außerhalb eigener Eitelkeit und eigener Sehnsucht nach Jugend der Einsatz käuflicher Mutationspräparate zur Attraktivitätssteigerung opportun erscheinen konnte.

Ich wollte davon ausgehen, dass unsere sexuelle Kontaktaufnahme nach so langer Vorbereitung der Beginn einer selbstverständlichen Partnerschaft war, musste mich aber darin getäuscht sehen. Noch in der ersten Nacht erhielt ich die Aufforderung zu gehen: >> Sie sollten jetzt gehen. Ich muss früh raus. <<

Meine eigene Arbeit erlaubte mir ebenfalls kein Verschlafen, was zu sagen, ich aber nicht gehörig fand. Dass ich nach einer gehörigen Portion Leidenschaft weiterhin gesiezt wurde, machte mich nachdenklich.

>> Sehen wir uns wieder? << , fragte ich sachlich.

>> Wir werden sehen << , entgegnete sie nüchtern.

Ich küsste sie zum Abschied. Ihre Lippen erwiderten den Kuss begierig, lösten sich jedoch rasch und ohne Zögern.

Ich nahm mir vor, den nächsten Schritt nicht von mir aus zu machen und stellte mich auf eine lange Pause nebst notwendiger Aussprache ein. Zu meiner Verwunderung stand sie zwei Tage später vor meiner Tür. Ungeschminkt und mit der festen Absicht, die körperliche Vereinigung zu wiederholen. Bei mir. Sofort. Ich zeigte mich nicht abgeneigt. Die nächsten Wochen verliefen ähnlich. Wir trafen uns unregelmäßig, aber häufig. Ort und Zeit bestimmte sie. Essen und Reden waren nebensächlich, ein gemeinsames Frühstück kam nicht zustande, auch wenn es am nächsten Tag nichts zu arbeiten gab und niemand früh raus musste. Doch ließen wir bald Förmlichkeiten fallen und sprachen uns mit den Vornamen an. Sofern das überhaupt notwendig war. Ziemlich schnell stellten sich Rituale ein, die jede weitere Kommunikation unnötig machten.

War der Paarungsakt selbst geprägt von wilder Hingabe und spielerischer Phantasie, so hielt mit dessen Abschluss ein geordneter Ablauf Einzug. Sie ging mit irgendeinem Kleidungsstück oder der Bettdecke verhüllt ins Badezimmer und sorgte mit mächtig Lärm und endlosem Wasserverbrauch für unbefriedigte Neugier auf meiner Seite. Bereits nach wenigen Treffen nötigte sie mich zu besonderen Waschungen, an deren Ende sie mit Blick auf die Uhr beschloss, das erotische Tête-à-tête fort- oder eine räumliche Trennung durchzusetzen. Ich weigerte mich nicht, ihren Ansprüchen bezüglich dieser Abläufe gerecht zu werden. Nicht weil ich der Widerrede nicht mächtig oder zu faul war, sondern nur, weil mich dererlei Dinge nicht glauben machen, einer besonderen psychologischen Konstellation gegenüber zu stehen. Eine devote Haltung meinerseits maß ich dem nicht zu. Vielmehr glaubte ich, Zeuge einer liebenswerten Neurose zu sein. Ich sollte mich einige Zeit später mit dieser Fragestellung intensiver auseinanderzusetzen haben und nicht mal allein entscheiden zu haben, welche Konsequenzen die Erkenntnis daraus hatte.

Ihr körperliches Verlangen wurde größer. Ich wehrte mich nicht dagegen, dachte aber schon, in naher Zukunft auch die gewöhnliche Ernte einer gewöhnlichen Partnerschaft einholen zu können. Vertraulichkeit, Behaglichkeit, Rückhalt, um ein paar Begriffe aus dem Repertoire der Selbstverständlichkeiten beim Namen zu nennen. Zwanglose Konversation vielleicht zu allererst.

>> Glaubst Du, Mindaugas, mich interessiert das Weltgeschehen, wenn ich die Welt geschehen lassen kann? << , war einer ihrer Sätze, die mir Respekt abverlangten, jedoch nicht darüber hinwegtäuschen konnten, dass sie damit meine Ansätze zur Zwanglosigkeit im Keim erstickte. Die Wahrheit war nicht nur, dass sie keine Lust hatte, einen alltäglichen Austausch zu pflegen, sondern gar nicht dazu in der Lage war, da ihr Interesse, so musste ich feststellen, nur zweierlei Dinge berührte. Ihr berufliches Pflichtbewusstsein und ihre sexuelle Gier. Alles andere versank in einer Mischung aus natürlicher Ignoranz und ehrlicher Geringschätzung. Ich brachte ihr einmal Blumen mit. Sie bedankte sich beiläufig, legte sie zur Seite, umarmte mich lüstern und zog mich aufs Bett. Zwei Tage später fand ich die Blumen im Müll. Das Papier war noch intakt, sie hatte nicht einmal nachgesehen, was es für welche waren.

>> Schenk mir ruhig Blumen << , sagte sie, als ich sie fragte, was ich ihr sonst mitbringen könnte, >> jede Frau freut sich über Blumen. <<

Ich überlegte, mir das Papier eines Blumengeschäfts zu besorgen und fortan ein paar Brennnessel und Löwenzahn darin einzuschlagen, was etwas kostengünstiger sein würde, wenn es unbeachtet im Hausmüll landete.

Ab und zu wurde sie außerhalb der Sprechzeiten zu einem Patienten gerufen. Auch nach Monaten verlor sie mir gegenüber kein einziges Wort darüber. Mit Ausnahme des Abschiedsgrußes.

>> Die Arbeit. Ich muss << , sagte sie und zog sich hastig an. Selbst wenn sie am gleichen Abend wieder zu mir kam, erfuhr ich nicht, zu wem wegen welchen Leidens sie gerufen worden war. Nicht in welcher Gegend sie unterwegs war, ob es geregnet hatte oder der Weg beschwerlich war. Ob sie zu Recht gerufen worden war, ob die Behandlung kompliziert, erfolgreich oder anstrengend war, ob sie erwartete, erneut herausgerufen zu werden, und ob es sie überhaupt störte oder vielleicht sogar freute, mitten im Liebesakt einen Anruf zu bekommen, ihn annehmen und sofort aufbrechen zu müssen. Ich erlebte es nicht, dass sie am Telefon Dinge sagte, die ich selbst schon Dutzende Male von anderen Ärzten gehört hatte: >> Neben Sie eine Aspirin. Versuchen Sie zu schlafen. Kommen Sie in meine Praxis, wenn es morgen nicht besser ist. <<

Hannelore hatte mittellange braune Haare, die ihr in einer tadellosen, nüchternen Frisur knapp über die Schultern fielen. Ihr Gesicht war schmal. Wie auch ihre Lippen. Augen, Nase, Stirn, Kinn und Ohren waren ebenmäßig. Obwohl sie ihre blasse Haut mit heller Schminke noch blasser erscheinen ließ, was den dauernden Eindruck von Müdigkeit in ihren Zügen noch unterstrich, sah man ihr ihr Alter nicht sofort an. Sie war schlank und fast genauso groß wie ich, was nicht meinem Geschmack entsprach. Mich kümmerte das jedoch nicht, da ich einer Faszination unterlag, die objektiven Maßstäben trotzte.

Als ich irgendwann begann, der Sexualität weniger Vorrang einräumen zu wollen, kühlte unsere Beziehung im wahrsten Sinne des Wortes ab. Hannelore besorgte diverses Spielzeug, um Abwechslung in die Angelegenheit zu bringen und Hilfsmittel, um die Wirkung der ein oder anderen Handlung zu verstärken oder zumindest positiv zu beeinflussen. Ich erklärte ihr, dass ich den Schwerpunkt und die Zukunft unserer Zweisamkeit auf anderen Gebieten sah.

>> Das sind doch nur faule Ausreden, Mindaugas. Sex ist der Mittelpunkt einer Beziehung. Wenn er nicht funktioniert, funktioniert die Beziehung nicht << , belehrte sie mich.

>> Aber sie funktioniert doch zwischen uns << , wandte ich ein, >> ich wünsche mir nur etwas mehr Beziehung und etwas weniger Sex. << Ich drang damit nicht ansatzweise bei ihr vor.

>> Unfug in meinen Augen << , wurde sie sogar wütend, >> willst Du, dass wir uns nicht mehr sehen? <<

>> Nein, nein << , gab ich auf und reduzierte meine Anstrengungen noch einige Wochen auf die Befriedigung ihrer körperlichen Ansprüche.

>> Wenn Dir Sex keinen Spaß mehr macht, hör damit augenblicklich auf. So schnell es geht, Mindy, ich mach keine Scherze! << , riet Henrik besorgt aus der Ferne, >> Es ist genauso wie mit Bananen. Isst Du ab und zu eine, ist es die leckerste Frucht der Welt. Überfrisst Du Dich aber nur einmal daran, kannst Du sie für den Rest Deines Lebens nicht mehr sehen. <<

>> Ich tu’s für Dich << , schrieb ich zurück und tat es. Nun, ich tat es indirekt. Direkt sprach ich Hannelore erneut drauf an.

>> Wollen wir nicht so langsam mal wie ein normales Paar die Zeit verbringen? << , waren so ziemlich die genauen Worte, die ich aussprach.

>> Was meinst Du mit „normales Paar“? << , fragte sie.

>> So wie die meisten anderen << , druckste ich herum.

>> Die meisten anderen öden sich an und trennen sich, sobald sie es bemerken << , erläuterte sie, >> und während sie sich anöden, geben sie sich furchtbare Mühe, es nicht zu bemerken. <<

Mein Argumentationstalent war dem ihren unterlegen. Ich konnte ihr nicht klarmachen, was mich bewegte. Da sie Zeit und Ort unserer Treffen bestimmte und ich beizeiten nicht mehr über den Elan, der ihr wichtig war, verfügte, nahm die Frequenz unserer Treffen schleichend ab. Solange, bis wir uns gar nicht mehr sahen und schließlich sogar aufpassten, uns nicht mehr über den Weg zu laufen.

Einmal kam sie gerade durch die Eingangstür, so dass ich eiligst einige Treppenstufen zurücksprang und mich auf dem Treppenabsatz aus ihrem Sichtfeld heraus bewegte, um nicht bemerkt zu werden. Sie war in Begleitung eines Mannes mittleren Alters, was ich durch vorsichtige Blicke um die Ecke erkennen konnte. Seine äußere Erscheinung war sehr gepflegt, er hatte kurze graue Haare, trug einen gutsitzenden Anzug und einen leichten wollenen Mantel in durchweg gedeckten Farben. Sie waren angetrunken. Einen Teil ihres angeregten Gespräches konnte ich belauschen.

>> Ich hoffe, Du bist bei Laune << , flötete sie.

>> Ich bin immer bei Laune << , entgegnete er selbstbewusst und zog sie zu sich heran.

>> Das haben schon ganz andere gesagt << , konstatierte sie in geheimnisvollem Ton und stieß ihn zurück, >> den Beweis kannst Du gleich erbringen. << Sie schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf. Dabei drehte sich ihr Kopf in meine Richtung, während ich gerade verstohlen hinunterschaute. Ich zuckte zurück und hoffte, dass sie mich nicht gesehen hatte.

>> Nun mach schon << , wies sie ihn an, bevor die Tür mit lautem Knall zufiel. Ich überlegte, ob es eine gute Idee war, jetzt daran vorbei zu schleichen. Zurück in meine Wohnung wollte ich nun aber auch nicht mehr, und so bewegte ich mich mit leisen Schritten zügig nach draußen. Nach einem kurzen Spaziergang kehrte ich schon nach wenigen Minuten wieder um. Ich dachte darüber nach, warum ich so unruhig war, warum mich das so sehr interessierte, was in Hannelores Wohnung, in Hannelores Leben vor sich ging. Auch die Idee, bei der Heimkehr an der Tür zu horchen, konnte ich mir nicht ausreden. Das brauchte ich jedoch nicht. Noch auf der Straße erkannte ich den wollenen Mantel und die grauen Haare wieder. Die launige Bekanntschaft meiner Ehemaligen kam mir entgegen, ein ausdrucksloses Gesicht aufgesetzt, die Hände tief die Taschen gesteckt. Ich grüßte. Er schaute mich mit großen Augen an und rang sich ein kurzes Lächeln ab. Mir fielen noch einige Sätze ein, mit denen ich den Gruß komplettieren konnte, brachte den Mut dazu aber nicht auf. Stattdessen beschleunigte ich meinen Gang, hetzte zu meiner Wohnung, warf mich in einen Sessel und grinste eine gefühlte Stunde lang vor mich hin, bevor ich Henrik eine ausführliche und mit reichlich Phantasie angereicherte Nachricht schrieb, die ich schon kurze Zeit später wieder bereute.

Henrik schrieb zurück: >> Gratuliere, Penner! <<

Die Kommunikation mit meinem Freund verlief schubweise. Seine zärtliche Anteilnahme leitete einen solchen Schub ein und sollte einige Tage regen Austausch bedeuten, infolgedessen ich erfahren durfte, dass im entfernten Ausland ganz im Gegensatz zu unserer gemeinsamen Heimat Hitzewellen regierten. Ich machte mir zum ersten Mal Gedanken darüber, ob die Entscheidung, in die Ferne zu rücken, nicht noch einen Mehrwert hatte. Bisher hatte ich damit immer Fluchtträumereien verbunden, die in der Realität keine wirkliche Verbesserung bedeuteten. Wenn es woanders besser war, warum waren nicht alle dort? Und, wenn es woanders besser war, warum zog es so viele hierher? Für einige Momente zweifelte ich an meiner Überzeugung, dass die Menschen doch alle gleich waren, von den gleichen Motiven beseelt und den gleichen Zwängen unterworfen. Sollte es das persönliche Glück doch geben? Sollte es sich doch lohnen, danach auf der ganzen Welt zu suchen? Ich hatte Henriks Handlungen nie unter diesem Gesichtspunkt betrachtet und seine Emigration mehr belächelt als dahingehend geprüft, ob sie für ihn die richtige und notwendige Entscheidung dargestellt hatte. Die Form unseres Umgangs jedenfalls hatte sich auch durch die Entfernung nicht entscheidend geändert.

>> Bist Du eigentlich glücklich? << , fragte ich.

>> Halt’s Maul, Memme << , war seine Antwort. Ich war mir sicher, er würde nicht in dieser Weise antworten, wenn er mich in einer Lebenskrise wähnte. Und in einer ebensolchen war ich ganz sicher nicht. Ob er aber glücklich war, würde ich von ihm nicht erfahren, ganz egal, wie ich fragte und in welcher Situation er mich wähnte. Im Rückblick erscheint es mir, als war es auch egal, ob ich über sein Glück Bescheid wusste, solange ihm meine Freundschaft sicher war. Was glücklicherweise zeitlebens nur ein einziges Mal ernsthaft zur Disposition stand.

Mein Name ist Mindaugas

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