Читать книгу DIE TRAURIGKEIT DER LÖWEN - Frank Solberg - Страница 10

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Irgendetwas in meinem flachen Halbschlummer wollte nicht in die Kulisse passen. Es war nichts Hörbares und nichts Sichtbares, aber etwas Fühlbares, und es sickerte allmählich von außen in meinen Traumfilm. Gähnend rieb ich mir die verklebten Augen und erschrak. Lena saß auf der Bettkante und musterte mich aufmerksam.

„Vergebung“, wisperte sie, „ich wollte dich nicht aufwecken. Du hast so friedlich vordichhingesägt. Mach die Augen wieder zu, dir fehlen noch ein paar Stunden.“

Ich brauchte einige kräftige Atemzüge, um mich zurechtzufinden. „Wo kommst du her, ich meine, wie kommst du her?“, fragte ich unkonzentriert.

„Aus deinem Bette kam ich schwer, aus der Küche komm ich her, auf den Beinen war’s nicht schwer.“ Ein vergnügtes Lachen. „Guten Morgen, mein Lieber. Mit dem Reimen tue ich mich nicht so leicht, aber Kaffee kochen können kann ich gut. Möchtest du einen?“

„Ja, bitte mit Milch, nur gerührt, nicht geschüttelt.“

„Guten Morgen Ironie. Bist du auch schon munter?“

Sie brachte mir einen dampfenden Becher. „Mit Milch, gerührt und nicht geschüttelt. Verbrüh dich nicht.“

„Danke.“ Ich verbrannte mir die Zungenspitze. „Er ist heiß wie die Hölle, schwarz wie der Teufel und rein wie ein Engel.

„Französisches Sprichwort?“, fragte Lena. „Unbekannter Playboy?“

„Annähernd richtig. De Talleyrand, französischer Priester, Staatsmann und Schürzenjäger.“

„Und du bist mein kleiner Philosoph, mein Schlaubi-schlumpf und eine lebende Aphorismensammlung.“

„Philosophieren ist mehr als Spruchblasen aufpumpen, da geht es um überzeugendes Argumentieren und so etwas fürchterliches wie formale Logik. Was das Phrasendreschen angeht, bin ich erblich vorbelastet, mein Opa und mein Lieblingsonkel hatten ein Faible dafür. Der Spruch mit dem Kaffee ist übrigens unvollständig, da fehlte der letzte Halbsatz: Kaffee ist blablabla und süß wie die Liebe.“

„Aha, deshalb wolltest du keinen Zucker. Du hattest wohl letzte Nacht genug Süßes?“

„Von dir und Yoni werde ich nie genug kriegen. Wieso bist du überhaupt angezogen? Soll ich dich nicht wieder ausziehen?“

„Ich muss Geld verdienen und vorher die Zwillinge zur Schule bringen. Ich würde mich ja zu gerne entblättern, aber dafür reicht die Zeit nicht mehr.“

„Ich kann auch schnell“, versicherte ich.

„Ich hätte es gerne konservativ, feinfühlig und langsam, da sind jedoch meine Termine vor.“

„Bist du denn fit für die Arbeit?“

„Topfit. Wir haben die halbe Nacht geturnt, das stärkt Körper, Geist und Seele.“

Wir küssten uns leidenschaftlich, dann machte sie sich los. „Noch sex Sekunden und ich bin sturmreif.“

„Dann geh, bevor ich über dich herfalle.“

Sie biss mir zärtlich in den Finger. „Ich bin so froh darüber, dass ich gestern auf mein Horoskop gehört und meine Hemmungen abgelegt habe. Das war kein großer Schritt für die Menschheit, aber ein gewaltiger für Klein-Lena.“

„Was stand denn in deinem Horoskop?“

Es ist an der Zeit darüber nachzudenken, das Leben als Single zu beenden. Riskieren sie mehr und wagen endlich den Schritt hin zu neuen Ufern. Also bin ich über den Fluss geschwommen, und am Ufer hast du mir gezeigt, dass ich noch nicht verloren bin. Heute Abend kannst du wieder über mich herfallen.“

Ihre entzückenden Grübchen und eine feine Wangenröte interpretierte ich als freudig verschämte Erwartung.

„Hattest von vornherein vor mich zu verführen?“

„Ich, nein, … ich hatte keinen Plan … oder doch, ich glaub, ich wollte es. Das Kleidchen hat mich angestiftet.“ Ihre Wangen hatten ein ansehnliches Mittelrot nachgelegt, und das stand ihr nicht schlecht.

„Darf ich dir noch eine Frage stellen?“, fragte ich.

„Versuch‘s.“

„Bist du am Samstagmorgen absichtlich halbnackend in die Küche gekommen? Wolltest du mich anmachen?“

„Hat es dich denn angemacht?“

„Bin ich ein Stein?“

„Mitnichten, du bist eine Lawine. Aber am Samstag? Nein, da hatte ich keine Hintergedanken. Wenn ich mich wohlfühle und gut aufgehoben, achte ich nicht auf die Etikette. So bin ich nun mal, bamm-bamm-bamm. Findest du mich schlimm?“ Über ihrer Nase formierten sich die bekannten Kummerfältchen.

„Keine Rede, ich wollte es nur wissen. Alles ist gut.“

„Wirklich?“

„Wirklich!“ Ich fuhr ihr mit einem Finger sacht über das Kinn. „Ich wünsche dir einen schönen Tag.“

„Ich dir auch. Und was ich noch erwähnen wollte, ich habe dir vorsichtshalber einen Zweitschlüssel auf den Küchentisch gelegt. Du bist jetzt mein Key holder.“

An der Tür dreht sie sich noch einmal um. „Ich hab dich sehr lieb, Matthias mit Doppel-t. Und danke für die zuckersüße Nacht.“ Dann enteilte sie in den frischen Junimorgen und ließ mich unausgeschlafen, aber wohlgelaunt zurück.

Ich versuchte die Ereignisse der Nachtstunden zu rekapitulieren, scheiterte jedoch an der Unmöglichkeit, mir Details ins Gedächtnis zu rufen. Um eine etwas kitschige Analogie zu bemühen, es schien, als betrachtete ich ein opulentes Gemälde, ein altertümliches Gelage mit erbaulichen erotischen Szenen, das zerstört wird, wenn du Teile herausschneidest. Wir waren beide ausgehungert nach Liebe, entsprechend unmanierlich hatten wir geprasst. Ein pikanter Reigen, der unsere aufgestauten Sehnsüchte stillte und sie zugleich wieder neu entzündete.


Lenas Anruf erreichte mich gegen 15 Uhr. Ich werkelte im Geräteschuppen, um den widerspenstigen Elektromäher wieder auf Vordermann zu bringen.

„Hallo, Matthias.“ Es sprach eine dünne, kraftlose Stimme, die nicht die ihre sein konnte, und doch …

„Ich glaube, ich bekomme einen Schub. Mir ist plötzlich eiskalt geworden, dann kam das Zittern.“ Das Stimmchen wurde schwächer. „Und jetzt sind die Beine taub und mir ist schwindlig.“

„Wo bist du? Ich mache mich direkt auf den Weg.“

„Ich bin beim Arzt und komme gleich dran. Du musst nicht herkommen, Papa ist bei mir. Ich will nur, dass du Bescheid weißt und …“, sie flüsterte nur noch, „… ich kann nicht zu dir kommen.“

„Ach, Lena, das kann doch nicht wahr sein“, sagte ich hilflos. „Wie kann ich dir beistehen? Was kann ich tun?“

„Drück mir die Daumen und denk an mich.“ Dann hörte ich ihr Schluchzen. „Ich war so gut drauf und so glücklich, und nun wirft mich das Monster wieder um. Es war doch wohl …“ Mitten im Satz brach die Verbindung ab.

Ad hoc erwog ich, sie zurückzurufen, aber wem hätte das genützt? Ich sandte ihr eine WhatsApp mit dem Emoji Prinzessin, ein junges Mädchen, mit einem Krönchen auf dem Kopf. „Alles wird gut!!! Meine prinzessin!!!“ Daran wollte ich keine Zweifel hegen.

Das Telefonat hatte mich geschockt, Lenas Leid wollte mir nicht aus dem Sinn, aber zu einem klaren Gedanken war ich nicht fähig. Ich lief angespannt umher, vom Garten ins Haus, vom Haus in den Schuppen, vom Schuppen in die Garage, von der Garage wieder in den Garten. Ohnmächtig, weil ich nicht helfen konnte. Angsterfüllt, weil ich nicht wusste, wie der Zusammenbruch ausgehen würde. Wütend, weil ich mich mitverantwortlich fühlte. Irgendwann fand ich mich unter dem Kirschbaum sitzend wieder, den Rücken an den Stamm gelehnt, die Hände gefaltet. Dann betete ich, linkisch und aufrichtig, wie ein kleiner Junge: „Vater im Himmel mach, dass sie schnell gesund wird. Ich verspreche dir, dass … dass ich sonntags wieder in die Kirche gehe.“

Ich war nicht sicher, ob und wie dieses Gelöbnis bei den Verantwortlichen im Olymp ankommen würde. Ein gläubiger Christ spricht seine Gebete nicht nur in Notlagen, für ihn ist dies eine geläufige Form der Zwiesprache mit seinem Gott, die keines Anstoßes bedarf. Ich bin in Sachen Religion ein spirituell veranlagter Zweifler und konfessionell ungebundener Mitläufer, der sich freilich nicht scheut, kosmische Gewalten um Hilfe anzurufen. Es sei dahingestellt, ob ein solcher Schwur mehr ist, als Selbstbetrug oder ein infantiler Bestechungsversuch.

Kurz nach 19 Uhr surrte mein Smartphone. Es war ihre Rufnummer, aber eine fremde Stimme, es meldete sich ein sonorer Bass. „Guten Abend, Herr Kemper, hier ist Walter Behring, Lenas Vater. Ich weiß nicht, wer sie sind, ich weiß nur, dass sie neben ihr wohnen, aber sie hat mir aufgetragen, ihnen auszurichten, dass es ihr besser geht, und dass sie sich nicht sorgen müssen.“

„Wo ist sie, und wie gehr es ihr?“

„Sie ist hier bei uns, und sie schläft. Sie hat Infusionen bekommen und Tabletten, jetzt müssen wir abwarten, wie es in den nächsten Tagen läuft.“

„Und, was meinen sie?“ Eine sehr viel dümmere Frage hatte ich nicht parat.

„Was soll ich meinen?“, sagte die Bassstimme schwerfällig. „Wir haben da so unsere Erfahrungen. Bis jetzt ist es glimpflich ausgegangen, bis auf kleinere spastische Störungen hat sich immer wieder alles eingerenkt. Aber man weiß nie, ob und wann es härter zuschlägt, und dann …“

Es blieb offen, was dieses „dann“ bedeuten konnte.


Ich wusste nichts über Lenas Krankheit. Als Normalbürger, der du das Kürzel MS vorherrschend aus Überschriften oder vom Hörensagen kennst, fehlt dir die Vorstellung, was die Erkrankten und ihre Umgebung vielfach durchmachen müssen. Aber nun wollte ich es wissen und recherchierte im Internet. Der diesbezügliche Wikipedia-Eintrag machte mich nicht schlauer: „Die Multiple Sklerose (MS) oder Encephalomyelitis disseminata (ED) ist eine autoimmune chronisch-entzündliche neurologische Erkrankung. … Bei ihr werden die Markscheiden, die elektrisch isolierende äußere Schicht der Nervenfasern im Zentralnervensystem (ZNS), angegriffen.“

Ich klickte mich durch diverse Internetforen und Dutzende Artikel und Erläuterungen. Je mehr ich erfuhr, desto weniger ertrug ich.

Multiple Sklerose zählt zu den Autoimmunerkrankungen, wobei, um meine Verwirrung zu vergrößern, australische Forscher erklären diese Lehrmeinung für überholt. Aber das ist ein fachlicher Diskurs, der einen medizinischen Laien überfordert. Fakt scheint zu sein, dass das Abwehrsystem, dessen originäre Aufgabe in der Bekämpfung fremder Erreger besteht, „falsch programmiert“ ist und perverserweise körpereigene Zellen und Strukturen attackiert. Die Ursachen sind nicht geklärt, es werden verschiedenste Faktoren angeführt, die zu ihrer Entstehung beitragen können: genetische Anlagen, Virusinfektionen, Vitaminmangel, Umweltgifte und und und. Nichts Genaues weiß keiner.

Die Entzündungen in Gehirn und Rückenmark zersetzen sukzessiv Teile der Nervenfasern, das behindert die Weiterleitung von Nervenimpulsen und kann neuronale Fehlfunktionen und Stoffwechselanomalien hervorrufen. Häufige Symptome sind Taubheitsgefühle, Gleichgewichts-, Seh- und Blasenstörungen, Krämpfe oder Lähmungen der Muskulatur sowie motorische und Koordinationsdefizite. Mehr als die Hälfte aller Patienten leidet zudem unter dem „Fatigue-Syndrom“, ein Gefühl von anhaltender Müdigkeit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit.

Die MS ist ein Chamäleon, man nennt sie die „Krankheit der 1.000 Gesichter“, weil sie keine typische Erscheinungs- und Verlaufsform kennt. Sie ist kein Todesurteil, aber sie ist unkalkulierbar. Das einzig Sichere an ihr ist die Unsicherheit, du weiß nie, ob etwas passiert und wann und wo und wenn, in welcher Ausprägung.

Bei bösartiger Entwicklung, das trifft auf ein Drittel der Fälle zu, kann sie in undefinierbaren Etappen zur völligen körperlichen Bewegungsunfähigkeit führen, vereinzelt einhergehend mit dem Versagen lebenswichtiger innerer Organe. Ein weiteres Drittel ist zwar mittelschwer bis schwer behindert, bleibt aber selbstständig. Beim Rest sind Ablauf und Belastung zeitlebens unspektakulär. Die durchschnittliche Lebenserwartung von MS-Patienten liegt um sechs bis zehn Jahre unter der von gesunden Menschen. Aber das ist alles nur Statistik und als Voraussage für den Individualfall ungeeignet.

Ausfallerscheinungen und neurologische Deformationen können sich teilweise, vorübergehend und, selbst in fortgeschrittenen Stadien, gänzlich zurückbilden. Man spricht hier von „partieller“ oder „kompletter Remission“. Es gibt „stumme Phasen“, in denen die Krankheit zu ruhen scheint, umgekehrt kann es nach jahrelang gutartigem Fortgang einbruchartig zu einer Verschlechterung mit dauerhaften Beeinträchtigungen kommen. Nichts muss, aber alles kann, jederzeit, überall.

Die Grenzen zwischen den somatischen, psychosomatischen, vegetativen und psychischen Beschwernissen sind fließend, und die Wechselwirkungen können fatal sein. Phobien, Depressionen, Stimmungsschwankungen, Konzentrationsschwächen, kognitive Defekte sowie mangelnde Kontrolle über Gefühlsäußerungen mindern die Lebensqualität. Sie gehen einher mit dem jeweiligen Vermögen zur Krankheitsbewältigung. Das Wissen um die Unheilbarkeit, die Furcht vor dem nächsten Schub, vor Mobilitätseinbußen und körperlichem oder geistigem Verfall, die Aussicht, zum Pflegefall zu werden, sind schemenhafte Wegbegleiter, Dämonen, die es zu bändigen gilt.

Aufgewühlt von diesen negativen Informationen forschte ich nach Lichtblicken und Mutmachern. Ich entdeckte eine Fülle von Abhandlungen, die in der Feststellung gipfelten, dass man mit MS ein „ungewöhnlich gewöhnliches Leben“ führen kann, „wenn man ihr nicht mehr Raum gibt, als sie ohnehin fordert.“ Das kannst du als Psychotrick abtun, dementgegen bezeugt es die Begabung des Menschen, Lebensweise und -einstellung so zu verändern, dass er unter diesem Damoklesschwert bestehen kann.

Zuversicht speist sich gerne aus Tatsachen. Es entspricht hingegen der Natur des Menschen, dass er den Glauben über das Unwissen und die Hoffnung über den Glauben stellt. Ohne Glauben kannst du leben, ohne Hoffnung nur vegetieren. In mir keimte das Fünkchen Hoffnung, es möge nicht in einem Horrorszenarium enden. Lena besaß den Kampfeswillen und die Intelligenz, sich der latenten Bedrohung entgegenzustellen. Zugestanden, eine kühne Prognose nach viertägiger Bekanntschaft, einer Liebesnacht und ohne Kenntnisse über bereits existierende unumkehrbare Schädigungen.

Das Bestreben der Medizin, den Schweregrad einer Krankheit zu klassifizieren, ist lobenswert, aber er verschaffte mir keine Klarheit. Hinter der von Lena genannten Punktzahl 3,0 auf der angesehenen „Kurtzke-Skala“ verbirgt sich die allgemein gehaltene, summarische Deklaration „mäßiggradige Behinderung in einem funktionellen System oder leichte Behinderung in drei oder vier funktionellen Systemen, aber vollständig gehfähig.“ Dabei ist für den Uneingeweihten nicht ersichtlich, was leicht oder mäßiggradig faktisch bedeutet und was sich im Zusammenspiel von behinderten Systemen verändert. Ferner werden mentale Verfassung und sozialen Faktoren nicht bemessen.

Gleichwie, quantitativ betrug Lenas Behinderung 30 von 100, das war eine relativ gute Nachricht, Ruhm und Ehre dem Erfinder des Dreisatzes. Nun die relativ schlechte: nach Kurtzke war sie nur 10 bis 15 Prozentpunkte von einer „durchgängig schweren Behinderung“ entfernt. Aber auch das ist letztlich eine Zahlenspielerei, die den Einzelfall nur unvollkommen abbildet.


Was fängst du an mit den verbleibenden Stunden eines gebrauchten Tages, und was mit einer langen Nacht, die du zum Ausruhen bitter nötig hast, weil du zeitig am nächsten Morgen zu einer zukunftsträchtigen Vertragsverhandlung nach Berlin fahren musst? Mir war danach, mich zu betrinken, gegen jede Vernunft, denn das barg das Risiko, einen überaus wichtigen Kundentermin in den Sand zu setzen.

Ich trank zwei Flaschen Pils, die mir so quer runtergingen wie der anschließende schottische Malt-Whisky, der nicht nur in der Kehle kratzte. Eine erfreuliche WhatsApp-Mitteilung rettete mich vor einer sinnlosen Promilletour: „Schlaf gut, mein prinz und gutes Gelingen morgen! Ich liebe dich!! Deine prinzessin.“ Ein Emoji mit dem Bildzeichen Prinzzessin und Prinz besiegelte die Nachricht. Ich morste zurück: „Ich bin verrückt nach dir!!! Dein prinz.“ Keine Frage, dass ich meine Botschaft mit besagtem Gimmick krönte und mit den Zwei Herzen abrundete.

Erkundige sich bitte keiner, wie ich auf auf den Kosenamen „Prinzessin“ gekommen bin, er war einfach da. Auch mit Lena habe ich nie darüber gesprochen, sie hat sich ohne zu zögern diese Allegorie für Aristokratie, Noblesse und Schönheit zu Eigen gemacht. Und sie hat mich zu ihrem „Prinzen“ erhoben, möglicherweise als denjenigen, der um sie wirbt, sie auf Händen trägt und auf einem schwierigen Weg ritterlich gegen alle Unbill verteidigt. Wer verliebt ist, denkt und sieht nicht mit dem Kopf, sondern mit Herz und Seele. Mithin sind die „Schatzis, Mausis, Putzis und Hasis“ in allen Weltsprachen mehr als ein zu verspottendes Klischee.


Meine Geschäftsreise in die deutsche Hauptstadt wurde ein voller Erfolg, ich zog einen Auftrag in Höhe von 950.000 Euro an Land, ein Volumen, das mir und zwei Kollegen Vollbeschäftigung für ein Jahr bescherte. Ein Grund zum Feiern, umsomehr als Lena schrieb, dass sie wieder auf den Beinen sei. Bevor ich mich zum Abendessen ins Kultrestaurant „Bieberbau“ in Berlin-Mitte aufmachte, rief ich sie an.

„Schön, dich zu hören“, sagte sie. „Kann ich gratulieren?“

„Du bringst mir Glück, Prinzessin, die Bestellung ist gebont. Aber erzähl, wie geht es dir? Was ist denn passiert?“

„Ich bin ganz zufrieden, es war goldrichtig, dass ich sofort zum Arzt gegangen bin. Die Behandlung hat innerhalb weniger Stunden gewirkt. Da ist noch ein Kribbeln in den Waden, aber daran bin ich gewöhnt, möglicherweise war es nur ein Pseudoschub. Morgen gehe ich wieder arbeiten.“

„Überleg dir das noch mal, schon dich bitte.“

„Wenn ich bei jedem Pieken, Zwicken und Zucken zuhause bleibe, kann ich mich gleich verrenten lassen.“

„Der Schub wird seine Ursache gehabt haben. Du bürdest dir zu viel auf, und ich halse dir auch zu viel auf.“

„Quatschtüte! Was du mir aufbürdest, ist das Beste, was mir seit Jahren passiert ist. Du bist nicht der Grund für das Malheur, aber darüber möchte ich jetzt nicht sprechen, das hat Zeit. Ich lade sowieso meinen ganzen familiären Müll auf dir ab, und das ist nicht in Ordnung.“

„Rede nicht so dumm daher, du bist mir wichtig, und deshalb ist alles wichtig, was dich anbetrifft.“

„Aber du bist nicht meine Müllkippe.“

Einer trage der anderen Last“, sagte ich weihevoll.

„Du und deine Parolen, eine Last kann auch erdrücken. Und nun Schluss der Debatte. Du gehst bitte unbesorgt Dinieren und trinkst ein oder zwei Gläschen auf uns. Ich habe den Zwillingen eine Partie Qwirkle versprochen, da muss ich mich warm anziehen, die sind beide gut.“

Der durchschnittliche Tourist oder Geschäftsreisende, der ein Souvenir aus Berlin mitbringen will, entscheidet sich häufig für einen der biederen Sympathieträger wie den Berliner Bären oder das Ampelmännchen. Auch Miniaturen vom Brandenburger Tor oder Mauerrelikte stehen hoch im Kurs. An Originalität sind diese Andenken kaum zu übertreffen, umsoweniger, wenn sie auf den letzten Metern am Airport oder im Bahnhof erstanden werden.

In einem Schaukasten im Hotelfoyer saß unter anderen Plüschtieren ein kleiner Löwe, ein rotes Herzchen auf der linken Brust, und sah mich traurig an, so als wolle er sagen: „Keiner will mich, dabei bin ich doch ein ganz Lieber.“ Zwei Tage lang widerstand ich seinem stummen Flehen, dann kaufte ich ihn. Um seinen Hals baumelte ein Anhänger, der ihn als „Nikki, Königssohn aus der Serengeti“ auswies. Ich entfernte das Schildchen, die Namensgebung für das kuschlige Mitbringsel wollte ich Lena überlassen.


DIE TRAURIGKEIT DER LÖWEN

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