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Die Trauung
ОглавлениеDie Lüneburger, die sich vor der Kirche St. Johannis versammelt hatten, bekamen fast den gesamten Rat zu sehen. Die Bürgermeister Hogeherte, Schelleper und Gronehagen erschienen in ihren Festgewändern, und ihnen folgten die regierenden Ratsherren Ludolf Tobing, Johannes von Ollensen, Johannes Schermbeke, Erich Ghise und Heinrich Hoyeman. Auch Johannes Springintgut tauchte auf, Johannes Garlop und Heinrich Lange. Sie alle kamen mit ihren Frauen, die nach der flämischen Mode gekleidet waren und bei den Zuschauern Hochrufe auslösten, aber auch neidische Blicke. Die Hochzeit von Tidemann Stolzfuß und Margarete Grüneberg war ein willkommener Anlass, um zu zeigen, was man hatte.
Die Zaungäste trugen ebenfalls ihren Sonntagsstaat, und es sah aus, als hätten selbst die Armen, die auf dem Kirchhof zwischen den Gräbern hausten, ihre Lumpen gesäubert. Die Stadtmusikanten spielten auf, dann sah man das Brautpaar. Es kam zu Fuß aus der Straße Am Berge, wo Reyner Stolzfuß ein großes Haus besaß, und begab sich unter dem Beifall aller Anwesenden zur Kirche. Am Kirchtor nahm sie der Pfarrer in Empfang. Die Eltern von Braut und Bräutigam verteilten Geldgeschenke, dann verschwanden auch sie im Gotteshaus. Das Tor wurde geschlossen, doch die festliche Musik drang bis auf den Platz Am Sande, wo sich das Publikum in Geduld übte. Niemand wollte sich entgehen lassen, die Frischvermählten wieder aus der Kirche treten zu sehen.
Die Stundenglocke von St. Johannis schlug zehn. Alle wussten, nun wurde die Braut von ihrem Vater an den Bräutigam übergeben, und das Paar legte die rechten Hände ineinander. Der Mann steckte seinen Ring nacheinander an drei Finger der Braut, der Geistliche sprach einen Segen. Nun schlug die Viertelstundenglocke oben in dem etwas schiefen Turm der Pfarrkirche. Gewiss hatte Tidemann Stolzfuß die dreizehn Pfennige hinterlegt, die bereits das Salische Gesetz vorschrieb. Viele im Publikum murmelten die Worte, die der Bräutigam zu sprechen hatte: »Mit diesem Ringe heirate ich dich, mit diesem Golde ehre ich dich, mit diesem Schatze beschenke ich dich.« Mancher hatte Tränen in den Augen.
Die Stundenglocke verkündete die elfte Stunde, die Viertelstundenglocke schlug noch zweimal, dann wurde das Tor geöffnet. Zuerst erschienen die jungen Eheleute und winkten den Lüneburgern, die zurückwinkten, dann kamen Martin und Elisabeth Grüneberg, gefolgt von Reyner Stolzfuß, seiner Frau und Sebastian Vrocklage. Auch Lüdeke Peters verließ die Kirche, am Arm seine Frau und hinter ihm Sohn Piet. Die Ratsherren und Bürgermeister ließen sich blicken, die Kirchenleute, unter ihnen Bruder Anselm, und der Herr von Baerck als Abgesandter des Landesherrn; der Herzog selbst hatte nicht kommen können. In der Hoffnung, noch einmal der Freigebigkeit der Eltern teilhaftig zu werden, umdrängten die Bürger und Einwohner die hohen Herrschaften. Martin Grüneberg und Reyner Stolzfuß griffen bereits nach ihren Geldbörsen. Dann sahen sie den Wagen.
Es war ein Zweispänner, hoch beladen mit Fässern, den ein Knabe lenkte. Der Knabe trug einen grauen Kittel mit einem Strick als Gürtel und an den Füßen Bastschuhe. Plötzlich erfüllte Geschrei den Platz Am Sande. Offenbar waren dem Knaben die Pferde durchgegangen, denn der Wagen raste mit unverminderter Geschwindigkeit auf die Hochzeitsgesellschaft zu. Martin Grüneberg griff geistesgegenwärtig nach seiner Tochter und zog sie zur Seite, Tidemann Stolzfuß sprang zwischen die Zuschauer. Der Junge, der den Wagen lenkte, schrie verzweifelt, hilfsbereite Lüneburger versuchten, in die Zügel zu fassen. Kurz vor dem Kirchtor stürzte der Wagen um. Die Fässer rollten über den Platz und brachten manchen Zuschauer zu Fall, alles brüllte durcheinander, und zwei junge Männer beugten sich über Lüdeke Peters, der ebenfalls gestürzt war. Er schien ernsthaft verletzt zu sein, denn eine Blutpfütze breitete sich unter ihm aus.
Die jungen Männer versuchten, ihn aufzurichten. Auch Martin Grüneberg sprang hinzu. Maria Peters schrie in hohem Diskant, Bruder Anselm kniete sich neben den Verletzten und öffnete ihm das Wams, der Herr von Baerck hatte, warum auch immer, sein Schwert gezogen. Der Junge, der den Unfall verursacht hatte, floh über den Kirchhof nach dem Altenbrücker Tor, die zwei jungen Männer, die seine Flucht beobachteten, setzten ihm nach. Dann erst sah man, was geschehen war.
In Lüdeke Peters’ Rücken steckte ein Messer.
Aus dem fröhlichen war ein Trauertag geworden. Man hatte nach dem Ratsmedicus geschickt, der dem Opfer des Anschlags nicht mehr helfen konnte, und auch der Gerichtsvogt hatte sich am Tatort eingefunden. Reyner Stolzfuß erbot sich, die Frauen nach Hause zu geleiten, und sowohl Braut als auch Bräutigam schlossen sich ihm an. Bruder Anselm ging ebenfalls mit, um die Hinterbliebenen zu trösten, während vor der Kirche die gerichtliche Untersuchung begann. Martin Grüneberg, selbst einer der Weddeherren Rostocks und damit für die Gerichtsbarkeit zuständig, unterstützte die Richteherren, so gut er konnte. Viel war nicht zu tun.
Lüdeke Peters war aus der Menge heraus getötet worden, allerdings konnte wegen des Tohuwabohus nicht mehr festgestellt werden, wer sich in der Nähe des Ermordeten aufgehalten hatte, von seiner Frau und seinem Sohn einmal abgesehen. Im Grunde kamen mehrere hundert Menschen als mögliche Täter in Frage.
Nicht gefunden wurde der Junge, dem die Pferde durchgegangen waren, und auch die beiden ersten Helfer tauchten nicht wieder auf. Von den Befragten schien sie keiner zu kennen, vermutlich waren es Fremde. Nachdem der Gerichtsvogt seine Büttel ausgeschickt hatte, um alle Gasthöfe zu überprüfen, stellte sich heraus, dass sie in einer Herberge von schlechtem Ruf eine Nacht verbracht hatten. Der Unterschlupf befand sich im Budenviertel an der Bardowicker Mauer, und wer dort abstieg, nannte nicht unbedingt seinen Namen.
Auch das umgestürzte Fuhrwerk und die Fässer, die es geladen hatte, wurden untersucht. Der Wagen war durch den Unfall beschädigt worden, aber ansonsten fand sich nichts, was darauf hindeutete, dass er präpariert worden war. Die Fässer allerdings waren leer. Nur am Geruch konnte man erkennen, dass in ihnen Bier transportiert worden war.
Als Martin Grüneberg am Nachmittag in das Haus von Reyner Stolzfuß zurückkehrte, fand er dort nur das Dienstpersonal vor. Maria Peters hatte Schlafmohn genommen und sich zurückgezogen, ihre Schwiegertochter Geseke, Hildegard Stolzfuß und Elisabeth Grüneberg weilten bei ihr und versuchten, ihren Schmerz zu lindern. Margarete betete in der Familienkapelle für das Seelenheil des Verstorbenen, ein Benediktiner des Michaelisklosters leistete ihr Gesellschaft. Er war der Beichtvater der Familie Stolzfuß und hatte sich unmittelbar nach dem Verbrechen eingefunden.
Margarete mochte nicht mit ihrem Vater sprechen. Sie war zu sehr erschüttert von dem Mord, den sie hatte mit ansehen müssen, und suchte Trost bei Gott. An der Seite des Benediktiners war sie gut aufgehoben.
Von diesem erfuhr Martin Grüneberg, dass sich die Männer in den Ratsweinkeller begeben hatten. Wein zu trinken und sich aneinander aufzurichten schien im Moment das Einzige zu sein, was man tun konnte, also ließ sich Grüneberg den Weg beschreiben. Er war nicht schwer zu finden. Der Ratsweinkeller befand sich im Rathaus am Markt, Grüneberg musste nur die Straße Am Berge bis zu ihrem nördlichen Ende abschreiten und dann nach links in die Rosenstraße biegen. In der Rosenstraße, so hörte er von dem Mönch, hatte der Lüneburger Henker sein Domizil. Sie war nur kurz, und aus ihr ging die Straße An den Brodbänken hervor, die unmittelbar auf den Markt führte. Der Rostocker Ratsherr brauchte keine zehn Minuten, um den Ratsweinkeller zu erreichen.
Dort waren alle versammelt, die eigentlich ein Fest hatten feiern wollen und nun unversehens mit einem Todesfall konfrontiert waren: Reyner und Tidemann Stolzfuß, Piet Peters, der Sohn des Ermordeten, und sogar Bruder Anselm. Jeder hatte einen Becher Wein vor sich, und sie nickten bedrückt, als Grüneberg an ihren Tisch trat und Platz nahm. Augenblicklich erhielt auch er vom Gastwirt einen Becher. Reyner Stolzfuß füllte ihn.
»Was für ein schrecklicher Tag«, meinte der Sülfmeister. »Hat man schon einen Anhaltspunkt?«
Martin Grüneberg schüttelte den Kopf.
»Ich versteh das nicht.« Piet Peters fuhr sich über die Augen. »Was hat mein Vater denn getan?«
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Grüneberg.
»Offenbar handelt es sich um eine planvolle Tat«, sagte Bruder Anselm. »Wir rätseln schon eine Zeit lang … Feinde hat er in Lüneburg nicht gehabt.«
»Die Mörder müssen keine Lüneburger sein«, sagte Grüneberg.
»Aber auch in Lübeck …« Piet zuckte ratlos die Schultern.
»Dein Vater war ein wohlhabender Salzherr.« Grüneberg griff nach dem Becher, roch an der Blume, trank aber noch nicht. »Er hatte womöglich Neider oder Konkurrenten.«
»Aber doch niemand, der so etwas tut«, sagte Piet.
»Und in Auftrag gibt?«
»Niemand, ich bin ganz sicher.«
»Es ist aber geschehen«, sagte Grüneberg, »also hatte auch jemand einen Grund.«
Der Ritter von Ritzerow erfuhr von dem Verbrechen, als er um die zweite Nachmittagsstunde aus tiefer Trunkenheit erwachte und im Gastraum seiner Unterkunft zu essen verlangte. Die Magd brachte ihm eine Schüssel mit Rindfleisch und eine Schüssel Schweinebraten, und natürlich wollte der Ritter auch Wein. Während er aß, belauschte er eine Unterhaltung am Nebentisch, wo zwei gut gekleidete Bürger saßen und ebenfalls mit Appetit Rind und Schwein verschlangen. Einen der ihren hatte es getroffen, einen Lübecker allerdings, also einen Gast der Stadt.
Der Ritter von Ritzerow mochte die Bürgerlichen nicht besonders. Sie hielten sich viel auf ihre Bildung zugute und konnten lesen und schreiben, was der Ritter nie gelernt hatte und auch nicht brauchte. Er war von seinem Gut in Mecklenburg nach Lüneburg gekommen, um Holz und eine Koppel Pferde zu verkaufen; Holz wurde benötigt, um die Siedepfannen der Saline zu beheizen, und auch die Pferde hatte er verkaufen können. Nun hatte er Geld im Beutel, das er mit ein paar losen Frauen durchbringen wollte. Der Mord an irgendeinem Lüdeke Soundso interessierte ihn nicht.
Als der Ritter die Schüsseln und auch den Krug geleert hatte, kam die Magd zu ihm und erkundigte sich, ob er noch mehr zu essen oder trinken wünsche. Der Ritzerow schüttelte den Kopf. Die Magd hätte er gern vernascht, aber sie war nicht wohlfeil zu bekommen, also ließ er ein paar Pfennige springen und verließ das Gasthaus auf der Suche nach einem kleinen Abenteuer.
Wie überall waren auch in Lüneburg die Frauenhäuser an den Stadtrand verbannt worden. Der Rat profitierte von ihnen, und so mancher Ratsherr gehörte sicher auch zur Kundschaft, aber das bedeutete nicht, dass man sie guthieß. Der Ritter von Ritzerow hatte gegen Frauenhäuser nichts einzuwenden. Würde es nach ihm gehen, hätte man sie auch am Marktplatz errichten können. Das hätte ihm einen weiten Weg erspart.
Das Gasthaus Zu den vier trunkenen Sonnenbefand sich beim Kloster zum Heiligen Geist, das beste Frauenhaus, so hatte er in Erfahrung gebracht, an der nördlichen Stadtmauer. Um dorthin zu gelangen, musste der Ritter beinahe die ganze Stadt durchqueren. Als er den Markt erreichte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Wahrscheinlich irrte er sich, aber ihm kam es vor, als hätte er den Rostocker Ratsherrn Grüneberg im Rathaus verschwinden sehen.
Ein Junge, der eine Kiepe mit Holz auf dem Rücken trug, lief dem Ritter vor die Füße. Der Ritzerow ergriff dessen Kittel, hinderte den Knaben auf diese Weise am Weitergehen und wies auf die Tür, durch die der Ratmann gegangen war.
»Was ist dort?«, wollte er wissen.
»Der Ratsweinkeller, Herr.«
Der Ritter ließ den Jungen los und überlegte. Ratsweinkeller, das klang nach einer ausgedehnten Zechtour. Auch für Zechtouren war der Ritter zu haben. Die Frauen konnten warten.
»Nein!«, rief Martin Grüneberg und schüttelte heftig den Kopf. »Das glaube ich nicht. Was treibt denn Euch nach Lüneburg?«
»Begrüßt man so einen Ritter?«, fragte der Ritzerow. »Und was ist das hier für eine Versammlung von Trauerklößen? Wenn man trinkt, ist man doch lustig.«
»Wir nicht, Herr Ritter. Wir haben den Tod eines der unseren zu beklagen.«
»Ach, davon hörte ich.« Unaufgefordert setzte sich Heinrich von Ritzerow auf einen freien Platz neben Bruder Anselm. »Ein Mord, heißt es.«
»Ein Mord«, bestätigte Grüneberg. »Darf ich Euch mit unserer Tafel bekannt machen?«
Martin stellte die Anwesenden vor, und da der Ritter nun einmal da war, berichtete er auch, was vorgefallen war.
»Aus der Menge heraus?«, fragte Ritzerow nach. »Wie geschickt.«
»Also ich muss doch sehr bitten«, schimpfte Reyner Stolzfuß. »Lüdeke Peters war der Schwiegervater meiner Tochter.«
»Wein!«, befahl Ritter Heinrich, als ihm der Ratskellermeister ins Blickfeld geriet. »Für den ganzen Tisch.«
»Ich möchte nicht unhöflich erscheinen«, sagte Bruder Anselm, »aber ich muss mich verabschieden. Ich habe bereits die Gebete zur Tertia und zur Sexta versäumt, ich muss zumindest zur Non meine geistlichen Pflichten erfüllen.«
»Ach, Unfug!«, meinte der Ritter. »Ich habe noch nie mit einem Mönch gesoffen. Haltet Ihr mit?«
»Ihr kennt die Regel, Ritter.«
»Einen Becher Wein könnt Ihr mir nicht abschlagen, Ehrwürdiger Vater.«
»Einen, Herr Ritter«, sagte Anselm und blieb sitzen.