Читать книгу Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 6 - Frank Hille - Страница 8
Martin Haberkorn, 29. Mai 1942, Atlantik
ОглавлениеDas Wetter hatte es mit der Besatzung gut gemeint. Die See war relativ ruhig, aber es war diesig, die Wolkendecke hing sehr tief und es regnete ununterbrochen. Diese Bedingungen schlossen den Einsatz von Flugzeugen mit großer Sicherheit aus, aber auf der anderen Seite war die Sicht für die Brückenwache auch schlecht. Der Kommandant ließ das Boot trotz des Regens mit offenem Turmluk fahren.
„Man kann nicht vorsichtig genug sein“ hatte er gesagt „falls ein Kolcher aus dieser Suppe auftaucht ist es besser schnell tauchen zu können. Die Wolkenuntergrenze liegt bei gerade mal 200 Metern, da würde sich nur ein verrückt gewordener Bruchpilot trauen zu fliegen. Selbstmörder sind unsere Herren Gegner aber sicher nicht. Wobei, wenn ich an die Aktion mit der Campbeltown denke, kann man schon zu anderen Schlüssen kommen. Einfach verrückt, diesen alten Schlitten mit Sprengstoff vollzupacken und dann in das südliche Schleusentor in St. Nazaire zu rammen. Was ich nie begreifen werde ist der Fakt, dass die Feuerwerker den Zerstörer untersucht hatten, aber den Sprengstoff nicht finden können. Na gut, waren eben Leute vom Heer, die sich auf Schiffen nicht so auskennen. Als das Zeug dann hoch ging flogen mehr als 250 Neugierige mit in die Luft. Ende März haben die Tommys zugeschlagen und ich vermute mal, dass das Normandie Dock wohl für lange Zeit nicht mehr nutzbar sein wird. Großkampfschiffe können wir also dort momentan nicht reparieren. Und die Bismarck ist schon vor einem Jahr abgetakelt worden, es ging jetzt sicher darum, der Tirpitz den Weg in den Atlantik zu versperren, da sie im Falle von Beschädigungen nur in St. Nazaire repariert werden könnte, denn die Passage durch den Ärmelkanal wäre Selbstmord. Tja, unsere Seekriegsführung hat da wohl mit den Überwasserstreitkräften so n paar Probleme. Müssen wir halt ran. Obersteuermann, wo stehen wir jetzt?“
„Knapp 300 Meilen vor dem Operationsgebiet.“
„Hm, wer wird noch mit dabei sein?“
„Hühndorf, Weber, Baumann, Krüger II, Langhagen, Sander, Jung und Friedrich.“
„Gut, alles erfahrene Männer und keine hirnlosen Draufgänger. Das kann was werden. Hat schon einer Kontakt gehabt?“
„Nein.“
„Jetzt kommt es darauf an, dass alle ihre zugewiesenen Positionen richtig einhalten und wir einen ordentlichen Suchstreifen bilden.“
Martin Haberkorn sprach mit dem Zentralemaat, alles war in Ordnung, er würde sich für ein paar Stunden ins Bett legen und versuchen auf Vorrat zu schlafen. Das Boot befand sich in einem Gebiet, welches die Alliierten nicht mit Flugzeugen überwachen konnten und deswegen war er auch unbesorgt und schlief schnell ein. Als er wieder in die Zentrale ging war es dort ruhig, der Obersteuermann koppelte den Kurs mit und der Zentralemaat wuselte zwischen den Aggregaten hin und her. Am Tannenbaum schien ein Handrad zu klemmen, und mit einem Schraubenschlüssel und einen paar Tropfen aus einem Ölkännchen gelang es dem Mann, es wieder gängig zu bekommen. Er schaute Haberkorn zutulich grinsend an und polierte mit einem Läppchen das Glas des Tiefenmessers. Er schien mit seinem Werk zufrieden zu sein, denn er rieb sich danach die Hände an einem Stück Twist ausgiebig sauber. Dann breitete er die Arme aus, so, als wollte ein Hofmarschall seinem Fürsten bedeuten, dass in seinem Haus alles in bester Ordnung wäre. Haberkorn nickte ihm freundlich zu und ging in den Dieselraum. Es zog ihn immer wieder einmal dorthin, die schiere Kraft der beiden MAN Maschinen, die mit ihren jeweils 6 Zylindern mit Aufladung bis zu 1.600 PS entwickelten, begeisterte ihn immer noch. Allein die Vorstellung, dass hier eine Leistung zur Verfügung stand, die der von unzähligen Traktoren- oder LKW-Motoren entsprach fand seine Hochachtung vor den Konstrukteuren und Mechanikern dieser Maschinen. Die ölglänzenden Kipphebel bewegten sich wie eine Welle auf und ab. Dass diese beiden Aggregate über Stunden, ja Tage, ununterbrochen und störungsfrei liefen, erschien ihm immer noch unbegreiflich. Dennoch wusste er sehr wohl, welch ein Aufwand in den Dieseln steckte und wie viele Teile reibungslos ineinander spielen mussten. Haberkorn brüllte dem Obermaschinisten ins Ohr:
„Alles in Ordnung?“
„Ja, Herr Leutnant. Läuft wie geschmiert.“
„Es gab doch kleine Probleme mit dem Schmieröldruck?“
„Haben die Pumpe gereinigt, alles wieder in Ordnung.“
Haberkorn ging langsam durch das Boot zurück Richtung Zentrale. Nach den lärmenden Dieseln kam ihm der saubere E-Maschinenraum wie eine sterile Maschinenhalle vor. Er durchquerte die Unterkunftsräume und setzte sich in der O-Messe an die Back. Der Schmutt hatte dort eine Kanne Kaffee abgestellt und Haberkorn trank eine Tasse. Der wachfreie I WO hatte sich in eine Ecke des Sofas gequetscht und las in einem Groschenroman, der Kommandant musste in seinem Schapp sein. Haberkorn konnte den Titel des Heftes erkennen: „Showdown im Tal des Todes“. Der I WO war ganz in die Lektüre versunken, erst als sich Haberkorn räusperte, schaute er kurz hoch, um dann gleich wieder weiterzulesen. Warum interessieren wir Männer uns immer irgendwie für Waffen und Gewalt dachte er sich, aber er wusste, dass es sich niemand erlauben konnte, etwas Geistvolleres zu lesen, man würde sofort hämisch über ihn herziehen. Besonders im Bugraum herrschte ein rauer Ton, kein Wunder, dort hauste der überwiegende Teil der Besatzung, und zartbesaitete Naturen hatten dort ihre Probleme. Es war auch ganz klar eine Geste der Verdrängung von Ängsten, sich kaltschnäuzig und abgebrüht zu geben und den furchtlosen Krieger zu markieren. Natürlich wussten die Männer im Bugraum, dass sie die schlechtesten Karten hatten, im Falle eines Falles aus dem Boot herauszukommen. Haberkorn hatte es bei Wasserbombenverfolgungen oft erlebt, dass sich die Zentrale dann mit Männern füllte, deren Platz eigentlich nicht dort war. Meist reichte ein Anraunzer der Nummer Eins, die Männer dort wegzuscheuchen, aber auch in dieser Hinsicht gab es Privilegien an Bord, die aus den verschiedenen Funktionen resultierten. Dass er sich dort aufhalten musste war klar, er zählte zur Führungscrew des Bootes. Stolz durchzog ihn, schon als junger Mann soweit gekommen zu sein. Wie seine Karriere weiterging war ihm momentan egal, seine Funktion hier an Bord war für ihn genau richtig.