Читать книгу Relationalität in der Gestalttherapie - Frank-M. Staemmler - Страница 6
1. Persönliches Vorwort
ОглавлениеVor mehr als 40 Jahren habe ich angefangen, als Psychotherapeut zu arbeiten. Einen großen Teil meiner seither vergangenen Lebenszeit habe ich mit meinen Klientinnen und Klienten1 verbracht. Die Menschen, die ich in meiner Praxis empfangen habe, waren sehr unterschiedlich; es handelte sich um Frauen und Männer, um jüngere und ältere, um solche, die in ihrem Leben eigentlich ganz gut klar kamen, aber in irgendeiner Weise noch etwas für sich verbessern wollten, oder um solche, denen kaum etwas zu gelingen schien und die mehr oder weniger verzweifelt versuchten, den Kopf über Wasser zu halten.
Jede und jeder von ihnen hat mich auf eine bestimmte Weise angesprochen und damit eine Antwort hervorgerufen, die – auch wenn sie in manchen Fällen vom Wortlaut her einer Antwort ähnelte, die ich schon in anderen Fällen gegeben hatte – jeweils einmalig war, weil sie aus unserer jeweils gemeinsamen Situation heraus an eine ganz bestimmte Person gerichtet war, mit der mich eine jeweils unverwechselbare Beziehungsgeschichte verband. So habe ich nicht nur zahlreiche und manchmal überraschende Erfahrungen damit gesammelt, wie Menschen sich auf mich beziehen können, sondern ebenso zahlreiche Erfahrungen damit, wie ich mich auf andere Menschen beziehen und welche Selbste ich dabei aktualisieren kann. Das war für mich immer wieder überraschend, anregend und bereichernd.
Unabhängig von all diesen Unterschieden war dabei die grundlegende Konstellation der Rollen zwischen meinen Klienten und mir natürlich immer dieselbe: Sie wandten sich an mich als jemanden, von dem sie professionelle Hilfe in ihrer subjektiv schwierigen Lage erwarteten und den sie dafür bezahlten, dass er ihnen seine Zeit und seine therapeutische Kompetenz zur Verfügung stellte. Aber trotz dieser grundlegenden Asymmetrie zwischen den Beteiligten blieb es nur mit ganz wenigen Menschen bei einem reinen Dienstleistungsverhältnis. Die gemeinsame Beschäftigung mit den Sorgen meiner Klientinnen ließ häufig Atmosphären zwischen ihnen und mir entstehen, die von zwischenmenschlicher Nähe geprägt waren.
Das geschah häufig in einem Maß, über das wir beide den objektiv weiterhin bestehenden Dienstleistungscharakter unserer Beziehung zeitweilig vergaßen. Ich fühlte mich dann eher wie ein Gastgeber, der einen vorübergehend Zuflucht vor den Strapazen des Lebens Suchenden aufnahm und betreute. Manche meiner Klienten – man könnte sie vielleicht auch »Gäste« nennen – beschrieben mir später aus ihrer Sicht, dass sie das Zusammensein mit mir wie den Aufenthalt in einem Refugium erlebt hatten, in dem sie sich geborgen fühlen und erholen sowie Kräfte sammeln und Fähigkeiten entwickeln konnten, die es ihnen dann möglich machten, sich ihrem Leben auf neue Weise auszusetzen und zu stellen.