Читать книгу Borderline - Frank Habbe - Страница 10
6. Kapitel
ОглавлениеDie Bar ist nur spärlich besetzt, als Claire kurz nach halb acht das Hotel betritt. Keine Spur von Dave.
Irritiert steuert sie auf die dunkle Bar aus massivem Holz zu und nimmt auf einem der ledergepolsterten Hocker Platz. Auf den fragenden Blick des Barkeepers hin schaut sie auf die eindrucksvolle Spirituosenkollektion in seinem Rücken. Sie bleibt an einer Flasche Gordon’s hängen. Warum nicht?
Während der Barmann den Gin and Tonic mixt, betrachtet Claire das über den Flaschen angebrachte die Rückwand füllende Gemälde; die historische Darstellung einer Walfang-Szene.
Ganz und gar nicht ihr Stil.
Zum Glück stellt der Barkeeper in dem Moment den Drink zusammen mit einer auf drei Schälchen verteilten Snack-Kollektion vor ihr auf den Tresen. Als ihr der Duft der frisch gerösteten Erdnüsse in die Nase steigt, bemerkt sie, wie hungrig sie ist. Rasch nimmt sie eine Handvoll aus dem Schälchen und wirft sie sich in den Mund. Zu viel Salz für ihren Geschmack.
Eine ganze Weile sitzt sie so an ihrem Platz, abwechselnd von den Snacks naschend und das Salz mit einem Schluck des Longdrinks herunterspülend. Da Dave sich noch immer nicht blicken lässt, versucht sie es wieder auf seinem Handy.
Die gewählte Rufnummer ist momentan nicht verfügbar.
Sie will gerade eine wütende SMS an ihn schreiben, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürt. „Sorry, ich musste mich noch frisch machen.“
Claire dreht sich um und blickt in Daves schmunzelndes Gesicht. Ihr steigt der Duft seines schweren Eau de Toilettes in die Nase, während er sie mit beiden Händen an den Schultern umfasst und mit ausgestreckten Armen prüfend ansieht. „Que bonita!“
„Danke. Und dito.“
Sein Grinsen verwandelt sich in ein breites Lachen. „Wie lange ist es her? Auf jeden Fall viel zu lang.“ Er wirft einen Blick auf ihren Drink, was ihr Zeit gibt, ihn genauer zu betrachten.
Groß und gebräunt wie eh und je steht er da vor ihr. Aber die Klamotten? Eine Hundertachtzig-Grad-Wende. Kannte sie ihn bisher nur in Bermudas oder Jeans, Sandalen und Sneakers, einfachen Logo-Shirts oder Polos, hat er sein Outfit innerhalb der vergangenen zwei Wochen radikal geändert. Nicht nur vom Stil, wie ihr scheint. Auch das Preisniveau liegt einige Etagen höher. Ein weißes, an den Armen hochgekrempeltes Leinenhemd, dazu von einem breiten Hermes-Gürtel gehaltene beigefarbene Chinos und teuer aussehende Loafer. Am Handgelenk, wo früher eine schlichte G-Shock hing, prangt nun eine luxuriöse Fliegeruhr von Breitling.
„Jeff, für mich bitte das Gleiche. Aber wie immer.“
Der Barmann nickt wissend.
Jeff? Wie immer? Dave als Stammkunde? Hier?
„Ich hab 'nen Bärenhunger. Du auch?“
Claire schaut auf die zur Hälfte geleerten Snack-Schälchen. „Ja. Aber, dein Drink?“
„Lass uns einfach rübergehen. Sie bringen ihn schon an den Tisch.“ Damit reicht Dave ihr die Hand und hilft ihr vom Hocker.
Der Maître d’hôtel geleitet sie auf die Terrasse zu einem luxuriös eingedeckten Zweiertisch. Aus einem daneben platzierten Eiskübel ragt, abgedeckt mit einem weißen Tuch, der Hals einer Champagnerflasche. Dahinter wandert ihr Blick durch Palmen hindurch über die Bucht von La Jolla in den endlosen Pazifik und die sich langsam dem Horizont nähernde Abendsonne. Wirklich ein Ort, um Frauen zu beeindrucken.
Doch Claire stutzt. Dave kennt sie doch, weiß, dass er ebenso gut mit ihr eine Tacobude am Pacific Beach hätte ansteuern können. Und diese aufgesetzte Höflichkeit. Ist so gar nicht er.
Sie setzen sich. Nachdem der Kellner Daves Drink gebracht, zwei riesige Speisekarten vor ihnen auf den Tisch gelegt und Claire ein Glas Champagner eingegossen hat, schaut Dave grinsend zu ihr rüber. „Nimm, was du willst. Du bist mein Gast. Ich glaub, ich will Austern vorweg. Du auch? Ein Dutzend für uns?“
Während Dave sich mit einer Hand winkend zu einem vorbeigehenden Kellner umdreht, leert er seinen Gin and Tonic. Über den Rand ihrer Karte hinweg beobachtet Claire, wie er gleich darauf nach der Champagnerflasche greift, um ihnen nachzuschenken. Begleitet von einem ablehnenden Kopfschütteln schiebt Claire ihre Hand über das fast noch volle Glas.
„Danke für die Einladung, Dave. Aber, was soll das alles?“
Mit schmollend geschürzten Lippen stellt Dave die Flasche zurück in den Kübel. „Ich will bloß ein wenig feiern.“ Er sieht gekränkt aus, fasst sich in die blonden Haare.
Claire aber spürt, dass da noch mehr ist.
„Dein Style, diese ganze Show hier. Das bist doch gar nicht du!“
„Menschen ändern sich. Es läuft halt gerade sehr gut. Und da leiste ich mir halt mal was.“ Dave tut gekränkt.
„Glückwunsch.“
Mit einem verächtlichen Schnauben verdreht er die Augen. Skeptisch betrachtet Claire ihr Gegenüber. Hinter der charmanten Fassade sieht sie einen gehetzten, nervösen Dave.
„Magst du den alten Dave lieber? Der ist weg!“, herrscht er sie unvermutet an. Dann nimmt er einen Schluck und winkt unwirsch den Kellner heran. „Ich dachte, du freust dich für mich.“
„Tue ich ja! Aber du weißt doch, für mich hätte es auch weniger pompös gereicht.“ Abwehrend hebt sie die Hände, als Dave Anstalten macht aufzustehen. „Nein! Ich sitze gern mit dir hier. Und, ich nehme die Austern! Danach die Seezunge.“
Versöhnt schaut Dave zu ihr, greift fragend zu der Flasche. Sie nickt.
„So kenn ich meine Claire.“ Damit gießt er das Glas voll.
Deine Claire reißt sich gerade mächtig zusammen, denkt sie still, ohne etwas zu erwidern. Stattdessen konzentriert sie sich auf den Sonnenuntergang, der die Terrasse in ein goldgelbes Licht taucht. Ihr wird bewusst, zu diesem Dave hätte sie sich damals in Fish Hoek sicher nicht an den Tresen gesetzt.
Noch bevor ihre Gerichte zusammen mit einer zweiten Flasche Moët auf dem Tisch stehen, beginnt Dave ihr von seiner Glückssträhne zu erzählen. Sicher, bis vor Kurzem sah es für sein kleines Tauch- und Bergungsunternehmen schlecht aus. Die Küstenwache vergab ihre Aufträge nun mal lieber an US-Unternehmen, und die Navy regelte ihre Angelegenheiten selbst. Was ihm blieben, waren Touristen für wenig lukrative Tagesausflüge zur Wrack Alley. Wenn er Glück hatte, wurde er von Surfern für eine Mehrtagestour zur Cortez Bank gebucht. Diese prekären Zeiten aber waren seit drei Wochen vorbei! Da hat er den fürstlich dotierten Auftrag zur Bergung einer nördlich von Encinitas gesunkenen Luxusyacht an Land gezogen. Um den Job stemmen zu können, hat er extra einen neuen Partner ins Boot geholt. Marc, einen netten Typen.
Dave stockt einen Moment, als der Kellner den Fisch serviert.
„Und damit verdienst du so viel Geld?“ Claire wirft ihm einen zweifelnden Blick zu, während sie ein Stück Fisch mit der Gabel aufspießt.
„Klar! Es ist nur …“ Er hält inne, spielt gedankenverloren an seiner neuen Uhr. Sein rechtes Augenlid zuckt nervös.
„Was denn?“
Da hat Dave sich jedoch schon wieder gefangen. Er trinkt sein Glas aus und winkt ab. „Ach, egal. Wir haben das Schiff hochgeholt und ins Dock geschleppt.“
„Okay.“ Claire schüttelt ungläubig den Kopf. Er verheimlicht ihr etwas. „Und das war’s? Dafür hast du das ganze Geld bekommen?“
Kurzes Räuspern. Ein letzter Schluck aus dem Glas. „Genau.“
Sie essen schweigend weiter, während Dave die Champagnerflasche fast im Alleingang leert. Immer wieder schaut er verstohlen zu Claire herüber, die gedankenverloren in ihrem Essen stochert. Warum tischt Dave ihr nur diese Geschichte auf?
Schließlich werden ihre Teller abgeräumt. Kurz darauf bringt ein Kellner einen Espresso für Dave und ein Sorbet für Claire an den Tisch. Dave schaut nervös zu Claire, dann an ihr vorbei in die Dunkelheit. Seine Finger zittern leicht, als er zwei Löffel Zucker in die Tasse rieseln lässt.
„Und das soll ich dir jetzt alles glauben? Warum erzählst du mir das überhaupt?“ Mit einem urplötzlichen wütenden Schnauben lässt Claire den Löffel fallen, mit dem sie die Reste des Sorbets auf dem Teller hin und her geschoben hat. „Ich meine, wir sind doch Freunde, oder?“ Sie spürt, wie ihr Tränen in die Augen schießen.
Dave ergreift ihre Hand, schaut sie mit einem bittenden, fast schon flehenden Blick an. „Ja! Es ist nur alles nicht so einfach. Ich werd’s dir erklären, später!“
Sie will ihre Hand wegziehen, aber er hält sie fest umklammert.
„Da ist noch was, Claire. Ich bräuchte eine Information von dir.“
„Bitte?“ Entgeistert schaut Claire zu Dave.
„Ja, über das gesunkene Boot.“
„Versteh ich nicht.“
„Du bist doch bei der Küstenwache. Ich meine, kannst du nicht nachschauen, ob ihr was über die Yacht habt?“
„Das wäre illegal!“
„Ich weiß. Es ist nur wirklich wichtig für mich. Irgendwas, egal. Eigner, irgendwelche Auffälligkeiten. Solche Sachen halt.“
„Auffälligkeiten? Was meinst du damit? Kannst du vielleicht ein bisschen konkreter werden?“
„Nein. Nur falls … also, falls es etwas gibt, würde ich es gerne wissen. Bitte.“
Dave lässt ihre Hand los, zieht einen zusammengefalteten Notizzettel aus der Hosentasche und reicht ihn ihr über den Tisch.
Einen Moment lang mustert sie ihren Tischpartner widerwillig und öffnet dann zögernd den Zettel. Auf drei Zeilen hat Dave die Daten notiert.
Name: Alina
Hafen: Cabo S L, Mexiko
IMO-Nr: 3367491
„Die müssen eine Routen-Kennung haben. Wenn du die findest, kannst du mir vielleicht auch die Daten ihrer letzten Fahrten geben?“
Claire faltet den Zettel stirnrunzelnd zusammen und verstaut ihn in ihrer Tasche. Im Hintergrund hört sie, wie die Brandung grollend an den Strand schlägt.
Was für eine bekloppte Idee! Und das ausgerechnet von ihr zu verlangen. Enttäuschung macht sich breit. Aber es ist nun mal Dave. Sie wird sehen, was sie tun kann. Ihm geben, was sie findet. Im Anschluss daran wird sie ihre Beziehung zu ihm überdenken. „Ich werde mich erkundigen.“
Ein dankbares Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. Er will etwas sagen, aber sie winkt müde ab. Stattdessen steht sie auf. „Ich muss morgen früh raus. Erster Arbeitstag.“
„Du hattest Urlaub?“ Dave klingt ehrlich erstaunt. Ursprünglich hat sie ihm von ihrer Reise erzählen wollen. Vielleicht auch von ihren nostalgischen Gefühlen, als sie durch Simons Town gefahren ist. Bedarf daran besteht nach diesem Abend allerdings nicht mehr.
„Ja, aber nur kurz.“ Damit wendet sie sich zum Gehen. Sie hört, wie Dave hinter ihr seinen Stuhl zur Seite schiebt und ihr hastig folgt. Er muss sich beeilen, um mit ihrem schnellen Gang Schritt zu halten.
Am Empfang reicht sie dem Portier ihren Parkschein, der einen Angestellten heranwinkt, um den Wagen zu holen. Währenddessen betrachtet Claire schweigend die vor ihnen aufragenden hell angestrahlten Palmen.
Dave tigert neben ihr unruhig auf und ab.
„Was ist eigentlich mit deinem Handy? Ich konnte dich die ganze Zeit nicht erreichen.“
Dave zögert einen Moment. „Ist mir gestern geklaut worden. Ich schicke dir die neue Nummer, sobald ich sie habe.“
Dann umarmt er sie plötzlich fest. Ihr ist, als fühle sie eine Erektion, als sie ihn leicht mit der Hüfte berührt. Tadelnd blickt sie ihn an, er aber hebt mit einem verschmitzten Grinsen unschuldig die Arme.
„Ich steh nun mal auf dich.“ Plötzlich ist er wieder ganz der Alte.
„Böser Junge!“ Sie streicht ihm flüchtig über den Arm und steigt in den bereitgestellten Voyager.
Er klopft an ihre Scheibe. „Denkst du an die Yacht?“
Sie nickt und startet den Motor. Als sie losfährt, sieht sie, wie er winkend am Eingang stehen bleibt, bis sie um die Kurve verschwunden ist.
Was für ein bizarrer Auftritt.
* * *
Daves Vater Kenneth, Tauchlehrer aus Durban, lernte seine zukünftige Frau Anne, eine Tierärztin aus Rhodesien, während eines Jobs in Australien kennen. Innerhalb von nur zwei Wochen verliebte sie sich unsterblich in diesen hünenhaften Mann weniger Worte. Es entwickelte sich eine leidenschaftliche Affäre, die über ihren Urlaub hinaus Bestand haben sollte. So zumindest der Plan. Aber dann, als Kenneth ins heimatliche Durban zurückgekehrt war, bemühten sie sich ein halbes Jahr erfolglos, ihre Fernbeziehung zu fortzuführen. Ein Versuch, der wegen der Distanz von zweitausend Kilometern und kaum zu vereinbarender Dienstplänen wenig Aussicht auf Erfolg hatte.
Um einander näher zu sein, sattelte Kenneth vom Tauchlehrer zum Berufstaucher um. Dann bewarb er sich bei der Gesellschaft, die den neu erbauten Kariba-Stausee südlich von Lusaka betrieb, um einen Job für Unterwasser-Wartungsarbeiten an dem gigantischen Bauwerk. Eine Position, die die Entfernung zwischen ihnen auf unter fünfzig Kilometer verringerte und so ihrer Liebe neuen Aufschwung gab, aus dem neben drei anderen Kindern Dave resultierte. Er wurde 1975 in Durban geboren, wohin die Eltern nach Ausbruch des Bürgerkriegs in Rhodesien 1972 wieder gezogen waren. Dave, der in einem Vorort am Indischen Ozean aufwuchs, teilte seit seiner Kindheit die Liebe seines Vaters zum Meer. Nach Beendigung der Highschool zog es ihn für einige Jahre zur Marine, während derer er in unterschiedlichen Stützpunkten am Kap seine Offiziersausbildung absolvierte. Später stieg er bei einem Bergungsunternehmen in Port Elizabeth ein, ehe er sich Anfang 2003 mit einer eigenen Firma in Kalk Bay selbstständig machte. Die Auftragslage war nicht gut, weswegen er sich in den folgenden Jahren ab und zu mit dem Transport illegaler Abalone-Taucher über Wasser hielt. Seinen Ex-Kameraden von der Marine war er dabei einige Male verdächtig aufgefallen, nachweisen konnten sie ihm allerdings nie etwas. Trotzdem erschien ihm irgendwann die Lage zu brenzlig, sodass er Südafrika verließ und nach diversen Stationen in Australien und Mittelamerika in Kalifornien hängen blieb. Die Erbschaft seiner verstorbenen Mutter ermöglichte ihm, ein kleines Tauchgeschäft aufzubauen, das seit seiner Gründung jedoch meist am Rand der Insolvenz operierte.
Natürlich ahnte Claire nichts von Daves kriminellen Verstrickungen, als sie ihr Verhältnis begannen. Hätte sie es gewusst, sie hätte einen großen Bogen um ihren attraktiven Liebhaber gemacht.