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2 - Es begann mit Klabauterfrau und Klabautermann

Es begann mit dem Klabautermann. Ja, genau, so ist es. Im Grunde war der Auslöser aller zukünftigen Ereignisse nämlich mein damaliger Umzug nach Bremen. Mein Umzug nach Bremen und meine sofortige Arbeitsaufnahme beim Möchtegern-Marktführer für Schiffseinrichtungen, der Klabautermann GmbH.

Mein Name war und ist Tobias Renneisen. So die Sterne günstig für mich stehen – und insbesondere alle Anklagepunkte gegen mich fallen gelassen werden – werde ich tunlichst versuchen, diesen Namen beizubehalten. Ob das auch im Sinne meiner mich liebenden Frau ist, wird sich zeigen, denn in den augenblicklich so häufig vorkommenden Momenten, spiegeln die wunderschönen Augen meiner wunderschönen Frau vieles wider. Liebe gehört leider nicht dazu. Nun stellt sich selbstverständlich zwangsläufig die Frage, was denn geschehen ist.

Und an dieser Stelle wird es jetzt ein wenig skurril. Oder, um es mit einigen Worten meiner mich tolerierenden Angetrauten zu formulieren, es wird ›haarsträubend‹, ›bescheuert‹ und vollkommen ›irre‹. Aber das absolut schlimmste, was Sie mir in Hinblick auf die vergangenen Ereignisse unterstellt hat, war, dass ich in höchstem Maße ›verantwortungslos‹ gewesen sei. Und spätestens hier muss ich widersprechen. Haarsträubend? Möglich. Bescheuert? Nicht ganz ausgeschlossen. Irre? Sehr wahrscheinlich. Aber verantwortungslos? Auf gar keinen Fall. Denn wenn man es sich genau betrachtet, begann die ›Tragik‹ - wieder ein Wort dieses wundervollen Engels einer Ehefrau – der vergangenen Wochen und Monate mit einem ausgesprochen verantwortungsbewussten Handeln. Einem Termin beim Arbeitsamt. Meinem Termin beim Arbeitsamt. An jenem Dienstag im Mai.

Ich erinnere mich. Es war ein wolkenloser, sonniger Dienstagmorgen, als ich in diesem Büro des Arbeitsamtes saß. Und ich muss mich an dieser Stelle schon der abgedroschenen Redewendung bedienen, dass große Ereignisse ihre Schatten vorauswerfen. Für mich sah die Zukunft schon zu diesem Zeitpunkt riesige Ereignisse voraus. Und dementsprechen voluminös war dann auch der Schatten. Voluminös und schon bei 16 Grad Raumtemperatur heftig schwitzend. Ach ja, und der Schatten war weiblich. Zumindest sprach der Name, Agnieszka Schmidthuber-Schtscherbakow, sowohl für Weiblichkeit, als auch für Volumen.

»Na, Herr Renneisen, ich sehe gerade, Sie waren drei Jahre bei der Klabautermann GmbH tätig.« Die schwitzigen Finger der Sachbearbeiterin des hiesigen Arbeitsamtes glitten über meine vor ihr liegenden Akte. »Und wieso jetzt nicht mehr?«

»Weil mir gekündigt wurde«, antwortete ich sachlich korrekt. Dabei kam ich nicht umhin, mich ein wenig unwohl zu fühlen, wo doch an der immensen Jobvermittlerin vorbei durch das Fenster kein einzelner Lichtstrahl zu mir dringen wollte.

»Aha, gekündigt. Und wieso?«

An dieser Stelle war ich kurz versucht, die gesamten Ereignisse, die sich in der Klabautermann GmbH abgespielt hatten, darzulegen. Ereignisse, wie zum Beispiel ein kleines Unternehmen mit beinah zwölf Mitarbeitern - also laut Rechnung des Arbeitsgerichtes waren es 11,3 oder 11,8, abhängig davon, ob man die geraden Samstage der ungeraden Monate während der Zeit meiner Beschäftigung bei der Klabautermann GmbH mitrechnete oder nicht – mithilfe eines gestriegelten Unternehmensberaters in eine scheinbare Weltmarktführerposition gerechnet wurde. Und das, obwohl niemals der Umsatz erhöht wurde. Oder wie mein Geschäftsführer, ein Mann namens Mester, Alleinherrscher der Klabautermann GmbH und die Dysfunktionalität in Persona, den Weg allen irdischen Denkens verließ, um Firmenstrategien zu reflektieren. Ja, ich war kurz versucht, auf die Frage mit meiner gesamten Leidensgeschichte zu antworten. Aber zum Einen sah ich darin augenblicklich nicht viel Sinn, zum anderen wollte ich die Verflüssigung von Frau Agnieszka Schmidthuber-Schtscherbakow, der die Sonne in den Rücken schien, nicht leibhaftig miterleben.

»Der Firma ging es nicht sehr gut. Schlechte Umsätze.«

»Ah, verstehe.« Deutlich konnte ich erkennen, wie Frau Schmidthuber etwas an den Rand meiner Akte kritzelte. »Und Sie waren dort im Vertrieb, richtig?«

Wow, die Frau war dann doch mit einigen Wassern gewaschen, oder wenigstens mit eigenem Schweiß. Ich musste wohl vorsichtig sein und meine Äußerungen gut überdenken, sonst zog die mächtige Jobvermittlerfrau noch die falschen Schlüsse.

»Ja, das ist richtig«, antwortete ich etwas zögerlich.

»Sie waren wohl kein guter Verkäufer?«

»Doch, mein Vertriebsbereich war der stärkste im Unternehmen.«

»Ah, verstehe.« Wieder wurde an den Rand meiner Akte geschrieben. »Und da hat Sie Ihr Chef einfach so entlassen?«

»War wohl was Persönliches«, rutschte es mir über die Lippen. Und dabei hält mich meine Frau immer dazu an, erst zu denken und dann zu reden. Wie beim Auto fahren, erst die Kupplung treten und dann den Gang einlegen. Allerdings funktioniert es beim Auto gar nicht andersrum. Beim Reden schon.

»Ah, verstehe.« Der Rand meiner Akte nahm langsam Gestalt an, genauso wie die Stirn von Frau Schmidthuber. Ich ertappte mich bei der innerlichen Verwunderung darüber, dass ein so perfekt prallrundes Gesicht Anzeichen von Falten zeigen konnte.

»Also in erster Linie konnte mich mein Chef einfach nicht leiden, vermute ich wenigstens. Ist aber eine sehr lange Geschichte.« Schon waren die Sätze zu meiner Gegenüber gedrungen, bevor mir der Gedanke aufblitzte, dass ich das in dieser Situation vielleicht etwas diplomatischer hätte ausdrücken sollen.

»Wenn er Sie nicht leiden konnte, warum hat er Sie dann vor drei Jahren eingestellt?«

»Wegen meiner fachlichen Kompetenz.«

»Aber wie ich Ihrem Lebenslauf entnehme, haben Sie vorher nie im Vertrieb gearbeitet.«

»Richtig. Die anderen Vertriebler des Unternehmens dagegen schon. Hat aber auch nicht funktioniert. Vielleicht wollte er es mal mit technischem Verständnis, statt mit kaufmännischem versuchen.«

»Ah, verstehe.« Und wieder folgte ein kurzes Gekritzel auf der Akte.

»Entschuldigen Sie, Frau Schmidthuber-Sch....., Frau Schmidthuber-Schtschää...., Schmidthuber-Schtäätsch ....«

»Schmidthuber-Schtscherbakow!«

»Frau Schmiedtschuber-Tserba...«

»Schmidthuber reicht schon.«

»Danke sehr. Also, Frau Schmidtschuber, äh, Schmidthuber, ich möchte ja nicht, dass Sie mich jetzt falsch verstehen, aber wären die Fragen, die Sie mir hier stellen, nicht besser an meinen ehemaligen Chef gerichtet?«

»Ah, gute Idee«, nickte mich das Mondgesicht an, bevor Sie wieder eine Notiz an den Rand meiner Akte machte. Diesmal war ich es, der sich ein Stirnrunzeln nicht verkneifen konnte.

»Ich bitte nochmal um Entschuldigung, aber wenn Sie die Handynummer meines Ex-Chefs brauchen, die hab ich sicherlich noch gespeichert.«

»Das wäre hilfreich, Herr Renneisen.«

»Gerne. Aber noch eine kurze Frage.«

»Ja?«

»Dürfen Sie das denn überhaupt? Also ich meine, Recherchen über meine Kündigung bei meinem früheren Arbeitgeber einholen?«

Nun legte Frau Schmidthuber angestrengt ihr schweißglattes, etwas rötlich anlaufendes Gesicht in eine Vielzahl von Falten, bevor Sie aus einer Ihrer Schreibtischschubladen einen Tipp-Ex-Roller nahm.

»Natürlich nicht, Herr Renneisen. Wir verlassen uns selbstverständlich auf die uns von Ihnen vorgelegten, sachlich richtigen Unterlagen und Ihren unzweifelhaften Leumund.«

»Sehr freundlich von Ihnen.«

»Also weiter«, sagte die Jobvermittlerin, während Sie ein weiteres Formularblatt meiner Akte beäugte. »Da Sie nun arbeitssuchend sind, wie beabsichtigen Sie, dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung zu stehen?«

»Nun, ich verfolge derzeit diverse Pläne.«

»Diverse Pläne. Ah, verstehe.« Das Gekritzel nahm seinen weiteren Lauf. Ich fragte mich derweil, was es an ›diversen Plänen‹ zu verstehen gab. Schließlich musste ich selbst einräumen, dass die Ausdrucksweise bestenfalls schwammig war. Offenbar war Sie meiner Jobvermittlerin aber nicht schwammig genug. Sie hatte allem Anschein nach verstanden. Trotzdem folgte ich jetzt endlich einmal dem Rat meiner Frau und dachte erst, bevor ich etwas sagte. Dabei ergab mein Nachdenken, dass die mir gegenüber sitzende Dame gar nicht verstanden haben konnte. Ich musste also zwangsläufig das ›Diverse‹ näher ausführen.

»Nach langem Gespräch mit meiner Frau habe ich den Entschluss gefasst, meiner lebenslangen Leidenschaft, dem Schreiben von Büchern mehr Zeit einzuräumen. Ich beabsichtige also, vorrangig den Weg als Autor einzuschlagen. Als Self-Publisher, um es genau zu sagen.«

»Ah, verstehe.«

Nun war ich leider überzeugt davon, dass Frau Schmidthuber-Schtä-sonstwas alles verstanden hatte. Dummerweise machte die Dame auf mich nicht gerade den Eindruck, dass mir gefallen konnte, was Sie denn verstanden hatte. Möglicherweise hatte Sie verstanden und zog trotzdem die falschen Schlüsse. Möglicherweise hatte Sie sogar verstanden, war aber laut Dienstschreiben XYZ, gezeichnet vom Kaiser höchstpersönlich, dazu angewiesen, grundsätzlich nur einen Schluss zu ziehen. Nämlich den Schluss, dass es vollkommen unerheblich ist, was die Ihr gegenübersitzenden Personen für Ideen, Pläne oder Wünsche haben. Sie war schließlich eine Jobvermittlerin und nicht die Päpstin Agnieszka I. Ich war hier schließlich auf einer Behörde.

»Und was für weitergehende Pläne haben Sie noch?«

In dieser Frage lag meine Bestätigung. Es waren keine Autoren im Kaiserreich erwünscht. Offenkundig war meine erste Ausführung, also der dezente Hinweis, dass es sich um eine lebenslange Leidenschaft handelt, nicht offensichtlich genug.

»Naja, in erster Linie verfolge ich, wie gesagt, das Schreiben. Also das Schreiben von Romanen und so.«

»Und wieso meinen Sie, dass das eine gute Idee ist?«

»Weil es das ist, was ich gerne tun möchte«, war meine Antwort. Trotzdem entglitt mein Gehirn jetzt wieder in die bedrohliche Phase, langsamer zu sein, als mein Mund. »Sie wissen schon, Frau Schmidthuber, wegen der Selbstverwirklichung und sowas.«

»Ja, verstehe ich. Deshalb sitze ich ja hier.«

»Weil Sie sich selbstverwirklichen, Frau Schmidthuber?«

»Ja, Herr Renneisen, ich liebe meinen Job als Jobvermittlerin.«

Diese Worte trafen mich wie einen Schock. Es war ein zwei Meter langer Speer, der mir gerade durch Herz, Hirn, Mark und Bein gerammt wurde. Ich war geliefert. Warum in Drei-Teufels-Namen musste ich ausgerechnet an die einzige Jobvermittlerin in diesem Land geraten, die Ihren Job liebte. Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Das war sogar richtig übel. Ich brauchte dringend eine Plan B.

»Ich denke allerdings auch darüber nach«, begann ich eine Alternative aus meiner Schublade zu ziehen, »mich intensiv mit der Wertschöpfung von Bitcoins auseinanderzusetzen. Sie kennen Bitcoins?«

»Bitcoins, soso. Hab ich schon gehört. Kann ich mir aber nicht viel drunter vorstellen. Was macht man denn da so? Verkaufen? Produzieren?«

»Nun, ich muss zugeben, mit einigen fachlichen Begrifflichkeiten der Bitcoinanlage muss ich mich auch noch auseinandersetzen, letztendlich ist es eine Art Währung.« Ich war mir nicht sicher, ob ich Frau Schmidthuber hiervon überzeugen konnte, nein, eigentlich war ich mir ziemlich sicher, dass die Dame hiermit nicht viel anfangen konnte. Trotzdem war die Büchse der Pandorra ja nun einmal geöffnet. Da musste ich wohl jetzt durch. »Bitcoins sind gerade ganz groß im kommen, Frau Schmidthuber. Das ist quasi wie sein eigenes Geld produzieren, ohne etwas dafür tun zu müssen. Das macht alles der Computer. Alles, was Sie dafür tun müssen, ist regelmäßig die Stromrechnung für die ganze Technik bezahlen.«

»Und das gedenken Sie aufgrund Ihrer Arbeitslosigkeit wie genau zu tun?«

Frau Schmidthuber-Scht-Scheißdrauf fing an, mir ein wenig gegen den Strich zu gehen. Ich hatte es doch gewusst. Ich war total geliefert. Diese Frau liebte Ihren Job. Im Grunde wusste ich schon seit dem ersten Moment, in dem ich in das Zimmer der Jobvermittlerin getreten war und ich die hier herrschende Verdunklung der Sonne miterlebt hatte, dass mir finstere Zeiten bevorstanden. Aus diesem Käfig der Schmidthuberschen Sonnenfinsternis gab es von vornherein nur ein Entkommen.

»Selbstverständlich gedenke ich in der Zwischenzeit, solange die anderen beiden Pläne finanziell noch nicht so greifen, mich weiter zu bewerben.«

»Ah, das hört sich doch gut an.« Das Mondgesicht zeigte ein plötzliches aber nicht unerwartetes Lächeln. »Dann wollen wir doch mal schauen, was wir für Sie haben.«

Mit diesen Worten wandte sich Frau Platzbacke-Schmidthuber Ihrem Rechner zu.

Mein weiteres Gespräch im Büro meiner, ja, man darf wohl sagen, vorgesetzten Jobvermittlerin verlief mit ausgeprägten Höhen und Tiefen. Oder besser gesagt, Frau Schmidthuber empfand in den dreißig Minuten bis zum Ende des Gesprächs den wohl längsten Höhepunkt ihres Lebens. Für mich hingegen ähnelte der weitere Verlauf eher dem zwecklosen Entfliehen aus einer Grube Treibsand. Schmidthuber war voll in ihrem Element. In der Eingliederungsvereinbarung wurde detailliert festgehalten, was ich alles zu leisten hatte, um ein bisschen Arbeitslosengeld zu erhalten. Hauptsächlich Bewerbungen schreiben und das, bitte schön, auf Anfrage der Behörde lückenlos nachweisen. Ein paar andere Verpflichtungen wurden auch noch eingeflochten, natürlich unter stetiger Berücksichtigung und Nennung des SGB. Die zwischen den Zeilen zu lesende Selbstaufgabe von Identität und allen damit einhergehenden Rechten des Zahlungsempfängers, war natürlich obligatorisch. Meine mir anvertraute Jobvermittlerin war zu jedem Zeitpunkt bemüht, meine ingenieurwissenschaftlichen Qualifikationen, aber auch meine kaufmännischen, vertrieblichen Fähigkeiten intensiv zu berücksichtigen. Jede Stellenausschreibung wurde ausgiebig geprüft.

Und so verließ ich das Büro letztlich nicht nur mit einer Eingliederungsvereinbarung fern aller Menschenrechte, sondern auch mit zwei eigens für mich recherchierten Stellenausschreibungen. Beide mit der ausdrücklichen Bitte, mich in den nächsten Tagen dort zu bewerben. Schließlich war ich laut Schmidthubers Meinung bestens geeignet, da doch beide Firmen ausdrücklich Fachberater im Bereich des Vertriebs suchten. Einmal für die Fleisch- und einmal für die Brottheke.

Ostfriesenklenkes

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