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Widerwärtige Kreaturen

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»Multiple exclamation marks are a sure sign of a di­seased mind. Wall!!!!!«

Donald J. Trump

»Fünf Ausrufezeichen sind ein sichährähr Hinweis auf geissige Umnach-Übernachtung!!!!!«

Til Schweigähr

Widerwillig humpelte der Alte zu dem Schuppen hinter seinem Haus. Seit einigen Wochen schmerzte sein Fuß aus unerfindlichen Gründen. Seine Motivation, an die­sem Nachmittag Gartenarbeiten zu erledigen, hielt sich stark in Grenzen. Aber es war allerhöchste Zeit, die He­cke zu schneiden. Zumindest behauptete seine Frau das.

Mühsam öffnete er die Schuppentür und entnahm eine mittelgroße Heckenschere. Nein, er hatte wirklich keine Lust auf diese lästige Arbeit. Der Hauptgrund für sei­nen Widerwillen lag allerdings nicht in seiner Faulheit begründet, sondern in seinen neuen Nachbarn, für die das Belästigen, Beobachten, Beschimpfen, Bespucken, Bestehlen und Bewerfen anderer Leute die primäre Freizeit­beschäftigung war. »Zufälligerweise« befanden sich diese widerlichen Leute an diesem Nachmittag ebenfalls in ihrem Garten, in unmittelbarer Nähe zu sei­ner Hecke.

Als er langsam zu den Sträuchern ging, nahm er bereits die kleinen Drecksäcke und deren Drecksköter wahr. Und deren hämisches Lachen, dass sich regelmäßig mit dem Gebell ihrer verhaltensgestörten Töle abwechselte. Generell hatte der Alte nichts gegen Hunde, er besaß viele Jahre lang eigene. Für ihn waren sie bemerkens­werte Tiere, die wie niemand sonst in der Lage waren, das Verhalten ihrer Besitzer zu assimilieren. Anständige und zurechnungsfähige Hundebesitzer hatten anständi­ge und zurechnungsfähige Hunde. Nervtötende und geisteskranke Hundebesitzer hatten … blöde Mistvie­cher.

Und natürlich mussten Hunde bisweilen bellen, andern­falls wären sie keine Hunde mehr, sondern extrem häss­liche und dumme Katzen! Jedoch gab es genau zwei Arten von Gebell: Es gab zum einen kurzes, notwendi­ges Hundegebell, das der Kommunikation mit der Au­ßenwelt diente, um beispielsweise Hunger, Durst oder Angst zu signalisieren. Und es gab das pausenlose Ge­kläffe, das signalisieren sollte, dass der Hund entweder starke Schmerzen hatte, psychische Probleme oder von seinen Besitzern zum permanenten Bellen gereizt wur­de. Die Laute von dem Tier dieser »Nachbarn« waren der zweiten Kategorie zuzuordnen …

Nun gab es also für den Alten kein Entkommen mehr. Er stand an der Hecke und begann, sie trotz des uner­träglichen Lärms auf der anderen Seite zu schneiden. Er erinnerte sich an einen kurzen Streit, den er mit seiner Frau am Morgen hatte. Zum wiederholten Male ging es um das gleiche Thema: Auch sie hatte ihre Probleme mit diesen niveaulosen »Nachbarn« und wie immer wa­ren sie sich über den Umgang mit diesen schreckli­chen »Personen« uneinig. ER versuchte, IHR klarzu­machen, dass er mit seiner sprachlichen Eloquenz durchaus in der Lage sei, mit diesen »Typen« fertigzu­werden. Schließlich habe er einst als zwölfjähriger Jun­ge mit seinen Worten seinen neunjährigen Bruder zum Weinen gebracht … SIE versuchte, IHM klarzumachen, dass sie die Belästigungen dieser »Leute« nicht hinneh­men müssen, denn für solche Probleme gab es die Dorfmiliz, Anwälte und andere Lösungen …

Seine Gedanken befanden sich nun wieder in der Reali­tät und in seiner Schläfe hämmerte es aufgrund der Pö­beleien in seiner unmittelbaren Umgebung.

»Na, Herr Käfeviel, haft du wieder fuviel Käfe gegef­fen? Hehehehe …«

»Du bift scheiffe!«

»Wuff-Wuff-Wuff-Wuff-Wuff-Wuff-Yeek-Yeek-Yeek-Wuff-Wuff-Wuff-Wuff-Wuff-Wuff …«

»Ihr seid … -äh- … Pfeifen … auch!«, erwiderte der Alte, der das Wort »scheiffe« falsch interpretierte.

* * *

Ein beliebtes Mittel, um sich vor pöbelnden Nachbarn zu schützen, waren Beleidigungs-Homunkuli. Wenn man diese Wesen, die weder schlafen noch essen muss­ten, und nur (eigene) verbale Entgleisun­gen als Lebens­grundlage benötigten, in einem Käfig in der Nähe des Gartenzaunes verbrachte, konnte man sich gut gegen aggressive Nachbarn wehren. Warum soll man auch selbst auf das Gekeife anderer Leute reagieren, wenn man diese Tätigkeit auch outsourcen kann?

Zu den Opfern nachbarlicher Bosheit gehörte das ältere Ehepaar Käseviel, dass sich gegen ihre neu hinzugezo­genen Nachbarn, ein deutlich jüngeres Giftzwerge 7 -Paar, verteidigen musste.

Giftzwerge. Sie gehörten zu den übelsten Launen der Natur. Trotz ihres Namens waren diese reptilienartigen Wesen eher mit den Gnomen als den Zwergen ver­wandt. Den meisten Menschen reichten sie nur bis zu den Knien, aber ihre mangelnde Körpergröße machten sie durch ihre Lautstärke und ihren schlechten Charak­ter wett.

Insgeheim beneideten sie ihre »Möchtegern«-Verwandten, die zumeist doppelt so großen Zwerge: Zwerge wurden allerorts geachtet und respektiert, Giftzwerge jedoch nicht! Die Gründe dafür konnten die Giftzwerge nie verstehen und das anfängliche Misstrauen gegen­über anderen Rassen verwandelte sich schnell in Hass!

Um ihren Vorbildern, den Zwergen, so ähnlich wie möglich zu sein, trugen Giftzwerge ähnliche Ketten­hemden und Helme wie sie, allerdings sahen sie mit ihren klit­zekleinen Kampfäxten eher lächerlich als furchteinflö­ßend aus. Die Ponys der Zwerge trugen edle Rüstun­gen, ebenso wie die Kampfdackel 8 , auf denen die Gift­zwerge ritten. Zwerge hatten rosige Wangen, auf denen dichte Bärte wuchsen. Giftzwerge waren haarlos auf ihren schuppigen, grünen Häuten.

So wie alle unbe- und ungeliebten Wesen neigten sie dazu, ein übertriebenes Selbstbewusstsein zu entwi­ckeln und den Wunsch, sich ständig in den Vordergrund drängen zu müssen. Sowie laute und nervige Stimmen. Sie waren besessen davon, sich anderen Rassen gegen­über »beweisen« zu müssen, allerdings begriffen sie nicht, dass man dies auch mit »Freundlichkeit« und »Rück­sichtnahme« erreichen kann. Ihre Hütten und Grundstü­cke waren nur geringfügig kleiner als die der Men­schen, oft waren sie sogar noch größer, aber niemand wollte Giftzwerge in seiner Nachbarschaft haben, denn die Menschen waren nur die zweitintolerantesten We­sen, die von der Schöpfung hervorgebracht wurden …

Der teilweise verschuldete, teilweise unverschuldete Hass gegenüber anderen Rassen, der sich über die Jahrhunderte immer weiter verstärkte, sorgte dafür, dass Giftzwerge nur in der Umgebung von anderen Gift­zwergen leben konnten. Für sie war es demnach üblich, Menschen in ihrem Umfeld zu vertreiben. Teilweise mit unanständigen und unangebrachten Pöbeleien, teilweise benutzen sie härtere Methoden. Lange hielt es niemand in ihrer Nähe aus. Die Leute zogen weg, die Giftzwerge zogen in deren Behausungen ein und so entstanden nach und nach immer mehr von Giftzwergen besetzte Gebiete; sie breiteten sich schneller aus als Giftpilze auf einem von Untoten verseuchten Waldfriedhof bei Regen. Im Herbst.

Oh, und sie hatten Giftzähne und konnten mit ihren Bissen einen ausgewachsenen Menschen problemlos für mehrere Stunden ins Reich der Träume bringen …

Seit einigen Monaten hatten nun Herr und Frau Käse­viel das Pech, neben derartigen Giftzwergen leben zu müssen. Heidi, Hogro und der bestellte Beleidigungs-Homunkulus waren inzwischen bei ihnen angekom­men. Im Grunde konnten sie das Haus, das sich abseits des Dorfes und nahe des Mittwaldes befand, auch nicht verfehlen, bereits von weitem hörte man die kleinen Plagegeister und den genervten Herrn Käseviel …

»IHR TYPEN HABT SCHON WIEDER EUREN MÜLL ÜBER UNSEREN ZAUN GEWORFEN!«

»Daf ift nicht unfer Müll, daf ift euer ftinkender Müll 9

»Müll ift scheiffe!«

»Yeek-Eek-Grrrrr …«

… Allerdings war sich Heidi nicht sicher, ob der kleine Käfigbewohner, den sie mitbrachte, noch richtig funktio­nierte. In den letzten zehn Minuten vernahm sie keinen einzigen Laut aus seinem Käfig. Weder sein an­dauerndes Gefluche noch die Beleidigungen, mit denen er so gut wie jeden gesprochenen Satz »aufwertete«. Regungslos saß er im Schneidersitz und reagierte nicht auf die äußeren Eindrücke beziehungsweise einfältigen Ausdrücke, die er und die Kinder vernehmen mussten. Vielleicht war er beschädigt worden, als sie mit ihm pa­nisch aus dem Wald liefen und er in seinem tragbaren Domizil durchgeschüttelt wurde? Oder war er vielleicht nur konzentriert und musste sich auf die neue Aufgabe vorbereiten? Heidi wusste es nicht und sie musste seine Funktionsfähigkeit unbedingt überprüfen. Sie wollte den Käseviels, die vom Leben genug bestraft worden sind, nicht auch noch wertlosen, defekten Plunder an­drehen. Zunächst aber bat sie Frau Käseviel, die am Eingang ihres Hauses stand, den Käfig zu halten, während sie tief in der Tasche ihres Kleidchens kramte. Herr Käseviel befand sich nahe einer zur Hälfte zurechtgestutzten Hecke und schäumte vor Wut.

»WERRRDET IHR WOHL RUHIG SEIN!«

»… Hehehe, Herr Käfeviel, wir können in meinen-unferen-meinen Garten machen, waf wir wollen!«

»Mir ift langweilig!«

»Wuff-Wuff-Wuff-Wuff-Ruff-Wuff-Ruff!«

Der Lärm wurde nun auch für die Kinder und die ältere Frau zu viel und sie mussten ins Haus gehen, während Herr Käseviel weiterhin von den Giftzwergen bei seiner Gartenarbeit gestört wurde.

Im Hausflur angekommen, nahm Heidi den grünen Klumpen einer wabbeligen, gummiartigen Substanz aus ihrer Tasche und klebte ihn an die obere Stirnseite des Käfigs. Während der Beleidigungs-Homunkulus ehr­furchtsvoll den Klumpen anstarrte, sprach Heidi Worte, die sie für ihren Großvater auswendig lernen musste: »Mit diesem magischen Siegel 10 wird nun sicherge­stellt, dass du von nun an weder deine Besitzer noch ih­nen nahestehlende Personen beleidigen wirst. Sonst wirst du in die ›Hölle des ewigen deutschsprachligen Sprechgezanks‹ verbannt. Von nun an wird deine Auf­gabe sein, jedwedigen Ärger von deinen Besitzern nach besten -äh- Witzen und Gewissen wegzunehmen. Hast du das verstanden?« (Heidi konnte sich in ihrer Aufre­gung nur schwer an den genauen Wortlaut erinnern. Ja, vielleicht hatte sie auch nicht jede einzelne kleine Silbe perfekt wiedergegeben, aber grundsätzlich hatte sie al­les wichtige gesagt und nur darauf kam es an …)

»Aber dich kann ich noch beleidigen, du kleine Kack­bratze?«, frug der Beleidigungs-Homunkulus vorsich­tig.

»Hogro!«, warf Hogro ein.

Sowohl die Kinder als auch Frau Käseviel mussten ei­nen Testlauf mit dieser Neuerwerbung durchführen. Heidi hatte noch nie einen Beleidigungs-Homunkulus in Aktion gesehen beziehungsweise gehört, abgesehen natürlich von den Beleidigungen, die sie auf dem Weg zu den Käseviels ertragen musste. Auch konnte sie sich nur schwer vorstellen, inwiefern diese kleine Kreatur den Käseviels im Umgang mit diesen abscheulichen … anderen kleinen Kreaturen helfen soll.

Die Kinder verließen das Haus und gingen mit dem Beleidigungs-Homunkulus wieder zu Herrn Käseviel, Frau Käseviel folgte ihnen langsam mit ihrem Gehstock.

»Na, du haft dir wohl Verftärkung geholt, du alter Fack!«, rief der erste Giftzwerg, der auf seinem Kampf­dackel auf seinem Rasen hin und her ritt. Und immer, wenn er nicht gerade hin und her ritt, ritt er her und hin, manchmal ließ er den Kampfdackel über kleine Steine oder herumliegende Äste springen. Ein kleiner Helm zierte den kleinen Kopf des Giftzwerges und sowohl der Giftzwerg als auch sein Reittier trugen schwere Kampfrüstungen. In den wenigen Momenten, in denen das geschundene Tier für kurze Zeit still war, bekam es einen Hieb mit einer improvisierten Peitsche. Sie be­stand an sich nur aus einem kurzen Ast, der an einem Ende mit den Ranken einer Dornenpflanze umwickelt worden war, aber für den Giftzwerg war sie sein ganzer Stolz.

Als der zweite Giftzwerg die Kinder bemerkte, frug er laut: »Feid ihr daf A‑Team?«. Er war ein etwas dickli­cheres, aber auch etwas kleineres Exemplar im Ver­gleich zu seinem Partner. Dieser Giftzwerg lag dümm­lich in einer kleinen Hängematte, die zwischen zwei Tomatensträuchern befestigt war. (Zumindest sahen sie aufgrund ihrer gezackten Blattränder wie abgeerntete Tomatenpflanzen aus …) Er trug im Gegensatz zu sei­nem Kollegen keine Rüstung, sondern nur ein schmud­deliges Unterhemd, Boxershorts und Sandalen. Die Worte »TOXIC DWARF AND PROUD OF IT!!!!!« zierten seinen linken Arm in Form eines Tattoos. Auf seinem Bauch lagen sorgfältig drapiert mehrere gebra­tene Hühnerteile; Chicken Wings waren die Leib­speise der Giftzwerge. Neben der Hängematte lag ein Eimer mit weiteren Geflügelstückchen, aus dem sich der kleine Pöbler regelmäßig Nachschub holte.

»Wuff-Wuff-Wuff-Ruff-Yeek-Wuff!«, bellte der Kampfdackel mit einem leicht debilen Gesichtsaus­druck.

»Denaj ’, haft du nicht immer gefagt, daff alte Men­schen für unf alle eine Erinnerung daran find, daff allef im Leben endlich ift und man feine Feit im Hier und Jetft geniefen muff, folange fie einem beschieden ift.«

»Ja, ich weiff.«

»Haft du nicht ferner die Thefe aufgeftellt, daff in jeden alten Menschen ein junger Mensch steckt, der aufgege­ben hat?«

»Ja, ich weiff. Alte Menschen find scheiffe.«

»Wuff-Ruff-Barf-Wuff-Wuff-Yeek-Wuff!«

Während die beiden Giftzwerge lautstark miteinander plauderten und gleichzeitig Herrn Käseviel beleidigten, deutete Frau Käseviel auf einen Befestigungshaken an der Hauswand, an dem früher ein Vogelhaus hing. Hei­di stellte sich auf ihre Zehenspitzen, befestigte den Kä­fig mit dem Beleidigungs-Homunkulus an ihm und harrte der Dinge, die nun folgen werden. In dieser Posi­tion konnte der Beleidigungs-Homunkulus perfekt den angrenzenden Garten der Giftzwerge überblicken. Und auch die Giftzwerge bemerkten ihn.

»Waf bift du denn für einer? Haben fich die Käfevielf jetft wieder ein kleinef Vögelchen angeschafft? Ef wird unf eine Freude fein, dich fu freffen!« (Aus verständli­chen Gründen war es verboten, Beleidigungs-Homun­kuli an Giftzwerge zu verkaufen, sodass die meisten von ihnen nichts von diesen nützlichen Beleidigungs­hilfsmitteln wussten.)

»Vögelchen ift scheiffe!«

»Wuff-Wuff-Ruff-Wuff-Yeek-Yeek!«

Dem Beleidigungs-Homunkulus ließen diese Provoka­tionen kalt, er sagte lediglich : »Tweet. Tweet. Ich grüße euch, ihr … Einen kleinen Moment bitte!«

Nun sahen alle Anwesenden etwas Erstaunliches: Wie aus dem Nichts holte der Beleidigungs-Homunkulus ein winziges Büchlein hervor. Befand es sich die ganze Zeit unbemerkt im Käfig? Hat er es irgendwie hervor­gezaubert? Zog er es aus einer Körperöffnung? Heidi nahm sich fest vor, bei nächster Gelegenheit mit dem Großvater darüber zu sprechen.

Zügig blätterte der Beleidigungs-Homunkulus in sei­nem Buch und murmelte: »Gaffer, Gammler, Garten­verwüster, Gassenläufer, Gast, Gelbfleckenolm, Gemü­sedieb, Germane, Gierschlund, … Ah, ihr müsst Gift­zwerge sein! Und ihr … ah … also das ist interes­sant …«

Er machte eine kurze Pause, um die Spannung zu erhö­hen.

»WAF IFT INTEREFFANT?«

»Intereffantef Feug ift scheiffe!«

»Ruff-Ruff-Wuff!«

»In dem Buch ›Arnulf Altmanns Auflistung aller abson­derlichen Arten‹ steht, dass ihr Giftzwerge nicht nur abstoßende, selten dämliche, kleine Mistkerle seid, son­dern auch, dass ihr … Also DAS ist wirklich bemer­kenswert …«

»WAF?«, frug der erste Giftzwerg erneut.

»Ich will den da, der if’ nett!«, bemerkte der zweite Giftzwerg und deutete auf den Beleidigungs-Homunku­lus mit einer Hühnerkeule, die er in seiner Hand hielt.

»Wuff-Wuff-Wuff-Wuff-Wuff-Wuff-Wuff-Wuff!«, kläffte der Kampfdackel.

»Hier steht, dass Giftzwerge, genauso wie einige Froscharten, spontan ihr Geschlecht wechseln können und dass ihr …«

Der Beleidigungs-Homunkulus machte eine kurze Pau­se. Nachdenklich schaute zuerst zu dem ersten Gift­zwerg hinunter und nach einer Weile musterte er den zweiten. Dann wieder den ersten. Dann ein weiteres Mal den zweiten.

»Äh, eine kurze Frage möge mir gestattet sein, wenn es nicht zu indiskret ist. Ihr müsst meine Neugier verste­hen … Äh, wer von euch ist das Weibchen und wer ist das Männchen? Oder lebt ihr in einer gleichgeschlecht­lichen Beziehung? Oder wechselt ihr euer Geschlecht so, wie es euch gerade in den Kram passt?«

Diese Äußerung erboste die beiden Giftzwerge aus unerfindlichen Gründen .

»Fie ift daf Weibchen!«

»Nein, fie ift daf beschiffene Weibchen!«

»Yeek-Yeek-Wuff-Ruff-Wuff!«

In seiner Empörung warf der zweite Giftzwerg eine halb abgenagte Hähnchenkeule gegen den Käfig des Beleidigungs-Homunkulus. Das war ein großer Fehler: Die Keule verhakte sich zwischen den Gitterstäben. Unbeeindruckt, aber sehr mühevoll, zog der Beleidi­gungs-Homunkulus den Hühnerknochen in seine Be­hausung.

Was nun geschah, verwunderte Heidi fast noch mehr als das vorherige Hervorzaubern eines Buches: Kunst­fertig hantierte der kleine Kerl mit seinen ebenso klei­nen Krallenhänden an dem Knochen herum. Seine Be­wegungen waren dermaßen flink, dass sie das mensch­liche Auge nicht mehr erfassen konnte. Nach nur ein paar Sekunden hielt er etwas in seinen Händen, das ent­fernt an eine Blockflöte erinnerte.

»Willft du unf jetft die Flötentöne beibringen oder waf, hehehehe?«

»Daf Vögelchen macht mir Angft!«

»Wuff? Grrrrrrrr…«

Der Beleidigungs-Homunkulus schenkte den Giftzwer­gen allerdings keine Beachtung und blies in seine »Flö­te«. Nichts war zu hören. Nichts passierte.

»Daf war wohl nichtf!«

»Daf Dingenf ift scheiffe!«

»Wuff? Ruff?«

Der Kampfdackel blieb verwirrt stehen und schaute fragend in alle Richtungen.

»Tut mir leid, ich muss das Teil wohl noch justieren«, entschuldigte sich der Beleidigungs-Homunkulus, wäh­rend er noch etwas an seiner improvisierten Hundepfei­fe herum fummelte und anschließend kraftvoll in selbi­ge hinein blies .

Augenblicklich bäumte sich der Kampfdackel auf und warf seinen Reiter ab. Der Giftzwerg krächzte laut und überschlug sich mehrmals. Sein Helm fiel in den Komposthaufen, die Peitsche in einen versifften Regenwasserkübel, die untere Körperhälfte landete in einem al­genverseuchten Gartenteich, sein Kopf knallte gegen einen Dekorationsstein und brachte den pöbelnden Zwerg auf direktem Wege ins Traumland, wo er für mehrere Tage verweilte. Ein Giftzahn brach ab.

Von dem pausenlos bellenden Kampfdackel hörte man nur noch ein entspanntes Schnaufen. Er reckte und streckte sich kurz, stupste den leblos am Boden liegen­den Giftzwerg mit seiner Schnauze an, schob behutsam mit selbiger eine Nacktschnecke in sein Nasenloch, leckte etwas Blut aus dem Gesicht seines Besitzers, streckte und reckte sich erneut, tappte mit seinen kurz­en Beinchen langsam zu einer Öffnung im Gartenzaun, quetschte vorsichtig seinen kleinen Körper durch sie hindurch und lief zügig davon.

Und auch Frau Käseviel und die Kinder verließen die Szenerie, die Kinder hatten es eilig und recht schnell (wie so viele Kids in dem Alter) wieder das Interesse an dieser praktischen Novität in Gestalt des Beleidigungs-Homunkulus verloren. Heidi winkte ihm noch kurz zu, er streckte ihr scherzhaft seine gespaltene Zunge entge­gen und sie ging desinteressiert weiter. Hogro hüpfe auf dem Rasen einem Zitronenfalter hinterher.

Herr Käseviel indes war fast fertig mit dem Stutzen der Hecke. Der Beleidigungs-Homunkulus war durchaus eine Entlastung für ihn, aber er war noch nicht gänzlich von diesem neumodischen Dingens überzeugt. Ein Blitzableiter für Pöbeleien! Was werden sie wohl als Nächstes erfinden? Ein Gerät, das vollautomatisch den Rasen mäht, sodass er seine gute alte Sichel nicht mehr bräuchte? Er wollte von dem Gold, dass seine Frau für den Käfigheini ausgab ja für etwas Sinnvolleres ver­wenden. Eine Armbrust zum Beispiel.

Hilflos schaute der verbliebene Giftzwerg zu seinem Partner. Sollte er jetzt aus seiner Hängematte aufstehen und ihm helfen? Oder soll er weiterhin in seiner Hänge­matte und an den leckeren, gebratenen Hühnerteilen nagen? Die Antwort auf diese Fragen überstieg seinen Horizont. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den Beleidigungs-Homunkulus an.

»Nu’ sind nur noch wir zwei übrig. Du armer, armer … Giftzwerg bist ganz allein! Ohne Freund/Freundin, der/die dir beistehen kann. Was sollen wir nur mit dir tun?«

»Du bift ein böfef Vögelchen!«

»Hey! Vielleicht kann uns mein schlaues Buch weiter­helfen!« Der Beleidigungs-Homunkulus blätterte wie­der zu der Stelle, in der alles Wissenswerte über Gift­zwerge erläutert wurde.

»Hmmm. Also das kann ich nicht glauben: Hier steht, dass das Gift von euch Sülznasen dermaßen stark ist, dass ihr euch sogar selbst vergiften könnt, solltet ihr … euch … beispielsweise … versehentlich … selbst … in die Zunge beißen. Aus diesem Grund vermeidet ihr so­gar die Artikulation von scharfen S-Lauten.«

»Häh?«

»In dem Buch wird behauptet, dass ihr nicht einmal einfache Zungenbrecher wie ›Zwischen zwei zankenden Zyklopen zappeln zweiundzwanzig zwanghafte Zau­berer‹ aussprechen könnt!«

»Kann ich wohl: Fzfwischen fzwei fzankenen … Oh, ZUCK!«

Der Giftzwerg fiel aus der Hängematte und landete bäuchlings auf seinen abgenagten Hühnerknochen. Sein Körper zuckte unwillkürlich, dabei sprach er wirres Zeug mit fremden Zungen von verwandten Seelen aus fernen Welten und achtete nicht auf seine Artikulation, sodass er mit jedem neuen S-Laut eine weitere Giftdo­sis in seinen Körper pumpte:

»NOCH EINE BACARDI-COLA! ES IST HART, DER EINZIGE SCHWULE IM DORF ZU SEIN! HALT DIE FRESSE! OH MANN, ICH LIEBE KUCHEN! WIR SIND LADIES! HALLO DARLING! ABER JA ABER NEIN ABER JA ABER NEIN ABER...ZZZZZZZZZ...«

… Bis auch er tief und fest einschlummerte. Der Belei­digungs-Homunkulus grinste zufrieden und schaute freudig zu Herrn Käseviel, der ihm mit einem leichten Nicken seine Dankbarkeit zeigte.

»Äh, ich kann auch Nacktschnecken von der Haustür abwimmeln und Vertreter vom Salat fernhalten!«

Der Alte schaute noch ein letztes Mal über den Garten­zaun. Vielleicht war die Anschaffung eines Beleidi­gungs-Homunkulus doch keine sooo üble Idee gewe­sen …

7Die Rasse der Giftzwerge entstand aus der unheiligen Verbindung der Schlangengöttin Zaphira mit dem Gnom Geyli Suff­bold.

8Kampfdackel waren etwas größer und robuster als gewöhnli­che Rauhaardackel. Sie hielten sich ihren Artgenossen gegen­über für überlegen, da sie ihren Besitzern als Reittier dienen konnten und ihnen im Krieg gegen alle Nicht-Giftzwerge treu zur Seite standen, während die meisten anderen Dackel nur ihre Zeit verschwendeten, indem sie freudig im Gras herum­tollten, sich gegenseitig am Hinterteil beschnupperten und viel Spaß hatten. Aber umgekehrt hielten sich die Dackel gegenüber den Kampfdackeln ebenfalls für überlegen – und zwar aus genau denselben Gründen. (Der Tierforscher Dou­glas Adams würde vermutlich anmerken, dass sich Kampfda­ckel zu Dackel verhalten wie Menschen zu Delphinen …)

9Der Müllhaufen bestand aus einem abgewetzten Kampfda­ckelzaumzeug, leeren Hundefutterdosen, mehreren leeren Fläschchen des bei Giftzwergen beliebten Schuppenpflegemit­tels »Head & Shoulders & Body«, einem alten Giftzahnschär­fer sowie mehreren abgelaufenen Gutscheinen von KFC.

10Es war ein alter Kaugummi, aber das wussten weder Heidi noch der Beleidigungs-Homunkulus.

Der Nekromant und das Mädchen

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