Читать книгу Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 6 - Frank Hille - Страница 5
Günther Weber, 27. Mai 1942, Junkerschule Bad Tölz
ОглавлениеIn den vergangenen 6 Wochen hatte Günther Weber einige Nervenstärke aufbringen müssen, um mit den täglichen Schikanen fertig zu werden. Es war nicht so, dass man ihn vordergründig besonderem Drill unterwarf oder offensichtlich benachteiligte. Vielmehr waren es kleine Nadelstiche, die ihm zeigen sollten, wer auf der stärkeren Seite stand. Es gab Ausbilder, die ihn weiterhin genauso wie die anderen Junker behandelten, aber auch solche, die versuchten, ihn in den Augen seiner Kameraden lächerlich zu machen. Wahrscheinlich hatte man schnell eingesehen, dass an seiner Physis kaum Angriffspunkte zu finden waren, denn seine Leistungen in der Gelände- und Gefechtsausbildung gaben keinen Anlass, ihm mangelndes Vermögen vorzuwerfen. Also war er insbesondere den wechselnden Ideen des Spieß ausgesetzt, der vorzugsweise den Bettenbau oder die Spindordnung als absolut unmöglich bezeichnete. Weber hatte in dieser Zeit unzählige Male die blauweiß karierte Bettwäsche wieder neu richten müssen, nachdem der Spieß sie wütend auf den Boden geworfen hatte. Besonderes Vergnügen schien der Mann darin zu finden, Webers Spind mit der geöffneten Tür nach vorn zu kippen.
„Ich bringe Ihnen schon noch bei, wie es in dem Spind eines deutschen Soldaten auszusehen hat“ war sein gebrüllter stereotyper Kommentar, wenn die Sachen Webers in der Stube lagen. Dann ging es weiter.
„Das nennen Sie einen sauberen Dienstanzug? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Da ist doch jeder Zulukaffer aus Afrika ordentlicher angezogen! Und die Stiefel! Dreck über Dreck! Einmal die Treppen runter und im Laufschritt wieder hoch. Vielleicht geht da n bisschen von dem Dreck ab. Los, ab!“
Günther Weber lief die 8 Treppen hinunter, und dann stieg er diese schnell wieder hinauf. In der Stube angekommen baute er sich vor dem Stabsscharführer mit pumpenden Lungen auf.
„So Junker Weber“ sagte der Spieß lächelnd „vielleicht lernen Sie durch viele Übung noch, wie man Ordnung hält. Wenn ich mir den Gang vor Ihrem Zimmer ansehe muss ich sagen, dass der schon lange nicht mehr ordentlich gebohnert worden ist. Eine schöne Aufgabe für Sie. In 30 Minuten nehme ich Ihre Arbeit ab.“
Nach diesen Worten verließ er das Zimmer.
„Mann, Günther“ sagte einer der anderen Männer „was hast du dir denn bloß erlaubt, dass die dich so auf dem Kieker haben?“
„Das erzähle ich dir mal nach dem Krieg“ antwortete Weber einsilbig, dann besorgte er sich Reinigungsmaterial und die Bohnerkeule.
Der Gang war bestimmt 50 Meter lang und 3 Meter breit. Weber arbeitete wie ein Automat und schaffte es in der vorgegeben Zeit den Gang zu säubern, zu bohnern und ihm dann mit der Bohnerkeule Glanz zu verleihen. Der Stabsscharführer betrachtete die Fläche schweigend, dann ging er weg.
Zum abendlichen Stubendurchgang begutachtete der UvD das Zimmer der Männer und verließ den Raum, ohne Weber für irgendetwas zu tadeln.
Als sich Anton Naumann am Samstagabend für den Ausgang vorbereitete fühlte Günther Weber Wut in sich aufsteigen. Er legte sich aufs Bett und versuchte etwas zu lesen.
„Mach dir nichts draus Günther“ sagte Naumann „in 2 Tagen ist die Ausbildung beendet. Die Zeit stehst du auch noch durch. Aber ich verstehe dich schon. Hab doch gesehen, wie gut du dich mit der jungen Frau im „Tanzpalast“ verstanden hast. Aber nach der Ausbildung geht es ja sowieso gleich wieder raus an die Front.“
Naumann kam kurz vor Mitternacht zurück. Weber hatte nicht einschlafen können und lag noch wach.
„Ich soll dir was ausrichten“ sagte Naumann leise.
„Ich habe dem Mädel erzählt, dass du aus irgendwelchen Gründen unter Verschiss stehest und deswegen keinen Ausgang bekommst“ erklärte Naumann.
„Sie lässt dir sagen, dass sie dich gern wieder getroffen hätte und hat mir ihre Adresse mitgegeben. Wenn du willst, kannst du ihr mal schreiben, sie würde sich freuen.“
Günther Weber unterdrückte seinen riesigen Ärger über die Schikanen und versuchte einzuschlafen. Natürlich würde er Klara schreiben.
Günther Weber war am 29. Mai 1942 wie die anderen Männer zum SS-Scharführer befördert worden, er war jetzt Unterfeldwebel. Im Regelfall war es so, dass die Soldaten in ihren Stammeinheiten dann relativ schnell zum SS-Untersturmführer aufstiegen, dann hätte er den ersten Offiziersdienstgrad, den eines Leutnants, erreicht. Ob ihm das mehr oder weniger schnell gelingen würde war ihm ziemlich egal, er war froh, diesen Lebensabschnitt in Bad Tölz hinter sich gebracht zu haben. Sein Weltbild hatte keinen Knacks bekommen, aber er war immer noch angewidert, wie sich der Kompaniechef benommen hatte. Trotz der Schikanen und Demütigungen hatte Günther Weber sein militärisches Wissen ausbauen können und er hatte das Fehlverhalten des Offiziers, und die eigentliche Ausbildung, streng getrennt betrachtet. Er hatte seinen Marschbefehl erhalten und würde seine Einheit in der Nähe von Wjasma/Brjansk finden, wo sich russische Einheiten in einem Kessel befanden. Die Bahnreise sollte drei Tage dauern, er würde also Anfang Juni wieder zu seinen Kameraden stoßen.