Читать книгу Ostfriesenklenkes - Frank Didden - Страница 5

Оглавление

3 - Jobsuche – Teil I

Am folgenden Samstagmorgen saßen meine Frau und ich in vertrauter Zweisamkeit bei einem entspannten Frühstück in unserer Küche. Die kleine Isabel, achtjährige Tochter meiner Frau aus ihrer ersten Ehe, war seit gestern bei Ihrem Vater und würde erst am Sonntag wieder zurückkommen. Wir hatten das Wochenende also für uns. Aber vielleicht sollte ich ein wenig weiter ausholen und früher einsetzen.

Petra und ich hatten uns vor gut drei Jahren kennengelernt. Damals war ich noch unterjochtes Mitglied einer bremischen Strafgaleere namens Klabautermann GmbH gewesen. Leider verstand ich mich mit der geschäftsführenden Inkompetenz nur unzureichend gut, so dass ich glücklicherweise nach einiger Zeit entlassen wurde. Betriebsbedingt selbstverständlich, was sonst? Aber sei es drum. Das sind alles längst vergangene Zeiten und niedergeschriebene Geschichten. Was seitdem jedoch nicht vergangen ist, ist meine große Liebe zu Petra, meiner damaligen Lebensgefährtin. Petra Renneisen ist eine ungefähr eins achtzig große, schlanke Blondine mit ostfriesischen Wurzeln. Damals eine selbstständige alleinerziehende Mutter einer aufgeweckten Fünfjährigen, heute meine Frau. Sie ist wunderschön, warmherzig und intelligent. Als ausgebildete Ingenieurin arbeitet Sie seit einiger Zeit auf dem hiesigen Bauamt. Und glauben Sie mir bitte, wenn ich Ihnen verrate, dass dieser berufliche Umstand noch eine größere Rolle spielen wird.

Isabel, zur Zeit unseres Kennenlernens noch im Kindergarten, besucht mittlerweile die Grundschule. Ob der Umstand, dass das Kind nun Lesen, Schreiben und Rechnen lernt, im weiteren Verlauf der Geschichte noch eine Rolle spielen wird, mag ich noch nicht verraten.

Das letzte Familienmitglied, neben mir, ist zugleich das jüngste und um Längen behaarteste. Lina der Name unserer einjährigen, schwarz-weißen Dackelmischlingshündin. Eine liebe, treue und über allen Maßen ängstliche Seele, die nichts mehr fürchtet, als Sonne, Wind, Wasser, Blätter, Vögel, Würmer, Käfer, Kinder, andere Menschen und überhaupt alles, was einen physischen Körper hat oder auch nicht. Nur Tische, die fürchtet dieser Vierbeiner nicht. Tische sind ein Hort des Schutzes. Gleich, welche Gefahr im Aufzug ist, der nächste Tisch ist für unseren Hund der Schild des Majestix.

Mein Name, wie Sie vielleicht schon mitbekommen haben, ist Tobias Renneisen. Ich bin vor gut vier Jahren nach Bremen gezogen, nachdem meine alte Heimat, Aachen, mir nicht mehr aus meiner damaligen Arbeitslosigkeit heraushelfen konnte. Aber ich möchte Ihnen diese Vorgeschichte gerne ersparen. Ich bin, wie soll ich es am besten Ausdrücken, ein kleines Quäntchen größer als meine Frau. Und damit wäre auch schon das Einzige genannt, in dem wir uns annähernd ähneln. Schaut man sich andere Attribute an, so könnte man zu dem Schluss kommen, was will die Frau nur mit diesem Kerl. Ich bin nämlich gut und gerne doppelt so schwer wie meine Frau, habe eher braunes als blondes Haar und bin überhaupt eher ›bärlich‹ als spärlich behaart. Aus diesem Grund habe ich mein Profilbild in den gängigsten sozialen Netzwerken inzwischen auch geändert. Ich bin jetzt ein Bär. Gebürtig bin ich weniger Ostfriese als vielmehr ›Öcher‹, auch wenn ich soviel Karnevalsblut in mir trage, wie ein sibirischer Waschbär. Ach ja, und ich bin aktuell selbstverständlich arbeitslos.

Vor etwas über zwei Jahren bin ich zu meiner Frau gezogen, die damals schon mit ihrer Tochter in einem hübschen Eigenheim einer Neubausiedlung gewohnt hat. Diese Siedlung wurde vor gut zehn Jahren erschlossen und gehört zu dem schönen beinah verschlafen Nest Osterholz-Scharmbeck, nördlich der Bremer Hansestadt gelegen. Wenn Sie nun noch nichts von dem 30.000 Seelen Städtchen gehört haben sollten, grämen Sie sich nicht. Das hatte ich bis dahin auch noch nicht.

Osterholz-Scharmbeck war zur Zeit meines Umzugs schon eine große Umstellung. Nicht nur, weil im Gegensatz zu Bremen und Aachen, der besagte Ort eher verschlafen ist, nein, schon der Stadtname ist auf jedem Adressfeld, auf jedem Antrag eine handschriftliche, ja, schriftlich-logistische Herausforderung. Sie glauben gar nicht, wie schnell Sie sich angewöhnen, den Stadtnamen irgendwann nur noch mit dem Kfz-Kennzeichen ›OHZ‹ abzukürzen. Jetzt habe ich mich in den letzten Jahren sicherlich an den Zustand, ein hinzugezogener OHZler zu sein, gewöhnt. Was allerdings noch nicht vollständig in meinem Herz und meiner Seele angekommen ist, ist die Lage des heimeligen Eigenheims meiner lieben Gattin. Die ›Schwarzbraune Haselnussgasse Nr. 3‹. Die Straße benannt nach dem Lied eines bekannten deutschen Schlagersängers. Das war für mich bei Weitem nicht so schnell verdaulich und, glauben Sie mir, ist es nach wie vor. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen Schlagermusik und ich habe auch nichts gegen diesen speziellen Schlagersänger, aber, herrje, wollten Sie in einer Straße wohnen, die so heißt? Wahrscheinlich nicht. Wie dem auch sei, was tut man nicht alles für die Liebe. Da schluckt man auch die bitterste Pille. Und glauben Sie mir, diese Pille ist heute noch bitter. So änderte sich meine Anschrift von heute auf morgen von ›Deichweg 15, Bremen‹ zu ›Schwarzbraune Haselnussgasse 3, Osterholz-Scharmbeck‹. Es ist unnötig, es weiter zu begründen, aber ich habe mir mittlerweile einen Stempel mit meiner Anschrift zugelegt, aus Angst, mir würden die Finger abfallen, bevor ich das Adressfeld zu Ende geschrieben hätte.

Die ›Schwarzbraune Haselnussgasse‹ ist also seit zwei Jahren mein Zuhause und, wenn die Anschrift auch eine Überwindung ist, so ist es meine neue Heimat geworden. Und zu dieser speziellen Heimat muss ich Ihnen noch etwas erklären, bevor wir fortfahren. Die örtlichen Gegebenheiten. Die ›Schwarzbraune Haselnussgasse‹ ist eine Sackgasse ohne Wendemöglichkeit. Die Straße, beziehungsweise in meiner jugendlichen Heimat Aachen, wo gerne Dinge verniedlicht werden, würden wir von Sträßchen sprechen – ein ›-chen‹ geht immer – besteht im Grunde nur aus sechs Einfamilienhäusern. Eigentlich sind es sieben, aber die Leute vom Ende des Sträßchens kenne ich nicht.

Also, da wir in Haus Nummer 3 wohnen, kann man sich schon denken, dass sowohl rechts als auch links von uns Nachbarn leben. Zu unserer linken Hand wohnt ein Päarchen um die 40 Jahre. Sie heißt Sybille Renata und er heißt Peter Rennspieß. Zu unserer rechten Seite wohnt die Familie Chiffon, wobei beide Partner Ihre Geburtsnamen behalten haben. Die Mutter der vierköpfigen Familien heißt Bernadette Chiffon, der Vater heißt Samuel Winter. Beide sind ungefähr Ende zwanzig und haben zwei Töchter, Estelle und Elisabeth, fünf und sechs Jahre. Neben den Chiffons steht noch ein Haus. Da wohnt Familie unbekannt.

Auf der uns gegenüberliegenden Seite befinden sich drei weitere Häuser. In dem vordersten Haus, also der Hausnummer 2 wohnt ein Rentnerehepaar, die Pfeffers, Anneliese und Hans-Jürgen, beide Ende sechzig. Neben den Pfeffers wohnt eine junge Familie, die Winklers. Andrea und Jens Winkler, beide Mitte dreißig und vor gut einem Jahr stolze Eltern ihres Sohnes Justus geworden. Im letzten Haus auf der anderen Straßenseite, also in der Nummer 6, wohnt die alleinerziehende Mutter, Judith de Haan, ungefähr Mitte vierzig. Die beiden Kinder, Sohn Florentin, 16, und Tochter Saskia, 13, besuchen das örtliche Gymnasium.

Das sind alle mir bekannten Anwohner der schönen ›Schwarzbraunen Haselnussgasse‹. Ein wunderschöner Ort zum Leben. Frische, ländliche Luft, wenn man Tür und Fenster öffnet. Und ruhig. Kein Vergleich zu dem manchmal terrorisierenden Straßenlärm der großen Städte. Viele würden sicherlich behaupten: Der perfekte Ort, um Kinder groß zuziehen. Kinder, wohl bemerkt. Das gilt nicht zwangsläufig auch für ›Öcher‹.

»Schau doch mal hier«, riss mich meine Frau an unserem Samstagsfrühstückstisch aus meinen Gedankengängen, während ich gerade an meinem frischen Kaffee nippen wollte. »Die suchen einen Mitarbeiter. Wäre das nichts für dich?«

Ich liebte meine Frau für Ihren beharrlichen Willen, mich weiter zu bringen, mich zu unterstützen, stets an meiner Seite zu stehen. Das galt auch in diesem Moment. Dennoch holte mich in jenem Augenblick das traurige Samstagmorgenritual allzu schnell in die Realität der Jobsuche zurück. Wieso mussten diese Stellenanzeigen immer samstags in der Zeitung stehen? Hatten diese Redakteure nicht mal ein Herz für Arbeitslose? Konnten die einen nicht wenigstens am Wochenende mal in Ruhe lassen?

»Was suchen die denn genau?«

»Einen Mitarbeiter«, antwortete Petra. »Oder wie wäre es denn hiermit. Die Stadt sucht einen technischen Beschäftigten.«

»Lass mal sehen«, entgegnete ich und überflog den entsprechenden Zeitungsteil, den mir meine Frau reichte. Während ich einen neuen Versuch startete, an meinem heißen Kaffee zu nippen, prüfte ich die beiden Inserate.

»Ah, verstehe. Natürlich. Also wenn ich dafür nicht geeignet bin. Die suchen einen Mitarbeiter zur Fertigung elektronischer Baugruppen. Da weiß man sofort, was gemeint ist. Sehr präzise.« Ich setzte meine Tasse ab. »Bei einer Firma, die elektronische Baugruppen herstellt, hätte ich ein wenig mehr Präzision erwartet, aber wahrscheinlich wäre dann die Anzeige zu teuer geworden. Könnte es sein, dass die dort ein wenig geizig sind?«, beäugte ich über den Zeitungsrand meine Frau, die erwartungsgemäß das Gesicht verzog.

»Tobi, du bist arbeitslos.«

»Aber nicht obdachlos.«

»Noch nicht.«

Ich überhörte den spitzen Kommentar vom blonden Licht meines Lebens und schaute wieder auf die Anzeige.

»Voraussetzung sind übrigens Fachkenntnisse verbunden mit einer entsprechenden Ausbildung.« Wieder schielte ich über den Zeitungsrand, bevor ich fortfuhr: »Ja, ne, is klar. Genauer gehts nicht. Da bin ich bestens geeignet.« Ich wandte meinen Blick lieber wieder auf die Zeitungsanzeige, denn Petras Gesicht verfinsterte sich geringfügig. »So wie übrigens jeder ausgebildete Mensch auf diesem Planeten. Du hast recht, mein Schatz, darauf bewerbe ich mich. Was soll ich aber ins Anschreiben setzen? Lass mal kurz überlegen.« Ich legte eine rhetorische Pause ein, wohl wissend, dass dies nicht zu einer positiven Frühstückstimmung beitragen würde. »Wie wäre es mit ›Hiermit bewerbe ich mich bei Ihnen als Mitarbeiter, weil ich geboren wurde und irgendetwas kann. Bei Rückfragen bitte Mail an Tobias.Renneisen@usgebildet.de«

»Etwas konstruktiver könntest du schon sein«, erwiderte meine Frau und nahm einen Bissen von ihrem Brötchen.

»Du meinst so konstruktiv, wie die andere Stelle hier? Diesen technischen Beschäftigten, den die Stadt sucht?«

»Was ist damit?«

»Nichts. Auf jeden Fall kann man der öffentlichen Hand nicht unterstellen, die Stellenausschreibungen wären nicht deutlich detaillierter als bei diesen Bauteilgrupplern von vorhin.«

»Ist doch gut, oder?«

»Die Stadt sucht einen technischen Beschäftigten. Also quasi nur im technischen Sinne beschäftigt, aber nicht im praktischen?«

»Mach keinen Quatsch.«

»Entschuldige. Du hast ja recht. Es klingt ja im Grunde nicht schlecht, aber ich denke, den Arbeitsaufwand kann ich mir sparen.«

»Wieso denn?« Wieder nahm Petra einen Bissen und anschließend einen großen Schluck Kaffee.

»Der Klassiker, mein Liebling. Hier, ich zitiere kurz ›Um die Unterrepräsentanz von Frauen in diesem Bereich abzubauen, sind Frauen bei gleicher Qualifikation wie ihre männlichen Mitbewerber vorrangig zu berücksichtigen, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen. Schwerbehinderten Menschen wird bei im Wesentlichen gleicher fachlicher und persönlicher Eignung der Vorrang gegeben. Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund werden begrüßt‹.«

»Ja, und?«

»Also, zu gut deutsch steht hier: Deutsche Männer jedweden Alters müssen schon überragend in der fachlichen Kompetenz dieser Stellenausschreibung ausgebildet und fähig sein, sonst brauchen sie es gar nicht erst zu versuchen. Schließlich wird Frauen und Schwerbehinderten der Vorzug gegeben. Ich bin weder einen Frau, noch bin ich schwerbehindert. Obwohl ich mittlerweile der Meinung bin, dass mit jeder Arbeitslosigkeit ein erheblicher Grad an menschlicher Behinderung hinzukommt.«

»Tobi, es gibt Menschen, die ernstlich behindert sind. Du willst nicht allen Ernstes den Zustand deiner Arbeitslosigkeit mit einer Behinderung gleichsetzen, oder?«

In diesem Moment war ich schlau genug, die Frage nicht zu beantworten. Ich wollte nicht gleich am frühen Morgen schon den ganzen Samstag ruinieren.

»Lassen wir das lieber«, gab ich stattdessen zurück. »Trotzdem scheint es mir ein Affront, dass die Bewerbung von Menschen mit Migrationshintergrund ausdrücklich begrüßt wird. Schließlich habe ich keinen Migrationshintergrund, ergo fühle ich mich, als wäre meine Bewerbung auch nicht ausdrücklich begrüßt. Aber hey, was weiß ich schon über meine Gefühle.«

»Du siehst aber auch in allen Stellenausschreibungen einen Angriff auf deine Person, oder?«

»Nein, nur in dem überwiegenden Anteil.« Ich äugte ein letztes Mal über den Rand der Zeitung, um die aktuelle Stimmung einzuschätzen. »Soll ich mich deiner Meinung nach darauf bewerben, Petra?«

»Wieso nicht? Was hast du schon zu verlieren?«

»Na«, erwiderte ich, bevor ich mich hinter der Zeitung verkroch und endlich zu einem großen Schluck meines Kaffees ansetzte, »mindestens 30 Minuten meiner Lebenszeit. Von der nachhaltigen Verletzung meiner Gefühle ganz zu Schweigen.«

Der Kaffee war nur noch lauwarm, aber ich genoss ihn in vollen Zügen. Und weitestgehend allein.

Ostfriesenklenkes

Подняться наверх