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Fred Beyer, 27. Mai 1942, Russland

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Die Panzerkompanie hatte Stellungen westlich von Suchinitschi bezogen und war in den letzten Tagen nicht in Gefechte verwickelt gewesen. Andere motorisierte deutsche Einheiten hatten einen Vorstoß auf Kirow unternommen, und waren gut vorangekommen. Die zwischen Wjasma und Spas Demenskoje eingeschlossenen Kavalleriedivisionen der Russen waren von Norden und Süden her erfolgreich angegriffen worden und den Deutschen fielen mehrere Orte in die Hand. Das zum Teil unwegsame Gelände sowie das wechselhafte Wetter mit Regenschauern an diesem Frontabschnitt begünstigten den Einsatz von Kavallerie, und die oft vollkommen unberechenbaren Vorstöße der Russen ließen auch hinter der Front der Deutschen keine Ruhe aufkommen. Demzufolge lag momentan ein Schwerpunkt der deutschen Handlungen in der Vernichtung dieser Kräfte, und die offensiven Bemühungen weiter nach Osten vorzudringen, mussten dem Rechnung tragen, und wurden weitestgehend zurückgestellt. Beide Seiten tasteten sich nur mit örtlich begrenzten Aktionen ab. Fred Beyer und seine Männer hatten die relativ ereignislosen letzten Tage dafür genutzt, ihre persönliche Ausrüstung auf Vordermann zu bringen und sich auszuruhen. Gestern waren aber Gerüchte aufgekommen, dass die Panzerkompanie südlich von Wjasma unterstützend bei der Einkesselung der russischen Kavallerieeinheiten mithelfen sollte, um diese unschädlich zu machen.

„Panzer gegen Pferde“ hatte Bergner gemault „was soll der Unfug? Die sind doch x-Mal schneller als wir. Die können wir doch gar nicht kriegen.“

„Du musst da schon ein bisschen weiterdenken“ erwiderte Lahmann „wir werden doch nicht allein mit den Panzern antreten. Unsere eigenen Reiter werden die Iwans treiben und wir haben die Aufgabe, zusammen mit anderen Infanterieeinheiten und den motorisierten Verbänden den Sack dann zu zumachen.“

„Kavallerie“ meinte Müller „die ist doch vollkommen überholt. Damit konnte man früher sicher was ausrichten, aber heute?“

„Täusch dich mal nicht“ sagte Beyer „ist unsere Infanterie durchgehend motorisiert? Überhaupt nicht. Da stehen wir erst ganz am Anfang, und deswegen brauchen wir auch noch Unmassen an Pferden. Und auch taktisch haben berittene Einheiten ihren Sinn. Sie sind viel schneller und beweglicher als die Fußlatscher. Die zukünftige Kriegsführung wird aber auf Motorisierung setzen. Wenn wir mit unseren Panzern vorpreschen bleibt die Infanterie doch meist zurück, weil sich die Männer zu Fuß bewegen müssen. Ich stelle mir vor, dass die Infanterie in leicht gepanzerten Fahrzeugen den beweglichen schweren Waffen folgt und damit unterstützen kann, wenn es erforderlich ist. Die jetzt noch wenigen Halbkettenfahrzeuge sind der Anfang dafür. Aber unsere Industrie liefert einfach zu wenig.“

„Das können die Russen besser“ erwiderte Müller „wir schießen Massen an T 34 ab, aber die ersetzen die im Nu. Vielleicht hat die Führung die ganze Sache doch ein wenig unterschätzt.“

„Selbst wenn so sein sollte, wir werden und müssen sie schlagen“ war Bergners Entgegnung „denn falls wir scheitern würden kann sich doch wohl jeder vorstellen, was dann mit Deutschland passieren würde.“

Die Männer saßen vor ihren Zelten auf dem Boden und rauchten. Es waren angenehme 18 Grad und der Boden war vom letzten Regen gut abgetrocknet. Die Panzer standen rechts und links neben einem durch den Wald führenden Weg und waren durch das dichte Blätterdach gut getarnt. Insgesamt machte alles fast einen friedensmäßigen Eindruck. Der Tross hatte ebenfalls Deckung im Wald gesucht und die Männer konnten an der Feldküche warmes Essen fassen. Eine Latrine war gegraben worden und Fred Beyer machte sich auf den Weg dorthin. Eigentlich kannte er es seit Beginn des Krieges gar nicht mehr anders, als seine Notdurft im Freien zu verrichten. Auch an das Schlafen in allen möglichen und unmöglichen Quartieren oder im Zelt hatte er sich gewöhnt, es war selbstverständlich geworden, dass sie meist nie lange an einem Ort blieben. Wir sind moderne Nomaden dachte er sich, immer in Bewegung, Sesshaftigkeit kennen wir gar nicht mehr. Sein Lebensrhythmus und der der anderen Männer war an verschiedenen Tagen sehr unterschiedlich. Wenn sie im Gefecht standen waren alle angespannt, schließlich konnten sie getötet oder verwundet werden. Dann gab es aber Phasen, in denen sie in einem Bereitstellungsraum oder einer Stellung herumsaßen und viel Zeit hatten, die sie versuchten einigermaßen sinnvoll zu füllen. Früher in der Kaserne hatten die Männer gebastelt oder gelesen. Jetzt nutzten sie die Zeit, um Briefe zu schreiben oder Karten zu spielen. Gerade dieser Gegensatz zwischen höchster Nervenanspannung und relativer Ruhe rief bei einigen Soldaten bestimmte Marotten hervor, weil sie zwischen diesen sehr unterschiedlichen Zuständen nicht schnell genug wieder umschalten konnten. Beyer sah es bei seinen Männern deutlich. Müller, der Fahrer, hatte kein Interesse am Kartenspiel und schrieb nur aller 2 Wochen nach Hause. Auch heute hatte er wieder am Panzer dieses und jenes unter die Lupe genommen und einen Auspufftopf gerichtet. Er musste sich wie zwanghaft dauernd beschäftigen, und was lag da näher, als sich um das Fahrzeug zu kümmern, auch wenn eigentlich gar nichts zu tun war. Lange richtig ruhig sitzen konnten die anderen auch nicht, nur Anton Häber schien in sich zu ruhen. Beyer hatte den schweigsamen und knorrigen Mann immer mehr schätzen gelernt, denn er erfüllte seine Aufgaben ohne viel Aufhebens. Wenn sie im Kampf standen konnte Beyer, da er links und erhöht von Häber saß erkennen, wie scheinbar mühelos der Mann die 7,5 Zentimeter Granaten in das Rohr schob. Immerhin wog so ein Geschoß fast 7 Kilogramm und auch wenn sie das Fahrzeug aufmunitionierten zeigte der Ladeschütze keine Schwäche.

„Was machen wir jetzt mit dem angefangenen Abend“ fragte Lahmann in die Runde.

„Geh doch Holz sammeln, dann machen wir uns später ein schönes Feuerchen, stecken Bratwürste auf Stöcke und trinken alle gemütlich Bier“ schlug Bergner spöttisch vor.

„Wir könnten ja auch ins Kino gehen“ meinte Müller „mal wieder n paar hübsche Puppen ankucken. Oder in den Tanzsaal. Oder in den Biergarten. Wenn ich mir das so überlege, vor fast einem Jahr sind wir losgezogen, und jetzt hocken wir hier in einem Wald rum und können uns nicht wie die Burschen zu Hause vergnügen. Das ist doch ungerecht!“

„Was ist daran ungerecht“ erwiderte Lahmann „jeder hat seine Aufgabe. Die in der Heimat liefern uns die Waffen, und wir kämpfen damit, das ist doch ganz einfach, oder? Und hat dich überhaupt einer gefragt, ob du zur Truppe willst oder lieber in deinen Betrieb gehen würdest? Na also.“

Fred Beyer dachte über Lahmanns Worte nach. Tatsächlich war er bis auf die zwei kurzen Urlaube seit Beginn des Russlandfeldes dabei. Davor in Frankreich. Nochmals davor in Polen. Ganz zum Anfang in der Ausbildung zum Panzerfahrer. Für diese lange Zeit hatte er bis jetzt erstaunlich viel Glück gehabt und war nur leicht verwundet worden. Tatsächlich war es so, dass der Soldatenalltag sein Leben vollständig bestimmte und er sich nicht einmal mehr fragte, ob er jetzt nicht in einem Hörsaal sitzen müsste um ein Studium zu absolvieren. Eher war es so, dass er in den klaren Befehlsstrukturen der Truppe ein Regelwerk sah, dessen Forderungen er bereitwillig ausführte. Dass er bald befördert werden würde stand für ihn außer Frage, bis jetzt konnte er 17 bestätigte Panzerabschüsse auf seinem Konto verbuchen. Mit dem neuen Fahrzeug waren seine Chancen gestiegen, im Gefecht weiter erfolgreich zu sein.


Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 6

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