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Als er sich von der Matratze erhebt, schwingt noch das Echo der hysterischen Stimme zwischen den Wänden. Die verbale Aggression zerquetscht jede Hoffnung. Er durchquert das Zimmer, um das Fenster zu schließen, zieht intuitiv am Griff und überschwemmt sich mit der aufreizenden Freiheit des Alltags. Eine hohe Schallwelle durchsticht die eingedrungenen Geräusche, durchbohrt sein Ohr, hin zum Empfinden. Die Glocke einer neuen Religion ruft zum Gebet. Jemand denkt an ihn, der spitze Ton lenkt den Blick, Sehnsucht findet den Touchscreen. Elektronische Seelenfetzen ersetzen das gesprochene Wort, Bojen im Meer resignierter Lebensform, zwanglos, cool, inkonkret. Hingeworfene Fragmente befehlen den Geist, lenken den nach Nähe lechzenden Willen. Erwartungsvolle Anspannung fordert blinden Gehorsam, unfähig zu erkennen, dass nicht Geschwindigkeit und Zeit, sondern Nähe und Intensität, Sinn entfalten. Das Grundnahrung gewordene Elixier aus Außenweltkontakt, Selbstbestätigung und Gefühlssuche stärkt ihn. Einsamkeit bevormundet seine Finger, Freiheit verwandelt sich in Unterwerfung. Alltag, im Tal der wachsenden Gletscher.

Freiheit, ohne Besitz, ohne Bindung. Nichts kann verloren gehen. Authentische Befreiung liegt nicht in Besitzlosigkeit. Jenseits von allem Materiellen, sollte sich Freiheit wärmer anfühlen, freier. Selbstgemachte Zwänge und freudlose Plackereien warten auf ihre Enthauptung. Täglich lächelt Mica die Fratze der makellos herausgeputzten, sozialen Marktwirtschaft ins Gesicht. Auf den Opfertischen des Maximierungswahns drapieren sich rudimentäre Ansprüche. Zufriedenheit, Gerechtigkeit und Loyalität verströmen ihr Blut über die Hochglanzböden der Glaspaläste. Moderne Galeerenführer, Oligarchen, Aufsichtsräte, Politiker und skrupellose Lobbyisten feiern erfolgreich die Ausbeutung und schrauben rücksichtslos und perfide, Gewinne in schwindelerregende Höhen. Stillschweigend vertrocknen Menschenrechte zur Makulatur und fallen heimlichen Exekutionen zum Opfer. Die Leichen verscharrt die Profitgier in den Fundamenten unserer Gesellschaft. Ironie schreibt die toten Helden auf die höchste Fahnen. Der Kapitalismus hat Fahrt aufgenommen, ist menschlicher Entwicklung längst enteilt. Der Ausverkauf der Demokratie schreitet voran. Zurückgelassene erwarten Antworten, die nicht mehr in den Maschinenhirnen globaler Unternehmen zu finden sind. Politiker und Staaten versuchen sich vergeblich am Spagat zwischen Mensch und Unternehmen, Nationalismus und Globalisierung. Ekel übermannt Mica. Globalisierung. Die einmalige Chance, die Menschheit zusammenzuführen, sieht er vertan. Gewinnsucht prescht über Moral und Würde, überrollt erbarmungslos persönliche Empfindungen. Kein Aufbegehren, kein gemeinsamer Schrei. Destruktive Normalität empört sich nicht mehr. Verlockend blenden Annehmlichkeiten mit falschen Versprechen und verzerren durch Luxusbrillen die Sicht. Mica fragt sich, ob ihn sein Empfinden trügt oder sein Gehirn schwarz malt. Er spürt eindringlich und zweifelsfrei die Scheinmoral und Knechtschaft unserer Spaßgesellschaft. Oft wird er wütend, es scheint, als drehe sich die Erde in die falsche Richtung. Er möchte sie anhalten, ihr den Gegenimpuls versetzen. Niemals wird er sich daran gewöhnen, an die Plastikflut, die CO2 Werte, an Aufrüstung und Krieg, an die Machterweiterung der Despoten, das Bienensterben, die Überfischung, die Phosphatanreicherung, den Rechtsruck, die zunehmende Handlungsunfähigkeit der Staaten, das ungelöste Endlager und an die Ausbeutung von Planet und Mensch. Niemals.

Monsunartige, hypnotische Politik, weit entfernt von Sonnenschein und Sein. Fake News, Kapitalismus-Schere, Gentrifizierung, Tafeln als Versorgungsnorm. Vereinzelt durchbrechen stumme Schreie und lautlose Hilferufe den vernetzten Kontrollverlust. Omnipräsent, verhallend in der Zeit. Die Welt ist taub. Auf dem Heldenpodest überstrahlt der goldene Schein des Kapitals die gnadenlose Realität. fadenscheinigen Argumenten. Auf Hochglanz poliert, verspricht er mit fadenscheinigen Argumenten, einen oberflächlichen Sinn. Die höchstentwickelte Spezies degeneriert zur armseligen Intelligenz, mit verlorenem Weitblick. Grundgesetze, Menschenwürde, Respekt, Glaube, Demut und Achtung liegen auf den Scheiterhaufen der Macht. Pyromanische Kinder aus Wirtschaft und Politik streichen mit Schwefelhölzern aus Dummheit an den Reibeflächen der Selbstbereicherung. Bis das wärmende Feuer in die Höhe schlägt und ein Flächenbrand die Ignoranten überrascht, ist nur eine Frage der Zeit. Unverständnis setzt Gegenwehr frei. Die äußeren Bedingungen wurden verändert, Moral und Würde ausgeblendet, die Welt in eine Fremde verwandelt. Die lockeren Köpfe von einst, bereichern sich in den Zentralen der Macht. Liebe existiert in der Vergangenheit, eine lebenswerte Umgebung wurde in ihr Gegenteil verkehrt. Mica vermisst die Rückbesinnung auf den Einzelnen, den Mensch als Mitte, auf die Vernunft und wartet auf eine Wiedergeburt, auf die Renaissance der Renaissance.

Die Kultur des Menschen ist zu einem Furz vergangener Vier-Sterne-Menüs verkommen. Mica versteht nicht, wie sich intelligente Köpfe vor die Karren von Vergangenheit, Kapital und Ökonomie spannen lassen. Was ist mit Freiheit, Ökologie, mit Liebe, Kultur und Empathie? Was mit Respekt? Wann beginnen wir, uns um unser Wohl zu kümmern und beenden die monetäre Maximierung, einst wurde Phantasie zu einem hohen Gut erklärt. Philosophen, Literaten, Künstler und Komponisten, die zehn Gebote, Love, Peace, Buddha, Ghandi und Jesus sind vor einer sinnentleerten, narzisstischen Spaßgesellschaft ins Exil geflohen. Gewähren wir ihnen Asyl. Für eine positive Entwicklung des Planeten sind zwingend moralische Grundpfeiler zwingend, ökonomisch, ökologisch und politisch. Nicht gestern. Nicht morgen. Heute. In den meisten Köpfen sprießt die Saat von Bodyforming, habgierigem Egoismus und verlängerter Lebenszeit. Gebt euch endlich zufrieden, mit dem was ihr habt. Erkennt die Unwichtigkeit eures kläglichen Versuchs, alles dominieren zu wollen. Wir werden nichts dominieren und brauchen es auch nicht. Sekündlich entfernen wir uns von einer lebenswerten Gesellschaft. Das System Gier, funktioniert seit Anbeginn der Menschheit. Ändern wir es! Wachen wir auf! Machen wir Schluss damit! Zeit schläft nicht.

Aber hey, alles im grünen Bereich. Alles cool, alles bestens. Immer locker bleiben. Ist halt heute anders als früher. Geh mit der Zeit. Häng nicht deiner glorifizierten Vergangenheit nach. Du willst doch nicht wirklich zurück. Du kannst die Uhr nicht anhalten. Uns geht’s super, so gut, wie noch nie. Genieße das Leben. Noch nie gab es länger Frieden, nie weniger Hunger, nie weniger Armut. Besänftigende Worte übertupfen, das aus dem Ruder gelaufene System mit frischem Gold. Sie begeistern die Massen und die Welt verliert den Verstand.

Der Ratschlag, den Ball flach zu halten, vermag Micas Sichtweise nicht zu ändern. Was hindert uns daran, kreativ, vorwärtsdenkend und zukunftsorientiert zu handeln, Chancen zu nutzen, Technologien unterstützend, nicht gewinnbringend, einzusetzen. Die Nachkriegszeit sollte überwunden sein. Vergangenheit sollte genügend Auftrieb liefern, um zu fliegen. Wir müssen Veränderung wollen, Ungleichgewicht beenden, gerechter verteilen, künstliche Intelligenz sinnvoll einsetzen, Menschlichkeit zum obersten Gebot küren und Visionen entwickeln, dann sind wir in der Lage den Scheiterhaufen abzutragen.

Mica versucht aufsteigende Übelkeit durch Ablenkung einzudämmen. Er möchte Löwenzahn-Stiele aufdröseln, die sich kringelnd im Wassereimer schlängeln, Frühling riechen, sich eins fühlen. Nicht Ärschen den gleichen putzen und sich im Schleim der Mitläufer suhlen. Unten im Tal lauert Revolution. Er verspürt den Wunsch, die Menschheit ins Eiswasser zu tauchen, zur Besinnung zu bringen, wachzurütteln. Vergesst Geld, eure überhebliche Selbstbereicherung, Egoismus. Nach vorn führt der Weg, zu ureigenen Gefühlen. Begreifen wir, dass wir sterblich sind. Fühlen wir uns groß. So groß, wie wir wirklich sind, Mikroben im Universum, ein Lidschlag der Unendlichkeit. Wir sind Nichts! Wenn wir das begriffen haben, aber erst dann, schauen wir in dieses Nichts. Versuchen es zu verstehen. Vertrauen wir ihm.

Das Erbe

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