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Martin Haberkorn, 27. Mai 1942, Atlantik

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Nachdem das Boot knapp 20 Seemeilen unter Wasser zurückgelegt hatte beobachtete der Kommandant die Gegend nach dem Rundhorchen erst durch das Luftzielsehrohr, und dann durch das Angriffssehrohr.

„Zweite Brückenwache sich klarmachen, auftauchen“ befahl er wenig später.

Die Männer enterten auf und suchten mit Ferngläsern ihre Sektoren ab. Der Wind wehte nur schwach und das Boot fuhr mit halber Fahrt durch eine leichte Dünung. Haberkorn war ebenfalls auf den Turm gestiegen und sah sich um. Die Männer der Wache hielten ihre schweren Doppelgläser vor den Augen und er fragte sich, wie sie es aushielten, lange Zeit die eintönige Weite des Meeres aufmerksam zu beobachten, ohne in der Konzentration nachzulassen. Jetzt, bei der ruhigen See, bot der Turm eine sichere Plattform, aber sobald sich das Wetter verschlechterte mussten sich die Männer mit den an ihrem Gurtzeug angebrachten stabilen Karabinerhaken in Sicherungsseile einhaken, um nicht über Bord zu gehen. Dass sie durch die bei Sturm überkommenden Wellen dann ständig durchnässt wurden gehörte zu ihrem Alltag. Haberkorn war froh, dass er in der relativen Geborgenheit des Bootes solche Dinge nicht ertragen musste. Trotzdem gab es zwischen den Seeleuten und dem Maschinenpersonal immer wieder Frotzeleien über die Eigenarten der verschiedenen Dienstgruppen. Natürlich fühlten sich die Maschinisten den Seemännern gegenüber überlegen, sie waren eben Spezialisten, die komplizierte Maschinen beherrschten und nicht nur in die Gegend spähten. Dieses Kastenwesen spiegelte sich auch in der Stellung der Funker oder Horcher wieder. Die seemännische Nummer Eins und der Obersteuermann spielten eine Art Zwischenrolle in der Hierarchie an Bord. Beide waren Unteroffiziersdienstgrade, der Obersteuermann im Rang eines Oberfeldwebels der Steuermannslaufbahn, der Oberbootsmann Unteroffizier der seemännischen Laufbahn. Gleichrangig waren noch die Obermaschinisten. Diese Männer genossen aufgrund ihrer Fähigkeiten und Erfahrungen meist den ungeteilten Respekt der Besatzung, und ihre Verantwortung war auch erheblich. Auch Haberkorn hatte festgestellt, dass die Unteroffiziere ihre Aufgaben mit Einsatz und Können erfüllten.

Als er wieder in der Zentrale war nahm er wahr, dass die Bordroutine richtig angelaufen war, und die Männer ruhig und konzentriert an ihren Plätzen arbeiteten. Die gefährliche landnahe Zone lag jetzt hinter ihnen und es war zu vermuten, dass sie ab jetzt mit keiner Bedrohung aus der Luft zu rechnen hatten.

„Zeit für das Mittagessen“ sagte der Kommandant, er, Haberkorn und der I WO gingen in die O-Messe.

Der Schmutt hatte aufgebackt, es gab Kartoffeln, Rotkraut und Roulade. Haberkorn war erstaunt, was der Koch in seiner kleinen Kombüse zustande brachte, immerhin hatte er das Essen für fast 50 Männer zuzubereiten. Noch gab es einige frische Lebensmittel an Bord, aber bald würde die Kost vor allem aus Fertigprodukten bestehen. Die Männer wussten, dass sie nach einiger Zeit der Reise dann den Schimmel vom Brot abschneiden mussten, der sich auch auf der Wurst niedergeschlagen hatte. Um dem Vitaminmangel vorzubeugen waren stets größere Mengen an Zitronen an Bord, die auf verschiedenste Arten verzehrt wurden. Manche der Männer bissen einfach in das Fruchtfleisch hinein, andere pressten die Zitronen aus. Auch im Kujambelwasser war Zitrone enthalten. Als abgebackt war tranken die drei Offiziere noch einen Kaffee, dann gingen der Kommandant und Haberkorn wieder in die Zentrale zurück.

„So meine Herren“ sagte der Kommandant „wir halten jetzt mal Kriegsrat. Unser Operationsgebiet liegt im Bereich der Großquadrate BF bis BI. Obersteuermann, zeigen Sie uns das mal auf der Karte. Gut, hier müssen wir also hin. Das sind …“

„Zirka 800 Seemeilen, Herr Kaleun.“

„Nehmen wir mal an, unser Etmal beträgt so um die 200 Meilen, dann müssten wir in 4 Tagen dort sein. Wenn uns unterwegs was vor die Rohre läuft kann es natürlich länger dauern. Aber das wäre mir egal, Hauptsache wir haben mal wieder Erfolg. Diese Pechsträhne muss doch endlich mal vorbei sein!“

Haberkorn verstand den Kommandanten gut. Auf den letzten Reisen hatte es keine Versenkungen gegeben, und diese waren das Maß für die Anerkennung in der U-Bootwaffe. Die in der Anfangszeit des Krieges sensationellen Versenkungserfolge einzelner Boote waren heute nur noch schwer zu wiederholen. Vielmehr hatten die Alliierten schnell dazugelernt, und die Abwehrmaßnahmen waren deutlich stärker geworden. Dem versuchten die Deutschen mit ihrer Rudeltaktik zu begegnen, um die Geleitzüge so mit mehreren Booten gleichzeitig zu bedrängen und um die Abwehr zu zersplittern. Auch Haberkorns Boot sollte sich in einem Suchstreifen mit den anderen bewegen, und sobald ein Geleit entdeckt worden wäre, würden alle dorthin dirigiert werden. Dann käme es darauf an, von verschiedenen Positionen aus die Dampfer anzugreifen. Während des Anmarsches sollten die Boote den Funkverkehr auf das Nötigste beschränken, obwohl sie alle die Enigma an Bord hatten. Haberkorn war in der Seefahrtschule in die grundlegenden Funktionen und den Aufbau dieser Rotor-Schlüsselmaschine eingewiesen worden. Rein technisch verstand er einiges, was aber die kryptographischen Dinge anbetraf tappte er ziemlich im Dunkeln. Was eine polyalphabetische Substitution war begriff er noch, auch dass die sich drehenden Walzen die Grundlage dafür waren. Alles Weitere wäre mehr eine Sache für Günther Weber gewesen, der in Mathematik der Klassenbeste gewesen war. Als das Boot noch in Brest in der Werft lag hatte er Post von ihm bekommen. Sein Schulfreund hatte ihm mitgeteilt, dass er bis Ende Mai noch in der Junkerschule wäre, und dann wieder zur Truppe zurückkehren würde. Haberkorn war über den Tonfall in Webers Brief verwundert gewesen, denn dessen typischer Optimismus klang diesmal nicht durch. Auch Fred Beyer hatte ihm geschrieben. Er berichtete begeistert von dem neuen Panzer, und dass er bereits wieder an der Ostfront wäre. Von ihm trennten Haberkorn jetzt tausende von Kilometern und mit jedem weiteren Tag würde die Entfernung noch zunehmen, denn ihr Operationsgebiet lag dort im Nordatlantik, wo Geleitzuglinien vermutet wurden. Nach der äußerst erfolgreichen Phase des „Unternehmens Paukenschlag“ Anfang des Jahres hatten sich die Amerikaner etwas gefangen und die U-Bootabwehr hatte sich jetzt besser eingespielt. Haberkorn wusste, dass das Überraschungsmoment voll auf Seiten der Deutschen gelegen hatte, und die überwiegende Anzahl der Schiffe mit den Bordkanonen versenkt worden war. Auch sie hatten noch die 8,8 Zentimeter L45 Waffe auf dem Vordeck, aber sie war kaum noch zum Einsatz gekommen. Sollte ein Einzelfahrer ihren Kurs kreuzen wäre es möglich, ihn mit dem Geschütz zu attackieren, bei Geleitzügen mit Bewachern war das vollkommen ausgeschlossen. Eigentlich war das ein weiterer Beleg dafür, dass die Boote bei Weitem noch keine reinen Tauchboote waren, sondern die überwiegende Zeit über Wasser operierten. Das machte sie verwundbar und Haberkorn hoffte, irgendwann auf einen von der Außenluft unabhängigen Boot fahren zu können. Ob sich das erfüllen würde stand nicht fest, jede seiner Feindfahrten konnte die letzte für ihn sein.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 6

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