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Bei der Kräuterhexe
Оглавление»Bist 900 Jahre, wirst aussehen du nicht gut.«
Lady Galadriel
Nachdem die Kinder noch ein Pergament mit letzten Pflegehinweisen und eine Garantiekarte an Frau Käseviel übergeben hatten, erhielten sie als Entlohnung einen Goldbeutel und jeder von ihnen bekam ein gekochtes Ei als Wegzehrung. Es war bereits spät am Nachmittag und Heidi wusste nicht, ob sie es bis zur Abenddämmerung zum Großvater schaffen würde. Frau Käseviel schlug vor, dass die beiden Kinder bei Hogros Großmutter übernachten könnten, wenn sie sich beeilten, dann würden sie ihre (etwas näher gelegene) Hexenhütte gerade noch rechtzeitig erreichen. Außerdem sei dieser Bereich des Waldes wesentlich sicherer, da sich Hogros Großmütterchen bereits vor Jahren um die Unholde in ihrer Waldhälfte gekümmert hatte.
»Hoppele hurtig zur Großmutter, Hogro!«, forderte Frau Käseviel den freundlichen Halbling auf.
Um seiner Zustimmung Ausdruck zu verleihen, sagte Hogro: »Hogro.«
Die beiden Kinder gingen also zügig den Waldweg zurück und benutzten dabei die Abzweigung, die zu Hogros Großmutter führte. Heidi war sehr gespannt auf ihre erste Begegnung mit der Kräuterhexe. Während ihr Großvater von den Dorfbewohnern sowohl respektiert als auch gefürchtet wurde, war die alte Blogunde eine Person, mit der man nach Möglichkeit keinen näheren Kontakt haben wollte. Manche behaupteten, sie sei die Geliebte des Dämonengottes Mbhkpdbs 11 . Andere vermuteten, dass sie nur eine gute Freundin von ihm sei. Vielleicht war sie auch seine Schwester in Hobbitgestalt. Dann gab es noch diejenigen, die vermuteten, dass sie der Dämonengott Mbhkpdbs persönlich sei! Es gab aber auch Leute, die sie für eine alte Halblingsfrau hielten, die sich nur nach Aufmerksamkeit sehnte und keinerlei magische Fähigkeiten besaß 12 . Bei den Hobbits in der Gegend war sie sehr geachtet, aber die Menschen achteten sie nur aus einem Grund: Wenn es darum ging, ungeliebten Personen mit Magie zu schaden, dann war sie die erste Wahl. (Ihre Preise waren etwas besser als die von Weeno dem Mächtigen, aber dafür verlangte sie nach jedem vollzogenen Schadzauber ein Stück von der Seele ihres jeweiligen Kunden.)
Die Kinder liefen und liefen und Heidi wunderte sich über die Stille in diesem Teil des Waldes. Kein einziger Vogel zwitscherte, kein Insekt zirpte, kein Waldtier, nicht einmal ein Eichhörnchen war zu sehen! Schließlich erreichten sie die Hütte der Großmutter.
Dabei handelte es sich um ein kleines, halb verfallenes Holzhaus innerhalb einer mittelgroßen Waldlichtung, man könnte meinen, dass die Hütte aus einem Loch aus dem Boden entsprungen sei. Hogro klopfte – so wie er es gewohnt war – an der runden Vordertür.
Nun hörte man eine kräftige Stimme: »Bist du das, Hogro?« – »Hogro!«
Hogro trat ein und ging direkt in die Wohnstube, Heidi folgte ihm und schaute sich um. An den Wänden hingen Gemälde von – so wie Heidi annahm – den Verwandten und Vorfahren der alten Hobbitin. Die Holzmöbel und das ganze Ambiente machten einen sehr angenehmen Eindruck. Es roch weder nach Moder, noch war es feucht oder schimmlig. Ja, dies war ein Hobbithexenhaus, und das heißt, es war sehr komfortabel.
In einer Ecke sah sie die Großmutter von Hogro in ihrem Rollstuhl, die mit ihrem Messer auf einem Stück Holz herumschnitzte.
Heidi kam auf die alte Frau zu und begrüßte sie freundlich mit den Worten: »Guten Tag, Großmutter, jetzt komme ich zu dir; hast du gedacht, es wäre lang, bis ich komme?«
Langsam schaute die Großmutter zu der Kleinen herüber und reichte ihr ihre faltige Hand, die nur geringfügig größer als die des Mädchens war. Heidi nahm nach der Begrüßung unaufgefordert auf einem nahegelegenen Hocker Platz. Hogro stand vor einer Vitrine und beobachtete sein Spiegelbild in dem Glas.
»Bist du das Kind vom W-W-Winf-Wan-Weeno, dem Mächtigen, bist du die Heidi?«, entgegnete die Alte und befestigte ein Stück Stoff an einer Holzfigur.
»Ja, ja«, bestätigte die Kleine, »jetzt gerade bin ich mit dem Hogro hierhergekommen.« – »Hogro!«
»Weiß Weeno, wo du bist, Kind?«, frug die Alte und bedeckte sicherheitshalber eine der Holzfiguren auf dem Tisch mit einem Tuch.
»Ja, er hat gesagt, dass er mich mit einem Ordnungs-Fluch belegt hat, damit ich mich nicht im Wald verlaufen tue«, antwortete Heidi.
»Ah, du meinst wohl ›Ortungs-Fluch‹. Ja, das ist eine feine Sache.«
Nun bemerkte Heidi viele weitere kleine Holzfiguren auf dem Tisch der Großmutter. Sie alle waren kunstvoll bemalt, etwa so groß wie eine Handfläche, die meisten trugen sogar Puppenkleidung. Ein paar von ihnen sahen aus wie Leute, die sie aus dem Dorf kannte.
»Wer hätte freilich glauben können, dass so etwas möglich sei? Kind, ich dachte, du würdest keine drei Wochen bei dem Alten leben«, sprach sie, während sie einer kleinen Holzfigur, die man für einen extrem geschrumpften Herrn Käseviel halten könnte, sehr langsam eine Nadel in den rechten Fuß stach. Ihre kalten Augen fixierten das kleine Objekt in ihrer Hand, sie versenkte die Nadel tief in den winzigen Holzkörper, legte die Figur beiseite und wandte sich wieder dem Mädchen zu.
Sie musterte Heidi von oben bis unten.
»Du bist so fein gegliedert, wie deine Mutter, die gute Adelholde«, sprach die Großmutter; gleichzeitig band sie zwei ihrer kleinen Holzfiguren mit einem rosafarbenen Wollfaden aneinander. Dann klebte sie eine angefeuchtete Rosenblüte an den Oberkörper der weiblichen Figur und band beide Figuren fester zusammen. Eine Figur erinnerte Heidi an Myrcella Cannavale, der über alle Maßen arroganten Dorfschönheit. Die andere sah wie Hogro aus.
»… aber du hast die schwarzen Augen und das krause Haar wie dein Vater.«
Heidi konnte nicht antworten, lächelte aber freundlich, als sie das hörte. Diese faszinierenden Figuren zogen sie in ihren Bann (zum Glück taten sie es nur metaphorisch) und sie musste sie anstarren. Hogro starrte gebannt einen Holzlöffel an.
Die Großmutter hielt eine kleine Figur, die wie ein Dörfler aussah, über dessen Kopf aber ein winziger Kopfkissenbezug mit winzigen Augenlöchern gezogen worden war, über eine durchschnittlich große Kerzenflamme. Leider konnte Heidi noch nicht lesen, andernfalls wüsste sie, dass der Slogan »ERMORDET ALLE NICHTMENSCHEN!!!!!« auf einer kleinen Fahne stand, welche die Figur in seiner kleinen Hand hielt. Die Großmutter hielt sie so lange über der Kerze, bis sie gänzlich mit Ruß bedeckt war, schaute zu Heidi herüber und bemerkte: »Du scheinst ein freundliches Mädchen mit einem guten Herzen zu sein. Erzähl der Großmutter doch mal, was du heute mit dem Hogro so alles erlebt hast?«
»Hogro!« (Hogro freute sich immer, wenn jemand seinen Namen erwähnte. In dieser Beziehung unterschied sich der kleine, nach Aufmerksamkeit sehnende Kerl kaum von einem beliebigen C‑Prominenten, dessen höchstes Ziel es war, den eigenen Namen regelmäßig in den Headlines der Boulevardpresse wiederzufinden.)
Eifrig schilderte sie mit großer Lebendigkeit ihre Erlebnisse mit dem Beleidigungs-Homunkulus und ihren neuen Freunden Bärli und Schwänli. Als sie allerdings an die unwirkliche und für sie nicht zu begreifende Szene mit dem explodierenden Greifen dachte, musste sie weinen. Die Großmutter beugte sich nach vorne und umarmte sie liebevoll.
»Die Götter 13 seien gepriesen für so ein aufgewecktes und freundliches Kind«, sagte sie und malträtierte eine Miniversion von dem Dorfschläger mit einem spitzen Nagel.
Nun konnte Heidi dem Drang, eine der Figuren anzufassen, nicht mehr widerstehen. Sie nahm eine vom Tisch, die dem Steuereintreiber des Bezirks ähnelte. Leider rutschte sie ihr aus der Hand, fiel auf den Boden und zerbrach in zwei Hälften. Heidis Unterlippe begann zu zittern, sie brach in Tränen aus. Jammervoll schluchzte sie: »Wer kann dich denn wieder heil machen?«
»Komm, du gutes Kind, es ist schon gut«, sagte die Großmutter zur Beruhigung und stopfte einer Figur, dessen Erscheinungsbild an die Klatschbase des Dorfes erinnerte, mit einer Pinzette eine Substanz, die in ihrer Farbe und Konsistenz Taubendreck 14 entsprach, in den leicht geöffneten Mund.
Die Großmutter wedelte mit ihren Armen über den Tisch mit den Holzfiguren, murmelte Worte, die der Heidi unbekannt waren und beendete das Ritual mit den Worten: »SO WIRD‘S GESCHEHEN, IHR BLINDEN NARREN!«
Dann wandte sie sich den beiden Kindern zu, lächelte freundlich und sprach: »Hogro, hol die Teller, das Besteck, Brot und etwas grobe Leberwurst! 15 «
»Hogro«, bestätigte der hörige Halbling.
»Willst du mein gekochtes Ei haben, Großmutter?«
»Gewiss, mein Kind.«
11Die Namen von Dämonen besitzen keine beziehungsweise kaum Vokale, wie der großartige Dämonologe Sir Terry Pratchett einst herausfand. Die einzige Person außerhalb der Unterwelt, die in der Lage ist, Dämonennamen korrekt auszusprechen, war Tilbert Nuschlhöfer, der unbegabteste Schauspieler von Ostland.
12Das Erstaunlichste an den ganzen Theorien über die alte Blogunde war: Sie waren alle wahr!
13Sie sprach von ihrem dämonischen Gott gerne in der Pluralform.
14Ja, es war Taubendreck.
15Der Hexenkodex verbietet die Benutzung der Floskeln »bitte« und »danke«, da diese Worte ein Zeichen für Schwäche sind. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Nichthexen sich an diesen Kodex halten.