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Es ging um das Virus. Das Virus war das ultimative Gesetz meiner Existenz geworden, all mein Trachten richtete sich nur noch auf ihn. In meinen Träumen ritt ich Baron Münchhausen gleich auf ihm, von Shopping-Portal zu Shopping-Portal, von Datenbank zu Datenbank, Zerstörung streuend, eine konsumlose Wüste zurücklassend. Geriet ich tatsächlich einmal in das Labyrinth der bunten Warenvielfalt zogen vor meinem inneren Auge Visionen von Schlachtfeldern vorbei, weite Ebenen von Kratern übersät, Rauchschwaden über versandeten Schützengräben, Kinder, die den Toten die Gewehre aus den Fingern brachen.

Während der Vorbereitungsphase verwandelte sich mein Leben in ein per Zufallsgenerator gesteuertes Theaterstück. Ständig lebte ich in der Angst, den Einsatz für meine Rolle zu verpassen oder diese zu früh zu verlassen. Das Schizophrene schlich sich bis in meine ureigenste Persönlichkeit, die, statt mir granithart in unzweifelhafter Existenz meinen Rücken zu stärken, von dem stetigen Rollentausch selbst angegriffen wurde. Nicht ich kreierte die Wirklichkeit, sondern gerade umgekehrt, formte mich diese je nach ihrem speziellen Bedarf. Ich war ein fluides Etwas, das durch verschiedene Windkanäle trieb und sich der jeweils vorherrschenden Strömung anpasste. Ich musste aufpassen, nicht vollständig meine mir bisher bekannte und geliebte Identität zu verlieren. Ich war der Pol meiner Erfahrungen und zurzeit bedrängte mich eine aggressive, bisher unbekannte Welt, sodass ich Angst bekam, den Boden unter meinen Füßen zu verlieren. Das Virus als der letzte Sinn meiner Existenz schützte mich vor der völligen Verwahrlosung. Das Virus ordnete mein Leben, war Gegenwart und Zukunft, war das einzig sichere Gesetz.

*

Dem FUCKING-BIER-INTERNATIONAL und dem Kaffee war ein FUCKING-JOINT-INTERNATIONAL gefolgt, ich schwebte in einem graugrünen Wattekokon und ließ Zeit und Wind durch meine Finger gleiten. Nana schwebte neben mir und rauchte. Die Morgensonne schien ihr direkt ins Gesicht und ließ sie erdbraun wie eine aztekische Göttin erscheinen. Heute hatte sie das Gesicht eines Mustangs, der mitten in den Bergen in eine Koppel gelaufen war und nun, nachdem er verstört mehrmals den Zaun abgelaufen war, in der Mitte stand und ängstlich die Nüstern in den Wind hielt. Ich legte meine Arme um ihre Schultern und drückte sie an mich. Sie lehnte ihren Kopf an meinen Hals, kuschelte sich richtig hinein, blieb still, sagte kein Wort mehr. Ich bemerkte, dass sie leicht zitterte.

»Ich habe Angst, Wolf.«

»Ich auch.«

»Was, wenn durch den Shutdown von ZAMAON lebenswichtige Lieferungen nicht getätigt werden konnten? Inzwischen muss es längst in den News stehen. Hoffentlich berichten die überhaupt von ihrem eigenen Versagen.«

»Tote machen immer Schlagzeilen.«

»Tote? Soweit wird es ja hoffentlich nicht gekommen sein.«

»Egal was passiert ist, ich glaube kaum, dass schon Fahndungsfotos existieren.«

»Wenn alles geklappt hat, bekommen die uns sowieso nie.«

»Wenn…«

Nachdem Nana ihre Zigarette ausgedrückt hatte, zündete sie sich direkt die nächste an.

Obwohl sie besser über die Fahndungsmethoden des INTERNATIONALEN POLIZISTEN Bescheid wusste als ich, war Nana, seitdem wir in die Realisierungsphase des Virus getreten waren, besonders nervös geworden. Vielleicht war es auch gerade dieses Wissen, was ihre Angst hochgetrieben hatte. Wir hatten keine direkten Mitwisser, niemand hatte wirklich gewusst, was wir mit dem Virus vorhatten. Aber in Nachhinein erschienen unsere Taten für manche vielleicht in einem anderen Licht.

Für Dieter hatte die Ursache unserer Flucht in einem außergewöhnlichen Kleptomanieanfall Nanas gelegen. Auch wenn Dieter eine zwiespältige Meinung zu ihrer Leidenschaft des Diebstahls hatte, hatte er diese irgendwann als besonderen Teil von Nanas Persönlichkeit akzeptiert. Nanas Schilderung von den Zwängen, die sie beim Online-Shoppen kontrollierten, hatten ihn überzeugt. Konsumterror, mit diesem Begriff konnte er etwas anfangen. Er war eben ein Politischer. Aber wenigstens redete er nicht nur. Er hatte uns tatsächlich geholfen.

In Bordeaux fuhren wir ins erstbeste Elektronikkaufhaus, gingen in die Computerabteilung und begannen auf einem Ausstellungslaptop zu surfen. Ein Klick und wir landeten auf dem Portal von ZAMAON. Auf den ersten Blick sah alles normal aus. Mit einer unseren vielen Online-Identitäten loggten wir uns ein. Und dann bemerkten wir es. Wir waren auf einem alten Proxy gelandet. ZAMAON funktionierte nicht, aber nach Außen sah auf den ersten Blick alles ok aus. Wie erwartet konnte man nichts bestellen. Die Seite, die man uns anbot, war nur ein schöner Schein. Daraufhin suchten wir im Netz nach Informationen zu dem tatsächlichen Shutdown. Aber auf den ersten Blick konnten wir nichts entdecken. Der Hauptartikel von INTELLIGENT berichtete von einem Kannibalen, der jahrelang seinem unappetitlichen Handwerk unbemerkt nachgegangen war. Weiter unten eine kurze Bemerkung über die Auswirkungen eines weiteren Ölunfalls im Amazonasbecken auf das europäische Klima. Aber keine Zeile von einem Shutdown von Zamaon. Ein wenig planlos und in keiner Hinsicht von unserer Unruhe befreit, standen wir zwei verlorene Schafe im Shoppingcenter herum. Es fiel uns nichts Besseres ein, als so schnell wie möglich Bordeaux zu verlassen.

*

An einem Abend hatte ich mit Manfred ein paar FUCKING-BIER-INTERNATIONAL in einer Hotelbar getrunken. Er war sichtlich aufgedreht. Froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Manfred, in gehobener Position, Spezialist für Datenbankkonversion, reiste jetzt viel, von Hotel zu Hotel.

»Die Hotelzimmer sind meist in Weiß gehalten. Weiße Wände, weiße Decken. Schmucklose Beleuchtung. Dann die Gänge und Korridore. Ein ganz seltsames Gefühl, wenn ich dort jemandem begegne. Dieses langsame aufeinander Zuschleichen, egal wie schnell man tatsächlich geht. Ich darf ja nie das Gesicht verlieren. Ich bin ja nicht nur meine Person, ich bin immer auch die Firma. Ob ich gehe, schlafe, trinke oder rede. Immer bin ich auch die Firma. Und der Firma verdanke ich viel. Keinen Ärger, sage ich mir immer, die Ehre der Firma hochhalten.«

Manfred stürzte seinen Whiskey, sah mich mit schicksalsergebenen Blick an.

»Und du Wolf, erzähle, wie läuft es in der Türkei?«

Da hatte ich es wieder. Jetzt musste ich mir eine Story ausdenken und mir alle Details merken, damit ich mir nicht widersprechen würde.

»Jaaa…. es ist sehr heiß da unten.«

»Und….? Die Ausgrabungen?«

»Die Ausgrabungen sind sehr beschwerlich in der Hitze.«

Scheiße, was sollte ich ihm erzählen? Irgendetwas taktisch Verwertbares! Das Virus! Manfred musste sich nun endlich um die Strategie kümmern.

«Es gibt eben sehr wenig Wasser dort. Wir müssen von einem kilometerweit entfernten Seitenarm des Tigris Wasser heranfahren lassen. Das kostet was, sage ich dir. Und die Maschinen können in der Hitze nicht arbeiten. Nach einer halben Stunde versagt immer der Kühler. Wir müssten nachts arbeiten, aber unsere Generatoren liefern nicht genug Strom für die Beleuchtung. Außerdem haben wir sowieso nicht die entsprechende technische Ausrüstung. Alles zu teuer. Also arbeiten die Hilfskräfte mit Schaufeln. Und das Gelände ist riesengroß. Hätten wir die Daten aus der Satellitenauswertung des Geländes des INTERNATIONALEN POLIZISTEN wüssten wir genauer, an welchen Stellen wir graben müssen. Aber momentan ist es ja wohl eher etwas ruhig im Forschungslabor?«

»Ja, ich bin selten da und der Rest der Mannschaft hat einfach kein Elan. Schlimm, schlimm! Kein Forschergeist, nur ökonomische Interessen.«

»Du müsstest das Bild sehen. Zwanzig Arbeiter in einer Reihe gehen schaufelnd, immer wieder Erdbrocken durch die Luft werfend, über die riesige Ebene, die ich als Forschungsfeld abgesteckt habe. Im Hintergrund der Horizont, die Sonne geht auf, die Arbeiter schwitzen schon, aber sie schaufeln mit unermüdlicher Kraft. Später werden sie müde. Die Bewegungen schlafen ein. Die Wassertransporter sind noch nicht da. Was ist, wenn es eine Panne gab? Stunden um Stunden auf Wasser warten. Es ist die Hölle. Und die Mühle eines tödlichen Kreislaufs. Immer wieder wird in der gleichen Schicht gegraben, es geht einfach nicht tiefer. Wir bräuchten Schaufelraupen, die die bereits observierte Erde fortschieben könnte. Oder, da sind wir wieder, wir bräuchten Datenzugriff. Es geht nicht nur um den Wolfstempel, das hat Zeit, da habe ich schon Jahre gewartet, da wird es auf ein paar Monate nicht ankommen. Aber die Menschen! Es ist eine Schweinearbeit. Wir beide, wir würden krepieren. Aber die halten durch! Für einen Hungerlohn!«

Vielleicht hatte ich Manfreds Pfadfinderseele erreicht? Er guckte schon ganz niedergeschlagen.

»Als das Projekt anfing, Manfred, dachte ich, dass die genauen Daten bald verfügbar sein würden. Ich habe meine letzten Gelder organisiert. Ich halte das nicht länger durch. Ich warte jetzt schon Wochen und Monaten, Manfred, in drei, vier Wochen bin ich am Ende.«

Manfred sah jetzt aus, als ob sein Gesicht hinter eine Glasscheibe gequetscht worden wäre. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Du kannst ja auch nichts dafür, Manfred. Aber du kannst etwas tun, um mich aus dieser Misere zu retten.«

Manfred legte mir jetzt seinerseits eine Hand auf die Schulter.

»Das Labor ist sowieso mein liebster Ort. Ich werde sehen, dass ich die Forschungsarbeit vorantreiben kann. Ich verspreche es dir.«

Nun trank ich meinen Tequila mit einem Ruck. Geräuschblasen trudelten durch die Gegend, die Leute um uns herum hatten aufgequollene Gesichter und bewegten sich, als ob jemand Fremdes an ihren Sehnen zupfen würde. Ich empfand alle Menschen als übermäßig behaart. Überall wackelten dicht behaarte Leute herum. In allen Schattierungen und jeder Löckchenform. Auch ich war behaart wie ein Wolf. Wir alle waren Wölfe. Umtanzten uns misstrauisch. Kontrollierten unsere und die Schritte der anderen. Manchmal war die Welt ein großes waberndes Rätsel.

Magic Stoner

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