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Der Kaffee in dem Autobahnrestaurant machte mich wieder etwas wacher. Das viele kühle FUCKING-BIER-INTERNATIONAL hatte mich ganz schön dösig gemacht. Jetzt waren es vielleicht noch fünfzig, sechzig Kilometer bis Bordeaux, nach und nach näherten wir uns Lissabon. In ein paar Stunden könnten wir bereits in Portugal sein, immer noch genug Zeit für den INTERNATIONALEN POLIZISTEN, in Berlin mit ihren Algorithmen unsere Spur zu enträtseln. Aber vielleicht hatten wir auch Glück.

Inzwischen begann das Tageslicht davonzuschwimmen. Vor den Scheiben des Autobahnrestaurants breitete sich langsam Dunkelheit aus. Wir hatten heute ein paar hundert Kilometer geschafft und ich fühlte mich angenehm müde.

Wir tranken den letzten Kaffee und verließen den leuchtenden Glaskubus. Diese Nacht würden wir hier schlafen. Ich hatte Lust in die Sterne zu gucken und einen Joint zu rauchen. Hinter der Tanke blühte eine Sommerwiese, wir legten uns hinein und sahen in die Sterne. Wir kifften, schauten dem Wind zu, der die Oberfläche des Grasteppichs zeichnete, Fledermäuse torkelten vorbei, in der Ferne quakten Autos.

In dieser Nacht träumte ich von dem Wolf. Erst sah ich nur sein Gesicht, die Oberlippe nach oben gezogen, die Zähne gefletscht. Seine Nase zuckte als stände sie unter Strom. Seine Blutaugen. Dann wurde er plötzlich klein wie eine Ameise. Kilometerweit weg kläffte und knurrte er und es klang wie das Zirpen einer Grille. Ich lief am Strand entlang, Palmen, und das leise Geräusch der Brandung. Der Wolf lief beständig hinter mir. Ich ging mit nackten Füßen im Sand, ab und zu schaute ich zurück, aber der Wolf behielt seine Distanz. Die Sterne hatten die Milchstraße gefangen, irgendwann hörte ich das Flattern einer Fledermaus. Der Wind spielte leise in den Palmenblättern. Je öfter ich mich umsah, desto größer erschien nun der Wolf. Zuerst glaubte ich an einen Irrtum, an das Spiel meiner Visionen. Nach einiger Zeit aber spürte ich ein heißes Brennen in meiner Speiseröhre. Der Wolf behielt seine Distanz, aber sein Körper explodierte.

Dann saß ich im Taxi. Die Tür ging auf. Ich sah nichts, hörte ein Knurren, drehte mich um, auf dem Rücksitz räkelte sich ein riesiges rosa Plüschkaninchen mit Polizeischärpe. In seinen Pfoten lag ein Maschinengewehr. Und das Formular. Bevor es schießen konnte, wachte ich auf.

Ich lag im Gras. Nana war ebenfalls eingeschlafen. Über mir die Sterne. Stille. Kein Autogeräusch, keine Stimmen, nichts. Nur der Wind. Ich wusste nicht, ob ich so richtig wach war. Was war Realität? Was war Traum? Was war Wirklichkeit? Wann beginnt der Wahnsinn? Ich brachte das alles nicht mehr zusammen. Dann flog durch die sternenklare Nacht ein rosarotes Plüschkaninchen auf einer Flugabwehrrakete. Ich war also noch nicht wach. Ich schloss die Augen und wartete. Öffnete sie wieder. Nichts. Kein rosarotes Plüschkaninchen. Nur Nana neben mir.

Der Traum hatte mich wachgerüttelt. Ich konnte nicht mehr einschlafen, setzte mich auf und lauschte in die Nacht. Stimmen kamen mit dem Wind. Ich hörte einen Hund in der Ferne bellen.

*

Irgendwie hatte ich es geschafft, Manfred zu motivieren. Langsam fing der Auftrag an, ihm zu gefallen. Seine Arbeitswut nach Dienstschluss hatte prompt die Aufmerksamkeit seines Chefs hervorgerufen. Aber Manfred fand das eher erfreulich, seine Worte am Telefon klangen glücklich.

»Glaub mir, Wolf, es ist unbeschreiblich, mit welch liebevollen Blicken ich in letzter Zeit hier gesegnet bin.«

Das Unternehmen als Ersatzfamilie. Manfred, das Kind, bekommt alles, was er braucht. Was außerhalb ist, die Welt, ist erstmal uninteressant. Realität? Oder Wahnsinn?

»Vor einigen Tagen setzte sich sogar mein Chef während der Mittagspause an meinen Tisch und fragte nach meinen Plänen. Ich habe ja nun endlich eine sinnige Kombination unserer beiden Ansprüche gefunden.«

Das machte mich neugierig.

»Sag nicht, du kannst durch das Eindringen in Wissensdatenbanken in deinem Gebiet der Nutzerprofilerstellung Erfolge erzielen? Konstruktion durch Destruktion? Was hat dein geniales Hirn da ausgeheckt?«

»Nun ja, die Idee ist eigentlich sehr simpel. Wir nutzen nicht nur unsere eigene Datenbank, sondern auch die Datenbanken anderer Firmen. Dadurch werden unsere Kunden immer transparenter und die Werbung, die wir ihnen anbieten, wird immer passender. Privater könnten man sagen. Der gläserne Kunde. Am Ende wissen wir mehr über den Kunden als er selbst. Und um die Datenbanken der anderen Firmen nutzen zu können, benötigt es natürlich eine gewisse Raffinesse. Denn wie du dir vielleicht vorstellen kannst, wollen diese andere Firmen ihr Wissen nicht so ohne weiteres mit uns teilen. Die Idee ist also, alle relevanten Datenbanken zu verknüpfen, ohne dass die Betreiber, also unsere Konkurrenten, das überhaupt bemerken.

Für dich könnte ich dann dasselbe Prinzip für deine Vorstellungen modulieren. Ich bin vollkommen begeistert von dieser Idee, und überall wird mir aufgrund meiner innovativen Fantasie rege Anerkennung zuteil. Aber ich bin noch im Stadium des wilden Experimentierens, obwohl die Grundlinien deutlich vor meinem inneren Auge liegen. Immense Schwierigkeiten erwarte ich noch bei dem Überwinden spezieller Firewalls. Selbst die Verwaltung der EU, die einige Server bei uns gemietet hat, scheint angesichts der derzeitigen Krise ein Interesse an Möglichkeiten von Strategien des Datenabgleichs zu haben. Die Firma hat schon Erkundigungen bei dem Schwesterunternehmen CANIS angestellt, das, wie du weißt, Hardware für diese Technologie herstellt. CANIS ist zurzeit natürlich völlig überlastet, Rüstungsaufträge ohne Ende. Aber der Kontakt ist schon hergestellt, und es wird über die Entwicklung eines flächendeckenden Netzes von Datenschürfrobotern nachgedacht. Das ist natürlich noch Zukunftsmusik. Aber es brennt mir unter den Fingernägeln, ich werde es schaffen, ich weiß, dass ich es einfach schaffen muss. Drück uns alle Daumen Wolf. Ich kann jetzt nicht mehr weiter telefonieren. Die Arbeit, der Computer ruft. Leb wohl, ich melde mich bald, um dich mit den neuesten Ergebnissen zu überraschen. Leb wohl.«

*

Die Gedanken an Manfred beunruhigten mich. Ich spürte die Angst, doch noch erwischt zu werden. Ich wälzte mich im Gras herum, konnte und konnte nicht einschlafen. Vielleicht war ich angespannter, als ich es mir eingestehen wollte. Wir waren auf der Flucht. Der gesamte Verwaltungsapparat der EU samt des INTERNATIONALEN POLIZIST waren hinter uns her. Das Gefühl der absoluten Ohnmacht, das sich verstärkt hatte, seitdem Nana und ich angefangen hatten zu versuchen, den Verstrickungen der sogenannten Realität zu entfliehen, hatte mich immer noch im Würgegriff.

Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war ich vollkommen gerädert. Die Träume hatten Spuren in meinem Fleisch hinterlassen. Obwohl es noch eher kühl war, fühlte ich mich durchgeschwitzt und meine Muskeln schienen in dieser Nacht nicht zu Ruhe gekommen zu sein.

»Willst du einen Kaffee?«, rief mir Nana rüber, die im Schatten an einem Baum gelehnt saß und vor sich hin döste.

»Klar«, rief ich zurück und schwenkte die Faust mit dem Alles-roger-Daumen. Sie stand auf, klopfte sich den Staub von ihrem Hintern und wackelte Richtung Raststätte. Ihr blondes Haar wehte zwischen weißen Wolkenbänken und einmal sah sie zurück und warf mir einen Kussmund zu.

Es dauerte eine ganze Weile bis sie wiederkam. Aber sie hatte Kaffee in Plastikbechern, einige FUCKING-BIER-INTERNATIONAL Dosen, zwei Käsesandwiche und eine Tafel Schokolade. Wir tranken erst den Kaffee, dann das FUCKING-BIER-INTERNATIONAL.

»Sag mal Wolf, glaubst du nicht, dass wir zu langsam sind?«

»Weiß nicht, jedenfalls haben wir bessere Chancen als im Flugzeug, weil das Criminal-Search-Program uns sofort registrieren würde.«

Das CSP gestattete dem INTERNATIONALEN POLIZISTEN, den gesamten Flugverkehr in und über die Grenzen hinweg zu kontrollieren. Es war mit allen Inlandsflughäfen und weltweit mit allen wichtigen Metropolen verbunden. Mindestens einmal täglich wurde eine Liste durchgecheckt, auf der alle schwerwiegenden Delikte der letzten zehn Jahre registriert waren.

Es ging ihr nicht schnell genug, meiner Schönsten. Verständlich, wenn man als Schwerverbrecher vom INTERNATIONALEN POLIZISTEN gejagt wird. Aber theoretisch hatten wir genug Vorsprung, um bis Lissabon zu laufen. Bis die unsere Personalien herausgefunden hatten, konnten noch Tage verstreichen. Falls Dieter nicht plaudern würde. Denn Dieter hatte letztendlich zu viel Informationen. Zwar wusste er nicht die wahre Ursache unserer Flucht, konnte sie aber ahnen und kannte immerhin unser Ziel. Von ihm schließlich hatten wir die Adresse in Lissabon, bei der wir uns eine neue Identität maßschneidern lassen wollten. Neue Papiere, neue Stempel, neue Einträge in die Datenbänke dieser Welt und einige Zeit untertauchen. Alte Kollegen der Anarchistischen Internationalen, zu der Dieter beste Kontakte hatte. Ich hoffte, in dem Land, in dem die Soldaten einst mit Nelken in den Gewehrläufen herumgelaufen waren, etwas Ruhe zu finden. Die hatte ich trotz Nana und dem ganzen FUCKING-BIER-INTERNATIONAL nach den letzten Wochen und Monaten bitter nötig. Einen leeren Kopf und einen vollen Bauch, vielmehr wollte ich nicht.

»Wir sollten uns hier möglichst unauffällig benehmen, am besten meiden wir ab jetzt die Autobahn«, sagte Nana.

»Dachte ich mir auch schon. Ich hatte an der Grenze schon dieses Ziehen im Bauch.«

»Falls etwas schiefläuft, sind wir verdammt beschissen dran.«

»Verdammt beschissen ist noch milde ausgedrückt.«

»Die stecken uns weg ohne Gerichtsverfahren.« Nana sah mich an.

»Tot ist besser als in ihren Händen.«

Sie meinte das genauso, wie sie es sagte. Die Vorstellung gefasst zu werden, war wie die Ankündigung der Hinrichtung. Ich konnte mir nicht vorstellen, jahrelang in Einzelhaft herumzuvegetieren. Und bei der politischen Prägnanz unserer Aktion konnten wir mit lebenslanger Iso-Haft rechnen. Nana und ich würden alles daran setzen, unsere Freiheit zu behalten. Freiheit oder Tod. Alternativen gab es nicht.

»Was machen wir eigentlich, wenn nur einer von uns gefasst wird?«

Nanas Stimme erschreckte mich. Sie klang fordernd, trotzdem tonlos. Ich hatte diesen Gedanken immer von mir geschoben. Mir kamen da nämlich nur ganz kitschige Vorstellungen. Zusammen kämpfen und zusammen sterben.

»Wir werden überhaupt nicht gefasst. Wir werden alt und glücklich werden.«

»Sag doch mal, was machst du, wenn sie dich einbuchten und ich kann ihnen nochmal davonlaufen?«

»Weiß ich nicht. Vor Sehnsucht jedenfalls halb verrecken. Und vor Angst.«

»Wirst du dich umbringen?«

»Weiß ich jetzt doch noch nicht.«

Mir wurde das Thema langsam zu anstrengend. Es gab Punkte, die mein Denken nicht bewältigen konnte. Und es ging um Erfahrungen, die jenseits meiner Fantasie lagen. Nana zeigte sich überaus nervös.

»Du weißt doch, wir sprachen schon einmal darüber und…«

»… und ich habe gesagt, dass ich mich umbringen würde, und ich habe auch sonst eine große Klappe.«

»Wolf, ich will es nur wissen.«

»Wenn ich es selbst noch nicht mal weiß, was soll ich jetzt sagen?«

«Ich werde mich umbringen!«

»Halt doch den Mund, ich kann es nicht mehr hören.« Ich war überfordert. Konnte das Leben nicht einmal nicht existentiell sein?

Sie schwieg, guckte mich ganz seltsam an. Eine Mischung von Angst, Zorn und Entschlossenheit. Manchmal fürchtete ich ihre Blicke und das war so einer. Über meinen Rücken spannte sich eine Gänsehaut.

»Tut mir leid, Nana.«

»Ist schon gut.«

Sie beugte sich zu mir hinüber und gab mir einen Kuss.

»Ist das Sterben so leicht für dich«, fragte ich sie, während ich mit der Hand durch ihr Haar strich.

»Jedenfalls könnte ich es nie im Gefängnis aushalten, Wolf, das weißt du.«

»Aber wenn man noch Hoffnung hat?«

»Hoffnung ist Lüge.«

»Aber du kennst deine Zukunft nie.«

»Ich weiß, wie es in den Gefängnissen aussieht und ich weiß, dass ich über kurz oder lang darin sterben würde.»

»Nana…«

Ich wollte das mit ihr noch bereden, aber wir hatten darüber schon dutzende Male gesprochen. Jetzt betraf diese Sache nicht mehr irgendwelche ominösen Widerstandsbewegungen, sondern uns selbst. Nanas Urteil stand fest. Was nicht hieß, dass sie sich im Fall des Falles tatsächlich umbringen würde, beruhigte ich mich. In diesem Moment aber war sie wild entschlossen. Sicherlich schwang auch die Idee mit, dem System ein Schnippchen zu schlagen. Die Aufopferung des eigenen Lebens, um aus dem Grab die Zunge herauszustrecken und Bäh zu rufen. Ein schöner Preis.

Magic Stoner

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